Urteil des LSG Bayern vom 08.05.2001

LSG Bayern: vorverfahren, gebühr, allgemeiner rechtsgrundsatz, widerspruchsverfahren, gerichtsverfahren, verwaltung, durchschnitt, zivilprozessordnung, vergleich, mwst

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.05.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 16 SB 807/99
Bayerisches Landessozialgericht L 15 SB 69/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. März 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Kostenerstattung im sog. "isolierten Widerspruchsverfahren".
Gegen den Bescheid des Beklagten vom 20.05.1998, mit dem bei dem am 1964 geborenen Kläger der Grad der
Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) mit 30 festgestellt worden war, erhob der Kläger
Widerspruch, dem der Beklagte mit der Feststellung eines GdB von 40 im Teilabhilfebescheid vom 04.11.1998 abhalf;
gleichzeitig erachtete er die Zuziehung des jetzigen Klägerbevollmächtigten für notwendig und eine Erstattung der
notwendigen Aufwendungen entsprechend dem Erfolg des Widerspruchs zu 4/10 für angemessen; im Übrigen wies er
den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 25.11.1998 zurück.
Mit Schreiben vom 04.01.1999 wies der Klägerbevollmächtigte darauf hin, der Gebührenrahmen gehe auch im
Vorverfahren von 100,00 DM bis 1.300,00 DM. Das Bundessozialgericht (BSG) habe zwar in älteren Entscheidungen
die Auffassung vertreten, im Vorverfahren sei der Gebührenrahmen geringer; es bestehe ein allgemeines
Rechtsprinzip, wonach der Anwalt außergerichtlich weniger verdiene als vor Gericht. Das habe vielleicht Anfang der
80er-Jahre gestimmt, heute aber nicht mehr; die außergerichtliche Vergleichsgebühr sei höher als die gerichtliche, das
außergerichtliche Vergleichsverfahren bei Forderungsbeitreibungen erzeuge mehr Gebühren (§ 118
Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte - BRAGO -) als das gerichtliche Zwangsvollstreckungsverfahren (§ 57
BRAGO) und der Gesetzgeber habe weitere Institutionen geschaffen, die gebührenrechtlich einen Anreiz dafür bieten
sollen, dass der Anwalt nicht gleich zum Gericht laufe (z.B. § 84 BRAGO für strafrechtliche Hauptverhandlungs-
Verteidigergebühr ohne Hauptverhandlung). Schwierigkeit und Zeitaufwand des abzurechnenden isolierten
Vorverfahrens rechtfertigten eine Ausschöpfung jeweils im Faktor von 75 %, die Bedeutung der Angelegenheit und die
Finanzverhältnisse des Mandanten seien mit 50 % bewertet; unter Ausschöpfung von insgesamt 62,5 % ergebe sich
eine Verfahrensgebühr (§ 116 Abs.1 Nr.1 BRAGO) von 750,00 DM, eine Postpauschale (§ 25 BRAGO) von 40,00 DM
sowie 16 % MWSt (§ 25 Abs.2 BRAGO) i.H. von 126,40 DM, insgesamt 916,40 DM.
Demgegenüber legte der Beklagte im angefochtenen Bescheid vom 28.01.1999 eine Mittelgebühr in Höhe von 467,00
DM zugrunde und errechnete mit einer Unkostenpauschale von 40,00 DM und 81,12 DM MWSt eine Gesamtsumme
von 588,12 DM, von der 4/10, d.h. ein Betrag von 235,00 DM, zu erstatten sei.
Gegen diesen Bescheid legte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 09.02.1999 insoweit
Widerspruch ein, als Gebühren von 131,31 DM nicht festgesetzt worden seien; der Beklagte habe den
Gebührenrahmen grundsätzlich falsch bestimmt, wenn er meine, dieser reiche von 67,00 DM bis 867,00 DM; einen
derartigen Rahmen gebe es nicht; anzuwenden sei der ganz normale Rahmen, der sich aus einer Analogie zu § 116
BRAGO ergebe; er gehe von 100,00 DM aus und ende bei 1.300,00 DM; daran änderten auch die zitierten BSG-Urteile
nichts; das BSG vergleiche anhand anderer Tätigkeiten eines Anwaltes die Vergütungssätze der BRAGO und käme
zu dem Schluss, es bestehe ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, wonach der Anwalt außergerichtlich weniger verdiene
als im gerichtlichen Verfahren; es könne offenbleiben, ob das zu der Zeit richtig gewesen sei, als die maßgeblichen
BSG-Urteile ergangen seien. Jedenfalls habe der Gesetzgeber dieser Rechtsprechung die Grundlage entzogen; denn
seither seien eine Fülle von Vorschriften geändert worden, von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz im Sinne des
BSG könne keine Rede mehr sein; z.B. bekomme der Anwalt gemäß § 23 BRAGO 15/10, wenn es zu einem
außergerichtlichen Vergleich komme; sei ein Rechtsstreit anhängig, sinke der Satz auf 10/10; nehme der Verteidiger
spätestens zwei Wochen vor der Hauptverhandlung einen Einspruch gegen den Strafbefehl zurück, so verdiene er die
Hauptverhandlungsgebühr, obwohl keine Hauptverhandlung stattgefunden habe; sinngemäß das Gleiche gelte für das
Bußgeldwesen; die Rücknahme des Einspruches im Bußgeldverfahren spätestens 14 Tage vor der Verhandlung
darüber führe zur Gebühr für die Hauptverhandlung; komme es zu einer außergerichtlichen Titulierung eines
Anspruches gemäß § 1044 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO), so verdiene der Anwalt selbst bei Ansatz der
Mittelgebühr in der Regel je eine Geschäfts- und Verhandlungsgebühr zu je 7,5/10 sowie eine Vergleichsgebühr von
15/10; komme es zur gleichen Titulierung durch einen vor Gericht entstehenden Vergleich, so komme der Anwalt auch
nicht über 30/10 (je 10/10 Prozess-, Verhandlungs- und Vergleichsgebühr).
Mit der Begründung, der Umfang der Tätigkeit habe im vorliegenden Fall über dem Durchschnitt gelegen, half der
Beklagte mit Bescheid vom 31.05.1999 dem Widerspruch insoweit ab, als er von einer Vorverfahrensgebühr von
550,00 DM ausging; hinzu kamen als Kostenpauschale 40,00 DM sowie die Mehrwertsteuer in Höhe von 94,00 DM;
aus dem Gesamtbetrag von 684,40 DM errechnete er einen Anteil von 4/10 in Höhe von 273,76 DM; unter Anrechnung
des bereits erstatteten Betrages von 235,25 DM zahlte er 38,51 DM nach.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.1999 wies der Beklagte den Widerspruch, soweit ihm nicht abgeholfen wurde,
zurück. Der Bevollmächtigte des Klägers habe in seiner Kostenrechnung ausgeführt, er halte eine Gebührenhöhe von
62,5 % des Gebührenrahmens unter Berücksichtigung der in § 12 Abs.1 Satz 1 BRAGO genannten Kriterien für
angemessen; eine Diskrepanz bestehe nur noch bezüglich des Gebührenrahmens; ausgehend von dem von der
Verwaltung als zutreffend angesehenen Gebührenrahmen von 67,00 DM bis 867,00 DM entspreche die Gebühr von
550,00 DM einem Prozentsatz von 62,7 % der Höchstgebühr bzw. unter Zugrundelegung der Berechnungsweise des
Bevollmächtigten des Klägers einem Prozentsatz von 68,75 % des Gebührenrahmens; streitig sei somit nur noch, ob,
wie vom Bevollmächtigten angenommen, der Gebührenrahmen gemäß § 116 Abs.1 Nr.1 BRAGO von 100,00 DM bis
1.300,00 DM gehe oder ob im Vorverfahren ein auf 2/3 ermäßigter Gebührenrahmen, entsprechend der aktuellen
Rechtsprechung des BSG, heranzuziehen sei; dieses habe in mehreren Entscheidungen aus jüngerer Zeit an seiner
Auffassung festgehalten, wonach sich die Rahmengebühr für das Vorverfahren grundsätzlich nach § 116 Abs.1 Nr.1
BRAGO bestimme, allerdings auf 2/3 ermäßigt (z.B. Urteil vom 09.08.1995, Az.: 9 RVs 7/94 = SozR 3-1300 § 63
SGB X Nr.5); auch unter Berücksichtigung der Argumente des Bevollmächtigten des Klägers sehe man keine
Veranlassung, von einer Rahmengebühr von 100,00 DM bis 1.300,00 DM bei einem Tätigwerden des Rechtsanwaltes
im Vorverfahren auszugehen; die Gebühr, die im Rahmen des § 12 BRAGO vom Rechtsanwalt zu bestimmen war, sei
unbillig, weil sie den gegebenen Gebührenrahmen außer Acht lasse; damit sei das Recht, die angemessene Gebühr
zu bestimmen, auf die Verwaltung als Gebührenschuldner übergegangen.
Seine Klage vor dem Sozialgericht München vom 05.07.1999, mit der er einen zusätzlichen Kostenbetrag von DM
92,80 geltend machte, begründete der Kläger im Wesentlichen mit dem Einwand, es gebe keinen allgemeinen
Rechtsgrundsatz, aus dem hervorgehe, dass Kosten für die niedrigere Instanz niedriger lägen als Kosten für die
höhere Instanz.
Der Beklagte teilte mit Schreiben vom 22.09.1999 mit, Klageerwiderung und Übersendung der Akten sei bereits mit
Schreiben vom 18.08.1999 unter dem Gerichtsaktenzeichen S 16 SB 919/99 erfolgt. Die damalige Klagebegründung
vom 08.03.2000 in diesem Rechtsstreit wurde vom Gericht zu den Akten genommen - am 16.03.2000 wurde die Klage
in dem Verfahren S 16 SB 919/99 zurückgenommen. In der Klagebegründung vom 08.03.2000 wiederholte der Kläger
im Wesentlichen seine bisherigen Argumente.
Mit Urteil vom 16.03.2000 wies das Sozialgericht München die Klage unter Hinweis auf die gefestigte Rechtsprechung
des BSG ab; abschließend wies es darauf hin, die verfassungsrechtliche Gerichte (Art.20 Abs.3 Grundgesetz - GG -)
bedeute insbesondere die Respektierung der höchstrichterlichen Rechtsprechung durch die Instanzgerichte; im
Übrigen ließ es die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.
Die anschließende Berufung vom 19.04.2000 begründete der Kläger im Wesentlichen mit dem Hinweis, die
Rechtsprechung des BSG, die vom Beklagten zitiert werde, sei nicht mehr anwendbar, sondern überholt; aus den
beigefügten Beispielen der seit 1993 geänderten BRAGO gehe hervor, der Gesetzgeber habe den Rechtsgrundsatz
abgeschafft, dass der Anwalt in der Verhandlung vor Gericht mehr verdiene als für das "Außergerichtliche"; daran
habe auch das Urteil des BSG vom 12.06.1996, Az.: 5 RJ 86/95, nichts geändert; zwar sei es nach der
Gebührennovelle 1993 ergangen, jedoch habe man über ein davor abgelaufenes Widerspruchsverfahren zu
entscheiden gehabt, für das das Gebührenrecht aus der Zeit vor 1993 anzuwenden war.
Der Beklagte bezog sich vor allem auf die Gründe des angefochtenen Urteils; im Übrigen vertrat es die Auffassung,
das BSG hätte den in seinen Urteilen vom 07.12.1983 und 22.03.1984 entwickelten 2/3-Gebührenrahmen in einer im
August 1995 getroffenen Entscheidung (Urteil vom 09.08.1995, Az.: 9 RVs 7/94) sicher nicht mehr "kommentarlos",
d.h. ohne Hinweis auf die mittlerweile geänderte, für den vorliegendenden Fall aber noch unbeachtliche Gesetzeslage,
angewandt, wenn es der Meinung gewesen wäre, die mit Wirkung ab 1993 erfolgten Änderungen der BRAGO müssten
sich auf künftig zu entscheidende Fälle hinsichtlich des anzuwendenden Gebührenrahmens auswirken.
Diese Auffassung zog der Kläger in seinem Schriftsatz vom 16.10.2000 in Zweifel; im Übrigen verwies er auf die
gebührenrechtlichen Auswirkungen einer Untätigkeitsklageerhebung und einer erneuten Klageerhebung. Der Kläger
beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 16.03.2000 und Änderung der
Bescheide vom 28.01./31.05.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.06.1999 zu verurteilen, an
den Kläger 92,80 DM zuzüglich 4 % Zinsen ab Klageerhebung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 16.03.2000
zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen wurden die Schwerbehindertenakten (einschließlich der Akten des
Widerspruchsverfahrens) des Klägers beim Amt für Versorgung und Familienförderung München II, Az.:
14/44/1492091/2 sowie die Akten des Sozialgerichts München, Az.: S 16 SB 5/99, S 16 SB 919/99 und S 16 SB
807/99.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren des Beklagten und des Sozialgerichts wird gemäß § 202 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und § 543 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf den Tatbestand des angefochtenen
Urteils und die dort angeführten Beweismittel, hinsichtlich des Sachverhalts im Berufungsverfahren auf die
Schriftsätze der Beteiligten und den Inhalt der Berufungsakten nach § 136 Abs.2 SGG Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte und vom Sozialgericht zugelassene (§ 144 Abs.1 Nr.1, Abs.3 SGG)
Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts München vom 16.03.2000 und
die ihm zugrunde liegenden Bescheide vom 28.01. und 31.05.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
23.06.1999 sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ihm über die in diesen
Bescheiden bereits festgesetzte Erstattung der Gebühren und Auslagen seines Bevollmächtigten hinaus noch mehr
erstattet wird.
Der Anspruch des Klägers auf Kostenerstattung ergibt sich aus § 63 SGB X. Diese Vorschrift ist auch im Bereich des
SchwbG anzuwenden, weil nach § 1 SGB X die Vorschriften des 1. Kapitels des SGB X für die öffentlich-rechtliche
Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem SGB ausgeübt wird, gelten, soweit sich aus dem Allgemeinen Teil
und den besonderen Teilen des SGB nichts Abweichendes ergibt. Der in § 1 Abs.1 Satz 2 SGB X ausgesprochene
Vorbehalt für die Verwaltungstätigkeit der Behörden der Länder trifft hier nicht zu, weil das Schwerbehindertenrecht
bereits als besonderer Teil des SGB gilt (Art.2 § 1 Nr.3 SGB I und Art.1 § 10 SGB I).
Mit der Entscheidung des Beklagten im Teilabhilfebescheid vom 04.11.1998, in dem der GdB von 30 auf 40
heraufgesetzt wurde, ist gleichzeitig bindend festgelegt, dass die Zuziehung des jetzigen Klägerbevollmächtigten
notwendig war und eine Erstattung der notwendigen Aufwendungen entsprechend dem Erfolg des Widerspruchs zu
4/10 angemessen ist. Diese Regelung entspricht grundsätzlich dem Inhalt des § 63 Abs.1 SGB X, nachdem die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen bei einem erfolgreichen Widerspruch zu
erstatten sind. Nachdem sowohl der Beklagte als auch das Sozialgericht bereits die Notwendigkeit der Zuziehung des
Bevollmächtigten im Sinne des § 63 Abs.2 SGB X angenommen haben und sich während des Berufungsverfahrens
auch keine Gesichtspunkte ergaben, die diese Entscheidung in Frage hätten stellen können, geht der Senat ebenfalls
hiervon aus.
Die Festsetzung des Erstattungsanspruches der Höhe nach seitens des Beklagten ist ebenfalls nicht zu
beanstanden; zu Recht angenommenen Gebührenrahmen von 100,00 DM bis 1.300,00 DM (§ 116 Abs.1 Ziffer 1
BRAGO) auf 2/3 begrenzen.
Zwar bestimmt nach § 12 BRAGO der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach
billigem Ermessen. Wenn die Gebühr jedoch von einem Dritten zu ersetzen ist, ist die Bestimmung des
Rechtsanwalts nicht verbindlich, falls sie unbillig ist. Von dieser Unbilligkeit ist der Beklagte zu Recht ausgegangen.
Er hat die vom Klägerbevollmächtigten bestimmte Gebühr an der angemessenen, nicht unbilligen zu messen (vgl. §
315 BGB); diese Feststellung der Unbilligkeit ist gerichtlich voll nachprüfbar. Bei einem derartigen Erstattungsstreit
braucht das Gericht nicht ein Gutachten des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer nach § 12 Abs.2 Satz 1 BRAGO
einzuholen; dies gilt nur für den Rechtsstreit zwischen dem Auftraggeber und dem Bevollmächtigten (vgl. BGH DVBl.
69, 204, 205).
Nachdem die BRAGO keine spezielle Vorschrift über die Gebühren für das Verwaltungs- und das Vorverfahren in
Rechtssachen, die im Streitfall vor die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gehören, enthält, hat das
Bundessozialgericht seit 1983 in ständiger Rechtsprechung gemäß §§ 1 Abs.1, 2 BRAGO durch sinngemäße
Anwendung des Gesetzes in entsprechender Anwendung der §§ 116, 118 BRAGO und unter Beachtung der
Wertentscheidungen des Gesetzgebers sowie im Hinblick darauf, dass typische Merkmale eines Gerichtsverfahrens
wie u.a. die Wahrnehmung eines Verhandlungstermins und Beweisaufnahme fehlen, den Gebührenrahmen des § 116
Abs.1 Satz 1 Nr.1 BRAGO auf 2/3 ermäßigt (vgl. hierzu BSG a.a.O. sowie Urteil vom 12.06.1996, Az.: 5 RJ 86/95 in
SozR 3-1930 § 116 Nr.9 mwN).
Zunächst ist demnach von dem Gebührenrahmen des § 116 Abs.1 Satz 1 Nr.1 BRAGO auszugehen und zu prüfen,
ob die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Gebührenrahmens im Sinne des § 116 Abs.3 BRAGO vorliegen.
Außer im Gerichtsverfahren findet die Regelung des § 116 Abs.3 Satz 2 BRAGO, wonach die Höchstbeträge des
Abs.1 bei Vergleichen und Anerkenntnissen um 50 v.H. erhöht werden, auch in so genannten "isolierten
Vorverfahren", d.h. im Vorverfahren, dem kein Klageverfahren folgt, dann Anwendung, wenn der
Prozessbevollmächtigte (Rechtsanwalt, Rechtsbeistand) an der Erledigung der Rechtssache ohne streitige
Entscheidung mitwirkt. Der Sinn der darin vorgesehenen Erhöhung der Höchstbeträge besteht darin, einen Anreiz für
die Prozessbevollmächtigten zu schaffen, an der Erledigung eines Verfahrens ohne streitige gerichtliche
Entscheidung mitzuwirken und damit die Gerichte zu entlasten; dieser Zweck wird auch dann erreicht, wenn sich ein
Vorverfahren ohne streitige Entscheidung vollständig erledigt, ohne dass sich ein gerichtliches Verfahren anschließt
(vgl. z.B. Urteile des BSG vom 09.08.1995, Az.: 9 RVs 2/94 und 7/94). Danach liegt eine vergleichsweise Beendigung
dann nicht vor, wenn dem Widerspruch voll abgeholfen wurde; wurde ihm - wie hier - teilweise abgeholfen, liegt eine
vergleichsweise Beilegung nur dann vor, wenn der Prozessbevollmächtigte den Rechtsbehelf im Übrigen ausdrücklich
zurücknimmt oder für erledigt erklärt und damit auf eine weitergehende streitige Entscheidung verzichtet. Eine
derartige Erklärung hat der Klägerbevollmächtigte nicht abgegeben, er hat vielmehr gegen den Widerspruchsbescheid
vom 25.11.1998 Klage erhoben (§ 16 SB 5/99). Eine Erhöhung des Gebührenrahmens in entsprechender Anwendung
des § 116 Abs.3 BRAGO kommt daher nicht in Frage.
Nachdem gemäß § 116 Abs.1 Ziffer 1 BRAGO im Verfahren vor Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit der Rechtsanwalt
100,00 DM bis 1.300,00 DM erhält, ergibt sich durch die Kürzung auf 2/3 der vom Beklagten für das
Widerspruchsverfahren als zutreffend angesehene Gebührenrahmen von 67,00 DM bis 867,00 DM. Daraus errechnet
sich im Unterschied zu den 750,00 DM, die vom Bevollmächtigten des Klägers angesetzt wurden, grundsätzlich eine
Verfahrensgebühr von 467,00 DM als so genannte Mittelgebühr (867,00 DM + 67,00 DM: 2 = 467,00 DM). Diese
Mittelgebühr gilt für Normalfälle ohne Besonderheiten hinsichtlich Bedeutung, Umfang und Schwierigkeiten der
anwaltlichen Tätigkeit sowie bei durchschnittlichen Vermögensverhältnissen. Nachdem jedoch der Beklagte selbst
anerkannte, dass der Umfang der Tätigkeit des Bevollmächtigten über dem Durchschnitt lag, im Übrigen jedoch die
Bedeutung der Angelegenheit, die Schwierigkeit der Tätigkeit und die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des
Klägers auch vom Klägervertreter selbst als durchschnittlich angesehen werden, hat der Beklagte im
Teilabhilfebescheid vom 31.05.1999 zu Recht die Gebühr auf einen Betrag von 550,00 DM erhöht. Da diese Gebühr
von der vom Klägervertreter angesetzten (916,00 DM) ganz erheblich abweicht, ist die getroffene Bestimmung durch
den Rechtsanwalt unbillig.
Den Einwendungen des Klägers gegen die grundsätzliche Anwendung dieses auf 2/3 ermäßigten Gebührenrahmens
kann sich der Senat nicht anschließen. Mit dem Sozialgericht ist er der Ansicht, die Überlegungen des BSG, die zu
dieser Entscheidung führten, gelten trotz einiger weiterer Gebührenanreize in der BRAGO zur Vermeidung z.B. eines
Hauptsacheverfahrens derzeit grundsätzlich immer noch. Nach wie vor ist der Regelung der Gebühren in sonstigen
Angelegenheiten (§ 118 Abs.1 BRAGO) zu entnehmen, dass im Allgemeinen für die den gerichtlichen Verfahren
vorausgehende Tätigkeit im Verwaltungs- oder Vorverfahren die Gebühr für den Rechtsanwalt geringer als im
Gerichtsverfahren ist, allerdings auch die volle Höhe erreichen kann. Nach wie vor gilt auch, dass die speziellen
Regelungen für das Bußgeld- und das Strafverfahren zwar zu berücksichtigen, wegen des stark unterschiedlichen
außergerichtlichen Verfahrens aber letztendlich für das sozialrechtliche Verwaltungs- und Vorverfahren nicht
ausschlaggebend sind (BSG, 07.12.1983, 9 a RVs 5/82). Im Übrigen beziehen sich eine Vielzahl der Einwände des
Klägers gegen die einschlägige Kostenerstattungs-Rechtsprechung des BSG auf Regelungen mit Vergleichscharakter;
vergleichsweise Erledigungen im "isolierten Vorverfahren" führen dort jedoch bereits nach der o.g. Weiterentwicklung
der Rechtsprechung des BSG zur analogen Anwendung des § 116 Abs.3 BRAGO zu einer Ausweitung des
Gebührenrahmens.
Im Übrigen spricht die Regelung des § 116 Abs.1 BRAGO, wonach der Gebührenrahmen sich vom Sozialgericht über
das Landessozialgericht bis zum Bundessozialgericht jeweils erhöht, auch dafür, dass es eine allgemeine, die
BRAGO durchziehende Entscheidung des Gesetzgebers ist, die Gebühren in der höheren Instanz höher anzusetzen
als in der vorausgehenden. Ob und inwieweit dieser Grundsatz auch noch nach der zurzeit anstehenden allgemeinen
Justizreform gilt, braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil zumindest für die Vergangenheit dieser Grundsatz nicht
in Frage gestellt werden kann. Daraus folgt jedoch auch, dass dem Grunde nach das dem Gerichtsverfahren
vorausgehende Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) geringer zu honorieren ist; soweit beispielsweise
außergerichtliche Vergleiche bzw. Verfahrenserklärungen oder-handlungen zur Vermeidung von Hauptverfahren im
Interesse einer Entlastung der Gerichte honorarmäßig zu höheren Gebühren führen, sind dies nur Ausnahmen des
allgemeinen Grundsatzes.
Bezüglich der übrigen Einwendungen der Klageseite sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe ab und weist insoweit die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als
unbegründet zurück (§ 153 Abs.2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Der Senat lässt die Revision im Hinblick auf die angezweifelte Aktualität der BSG-Rechtsprechung (vgl. z.B.
Furtmayr, ASR 2000, 123 f) zum Zwecke der Rechtsfortbildung (§ 160 Abs.2 Nr.1 SGG) zu.