Urteil des LSG Bayern vom 09.12.2009

LSG Bayern: chondropathia patellae, commotio cerebri, mrt, unfallfolgen, femoropatellararthrose, befund, aktiven, rente, kopfschmerzen, gonarthrose

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 09.12.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 9 U 106/06
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 497/08
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 7. Oktober 2008 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente über den 30.04.2005 hinaus wegen der Folgen des Unfalls vom
16.04.2004.
Der 1966 geborene Kläger erlitt am 16.04.2004 bei einem Autounfall auf einer Betriebsfahrt eine Patellatrümmerfraktur
und Patellaluxation rechts sowie eine Risswunde am linken Knie mit Bursa-Eröffnung. Ein Hinweis für eine Commotio
cerebri ergab sich bei der neurologischen Untersuchung nicht. Nach stationärer Behandlung vom 16.04. bis
27.04.2004 mit Operation erfolgte eine Anschlussrehabilitationsbehandlung vom 27.04. bis 03.06.2004. Im
Abschlussbericht ist die Kniegelenksbeweglichkeit mit 0-30-90° bei endgradigem Schmerz angegeben. Die
Untersuchung vom 06.09.2004 zeigte eine zunehmende knöcherne Durchbauung; die Beweglichkeit war nur endgradig
eingeschränkt. Die behandelnden Ärzte schätzten die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 26. Woche nach
dem Unfall hinaus auf unter 20 v. H. ein.
Im Gutachten vom 10.11.2004 führten die Chirurgen Prof. Dr. F. und Dr. H. aus, es bestünden noch eine
Bewegungseinschränkung im Kniegelenk mit belastungsabhängigen Beschwerden sowie eine deutliche
Muskelminderung. Die MdE betrage bis zum Ablauf des ersten Unfalljahres 20 v. H., danach und nach
Metallentfernung werde sie voraussichtlich 10 v. H. betragen.
Mit Bescheid vom 01.12.2004 gewährte die Beklagte Gesamtvergütung bis 30.04.2005 nach einer MdE um 20 v. H.
Als Unfallfolgen wurden anerkannt: "Bewegungseinschränkungen im rechten Kniegelenk, Belastungsbeschwerden des
rechten Beines, deutliche Muskelminderung der Ober- und Unterschenkelmuskulatur rechts nach operativ versorgtem
Kniescheiben-Trümmerbruch rechts bei noch einliegendem Material. Reizlos verheilte Risswunde am linken Knie mit
Beteiligung des Schleimbeutels mit noch vorhandenen geringgradigen Beschwerden bei freier Beweglichkeit."
Im Bericht vom 03.12.2004 gab der Orthopäde Dr. P. an, der Kläger klage über verstärkte Beschwerden am rechten
Kniegelenk. Die Oberschenkelmuskulatur sei deutlich atrophisch mit geringem Erguss. Der postoperative Verlauf nach
Metallentfernung war komplikationslos. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) vom 14.06.2005 zeigte eine knöchern
durchbaute Patellarfraktur mit einer kleinen Stufe, Chondropathia patellae Grad II, einen minimalen Erguss und einen
Einriss im Innenmeniskus-Hinterhorn. Die Arthroskopie vom 18.10.2005 zeigte eine Verbreiterung der Patella; der
Gelenkbinnenbefund war unauffällig.
Der Chirurg Prof. Dr. B. führte im Gutachten vom 26.10.2005 aus, es bestünden noch eine endgradige Einschränkung
beider Kniegelenke bei Beugung, außerdem rechts eine beginnende Retropatellararthrose und eine röntgenologisch
sichtbare Verbreiterung. Die MdE sei mit 10 v. H. einzuschätzen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 07.12.2005 die Gewährung einer Rente ab, da der Versicherungsfall eine MdE
in rentenberechtigendem Grad nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraumes nicht hinterlassen habe.
Bei der arbeitsmedizinischen Begutachtung im Berufsförderungswerk vom 09.02.2006 zeigten sich eine leichte
Muskelverschmächtigung im Oberschenkelbereich beidseits, eine leichte Vergröberung der Kniegelenkskonturen
rechts sowie diskrete Hinweise auf eine Knorpelaufbaustörung beidseits. Dr. P. erklärte im Bericht vom 01.07.2005,
es bestehe noch eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung am rechten Kniegelenk; im Übrigen verwies er auf das
MRT vom 14.06.2005.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2006 zurück.
Im hiergegen gerichteten Klageverfahren wies der Kläger insbesondere auf die schmerzhafte Belastungs- und
Bewegungseinschränkung hin. Der praktische Arzt Dr. N. bestätigte im Attest vom 22.08.2005 Schmerzen an beiden
Knien, besonders rechts. Prof. Dr. B. berichtete am 21.11.2005 über eine diagnostische Arthroskopie beider
Kniegelenke vom 06.10.2005. Es zeigte sich im Bereich des linken Kniegelenks eine geringe Knorpelerweichung,
ansonsten altersentsprechende unauffällige Verhältnisse. Im Bereich des rechten Kniegelenks fanden sich deutlich
ausgewalzte Kniescheibenrückflächen mit Verwachsungen. Dr. P. diagnostizierte am 29.10.2007 eine
posttraumatische Retropatellararthrose rechts und ein Schmerzsyndrom am linken Kniegelenk. Die Befunde hätten
sich zunehmend verschlechtert. In einem weiteren Attest vom gleichen Tag verwies Dr. P. auf ein
Kernspintomogramm vom 25.05.2007; danach sei es zu einer Zunahme der Knorpelschäden bzw.
Femoropatellararthrose gekommen. Die Ultraschalluntersuchung zeige eine geringe Ergussbildung am rechten
Kniegelenk. Zu erwarten sei eine mögliche Verschlechterung, insbesondere der Arthrose.
Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Chirurg Dr. M. führte im Gutachten vom 16.01.2008
aus, eine wesentliche Funktionsminderung bestehe an beiden Kniegelenken nicht. Bei der aktiven Bewegungsprüfung
sei zwar nur eine Beugung von etwa 90° beidseits möglich gewesen, mit passiver Unterstützung jedoch 120°. Eine
Ursache für die angegebene Druckdolenz sei nicht ersichtlich. Die Muskelminderung am Ober- und Unterschenkel
rechts sei unfallbedingt. Am rechten Kniegelenk bestünden beginnende degenerative Veränderungen, wobei die
Gonarthrose als unfallunabhängig und altersbedingt anzusehen sei, während die beginnende posttraumatische Retro-
patellararthrose, die aber nur zu einer endgradigen Beugebehinderung geführt habe, unfallbedingt sei und ohne
wesentliche Funktionsminderung zu einer MdE von 10 v. H. führe. In der ergänzenden Stellungnahme vom 10.06.2008
wies Dr. M. nach Einwendungen des Klägers nochmals darauf hin, dass die Frage, ob eine geringgradige oder
mittelgradige Femoropatellararthrose bestehe, für die Bewertung der MdE keine Rolle spiele, sondern entscheidend
sei, dass keine wesentliche Funktionsminderung bestehe. Die Beweglichkeit sei in beiden Kniegelenken absolut
gleich. Ein intraartikulärer Gelenkserguss habe bei der Untersuchung am 16.01.2008 nicht vorgelegen.
Mit Urteil vom 07.10.2008 wies das Sozialgericht die Klage ab und stützte sich dabei im Wesentlichen auf die
Ausführungen von Dr. M ...
Im Berufungsverfahren machte der Kläger geltend, er leide unter einer schmerzhaften Belastungs- und
Bewegungseinschränkung in beiden Knien, außerdem unter Rücken- und Kopfschmerzen. Dr. P. habe im Attest vom
29.10.2007 darauf hingewiesen, dass beim Vergleich des MRT vom 14.06.2005 mit dem Kernspintomogramm vom
25.05.2007 eine Verschlechterung festzustellen sei. Zu berücksichtigen sei auch die ungünstige Prognose. Bei der
Messung der Bewegungseinschränkung habe Dr. M. die erheblichen Schmerzen nicht berücksichtigt. Der Kläger sei
auf die Verrichtung von körperlicher Arbeit angewiesen, die er aufgrund der Unfallfolgen nicht mehr ausüben könne.
Der Kläger stellte den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 07.10.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 07.12.2005 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 30.04.2005
hinaus Rente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragte,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und
Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Landshut die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung
als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zu keiner
anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage führen konnte. Wie der ärztliche Sachverständige Dr. M. überzeugend
erläutert hat, besteht eine wesentliche Funktionsminderung an beiden Kniegelenken nicht mehr. Zwar führte der Kläger
bei der aktiven Bewegungsprüfung nur eine Beugung von etwa 90° beidseits aus, bei passiver Unterstützung waren
aber ohne Weiteres 120° beiderseits zu erreichen, ohne dass ein harter Anschlag erfolgte. Am linken Kniegelenk
bestehen, wie sich auch bei der Arthros-kopie vom 06.10.2005 zeigte, bis auf eine geringe Knorpelerweichung
altersentsprechende unauffällige Verhältnisse. Massive degenerative Veränderungen oder Folgen der
Kniegelenkskontusion, die die geklagten massiven Schmerzen erklären würden, sind nicht festzustellen. Am rechten
Knie sind die Folgen der Patellatrümmerfraktur sowie eine deutlich ausgewalzte Kniescheibenrückfläche gegeben.
Ansonsten bestehen altersentsprechende unauffällige Verhältnisse, allerdings auch beginnende degenerative
Veränderungen, wobei die beginnende Gonarthrose sicherlich nicht unfallbedingt ist, da in diesem Bereich keine
Verletzung stattgefunden hat. Unfallbedingt ist dagegen die beginnende Retropatellararthrose, hat aber bislang nur zu
einer endgradigen Beugebehinderung des Kniegelenkes geführt.
Auch die Muskelminderung am rechten Ober- und Unterschenkel ist im Hinblick auf die lange postoperative
Ruhigstellung und die erforderliche Nachbehandlung mit nur ganz allmählicher Besserung der Beweglichkeit als
unfallbedingt zu werten. Erst fünf Monate nach dem Unfall wurde eine weitgehend freie Beweglichkeit im Kniegelenk
erreicht, wie Professor Dr. F. im Bericht vom 06.09.2004 angegeben hat.
Der wesentliche Befund besteht also in der beginnenden retropatellaren posttraumatischen Arthrose am rechten
Kniegelenk mit endgradiger Einschränkung der Beugefähigkeit. Eine wesentliche Funktionsminderung ist aber nicht zu
sehen. Berücksichtigt sind bei dieser Einschätzung auch die erheblichen Schmerzen. Wesentlich ist aber die
tatsächliche Funktionsminderung, die keine höhere MdE als 10 v. H. bedingt.
Die angegebenen Rückenschmerzen sind sicherlich nicht unfallbedingt, da eine Wirbelsäulenverletzung nachweislich
nicht vorgelegen hat; sie sind erklärlich durch die Hyperlordose der Lendenwirbelsäule, die zu einer Fehlstatik,
insbesondere des thoracolumbalen und lumbosacralen Übergangsbereiche geführt hat. Die Kopfschmerzen mit
Vergesslichkeit sind ebenfalls nicht auf den Unfall zurückzuführen. Schon im Durchgangsarztbericht vom 16.04.2004
ist angegeben, dass kein Hinweis für eine Gehirnerschütterung bestand, weder Übelkeit noch Erbrechen, noch
Amnesie, noch Bewusstlosigkeit. Nach neurologischer Untersuchung vom 19.04.2004 wurde eine Gehirnerschütterung
als unwahrscheinlich bezeichnet.
Der wesentliche Befund besteht also in der beginnenden retropatellaren posttraumatischen Arthrose am rechten
Kniegelenk mit endgradiger Einschränkung der Beugefähigkeit. Eine wesentliche Funktionsminderung ist aber nicht zu
sehen. Berücksichtigt sind bei dieser Einschätzung auch die erheblichen Schmerzen. Wesentlich ist aber die
tatsächliche Funktionsminderung, die keine höhere MdE als 10 v.H. bedingt.
Bei der Einschätzung der MdE ist zu berücksichtigen, dass, wie Dr. M. zutreffend ausgeführt hat,
Rentenbegutachtung im Kern Funktionsbegutachtung ist, wobei maßgeblich die Beeinträchtigung des körperlichen und
geistigen Leistungsvermögens aufgrund der Unfallfolgen ist.
Dabei ist die Einschränkung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, also nicht allein bezogen auf die
vom Kläger konkret ausgeübten Tätigkeiten, maßgebend. Es kommt auf die gegenwärtige körperliche Einbuße an.
Zukünftige, gegebenenfalls auch schon absehbare Schäden, können nicht berücksichtigt werden (vgl.
Schoenberger/Mer- tens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7. Aufl. 2003, S. 153; BSGE vom 27.01.1976,
SozR 2200, § 581 Nr. 6 m. w. N.). Eine möglicherweise sich in den nächsten Jahren verstärkende Arthrose ist bei der
jetzigen Beurteilung der Frage, wie die MdE über den 30.04.2005 hinaus einzuschätzen ist, nicht maßgeblich.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.