Urteil des LSG Bayern vom 27.05.2009

LSG Bayern: ärztliche verordnung, regress, materialien, therapie, mrt, behandlung, röntgen, stadt, medikament, arzneimittel

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 27.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 39 KA 967/04
Bayerisches Landessozialgericht L 12 KA 60/06
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. April 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
In diesem Rechtsstreit geht es um einen Regress betreffend die Verordnung von Sprechstundenbedarf wegen
unzulässiger Verordnung.
Der Kläger, der damals als Urologe an der vertragsärztlichen Versorgung in A-Stadt teilgenommen hat und
Belegbetten im Kreiskrankenhaus A-Stadt hatte, hat im Quartal 3/01 u.a. Uralyt U für 3,96 EUR und
Aminolaevulinsäure (ALS) im Werte von 1.633,28 EUR als Sprechstundenbedarf verordnet. Am 25. Juni 2003 stellte
die Beigeladene zu 2) einen Regressantrag, weil die vorgenannten Präparate nicht über Sprechstundenbedarf
verordnungsfähig seien.
Der Prüfungsausschuss gab in seiner Sitzung vom 19. November 2003 (Bescheid vom 15. April 2004) dem
Regressantrag statt und führte zur Begründung aus, ALS könne bei der Diagnostik und Therapie von Blasentumoren
eingesetzt worden. Der Einsatz im Rahmen der Ziffer 1803 EBM 96 sei jedoch nur im stationären Bereich erfolgt.
Nach Ziffer 1 Nr. 3 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung dürfe Sprechstundenbedarf aber nur für ambulante
Behandlungen verwendet werden. Die Anwendung bei stationären - auch belegärztlichen - Behandlungen sei nach
Ziffer 3 Nr. 5 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung nicht zulässig. Uralyt U sei als Nichtarzneimittel nicht
verordnungsfähig.
Der Kläger hat dagegen Widerspruch eingelegt und zur Begründung ausgeführt, nach der Argumentation des
Prüfungsausschusses könne ALS nur im Zusammenhang mit einer Leistung nach Ziffer 1803 EBM 96 eingesetzt
werden. Er verweise auf eine Arbeit von Zack aus dem Jahr 2003, in der dieser nachweise, dass ALS insbesondere
auch als diagnostisches Benefit zu verstehen sei, bei dem eine zusätzliche Entdeckungsrate von Karzinomen und
Dysplasien von mehr als 42 % festzustellen sei. Es sei deshalb davon auszugehen, dass dieses Medikament auch
im Zusammenhang mit den Nummern 1784 und 1785 EBM 96 gerechtfertigt sei. Uralyt U sei nach der Roten Liste ein
apothekenpflichtiges, nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel.
Der beklagte Beschwerdeausschuss wies mit Bescheid vom 14. Juli/14. Oktober 2004 den Widerspruch zurück. Nach
§ 18 der Prüfungsvereinbarung sei zu beurteilen, ob ein Vertragsarzt unzulässig verordneten Sprechstundenbedarf
bezogen habe. ALS komme bei der photodynamischen Diagnostik von Harnblasenkarzinomen zum Einsatz. Es sei
ein Verfahren zur besseren Identifikation von malignen Schleimhautveränderungen in der Harnblase. Präoperativ
werde ALS in die Harnblase instilliert, so dass eine spezielle Anfärbung oberflächlicher suspekter
Harnblasenkarzinomanteile entstehe. Mit eigens dafür entwickelten Spezialoptiken und Instrumentarien könne dann
eine reguläre transurethrale Blasentumorresektion mit leichter Identifizierung der Tumorareale durchgeführt werden.
Nach einem Landesrundschreiben der Beigeladenen zu 1) aus 1/1999 könnten Vertragsärzte hierbei die
Gebührenordnungsziffern 1784, 1785 und 1803 EBM 96 abrechnen. Der Kläger habe die Position 1784 (Zystoskopie,
ggf. einschließlich Urethroskopie und/oder Probeexzisionen, ggf. einschließlich Schlitzung des Harnleiterostiums bei
der Frau, 700 Punkte) und 1785 (dieselbe Leistung beim Mann, 1000 Punkte) jeweils 41-mal angesetzt. Die Ziffer
1803 (Zuschlag zu Nrn. 1784 und 1785 für zusätzlichen transurethralen Eingriff in der Harnblase zur Entfernung von
Fremdkörpern und/oder großen Tumoren, 1200 Punkte) fehle in der ambulanten Abrechnung. Stationär werde sie 10-
mal geltend gemacht. Da ALS ein Diagnostikum sei, sei die Ziffer III.1 b der Sprechstundenbedarfsvereinbarung
(Mittel zur Diagnostik und Therapie) zu beachten. Unter den dort als über Sprechstundenbedarf verordnungsfähig
aufgeführten Mitteln befinde sich die ALS bzw. ein Überbegriff nicht. Hingegen seien als nicht verordnungsfähig
aufgeführt "Kosten für Reagenzien, Substanzen und Materialien für Laborleistungen". Derartige Kosten seien
ausnahmslos mit den Gebühren abgegolten. Eingeschlossen seien auch die Kosten aller "Substanzen", die mit ihrer
Anwendung verbraucht seien. Daraus sei abzuleiten, dass für Aminolaevulinsäure entstandene Kosten mit den Ziffern
1784, 1785 und 1803 EBM 96 abgegolten seien. Weil es sich bei ALS um ein Diagnostikum handle, sei die
Verordnung auf Einzelrezept unzulässig. Sofern der Kläger ALS stationär verwende (s. Ansätze der Nr. 1803), greife
III Abs. 2 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung. Danach sei der Sprechstundenbedarf nur ambulant verwendbar.
Eine Sachkostenabrechnung des Mittels sei nicht vorgesehen. Insoweit fehle es an einer vertraglichen Regelung. Der
Bezug von ALS sei somit eine Selbstzahlerleistung der Patienten. Gerade im Hinblick auf die hohen Kosten - die
Gebührenziffern 1784, 1785 und 1803 EBM 96 deckten den Apothekenpreis des Mittels nicht ab - empfehle es sich,
bis auf Weiteres die Diagnostik über Privatrezept zu verordnen. Die Krankenkassen sollten dann im Einzelfall über
eine eventuelle Kostenübernahme entscheiden. Ungeachtet dessen mache die Diagnostik mit dem floureszierend
wirkenden Mittel nur dann Sinn, wenn zeitnah eine Operation vorgenommen werde. Nur dann sei gewährleistet, das
krebshaltige Gewebe auch zu treffen. Ambulant sei die Nr. 1803 EBM 96 nicht abgerechnet worden. Zu Uralyt U führte
der Ausschuss aus, laut Rezeptblatt habe der Kläger nur ein Indikatorpapier verwendet. Nach § 31 Sozialgesetzbuch
Fünftes Buch (SGB V) hätten die Versicherten nur Anspruch auf Arzneimittel. Uralyt U gelte als medizinisch-
technisches Hilfsmittel und sei demzufolge nicht verordnungsfähig. Bei der Entscheidung nach § 18 der
Prüfungsvereinbarung (PV) stehe den Prüfgremien kein Ermessenspielraum zu. Wirtschaftliches Verhalten in anderen
Bereichen der vertragsärztlichen Tätigkeit könne nicht berücksichtigt werden. Der Regress betrage unter
Berücksichtigung von 10 % Apothekenrabatt 1.539,01 EUR.
Die dagegen vom Kläger erhobene Klage hat das Sozialgericht München mit Urteil vom 10. April 2006 unter
Bezugnahme auf die Gründe des Widerspruchsbescheids gemäß § 136 Abs.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
abgewiesen.
Der Kläger hat gegen das am 31. Juli 2006 zugestellte Urteil durch seine Bevollmächtigten am 25. August 2006
Berufung eingelegt. Diese haben zur Begründung vorgetragen, die Berufung beziehe sich ausschließlich auf den
Regress für Aminolaevulinsäure. Der Beklagte versuche, die Nichtverordnungsfähigkeit der ALS mit Abschnitt III.1 b
der Sprechstundenbedarfsvereinbarung zu begründen. Nach diesseitiger Rechtsauffassung sei aber zunächst gemäß
Ziffer 2 Nr. 5 der Vereinbarung davon auszugehen, dass in den berechnungsfähigen vertragsärztlichen Leistungen,
soweit nichts anderes bestimmt sei, enthalten seien: allgemeine Praxiskosten Kosten, die durch die Anwendung von
ärztlichen Instrumenten und Apparaturen entstanden sind, Kosten für Einmalspritzen, Einmalkanülen, Einmaltuben,
Einmalsaugkatheter, Einmalhandschuhe, Einmalrasierer, Einmalharnblasenkatheter, Einmalskalpelle,
Einmalproktoskope, Einmaldarmrohre, Einmalspekula, Einmalküretten, Kosten für Reagenzien, Substanzen und
Materialen für Laboratoriumsuntersuchungen, Kosten für Filmmaterial und Radionuklide. Insoweit sei eine Verordnung
von Sprechstundenbedarf nicht zulässig.
Bei den Leistungen nach EBM-Nrn. 1784 und 1785 handle es sich aber ausschließlich um Zystoskopien, für deren
Durchführung die ALS nicht verwendet werde. Da die Anwendung von ALS auch nicht im Laborkapitel des EBM
erwähnt werde, könne es sich auch nicht um eine Laborleistung handeln. Folglich seien die Ausschlusskriterien der
Ziffer II.5 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung für die Anwendung der ALS nicht gegeben. Eine Verordnung müsse
daher möglich sein. Die Anlage zu Abschnitt III.1 b sei nach diesseitiger Rechtsauffassung auf den vorliegenden Fall
nicht anwendbar. Danach seien nämlich nicht verordnungsfähig: "Kosten für Reagenzien, Substanzen und Materialien
für Laborleistungen". Derartige Kosten seien ausnahmslos mit den Gebühren abgegolten. Abgegolten seien auch die
Kosten aller Substanzen, die mit ihrer Anwendung verbraucht seien. Dazu gehörten Nährböden, Zellkulturen und auch
Tiere und Tierteile, die für bestimmte Laboruntersuchungen benötigt würden. Darunter falle die ALS nicht. Es handle
sich nicht um eine verbrauchte Substanz im Sinne dieser Vorschrift, da diese Bestimmung, wie aus dem
nachfolgenden Text eindeutig ersichtlich sei, ausschließlich auf Laborleistungen (Mikrobiologie) ausgelegt sei. Es sei
in der Literatur unstreitig, dass die frühzeitige Diagnostik möglicher Harnblasenkarzinome mit ALS indiziert sei (z.B.
Aufsatz von Zack).
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.04.2006 sowie den Bescheid des
Prüfungsausschusses vom 15.03.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beschwerdeausschusses
vom 14.10.2004 insoweit aufzuheben, als er für die Verordnung von Aminolaevulinsäure in Regress genommen wurde.
Hilfsweise beantragt er, ein unabhängiges Gutachten über die Notwendigkeit der Behandlung und die Wege der
Verordnung von ALS einzuholen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat liegen die Akten des Beklagten und des Sozialgerichts sowie die Berufungsakte vor, die zum Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gemacht wurden und auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Abs.1 SGG) ist zulässig; aber unbegründet.
Die Prüfungsvereinbarung zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und den bayerischen
Krankenkassenverbänden bzw. den Landesvertretungen der Ersatzkassenverbände über das Verfahren zur
Überwachung und Prüfung der Wirtschaftlichkeit durch die Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse bei der
Kassenärztlichen Vereinigung (PV) in der hier noch anzuwendenden Fassung ab dem 2. Quartal 1999 enthält in § 18
unter der Überschrift "Verfahren in besonderen Fällen" eine spezielle Regelung über Verfahren bei Anträgen der
Krankenkassen wegen nichtverordnungsfähiger Arznei-, Heil- und Hilfsmittel und unzulässig verordnetem
Sprechstundenbedarf. Nach § 18 Abs.1 sind bei entsprechenden Regressen, nach Durchführung eines speziellen
Verfahrens letztlich die Prüfinstanzen für die Frage zuständig, ob nicht verordnungsfähige Arznei-, Heil- und Hilfsmittel
verordnet wurden bzw., worum es im vorliegenden Fall geht, ob Präparate unzulässig als Sprechstundenbedarf
angefordert wurden. Bei dieser Prüfung steht den Prüfinstanzen ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer
Beurteilungsspielraum und ein Ermessensspielraum nicht zu. Entscheidend ist vielmehr allein die Frage, ob ein in
Regress genommenes Medikament verordnungsfähig ist oder nicht.
Dies ist bei der hier allein noch streitigen Aminolaevulinsäure nicht der Fall. Welche Medikamente über
Sprechstundenbedarf verordnet werden können, ist in der Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von
Sprechstundenbedarf zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns und den bereits oben genannten
Krankenkassenverbänden vom 1. April 1999 abschließend geregelt. Nach III.1. dieser Vereinbarung gelten als
Sprechstundenbedarf nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einem Berechtigten im Rahmen der
vertragsärztlichen Behandlung angewendet werden oder bei Notfällen für mehr als einen Berechtigten zur Verfügung
stehen. Nach III.1. Satz 2 ist bei der Anforderung von Sprechstundenbedarf die zu dieser Regelung beschlossene
Anlage zu beachten. In dieser sind die als Sprechstundenbedarf verordnungsfähigen Artikel im Einzelnen aufgeführt.
Unter Buchstabe a finden sich die Verbandstoffe und Nahtmaterial, unter b Mittel zur Diagnostik und Therapie. Dazu
gehört nach dem Verwendungszweck auch die hier streitgegenständliche Aminolaevulinsäure. Diese ist aber weder
bei den verordnungsfähigen noch bei den nichtverordnungsfähigen Mitteln namentlich aufgeführt. Insbesondere ist der
Klägerseite darin zuzustimmen, dass es sich nicht um ausdrücklich als nichtverordnungsfähig bezeichnete Kosten für
Reagenzien, Substanzen und Materialien für Laborleistungen handelt, denn die streitgegenständliche
Aminolaevulinsäure findet bei in vivo Untersuchungen Anwendung. Auch aus II.5. der
Sprechstundenbedarfsvereinbarung lässt sich der Ausschluss nicht ohne weiteres ableiten, da es sich weder um
allgemeine Praxiskosten, noch um Kosten, die unmittelbar durch die Anwendung von ärztlichen Instrumenten und
Apparaturen entstehen, noch um Kosten für einmal verwendbare Spritzen, Kanülen usw., noch um Kosten für
Reagenzien, Substanzen und Materialien für Laboratoriumsuntersuchungen oder für Filmmaterial und Radionuklide
handelt.
Am ehesten ist die Anwendung der Aminolaevulinsäure in Zusammenhang mit Zystoskopien nach Nrn. 1784 und 1785
EBM 96 mit der Verwendung von Kontrastmitteln vergleichbar, da beide Verfahren der Verbesserung der
Erkennbarkeit bei der Diagnostik dienen. Hierzu enthält Ziffer II.5. eine besondere Bestimmung, in der es heißt, die
pauschale Abgeltung der Kosten für Röntgen-, MRT- und Ultraschallkontrastmittel, soweit diese nicht in den
berechnungsfähigen Leistungen enthalten sind, sowie die Kosten der für die Kontrastmitteleinbringung notwendigen
Materialien bzw. die Verordnung von Röntgen-, MRT- und Ultraschallkontrastmitteln im Einzelfall auf den Namen des
Patienten zu Lasten der zuständigen Krankenkasse ist in einer gesonderten Vereinbarung geregelt. Eine solche
Vereinbarung besteht bis heute bezüglich der ALS nicht.
Daraus folgt, dass die Verwendung von ALS nicht den Krankenkassen in Rechnung gestellt werden kann,
insbesondere dass dieses Präparat nicht als Sprechstundenbedarf verordnet werden kann. Auf die Frage der
medizinischen Sinnhaftigkeit der Verwendung von ALS bei der Zystoskopie kommt es nicht an, so dass dazu auch
kein Gutachten einzuholen war.
Die Prüfinstanzen haben damit, zumindest im Ergebnis, den Kläger wegen der Verordnung von ALS als
Sprechstundenbedarf zu Recht in Regress genommen.
Der Kläger hat gemäß § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs.2 Verwaltungsgerichtsordnung die Kosten der ohne Erfolg
eingelegten Berufung zu tragen.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.