Urteil des LSG Bayern vom 19.07.2001
LSG Bayern: rücknahme der klage, wiederaufnahme des verfahrens, klagerücknahme, rechtskräftiges urteil, erwerbsfähigkeit, zustand, anfechtung, abgabe, urkunde, hauptsache
Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.07.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 7 RJ 672/00 A-FdV
Bayerisches Landessozialgericht L 14 RJ 272/01
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 12. März 2001 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit streitig.
Die im Jahre 1946 geborene Klägerin, eine jugoslawische Staatsangehörige, hat keinen Beruf erlernt und war in der
Bundesrepublik Deutschland zwischen August 1970 und Januar 1987 als Wäschereiarbeiterin, Packerin und
Montagearbeiterin beschäftigt. Anschließend legte sie in Serbien Versicherungszeiten während der Betreibung einer
eigenen Landwirtschaft bis September 1997 zurück und wurde dann invalidisiert.
Ihren am 04.09.1997 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.07.1998 mit der Begründung
ab, dass sie trotz wirbelsäulenabhängiger Beschwerden bei Abnutzungserscheinungen noch in der Lage sei,
vollschichtig leichtere bis mittelschwere Arbeiten bei Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig zu
verrichten. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.1998 zurückgewiesen.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut machte die Klägerin als Gesundheitsstörungen
u.a. eine paranoide Psychosis und zahlreiche Beschwerden auf orthopädischem und internistischem Gebiet geltend
und legte zur Bekräftigung ihres Vorbringens u. a. ein Attest des Dr. P. vom 04.05.2000 vor; hierin wurde bestätigt,
dass die Klägerin seit ca. 15 Jahren beim Neuropsychiatrischen Dienst in Negotin ambulant behandelt werde und auch
schon drei stationäre Aufenthalte durchlaufen habe, es bestehe derzeit ein Zustand nach unvollständiger Remission
einer schizophrenen Psychose.
Das Sozialgericht holte das Gutachten des Neurologen Dr. P. vom 10.05.2000 ein, der nach Untersuchung der
Klägerin am selben Tage die Diagnose einer Dystymie mit Minderung der Stresstoleranz (Verstimmung - leichtgradige
depressive Symptomatik) stellte und die Klägerin für fähig hielt, vollschichtig leichte und mittelschwere Arbeiten zu
verrichten bei Vermeidung von Schicht- und Akkordarbeit. In einem weiteren Gutachten vom 10.05.2000 stellte der
Allgemeinarzt Dr. Z. an Gesundheitsstörungen noch ein Wirbelsäulensyndrom bei Abnützungserscheinungen ohne
neurologische Ausfallserscheinungen fest und beurteilte die Klägerin als vollschichtig einsetzbar für leichte körperliche
Arbeiten im Wechselrhythmus, wenn Bücken, Zwangshaltungen sowie schweres Heben und Tragen vermieden
würden. Auch dieser Sachverständige hielt den Ausprägungsgrad der Depression nicht für gravierend.
In der mündlichen Verhandlung am 12.05.2000 - so die Sitzungsniederschrift - nahm die Klägerin im Beisein einer
Dolmetscherin nach Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses die Klage zurück und stellte zugleich bei der
Beklagten erneut Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Nachdem ihr die Sitzungsniederschrift zugegangen war, bestand die Klägerin mit einem beim Sozialgericht Landshut
am 21.06.2000 eingegangenen Schriftsatz vom 02.06.2000 darauf, dass über ihre Klage durch Urteil entschieden
werde, denn sie habe ihre Klage nicht zurückgenommen. Sie habe in der mündlichen Verhandlung zwar verstanden,
dass das Gericht die Absicht gehabt habe, ihr Rechtsmittel abzulehnen, und habe ein entsprechendes Urteil erwartet,
damit sie hiergegen Berufung einlegen könne. Stattdessen habe sie jedoch eine Niederschrift erhalten, in der
festgestellt worden sei, sie hätte die Klage zurückgezogen und zugleich erneut Rentenantrag gestellt. Es dürfte
bekannt sein, dass im Falle einer neuen Antragstellung ihr Antrag mangels Erfüllung der Wartezeit abgelehnt werde
(seit 1997 beziehe sie jugoslawische Invaliditätspension, somit habe sie bei einem neuen Antrag innerhalb der letzten
fünf Jahre keine erforderlichen 36 Pflichtversicherungsmonate). Somit hätte ein neuer Rentenantrag gar keinen
Zweck; sie sei durch Verleitung zu einen neuen Antrag nur irregeführt worden. Daher werde die Sitzungsniederschrift
angefochten.
Zwischenzeitlich hatte die Beklagte den Bescheid vom 02.06.2000 erteilt, mit dem die Gewährung von Rente wegen
Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit aus medizinischen Gründen erneut abgelehnt wurde. Die Klägerin behauptete
daraufhin auch gegenüber der Beklagten, sie habe die Klage nicht zurückgenommen, und erhob gegen den Bescheid
vom 02.06.2000 Widerspruch mit dem Vortrag, es sei zu erörtern, wie es dazu gekommen sei, "dass es sich um eine
Klagerückziehung handelt." Der jugoslawische Pensionsbezug werde nicht als neutrale Zeit (gemeint: Schubzeit)
gewertet, sodass die Voraussetzungen von 36 Pflichtmonaten innerhalb der letzten fünf Jahre vor Eintritt des
Leistungsfalls nicht erfüllt seien.
Hierzu nahm die Beklagte gegenüber dem Sozialgericht dahingehend Stellung, dass zwar die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen "36 in 60" (§ 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 44 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 des
Sozialgesetzbuches Teil VI - SGB VI -) zum Zeitpunkt der Antragstellung am 12.05.2000 nicht mehr erfüllt seien,
jedoch seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der §§ 240, 241 SGB VI gegeben, weil ab 01.01.1984 bis
zum 17.09.1997 alle Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien und seit dieser Zeit die Frist für die Entrichtung von
freiwilligen Beiträgen unterbrochen sei. Damit könne die Klägerin für die Zeit ab 01.10.1997 noch freiwillige Beiträge
entrichten, was jedoch nicht erforderlich sei, sofern der Leistungsfall eintreten würde. Die Befürchtungen der Klägerin
seien daher unzutreffend.
Daraufhin äußerte sich die Klägerin, die Klagerücknahme werde von ihr angefochten, weil die Erklärung nicht ihr
eigener Willen gewesen sei, sondern sie irgendwie dazu verleitet worden sei. Dies sei insbesondere wegen ihres
psychischen Zustands sehr leicht gewesen. Die Ausführungen der Beklagten seien ihr nicht verständlich, ebenso
wenig, dass die jugoslawische Rentenbezugszeit nicht als Aufschubtatbestand anerkannt werde. Erneut legte die
Beklagte dar, dass die Klägerin derzeit noch berechtigt sei, freiwillige Beiträge auch für die Vergangenheit zu
entrichten, aber diese nicht zahlen müsse, solange ein Verfahren anhängig sei. Unbeachtlich sei der von der Klägerin
behauptete Umstand, dass sie die finanziellen Mittel für die freiwilligen Beiträge nicht aufbringen könne. Die Klägerin
nahm hierzu dahingehend Stellung, dass sich ihr Verdacht bestätige, dass sie Rente erst mit 65 Jahren bekomme,
wenn sie ihre Klagerücknahme nicht anfechte und das Verfahren abgeschlossen werde, denn dann müsse sie
freiwillige Beiträge zahlen. Es sei daher jetzt klar, dass sie sehr wohl durch die Rücknahme der Klage Nachteile
gehabt habe.
Nachdem das Sozialgericht die Beteiligten über die Absicht unterrichtet hat, einen Gerichtsbescheid gemäß § 105 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu erlassen, erging am 12.03.2001 ohne mündliche Verhandlung dieser
Gerichtsbescheid mit dem Tenor:
I. Die Klage ist zurückgenommen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Das Sozialgericht ging davon aus, dass die Klägerin die Erklärung der Rücknahme entweder anfechten oder
widerrufen wollte; dies sei aber nur unter den Voraussetzungen der Wiederaufnahme gemäß §§ 179, 180 SGG
möglich. Die Voraussetzungen hierzu lägen ganz offensichtlich nicht vor. Auch eine Anfechtung der Klagerücknahme
sei nicht möglich (vgl. Meyer-Ladewig, Rdnr. 7c zu § 102 SGG).
Mit dem Rechtsmittel der Berufung macht die Klägerin Ausführungen zur medizinischen und rechtlichen Seite eines
Anspruchs auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und trägt im Übrigen vor, dass man sich in der mündlichen
Verhandlung offensichtlich einig gewesen sei, ihren Antrag abzuweisen, aber Schwierigkeiten mit der Begründung
gehabt habe. Daher habe man sie in eine Lage gebracht, dass sie überhaupt nicht mehr gewusst habe, was los sei.
Weil sie auch unter Depressionen leide, sei es nicht schwer gewesen, sie zu manipulieren, indem man die ganze
Sache so hingestellt habe, als ob sie die Klage zurückgezogen hätte. Dabei habe das Gericht in ihrem Namen
entschieden, es sei nicht ihre eigene Entscheidung gewesen. Sie habe die Klage nicht aus freiem Willen
zurückgezogen und begehre die Fortsetzung des Verfahrens.
Sie beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 12.03.2001 und den Bescheid der Beklagten vom 28.07.1998
in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.09.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit unter Zugrundelegung des Rentenantrags vom 04.09.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Dem Senat lagen zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die zu Beweiszwecken beigezogene
Versichertenakte der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143 ff, 151 SGG), in der Hauptsache jedoch
unbegründet.
Mit dem Urteilstenor "Die Klage ist zurückgenommen" hat das Sozialgericht festgestellt, dass das Klageverfahren mit
Erklärung der Rücknahme am 12.05.2000 beendigt worden ist, somit der Rechtsstreit gemäß § 102 Satz 2 SGG in der
Hauptsache erledigt ist. Die Klagerücknahme stellt eine prozessuale Erklärung dar, deren Wirksamkeit die Klägerin
nachträglich nicht beseitigen konnte.
Die Äußerung der Klägerin, die Klagerücknahme habe nicht ihrem Willen entsprochen, kann unter weiter Auslegung zu
Gunsten der Klägerin (§ 123 SGG) als Widerruf oder als Anfechtung verstanden werden, daneben noch als Hinweis
darauf, dass Prozessunfähigkeit bestanden, also der Tatbestand einer rechtlich relevanten Erklärung von Anfang an
nicht vorgelegen hat.
Prozessunfähigkeit liegt vor, soweit sich der Betreffende auch nicht durch Verträge verpflichten kann (§ 71 Abs. 1
SGG), d.h., wenn er sich in einem die freie Willenbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der
Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 des
Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). (Vorübergehende) Prozessunfähigkeit liegt davor, wenn eine Erklärung im
Zustande (der Bewusstlosigkeit oder) der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird (§ 105 Abs. 2
BGB).
Ein derartiger Zustand ist von der Klägerin nicht behauptet worden, wenn sie sinngemäß vorgetragen hat, sie sei
durch ihre Depressionen leichter beeinflussbar gewesen, und ist auch nach Aktenlage nicht erkennbar. Ein akutes
Ereignis ähnlich einem symptomatischen psychotischen Zustand (Bewusstseinstörung, die zu einem Gestaltwandel
des aktuellen Erlebnisfeldes führt), ist nicht vorgetragen worden; hierfür ergeben sich auch nach Aktenlage -
insbesondere der Sitzungsniederschrift und den zwei Tage vorher erfolgten Untersuchungen bei Dr. P. und Dr. Z. -
nicht die geringsten Anhaltspunkte. Auch für ein depressives Syndrom von dem Schweregrad, dass die freie
Willensbildung und Handlungsfähigkeit ausgeschlossen sein könnte, liegen keine Hinweise vor. Dagegen spricht
bereits der Vortrag der Klägerin, sie sei zur Klagerücknahme - in Unkenntnis der rechtlichen Voraussetzungen für
einen künftigen Rentenanspruch - verleitet worden bzw. sie sei über die Konsequenzen ihrer prozessualen Erklärung
nicht informiert gewesen. Hiermit werden nur die Motive für die Abgabe einer Erklärung angesprochen, aber nicht die
Unfähigkeit, einen Willen zu bilden und dementsprechend zu handeln. Auch die ärztlichen Unterlagen erbringen keinen
Nachweis für eine dauernde oder vorübergehende Geschäftsunfähigkeit der Klägerin im Mai 2000. Insbesondere aus
dem zeitnahen Gutachten des Dr. P. vom 12.05.2000 ist vielmehr vom Gegenteil auszugehen. Bei der damaligen
Untersuchung zeigte sich kein psychopathologischer Befund. Eine wesentliche depressive Symptomatik, eine
vermehrte Ängstlichkeit oder eine psychomotorische Unruhe bestanden nicht, ebenso wenig konnten paranoide
Denkinhalte oder halluzinatorische Erlebnisse festgestellt werden. Die Klägerin zeigte sich bewusstseinsklar, im
Kontaktverhalten zugewandt, in der Grundstimmung ausgeglichen und in der affektiven Schwingungsfähigkeit nicht
eingeschränkt. Mehr als eine chronische leichtgradige depressive Symptomatik mit beginnender Leistungsminderung
war nicht zu objektivieren.
Eine fehlende Fähigkeit zur Bildung eines Erklärungswillens oder/und zum Handeln ist auch nicht wegen eines
"unangemessenen Drucks" des Gerichts auf die Klägerin zur Abgabe einer Rücknahmeerklärung anzunehmen.
Insoweit kann zwar in Extremfällen die Prozessfähigkeit verneint werden (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage, Rdnr. 7c
zu § 102). Laut Sitzungsniederschrift wurde die Klägerin aber nicht durch Hinweis auf Verhängung von
Mutwillenskosten bedrängt", obwohl dies allein noch nicht für einen den Willen blockierenden Zwang ausreichend
gewesen wäre. Die Klägerin hat auch nichts zu einer massiven Beeinflussung, z.B. im Sinne einer Drohung,
vorgetragen, vielmehr behauptet, es sei ihr - unwissentlich - eine Erklärung unterschoben worden. Dies erschien dem
Senat jedoch wiederum nicht schlüssig, da sie andererseits auch behauptet hat, zur Abgabe der Erklärung verleitet
worden zu sein, was zwangsläufig beinhaltet, dass sie selbst - in irriger Annahme irgendwelcher Umstände - die
Erklärung tatsächlich abgegeben hat. Beweisend ist insoweit auch die Sitzungsniederschrift, in der festgehalten ist,
dass vor der Verhandlung (zur Übersetzung der erstellten Gutachten für die Klägerin) und während der Verhandlung
eine Dolmetscherin anwesend gewesen ist und die Erklärung der Rücknahme nicht nur protokollarisch niedergelegt,
sondern auch nochmals vorgelesen und von der Klägerin genehmigt worden ist.
Der Senat musste angesichts der Umstände davon ausgehen, dass die Klägerin die Rücknahme ihrer Klage erklärt
hat. Der Widerruf dieser Erklärung ist nicht möglich, weil die Voraussetzungen der §§ 179, 180 SGG nicht erfüllt sind.
Insbesondere liegt nicht der Tatbestand vor, dass ein Prozessbeteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er
Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet
oder vorsätzlich verschwiegen hat (§ 179 Abs. 2 SGG). Ebenso liegen weder grobe, in § 579 Abs. 1 ZPO (in
Verbindung mit § 179 Abs. 1 SGG) definierte und abschließend angeführte Verfahrensmängel vor noch die
Tatbestände des § 580 ZPO, nämlich: 1. wenn der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil
gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat; 2. wenn
eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war; 3. wenn bei einem Zeugnis
oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren
Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat; 4. wenn das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem
Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtstreit verübte Straftat erwirkt ist; 5. wenn ein
Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtstreit einer strafbaren Verletzung seiner
Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat; 6. wenn das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren
Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes
rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist; 7. wenn die Partei a) ein in derselben Sache erlassenes, früher rechtskräftig
gewordenes Urteil oder b) eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr
günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.
Die Anfechtung der Klagerücknahme gemäß §§ 119 ff BGB wegen Irrtums oder Täuschung ist ebenfalls nicht
möglich. Laut einer von mehreren Varianten im Vortrag der Klägerin hätte sie die Rücknahmeerklärung nicht
abgegeben, wenn sie über die rechtlichen Hinweise und Ratschläge, die ihr nachträglich in ihrem Heimatland gegeben
worden seien, bereits in der mündlichen Verhandlung verfügt hätte. §§ 119 ff BGB sind aber schon deswegen nicht
anwendbar, weil diese Vorschriften für materiell-rechtliche Willenserklärungen gelten, eine Klagerücknahme aber eine
prozessuale Erklärung darstellt, die zur wesentlichen Voraussetzung nur den Handlungswillen hat (Meyer-Ladewig,
a.a.O., Rdziff. 12 vor § 60 und Rdziff. 7d zu § 102: Dies gilt laut Rechtsprechung auch bei falscher Belehrung durch
die am Prozess beteiligten Behörden oder des Gerichts). Willensmängel bei prozessualen Erklärungen selbst hat der
Gesetzgeber mit speziellen Vorschriften über die Prozessunfähigkeit und die Wiederaufnahme des Verfahrens unter
eng begrenzten Voraussetzungen (§§ 71, 179, 180 SGG) erfasst und so bestimmt, unter welchen beschränkten
Umständen von der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit einer prozessrechtlich relevanten Erklärung ausgegangen
werden darf.
Nur nebenbei wird die Klägerin noch darauf hingewiesen, dass weder eine Täuschungshandlung ihr gegenüber
ersichtlich ist noch ein (ausnahmsweise) relevanter Motivirrtum im Sinne des BGB vorgelegen haben kann. Es steht
fest, dass die Klagerücknahme auch den Rentenantrag vom 04.09.1997 erledigt und die Stellung eines neuen
Rentenantrags am 12.05.2000 den Beginn des weiterhin geltend gemachten Rentenanspruchs beeinflusst; insoweit
besteht auch kein Streitpunkt. Vielmehr glaubte die Klägerin, dass ihre Rentenanwartschaft stärker beeinträchtigt ist
oder/und dass sie freiwillige Beiträge nachentrichten muss, wenn erst künftig der Eintritt des Leistungsfalls der
verminderten Erwerbsfähigkeit festgestellt wird. Insoweit hat sich aber keine wesentliche Änderung der Sach- und
Rechtslage ergeben.
Es bleibt sich letztlich gleich, ob das ehemalige Klageverfahren fortgesetzt und dann der Prozess in zweiter Instanz
weitergeführt wird, oder ob unmittelbar mit Beendigung des Prozesses beim Sozialgericht ein neuer Rentenantrag mit
der Möglichkeit des Widerspruchs, der Klage und der Berufung gestellt wird. Die Frist für die Zahlung von freiwilligen
Beiträgen gemäß § 197 Abs. 2 SGB VI zur Erhaltung der Rentenanwartschaft wird in beiden Fällen unterbrochen,
sofern und solange ein Rentenverfahren beim Sozialversicherungsträger oder ein Klageverfahren beim Gericht
anhängig sind (§ 198 SGB VI), und für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist - im Falle
der Rentengewährung vor endgültigem Abschluss der Angelegenheit - eine Belegung mit
Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (§§ 240 Abs. 2, 241 Abs. 2, jeweils letzter Satz SGB VI), d.h., es
muss zum Erhalt einer zustehenden Rente die tatsächliche Zahlung der freiwilligen Beiträge nicht erfolgen.
Ist aber in beiden der oben genannten Alternativen rechtsverbindlich bzw. rechtskräftig entschieden, dass der Klägerin
keine Rente zusteht, so läuft die Frist zur Zahlung der freiwilligen Beiträge wieder, und die tatsächliche Zahlung ist
erforderlich, um die Rentenanwartschaft zu erhalten. Was die Klägerin aber letztlich anspricht, ist die Möglichkeit,
dass bei Eintritt des Leistungsfalls spätestens im Herbst 1999 und bei dementsprechend früh einsetzender
Rentenzahlung sich künftig nie mehr die Gefahr verwirklichen kann, dass die Zahlung freiwilliger Beiträge erfolgen
muss; unterstellt wird aber hier, dass der Klägerin bereits vor Abschluss des Klageverfahrens im Mai 2000, also
mindestens seit 1999, Rente zugestanden hat, wovon aber die Beteiligten zur Zeit der mündlichen Verhandlung nicht
ausgingen.
Die oben angesprochene künftige Gefahr des Verlusts der Rentenanwartschaft bei fehlender Zahlung freiwilliger
Beiträge könnte sich aber ebenso gut bei Fortsetzung des jetzt im Mai 2000 abgeschlossenen Klageverfahrens beim
Sozialgericht realisieren, wenn nämlich in dem fortgesetzten Verfahren oder im anschließenden Berufungsverfahren
festgestellt wird, dass der Leistungsfall für die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit nicht vor
Herbst 1999 eingetreten ist (dann ist die 3/5-Belegung nicht erfüllt) und auch nicht bis zum Abschluss des Prozesses
in zweiter und ggf. dritter Instanz eingetreten ist, also künftig die Vergünstigung nicht weiterbesteht, die erforderlichen
freiwilligen Beiträge zur Erhaltung der Rentenanwartschaft nicht zahlen zu müssen, weil für die Rentengewährung
bisher allein die Berechtigung zur Zahlung freiwilliger Beiträge ausgereicht hatte. Ein erheblicher Irrtum in der
Rechtslage, so wie ihn die Klägerin behauptet hat, kann damit gar nicht vorliegen.
Unter Berücksichtigung aller Umstände war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.