Urteil des LSG Bayern vom 01.10.1997

LSG Bayern: ärztliche behandlung, badekur, anerkennung, heilbehandlung, begriff, anstalten, durchschnitt, angemessenheit, rechtskraft, arthritis

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 01.10.1997 (rechtskräftig)
S 7 V 30/93
Bayerisches Landessozialgericht L 18 V 140/94.SVG
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.10.1994 aufgehoben und der
Bescheid des Beklagten vom 18.03.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.11.1993 dahingehend
abgeändert, daß der Beklagte dem Kläger 2.005,72 DM einschließlich Zinsen für die vom 29.08. bis 26.09.1982 in
Israel selbst durchgeführte Kurmaßnahme zu erstatten hat. II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen
Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Kostenerstattung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für eine 1982
vom Kläger selbst durchgeführte Badekur in Israel.
Der Kläger war während der Ableistung seines Grundwehrdienstes im Juli 1981 an einer Psoriasis-vulgaris und
nachfolgend an einer Arthritis psoriatica erkrankt und wegen dieser Erkrankungen vorzeitig aus der Bundeswehr
entlassen worden. Der Beklagte gewährte wegen der Erkrankung "Arthritis psoriatica" ab 01.03.1982 bis 28.02.1985
Heilbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) (Bescheid vom 01.02.1983). Vom 29.08.1982 bis
26.09.1982 führte der Kläger auf eigene Kosten eine Badekur am Toten Meer in Israel durch. Eine Kostenerstattung
für die selbst durchgeführte Kurmaßnahme lehnte der Beklagte mit den Bescheiden vom 19.08.1982 und 10.11.1982
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.04.1986 ab. Im anschließenden Klageverfahren (S 7 V 294/86)
nahm der Beklagte diese Bescheide zurück und verpflichtete sich zur Neuverbescheidung. Mit Bescheid vom
19.02.1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.08.1989 lehnte der Beklagte die Kostenerstattung
erneut ab. Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg wurde der Beklagte mit
rechtskräftigem Urteil vom 27.05.1992 (S 7 V 149/89) dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger die anläßlich der selbst
durchgeführten Badekur vom 29.08.1982 bis 26.09.1982 entstandenen Kosten in angemessenem Umfang zu
erstatten. In den Entscheidungsgründen führte es aus, die gem. § 18 Abs. 3 BVG in angemessenem Umfang zu
erstattenden Kosten für die notwendige Behandlung richteten sich danach, welche Beträge der Beklagte in einer
eigenen Kureinrichtung hätte aufwenden müssen. Der Beklagte solle im Regelfall nicht schlechter dastehen, als hätte
er die Leistung selbst erbracht. Der Beklagte holte daraufhin Auskünfte für stationäre Kurkosten vom Staatl.
Sanatorium Esplanade (Bad Nenndorf) vom 25.09.1992, der Kurklinik Bad Rappenau vom 16.09.1992, des Kurhauses
Bad Boll vom 27.10.1992 sowie Auskünfte der Touristik Union International vom 05.01.1993 und der Deutschen
Bundesbahn vom 26.01.1993 ein. Mit Bescheid vom 18.03.1993 erstattete er dem Kläger 3.261,38 DM zuzüglich
Zinsen. Er errechnete an tatsächlich angefallenen Kosten einen Betrag von 4.967,10 DM. Dieser setzte sich
zusammen aus 3.929,00 DM für Unterkunft, Verpflegung, Flug, 538,10 DM und 75,00 DM für ärztliche Behandlung,
425,00 DM für Heil- und Hilfsmittel. Diesem Betrag stellte er den Durchschnitt aus den Pflegesätzen der Anstalten in
Bad Nenndorf, Bad Rappenau und Bad Boll in Höhe von 3.077,77 DM und den Durchschnitt der Fahrkosten mit der
Bundesbahn zu den drei Anstalten in Höhe von 183,61 DM gegenüber. Er hielt den Betrag von insgesamt 3.261,38
DM für angemessen, da er die tatsächlich angefallenen Kosten nicht überschritt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, eine Kurmaßnahme in Israel sei für an
Psoriatica Erkrankte erfolgversprechender als in Deutschland. Auch hätte Davos bei einer Vergleichsberechnung
herangezogen werden müssen. Die tatsächlich angefallenen Kosten betrügen 5.267,10 DM, da 300,00 DM für
Mittagsverpflegung zu addieren seien. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.11.1993
zurück.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, die Beklagte
zu verurteilen, ihm die tatsächlich entstandenen Kosten zu erstatten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.10.1994 abgewiesen und gem. § 136 Abs. 3 SGG auf die Begründung in den
angefochtenen Bescheiden verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und sich gegen die Berechnung der zu erstattenden Kosten
durch den Beklagten gewandt.
Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 19.10.1994 und
Abänderung des Bescheides vom 18.03.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.11.1993 zu
verurteilen, 2.005,72 DM zu erstatten.
Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.10.1994
zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Akte des Beklagten und des Wehrbereichsgebührnisamtes
V Stuttgart, die Akten des SG Würzburg S 7/V 294/86, S 11/V 56/88, S 7 V 149/89 sowie die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der tatsächlich entstandenen Kosten für die Kurmaßnahme in Israel.
Die tatsächlich entstandenen Kosten sind angemessen i.S.d. § 18 Abs. 3 Satz 1 BVG.
Die Angemessenheit der Kostenerstattung unterliegt der vollen Nachprüfung durch den Senat. Das im Rechtsstreit S
7 V 149/89 ergangene rechtskräftige Urteil des SG Würzburg bindet das Berufungsgericht nur insoweit, als der
Beklagte zu einer angemessenen Kostenerstattung verurteilt wurde. Da eine Auslegung dieses Tenors nicht
erforderlich ist, erwächst die hierzu ergangene Begründung des SG nicht in Rechtskraft. Der Tenor reicht zur
Bestimmung der Tragweite des Urteils aus; die Entscheidungsgründe müssen nicht ergänzend hinzugezogen werden.
Entscheidungsgründe nehmen an der Bindungswirkung des § 141 Abs. 1 SGG nur ausnahmsweise teil (BSG SozR 3-
1500 § 54 Nr. 9). Gegen eine zu weite Rechtskrafterstreckung spricht, daß die Beteiligten dann häufig an
Feststellungen gebunden würden, deren Bedeutung für künftige Prozesse im Zeitpunkt des ersten Verfahrens für sie
nicht zu erkennen war. Gerade die Erwägung, die Beteiligten vor unbewußten Folgen zu bewahren, ist der Grund
gewesen, die Rechtskraft von Urteilen auf die getroffene Entscheidung zu beschränken. Soweit dabei die Gründe
einer neuen Entscheidung mit Gründen einer früheren Entscheidung in Widerspruch treten, ist das hinzunehmen (BSG
36, 253, 254).
Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung ist § 18 Abs. 3 BVG. Danach sind die Kosten für die notwendige
Behandlung in angemessenem Umfang zu erstatten, wenn der Berechtigte eine Heilbehandlung, Krankenbehandlung
oder Badekur vor der Anerkennung selbst durchgeführt hat. Auch eine Erstattung bis zur Höhe der t a t s ä c h l i c h
entstandenen Aufwendungen kann erfolgen, wenn zwischen der Stellung des Antrages auf Versorgung und der
Anerkennung des Versorgungsanspruches Maßnahmen der Heilbehandlung selbst durchgeführt worden sind (so
Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 7. Auflage, § 18 RdNr. 16). Die Erstattung im Rahmen des §
18 Abs. 3 BVG ist nämlich an keine spezifischen Voraussetzungen geknüpft (Wilke/Fehl aaO). Es bedarf vorliegend
bei der Frage der Angemessenheit auch nicht der Prüfung eines Verschuldens. Zum einen findet sich das Merkmal
"unvermeidbare Umstände" nur in § 18 Abs. 4, S. 1 BVG, nicht aber in § 18 Abs. 3 S. 1 BVG. Zum anderen sind
keine Umstände zu berücksichtigen, die Voraussetzung für eine Erstattung dem Grunde nach sind. Daß der
Berechtigte solche Umstände nicht zu vertreten hat, ist nur Voraussetzung für die Erstattung selbst (Wilke/Fehl aaO
RdNr. 15).
Das Gesetzesmerkmal "angemessener Umfang" stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar (BSG, Urteil vom
08.08.1974, Breithaupt 1975 S. 230). Dieser Begriff ist ausschließlich als Rechtsanwendung auszufüllen, ohne daß
ein Ermessen der Versorgungsverwaltung ins Spiel kommen könnte. Die Gerichte sind dazu berufen, den
unbestimmten Rechtsbegriff auszufüllen und die Verwaltungsentscheidung uneingeschränkt nachzuprüfen (BSG,
aaO). Mit dem unbestimmten Rechtsbegriff "angemessen" ist das Wirtschaftlichkeitsgebot angesprochen (so Rohr -
Strässer § 18 - K 5). Der Begriff "angemessener Umfang" erfordert eine individuelle Prüfung des Einzelfalls (aaO).
Es ergeben sich keine Hinweise, daß die vom Kläger in Israel durchgeführte Kur unzweckmäßig und unwirtschaftlich
gewesen wäre, insbesondere, nachdem die nur vierwöchige Kur einen guten Erfolg gebracht hat, wie es sich aus dem
Gutachten des Orthopäden Dr ... (München) vom 25.11.1982 ergibt. Der Beklagte verkennt bei seinen Überlegungen,
welche Kosten angemessen sind und seinen Vergleichsberechnungen bezüglich der Kosten in Kureinrichtungen in
Deutschland und der Kosten für Bahnfahrten, die Rechtslage insofern, als er verurteilt worden ist, Kosten für eine Kur
in Israel zu erstatten. Es kommt somit nur darauf an, welche Kosten für diese Kur angemessen waren. Der Senat ist
der Auffassung, daß die pauschalen Reisekosten von TUI für die vierwöchige Kur in Höhe von 3.929,00 DM sowie für
nachgewiesene Arztkosten und badeärztliche Behandlung in Höhe von 1.038,10 DM angemessen sind und auch eine
Mittagsverpflegung - die mit rund 10,00 DM täglich nicht zu hoch angesetzt ist - zu addieren ist. Diese Kosten waren
nach den Gesamtumständen erforderlich, um eine erfolgreiche Kurmaßnahme in Israel durchzuführen. Ergänzend ist
für die Durchführung einer Badekur in Israel vor einer Anerkennung von Schädigungsfolgen auch die Regelung des §
18 Abs. 8 BVG heranzuziehen. Danach können in besonderen Fällen bei der stationären Behandlung eines
Beschädigten auch die Kosten für Leistungen übernommen werden, die über die allgemeinen Krankenhausleistungen
hinausgehen, wenn es nach den Umständen, insbesondere im Hinblick auf die (anerkannten) Schädigungsfolgen
erforderlich erscheint.
Unter Berücksichtigung des vom Beklagten bereits gezahlten Erstattungsbetrages von 3.261,38 DM ist dem Kläger
daher noch der Betrag von 2.005,72 DM zuzüglich der gem. § 44 Sozialgesetz- buch I (SGB I) anfallenden Zinsen zu
erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.