Urteil des LSG Bayern vom 13.12.2005

LSG Bayern: anhaltende somatoforme schmerzstörung, diagnose, rente, gutachter, berufsunfähigkeit, befund, fibromyalgie, test, leistungsfähigkeit, persönlichkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 13.12.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 26 RJ 1347/02
Bayerisches Landessozialgericht L 6 R 94/04
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. Dezember 2003 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1953 in B. geborene Kläger lebt seit 1964 in Deutschland und ist deutscher Staatsangehöriger. Von September
1969 bis August 1972 hat er den Frisörberuf erlernt, 1977 die Meisterprüfung abgelegt und bis 1985 diesen Beruf
ausgeübt, zum Teil versicherungspflichtig, zum Teil selbständig. Im Jahr 1986 war der Kläger arbeitsunfähig und hat
kurze Zeit als Hilfsarbeiter gearbeitet. Eine Umschulung als Bürokaufmann begann er am 04.02.1987, brach sie
jedoch vorzeitig ab. Am 11.01.1988 hatte der Kläger erstmals Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit
beantragt. Dieser Antrag wurde von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte abgelehnt. Klage und Berufung
blieben erfolglos. Die Berufung nahm der Kläger am 02.11.1995 zurück: sämtliche Sachverständige hatten noch eine
vollschichtige Einsatzfähigkeit des Klägers als angestellter Frisörmeister gesehen, auch stünden ausreichend
Arbeitsplätze zur Verfügung. Während dieses Verfahrens (von 1988 bis 1994) war der Kläger arbeitsunfähig bzw.
arbeitslos gemeldet. Ab Oktober 1994 war er als - nach Arbeitgeberauskunft ungelernter - Taxifahrer
versicherungspflichtig beschäftigt.
Am 22.05.2001 beantragte der Klägers erneut Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit
Bescheid vom 03.12.2001 und Widerspruchsbescheid vom 29.07.2002 ab.
Ihre Entscheidung stützte die Beklagte vor allem auf die Gutachten des Arztes für Orthopädie A.C. vom 17.10.2001,
des Nervenarztes Dr.K. vom 22.11.2001 sowie die sozialärztliche Stellungnahme von Dr.N. vom 27.11.2001.
Mit der am 23.08.2002 zum Sozialgericht München erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter.
Das Sozialgericht zog Befundberichte sowie medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers Dr.S.
, von Dr.F. und von Dr.R. bei und holte eine Arbeitgeberauskunft bei dem Taxiunternehmen W. S. ein.
Es veranlasste eine medizinische Begutachtung durch den Arzt für Orthopädie und Rheumatologie Dr.S ... Dieser
kommt in seinem Gutachten vom 22.01.2003 zur Hauptdiagnose einer Fibromyalgie. Der Kläger sei in der Lage, noch
leichte Arbeiten vollschichtig auszuüben. Zu Vermeiden seien außerdem Arbeiten in Haltungskonstanz und
Zwangshaltung sowie mit schwerem Heben und Tragen.
Der Kläger legte ein fachorthopädisches Gutachten von Prof.Dr.H./Dr.S. vom 14.06.1993 vor, das im Zuge eines
Zivilrechtsstreits zur Berufsunfähigkeit eingeholt wurde. Danach bestehen die fibromyalgischen Beschwerden seit
1986 unverändert fort. Die Berufsunfähigkeit sei nicht auf unter 50 % abgesunken.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) holte das Sozialgericht ein Gutachten des
Orthopäden Dr.L. vom 13.06.2003 ein, der bei dem Kläger ein generalisiertes, progredientes Fibromyalgie-Syndrom
diagnostizierte. Der Gesundheitszustand habe sich seit der letzten Untersuchung verschlechtert, was die Anzahl der
Druckpunkte betrifft, aber auch hinsichtlich der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule. Der Kläger könne nur mehr
weniger als drei Stunden täglich arbeiten.
Die Beklagte schloss sich diesem Gutachten nicht an, gestützt auf Stellungnahme ihres Orthopäden Dr.P. und der
Leiterin der Abteilung Sozialmedizin Dr.K ... Dr.K. führte in ihrer Stellungnahme vom 11.07.2003 aus, die Diagnose
einer Fibromyalgie allein lasse nicht auf ein aufgehobenes Leistungsvermögen schließen. Der erhobene Befund der
beschriebenen Muskelverkürzungen sei therapierbar und nicht so gravierend, dass der Kläger damit nicht arbeiten
könnte. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger vollschichtig leichte Arbeiten verrichten könne.
Der Kläger ließ hierzu vortragen (Schriftsatz vom 14.08.2003), die Dauerleistungsfähigkeit sei wegen der sich
aufbauenden Schmerzkaskade bei Fibromyalgiekranken massiv eingeschränkt bzw. aufgehoben.
Mit Urteil vom 17.12.2003 wies das Sozialgericht die Klage ab. Der Kläger sei nach wie vor in der Lage, einer
vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies gelte trotz des Gutachtens Dr.L ... Allein die Diagnose eines
Fibromyalgie-Syndroms reiche für eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht aus. Sämtliche von Dr.L. festgestellten
Gesundheitsstörungen seien durchaus reversibler Natur und kurzfristig behebbar. Der Kläger müsse sich auf alle
gesundheitlich und sozial verträglichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auch außerhalb seiner bisherigen
Berufstätigkeit verweisen lassen. Im Übrigen gehe die Tätigkeit als Taxifahrer nicht zu Lasten der Gesundheit und sei
durchaus noch mit dem Leistungsprofil des Klägers vereinbar.
Am 24.02.2004 ging die Berufung des Klägers gegen dieses ihm am 04.02.2004 zugestellte Urteil beim Bayerischen
Landessozialgericht ein. Zur Begründung weist der Kläger auf das Gutachten von Dr.L. hin. Dieser habe überzeugend
herausgearbeitet, dass es bei der Erkrankung des Klägers unter zunehmender Motorik zu sich immer stärker
aufbauenden Aktivitätsschmerzen komme, so dass die begonnene Tätigkeit nach kurzer Zeit eingestellt werden
müsse, um der Muskulatur eine Ruhepause zu gönnen.
Der Senat holte Sachverständigengutachten des Orthopäden Dr.F. (Gutachten vom 16.06.2004) und des Arztes für
Neurologie und Psychiatrie Dr.K. (Gutachten vom 12.10.2004) ein.
Nach den Gutachten bestehen folgende Gesundheitsstörungen:
Dr.F.:
- initiale Spondylochondrose C 5 bis C 6, Fehlhaltung der Halswirbelsäule. - initiale Spondylochondrose L 3 bis L 4. -
Minimalarthrose der rechten Hüfte. - initiale Retropatellararthrose links. - leichte Schultereckgelenkarthrose links. -
ausgeprägte Übergewichtigkeit.
Dr.K.:
- somatoforme Schmerzstörung. - sog. akzentuierte Persönlichkeit mit histrionischen Wesenszügen und
Wesenszügen einer gewissen emotionalen Instabilität.
Beide Sachverständigen halten den Kläger noch für fähig, acht Stunden täglich zu arbeiten. Die vorhandenen
Gesundheitsstörungen seien geringfügig. Sowohl die Handflächen- als auch die Fußsohlenbeschwielung würden den
Schluss zulassen, dass sich der Kläger körperlich gut belasten könne und dies auch tue.
Laut Dr.K. kann der Kläger noch leichte und mittelschwere, ggf. auch intellektuell anspruchsvolle Tätigkeiten ausüben,
da er durchaus differenziert sei. Akkord- und Schichtarbeiten seien derzeit noch zu vermeiden. Durch eine konsequent
durchgeführte Psychotherapie auf lange Sicht hin sei eine weitere Stabilisierung des psychiatrischen
Untersuchungsbefundes zu erwarten. Diese wirke sich jedoch nicht wesentlich auf das berufliche Leistungsvermögen
aus. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte bestünden nicht.
Der Kläger lässt vortragen (Schriftsätze vom 26.07.2004 und 23.11.2004), Dr.F. unterstelle ihm zu Unrecht
Aggravation. Die von Dr.F. in den Vordergrund gestellte Beschwielung von Hand- und Fußflächen des Klägers beruhe
darauf, dass er einen Gehstock benütze. Seine Berufstätigkeit als Frisör im Stehen habe zu einer verstärkten
Hornhautbildung an den Füßen geführt.
Auch Dr.K. komme zu falschen Ergebnissen in der Beurteilung der Schmerzzustände.
Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG veranlasste der Senat eine weitere Begutachtung durch den Arzt für
Psychiatrie und Psychotherapie Dr.Dr.Univ.Padua B. (Gutachten vom 09.05.2005). Der Gutachter diagnostizierte bei
dem Kläger eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine Dysthymie, eine generalisierte Angststörung sowie
eine leichte kognitive Störung. Zum beruflichen Leistungsvermögen führte der Gutachter aus, der Kläger könne unter
den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses leichte Arbeiten in wechselnder Haltung ohne schweres Heben
und Tragen, ohne Bücken und nicht unter Akkord weniger als vier Stunden, jedoch noch mindestens drei Stunden
täglich verrichten. Fußwege von 500 m seien in einer Zeit von 15 Minuten nicht mehr möglich. Der Kläger brauche
dafür länger und müsse auch Pausen einlegen können. 20 bis 25 Minuten seien zu erwarten.
Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Internisten und Sozialmediziners Dr.S. sowie des Nervenarztes Dr. G.
vom 03.06.2005 ein. Dr.S. verweist darauf, dass Dr.B. in seiner sozialmedizinischen Beurteilung bei nahezu
identischer Diagnosestellung von allen Gutachten erheblich abweiche. Der Gutachter bleibe den befundgemäßen
Nachweis des in seinem Gutachten postulierten unter vierstündigen Leistungsvermögen schuldig. Die erwähnte
Diagnose einer leichten kognitiven Störung sei äußerst zweifelhaft, zumal nicht einmal der durchgeführte DemTect-
Test pathologisch ausgefallen sei. Dr.G. führte aus, Dr.B. habe ein seit Jahren bestehendes Leidensbild festgestellt.
Der Gutachter beschreibe aber nicht, dass der Alltag des Versicherten wesentlich beeinträchtigt werde. Er stelle
vielmehr keine schweren Krankheitszustände fest. Die Beklagte schloss sich demgemäß der Leistungsbeurteilung
Dr.B. nicht an.
Der Senat holte eine weitere Stellungnahme von Dr.K. vom 07.07.2005 ein. Dieser hält die Diagnose der
somatoformen Schmerzstörung für zutreffend. Eine von Dr.B. festgestellte Dysthymie sei einer pharmakologischen
Behandlung sehr gut zugänglich und in sozialmedizinischer Hinsicht regelmäßig nicht von Relevanz. Die Diagnose
einer generalisierten Angststörung sei nicht nachzuvollziehen. Dem von Dr.B. selbst erstellten Befund sei keine
besondere Ängstlichkeit des Klägers zu entnehmen. Die Angaben eines Probanden als Grundlage für eine
diagnostische Zuordnung zu machen, sei aus gutachterlicher Sicht nicht statthaft. Die Feststellung eines narzißtisch
unreifen Persönlichkeitsbildes sei durchaus korrekt, aus seiner Sicht hätten mehr histrionische Wesenszüge
vorgelegen. Dies sei jedoch nicht von wesentlichem Belang. Nicht nachzuvollziehen sei die Diagnose einer leichten
kognitiven Störung, nachdem die von Dr.B. selbst durchgeführten Testuntersuchungen zweifellos kein einheitliches
Bild ergeben hätten. Im Übrigen wäre eine solche kognitive Störung nur dann zu erklären, wenn eine Erkrankung des
Gehirns vorliegen würde. Diesen Nachweis habe der Gutachter nicht erbracht. Ein von Dr.B. attestierter schwerer
Erkrankungszustand könne auf Grund der von diesem selbst beschriebenen Einzelbefunde nicht nachvollzogen
werden. Zweifellos handle es sich, wie Dr.B. zu Recht angebe, bei dem Kläger um ein kombiniertes
psychopathologisches Störungsbild. Objektivierbare organische Befunde würden sich jedoch nicht ergeben, sondern
Zeichen einer komplexen psychoreaktiven Störung, die - bei entsprechender Motivation - durchaus gut behandelbar
seien. Auch die von Dr.B. beschriebene Einschränkung des Anmarschweges zur Arbeitsstätte sei auf Grund der
selbst erhobenen Untersuchungsbefunde nicht nachzuvollziehen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 17.12.2003 sowie des Bescheides vom
03.12.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2002 zu verurteilen, ihm ab 01.06.2001 Rente
wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren,
weiter hilfsweise die Vertagung der mündlichen Verhandlung und Anhörung des Dr.B. in der mündlichen Verhandlung
zur Stellungnahme des Dr.K ...
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den
Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts München, der Akten des Bayerischen
Landessozialgerichts L 13 An 77/93 und zu diesem Verfahren sowie auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.12.2003 ist nicht zu
beanstanden, da der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Versicherte haben bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung,
wenn sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen und wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens
sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs.1 SGB VI). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
haben Versicherte, die unter den sonst gleichen Voraussetzungen nur noch weniger als drei Stunden arbeiten können
(§ 43 Abs.2 SGB VI). Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit haben
Versicherte, die bei Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor dem 02.01.1961 geboren und
berufsunfähig sind (§ 240 Abs.1 SGB VI).
1. Der Kläger ist weder ganz noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne von § 43 SGB VI.
Zwar ist sein berufliches Leistungsvermögen bereits eingeschränkt: der Kläger kann keine schweren körperlichen
Tätigkeiten sowie Akkord- und Schichtarbeit mehr verrichten. Er kann jedoch quantitativ immer noch mehr als sechs
Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein. Auch Beschränkungen des Anmarschweges zur
Arbeitsstätte liegen nicht vor.
Dieses berufliche Leistungsvermögen des Klägers ergibt sich vor allem aus den im Berufungsverfahren eingeholten
Gutachten von Dr.F. und Dr.K ... Der Senat schließt sich den Aussagen dieser Sachverständigen an. Sie bestätigen
im Wesentlichen auch die ärztlichen Feststellungen des erstinstanzlichen- und des Verwaltungsverfahrens.
1.1 Orthopädischerseits ist der Kläger nicht erheblich beeinträchtigt. Zwar schildert er seine Beschwerden
dahingehend, dass sämtliche Gelenke schmerzen würden, vor allem im Bereich von Halswirbelsäule, Schultern,
Ellenbogen, Unterarmen, Knien, Sprunggelenken und Hüftgelenken. Laut Dr.F. ist der Kläger ausgesprochen kräftig,
was insbesondere die Muskulatur anbelangt. Die festgestellten Funktionsdefizite bei der klinischen Untersuchung
(Gehen, Fersengang, Ein-Bein-Stand, Hocke) sind für Dr.F. orthopädisch nicht erklärbar, wobei er auf die schwierigen
Untersuchungsbedingungen hinweist (Gegenspannen des Klägers). An Wirbelsäule und Gelenken liegen nur allenfalls
geringfügige degenerative Veränderungen vor, so etwa am 5. und 6. Halswirbelkörper, an der 3. Lendenbandscheibe
und an den Kniegelenken. Insgesamt ist das vom Kläger vorgetragene Beschwerdebild aus orthopädischer Sicht nicht
zu erklären. Die vom Sachverständigen festgestellten Aggravationstendenzen mögen hierfür als Erklärung dienen.
Jedenfalls ist orthopädischerseits keine erhebliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit nachweisbar.
1.2 Wesentliche Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet sind beim Kläger eine somatoforme
Schmerzstörung sowie eine sog. akzentuierte Persönlichkeit mit histrionischen Wesenszügen. Bei der Untersuchung
durch Dr.K. gab der Kläger an, schon seit den siebziger Jahren unter ganz unterschiedlichen Schmerzzuständen zu
leiden, die wechselnde Stellen des Körpers betreffen würden. Es sei eine Art Dauerschmerz vorhanden und
unvorhersehbar komme es zu Schmerzattacken unabhängig von einer Belastung oder sonstigen äußeren Faktoren.
Derzeit würden ihm seine muskulären Beschwerden am meisten zu schaffen machen. Früher seien es die
Sehnenscheiden gewesen und die Halswirbelsäule, mittlerweile seien es die Oberarme, die Finger und die
Oberschenkel.
Dr.K. konnte bei der klinischen Untersuchung bis auf eine deutliche Adipositas keine Auffälligkeiten feststellen. Es
liegen auch keine Zeichen einer wesentlichen körperlichen Schonung vor. Bei der Überprüfung der Motorik war
generell nur eine geringe Innervation festzustellen, ohne dass aber hierfür ein direkter organischer Grund zu kennen
war. Wegen der vom Kläger angegebenen Kraftlosigkeit führte Dr.K. eine EMG-Untersuchung der wichtigsten
Kennmuskeln des rechten Beines durch, die die Minderinnervation bestätigte bei einer deutlich erniedrigten
Schmerzschwelle.
Bei der psychiatrischen Untersuchung erhob Dr.K. keinen gravierenden Befund: "Im Kontakt freundlich ... wortreiche,
teils eloquent wirkende Schilderung der Beschwerden ... deutliche histrionische Wesenszüge ...". Dem
Sachverständigen vermittelte der Kläger einen entspannten Eindruck ohne eine zu beobachtende besondere
emotionale Betroffenheit. Die Stimmung des Klägers war ausgeglichen, eine depressive Herabgestimmtheit oder auch
eine emotional spürbare Betroffenheit über die Beschwerden waren nicht zu erkennen. Jedenfalls konnte der
Sachverständige keine tiefgreifende Beschwerdesymptomatik feststellen. Dr.K. weist darauf hin, dass in emotionaler
Hinsicht eine gewisse Stabilisierung eingetreten ist, die auf eine seit mehreren Jahren konsequente Therapie mit
einem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Fluoxetin) zurückgeführt wird. Der Kläger selbst wies auf eine positive
Wirkung der Einnahme dieses Medikaments hin. Das Ausmaß der Schmerzen, das auf eine somatoforme
Schmerzstörung zurückgeführt werden kann, ist auf Grund des körperlichen und psychiatrischen
Untersuchungsbefundes nur mäßiggradig ausgeprägt. Unterstützt wird diese Einschätzung von Dr.K. insofern, als der
Kläger nur bedarfsweise Schmerzmedikamente einnimmt.
Unerheblich ist, ob bei dem Kläger, wie von Dr.S. und auch Dr.L. angenommen, ein Fibromyalgie-Syndrom vorliegt
oder ob es sich hierbei um eine somatoforme Störung handelt, wie dies Dr.K. und auch Dr.B. darstellen. Denn im
Ergebnis ist nicht die Diagnose einer Gesundheitsstörung für die sozialmedizinische Beurteilung von Bedeutung,
sondern die Auswirkungen der Gesundheitsstörung auf die Leistungsfähigkeit des Klägers. Die Befundbeschreibung
ist aber gerade nicht mit einer quantitativen Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit zu vereinbaren. Im
Gegenteil spricht der körperliche Untersuchungsbefund für ein gutes Leistungsvermögen und auch der psychiatrische
Untersuchungsbefund lässt trotz gewisser Auffälligkeiten, die in der Primärpersönlichkeit des Klägers begründet sind,
keine wesentlichen leistungsmindernden Einschränkungen erkennen. Insbesondere ist bei dem Kläger keine
depressive Symptomatik festzustellen.
Dagegen kann sich der Senat der Bewertung von Dr.B. nicht anschließen: Auch bei der Untersuchung durch Dr.B.
klagte der Kläger anamnestisch primär über Schmerzen: Weichteilbeschwerden seit den siebziger Jahren,
Knieschmerzen, Unterarmbeschwerden, Schmerzen in den Händen und Fingern sowie im Bereich der Halswirbelsäule.
Von "Ängsten" ist im Rahmen der Beschwerdeschilderung nicht die Rede. Der Kläger habe auf Grund der schwierigen
Situation unter andauernden und quälenden Schmerzen 1996 einen Selbstmordversuch durchgeführt. Der Gutachter
beschreibt den Kläger als wach, bewusstseinsklar, ausreichend orientiert mit bei ruhiger Psychomotorik vermindertem
Antrieb, logorrhöisch bei gleichzeitiger Unkonzentriertheit, ein formal-gedankliches Gedankenspringen, wobei der
Kläger den Faden verliere und dabei weitschweifig berichte. Inhaltlich beschreibt der Sachverständige das Denken als
auf die Erkrankung und die damit verbundenen Probleme ausgerichtet. Den Affekt beschreibt der Gutachter als wenig
ausgeprägt und kaum den Inhalten des Gesprächs entsprechend. Die affektive Schwingungsfähigkeit des Klägers sei
deutlich reduziert: "Ängste werden bejaht, sowohl Ängste vor dem Krankenhaus und stationärer Behandlung sowie
ungerichtete Ängste." Laut Dr.B. zeigt der Kläger "zwar nicht das Bild einer ausgeprägten, das heißt psychotischen
Depression, aber durchaus ein angedeutetes Bild von Depressivität und Ängstlichkeit." Die Angstaffekte sind laut
Dr.B. "nur undeutlich und verschommen dargestellt". Dr.B. ordnet diese Befunde einer Dysthymia im Sinne einer
chronisch depressiven Verstimmung sowie einer generalisierten Angststörung zu und bewertet all dies als "schweren
Erkrankungszustand".
Dem hat sich der Senat nicht angeschlossen. Zum einen bestehen Zweifel am Ausmaß der von Dr.B. dargestellten
Befunde, nachdem diese von den Vorgutachtern teilweise als sehr viel weniger gravierend beschrieben wurden. Zum
anderen wirkt das Gutachten selbst auch nicht immer schlüssig. Letzteres gilt beispielsweise für die Diagnose der
generalisierten Angststörung. Entsprechende Ängste wurden gegenüber dem Sachverständigen Dr.K. beispielsweise
nicht geäußert. Auch die spontane Beschwerdeschilderung des Klägers gegenüber Dr.B. erwähnt hiervon nichts.
Vielmehr scheint die entsprechende Erwähnung im Rahmen des psychischen Befundes auf einer gezielten Nachfrage
des Sachverständigen zu beruhen. Insofern muss der Befund wie auch die Diagnosestellung zumindest insofern
korrigiert werden, als ihr kein erhebliches Ausmaß beizumessen ist. Auch die Diagnose einer chronisch depressiven
Verstimmung entspricht nicht den Vorgutachten. Falls es sich tatsächlich um mehr als nur eine rezidivierende
depressive Störung handeln sollte, so kann auch sie zumindest nicht schwerergradig ausgeprägt sein, da Dr.B. selbst
von "dazwischenliegenden Perioden vergleichsweiser Normalität" mit gutem Befinden schreibt. Unstreitig liegt beim
Kläger ein narzistisch unreifes Persönlichkeitsbild vor, wobei dahinstehen mag, ob dies, entgegen der Kritik von Dr.B.
als "histrionisch" anzusehen ist. Denn jedenfalls führt dies zu keiner gravierenden Leistungseinschränkung. Gleiches
gilt für die von Dr.B. selbst als "leicht" bezeichnete kognitive Störung. Dies umso mehr deshalb, worauf die Beklagte
insbesondere hinweist, da Dr.B. selbst einräumt, dass der DemTect-Test "im Ganzen noch einen Normalbefund"
zeigt.
Der Kläger hat bei diesem Test einen Score von 14 Punkten erreicht. Erst bei 12 Punkten spricht man von einer
leichten kognitiven Beeinträchtigung. Außerdem könnte eine von Dr.B. diagnostizierte leichte kognitive Störung nur
dann zu erklären sein, wenn tatsächlich eine Erkrankung des Gehirns festzustellen wäre. Ein entsprechender Befund
liegt jedoch nicht vor.
Die Einschätzung von Dr.B. , bei dem Kläger liege ein schwerer Erkrankungszustand vor, kann somit auch auf Grund
der selbst von ihm durchgeführten Untersuchungen nicht nachvollzogen werden. Auch wenn ein kombiniertes
psychopathologisches Störungsbild angenommen werden kann, sind die Störungen, wie Dr.K. ausführt, bei einer
entsprechenden Motivation durchaus gut behandelbar. Nicht nachvollziehbar ist auch die von Dr.B. getroffene
Einschätzung zum zumutbaren Anmarschweg. Aus dem erhobenen Untersuchungsbefund ist nicht zu entnehmen,
wodurch das Gehvermögen des Klägers derartig gravierend beeinträchtigt wäre. Allein die nicht objektivierten
Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates tragen eine entsprechende Einschränkung nicht. Der Kläger ist
daher nicht erwerbsgemindert im Sinn von § 43 SGB VI.
2. Mit diesem gesundheitlichen Leistungsvermögen ist der Kläger auch nicht berufsunfähig im Sinne von § 240 SGB
VI.
Maßgeblicher Hauptberuf ist vorliegend nicht der erlernte Beruf des Frisörs, weil sich der Kläger von diesem Beruf
gelöst hat. Er hat nämlich aus anderen als gesundheitlichen Gründen erkennbar seine frühere Tätigkeit nicht mehr
weiter ausgeübt und sich endgültig einer anderen rentenversicherten Tätigkeit zugewandt (BSG SozR 2200 § 1246
Nr.130 m.w.N.). Bereits in dem vorangegangenen Verfahren L 13 An 77/93, in dem der Kläger Rente wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit beanspruchte, hat das Gericht eine vollschichtige Einsatzfähigkeit als angestellter
Frisörmeister bei einer Kombination der Arbeit an Kunden sowie aufsichtsführender und geschäftlicher Funktionen
ebenso bejaht wie die Existenz entsprechender Arbeitsplätze, worauf der Kläger die Berufung zurückgenommen hat.
Damit kann die Lösung vom Beruf Frisör nicht als gesundheitsbedingt angesehen werden; ein Berufsschutz auf Grund
dieses erlernten Berufs besteht daher nicht.
Hauptberuf ist daher der des Taxifahrers. Nach dem festgestellten beruflichen Leistungsvermögen des Klägers kann
der Kläger diesen Beruf weiter sechs Stunden täglich ausüben. Selbst wenn jedoch unterstellt würde, dass er diese
Tätigkeit nicht mehr verrichten könnte, wären dennoch die Voraussetzungen für die Annahme von Berufsunfähigkeit
nicht gegeben. Denn auch wenn ein Versicherter den maßgeblichen Beruf nicht mehr ausüben kann, ist er deshalb
noch nicht berufsunfähig. Versicherte sind vielmehr nur dann berufsunfähig, wenn ihnen auch die Verweisung auf
andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist (BSG SozR 2200 § 1246
Nr.138). Bei der Einstufung des Klägers als angelerntem Arbeiter des unteren Bereichs ist dem Kläger nach der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Verweisung auf praktisch alle, also auch ungelernten Berufstätigkeiten
sozial zumutbar, denen er körperlich, geistig und seelisch gewachsen ist. Im Übrigen wird zu den Voraussetzungen
der Verweisbarkeit auf die Gründe im Urteil des Sozialgerichts hingewiesen.
Schließlich hat der Kläger im Zuge der Begutachtung durch Dr.K. selbst darauf hingewiesen, dass ihm eine Stelle wie
die eines Pförtners vorschwebe, man ihm aber bei der Arbeitsverwaltung wenig Hoffnung mache. Damit beurteilt der
Kläger offenbar seine berufliche Leistungsfähigkeit weitaus günstiger als die Gutachter Dr.B. und Dr.L ...
Die in der Sache gestellten Berufungsanträge des Klägers konnten daher keinen Erfolg haben.
Gleiches gilt für den zum Verfahren gestellten Hilfsantrag, den Gutachter Dr.B. noch mündlich ergänzend zu hören.
Hierzu sah der Senat weder Anlass noch gar Verpflichtung. Der Kläger hat sein Recht, auf orthopädischem
Fachgebiet einen Arzt seines Vertrauens gem. § 109 SGG zu hören, durch Einholung des
Sachverständigengutachtens des Dr.B. bereits verbraucht. Besondere Umstände, die einen wiederholenden Antrag
ausnahmsweise rechtfertigen würden, liegen nicht vor. Um so weniger deshalb, da auch die ergänzende
Stellungnahme von Dr.K. keine neuen Erkenntnisse, vielmehr nur unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe deutlich
gemacht hat. § 109 SGG vermittelt nicht das Recht, das "letzte Wort" zu haben. Nach alledem war die Streitsache in
der Tat entscheidungsreif und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom
17.12.2003 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.