Urteil des LSG Bayern vom 18.11.2008

LSG Bayern: aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, überwiegendes interesse, sanktion, anhörung, vollziehung, verwaltungsakt, ausnahme, auskunft, post

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 18.11.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 9 AS 809/08 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 948/08 AS ER
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 20.10.2008 aufgehoben.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 07.08.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.09.2008 wird angeordnet.
III. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe:
I. Streitig ist die Absenkung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -Alg II-) gemäß
§ 31 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.09.2008 bis 30.11.2008 auf die Kosten der
Unterkunft und Heizung. Der Antragsteller (ASt) bezieht seit 17.01.2007 durchgehend Alg II (zuletzt
Bewilligungsbescheid vom 01.07.2008 für die Zeit vom 01.08.2008 bis 31.01.2009). Mit bestandskräftigen Bescheiden
vom 04.05.2007 und 10.01.2008 senkte die Antragsgegnerin (Ag) das Alg II um 30 vH für die Zeit vom 01.06.2007 bis
31.08.2007 und um 60 vH für die Zeit vom 01.02.2008 bis 30.04.2008 wegen Verstößen gegen die in einer
Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten ab. Trotz der - vermeintlich - in der Eingliederungsvereinbarung
vom 23.05.2008 festgelegten Pflicht legte der ASt für Juni 2008 keine Belege für Eigenbemühungen vor, auf eine
entsprechende Anhörung reagierte er nicht. Die Ag senkte daher das Alg II bis auf die Höhe der Unterkunfts- und
Heizungskosten wegen eines wiederholten Verstoßes gegen die Pflichten, die in der Eingliederungsvereinbarung
niedergelegt worden seien, für die Zeit vom 01.09.2008 bis 30.11.2008 ab (Bescheid vom 07.08.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.09.2008). Dagegen hat der ASt Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben,
über die noch nicht entschieden ist. Bereits am 18.09.2008 hat der ASt einstweiligen Rechtsschutz beim SG
beantragt. Er habe sich bei sieben namentlich benannten Firmen beworben. Eine Anhörung sei nicht erfolgt. Er habe
keinerlei Barmittel mehr. Er hat fünf undatierte Bewerbungsschreiben vorgelegt, von denen nicht bekannt ist, wer
diese erstellt hat und wann diese erstellt worden sind. Mit Beschluss vom 15.10.2008 hat das SG die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Gegen den Sanktionsbescheid bestünden nach summarischer Prüfung keine
Bedenken, es handle sich um die dritte gleichartige Pflichtverletzung, wobei die vorausgegangene Sanktion nicht
länger als ein Jahr zurückliege. Die vorgelegten undatierten Bewerbungsschreiben würden keine Nachweise für
Eigenbemühungen darstellen. Ermessen habe die Ag hinsichtlich der Nichtreduzierung der Sanktion auf 60 vH
ausgeübt. Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Zur Ergänzung des
Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug
genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) hinsichtlich der
Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und auch begründet. Der Beschluss des SG ist aufzuheben.
Die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid vom 07.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
19.09.2008 erhobenen Klage ist anzuordnen. Hinsichtlich der Absenkung der Leistung handelt es sich vorliegend um
einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid vom 07.08.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 19.09.2008 erhobenen Klage gemäß § 86b Abs 1 Nr 2 SGG. Hiernach kann das Gericht
der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise in Fällen anordnen, in denen der
Widerspruch und die Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben. Vorliegend haben der Widerspruch und
die Klage gegen den Bescheid vom 07.08.2008 gemäß § 39 Nr 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Unter
Berücksichtigung des § 39 Nr 1 SGB II ist von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Suspensiveffektes
auszugehen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung zunächst angeordnet hat. Davon abzuweichen besteht nur
Anlass, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Die Anordnung
der aufschiebenden Wirkung muss eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Keller in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl, § 86b Rdnr 12a). Ist der Verwaltungsakt offenbar rechtswidrig und ist der
Betroffene dadurch in seinen subjektiven Rechten verletzt, wird ausgesetzt, weil dann ein überwiegendes öffentliches
Interesse oder Interesse eines Dritten an der Vollziehung nicht erkennbar ist. Ist die Klage aussichtslos, wird die
aufschiebende Wirkung nicht angeordnet. Sind die Erfolgsaussichten nicht in dieser Weise abschätzbar, bleibt eine
allgemeine Interessenabwägung, wobei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und die Entscheidung des
Gesetzgebers in § 39 Nr 1 SGB II mitberücksichtigt werden (vgl zum Ganzen: Keller aaO Rdnr 12f). Vorliegend ist der
Absenkungsbescheid offenbar rechtswidrig. Dabei ist nicht die unterlassene Bewerbung sanktioniert, vielmehr ist
allein auf die Nichtvorlage entsprechender Bewerbungsnachweise abgestellt worden. Die Tatsache der
Nichtbewerbung hätte die Ag auch durch Nachfragen bei den angegebenen Arbeitgebern ermitteln können, denn für
den ASt dürfte eine solche Auskunft der Arbeitgeber nur schwerlich beizubringen sein. Die Ag hat jedoch allein auf die
mangelnden Nachweise der Bewerbungen als Pflichtverletzung abgestellt. Dabei ist der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit zu beachten, wenn der ASt sich zwar tatsächlich beworben hat, aber keine entsprechenden
Nachweise hierüber vorlegen kann. Insbesondere aber ist der Aufbau der Eingliederungsvereinbarung vorliegend zu
berücksichtigen, nachdem Nachweise für Eigenbemühungen nur bezüglich der Nutzung von "Presse/Stellenanzeiger"
von der Ag gefordert wurden, nicht aber bezüglich der fünf Bewerbungen monatlich. Auch ist in der
Eingliederungsvereinbarung nicht genannt, in welcher Weise die Nachweise erfolgen sollen (Vorlage der
Bewerbungsschreiben, Bestätigung der Aufgabe zur Post, Absagen durch die Arbeitgeber etc.). Mangels exakter
Festlegung der Pflicht zur Vorlage von Nachweisen erscheint eine Sanktion dieser Pflichtverletzung vorliegend
möglicherweise als rechtswidrig. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Absenkungsbescheid vom
07.08.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.09.2008 war daher anzuordnen. Der Beschluss des
Sozialgerichts war insoweit aufzuheben. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).