Urteil des LSG Bayern vom 04.09.2003

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 04.09.2003 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 13 AL 407/97
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 201/99
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.06.1999 abgeändert und die
Klagen in vollem Umfang abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerinnen zu 1. und zu 2. begehren die Feststellung, berechtigt zu sein, von der Klägerin zu 2. bereits vor dem
01.09.1993 eingestellte Fahrer, nämlich den Kläger zu 3. und A. F. (F.) im grenzüberschreitenden Verkehr zwischen
der Bundesrepublik Deutschland (BRD), der Ukraine und Ungarn ohne Arbeitserlaubnis (AE) auf in der BRD
zugelassenen LKWs der Klägerin zu 1. beschäftigen zu dürfen.
Die Klägerin zu 1. ist ein Textilunternehmen mit Sitz in der BRD und geschäftlichen Beziehungen nach Ungarn und
der Ukraine. Erforderliche Warentransporte werden auf LKWs der Klägerin zu 1., die in der BRD zugelassen sind,
durch die o.g. Fahrer F. und den Kläger zu 3. durchgeführt. Diese in Ungarn wohnenden Fahrer waren bei der in
Ungarn ansässigen Klägerin zu 2. angestellt. Der Kläger zu 3.ist seit 1989 und F. seit 1990 im grenzüberschreitenden
Verkehr tätig.
Am 12.06.1997 haben die Kläger beim Sozialgericht Nürnberg (SG) die Feststellung beantragt, dass die von der
Klägerin zu 2. beschäftigten, im grenzüberschreitenden Güterverkehr eingesetzten, ungarischen Arbeitnehmer F.und
der Kläger zu 3. keiner AE bedürfen. Die ungarischen Fahrer seien bislang gemäß § 9 Nr 2 Arbeitserlaubnis-
Verordnung (AEVO) von der Pflicht zur Erbringung einer AE befreit gewesen. Zum 30.09.1996 sei die AEVO geändert
worden, die eingesetzten LKWs müssten nunmehr auch im Ausland zugelassen sein. Deutsche LKW-Fahrer aber
könnten für Transporte nach Mittel- und Osteuropa insbesondere wegen der bestehenden Sprachprobleme kaum
gewonnen werden. Die Gesetzes- änderung ab 30.09.1996 dürfe nach der Rechtsprechung nur auf Fahrer angewandt
werden, die nach dem 30.09.1996 angestellt worden seien. Fahrer, die bereits vor dem 01.09.1993 bei einer deutschen
Gesellschaft angestellt gewesen seien, würden durch die Rechtsprechung ebenso geschützt werden wie deutsche
Unternehmer, bei denen diese Fahrer vor dem 01.09.1993 beschäftigt gewesen seien. Vorliegend wären F. und der
Kläger zu 3. bereits vor dem 01.09.1993 bei einer ungarischen Firma beschäftigt gewesen und würden daher
Vertrauensschutz genießen.
Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hat das SG eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung in der
Hauptsache zugunsten der Kläger getroffen (Beschluss vom 12.06.1997 im Verfahren S 13 VR 115/97 AL 97). Das
Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) hat die Beschwerde gegen diesen Beschluss zurückgewiesen (Beschluss vom
30.10.1998 - L 8 B 263/97 AL ER).
Mit Urteil vom 09.06.1999 hat das SG festgestellt, die von der Klägerin zu 2. beschäftigten, im grenzüberschreitenden
Güterverkehr eingesetzten ungarischen Arbeitnehmer F. und der Kläger zu 3. bedürfen keiner AE. Im Übrigen hat es
die Klage abgewiesen; die Klägerin zu 1. sei nicht klagebefugt und bezüglich des Fahrers P. sei kein
Verwaltungsverfahren durchgeführt worden. Die von der Klägerin zu 2. und dem Kläger zu 3. begehrte Feststellung sei
wie beantragt zu treffen, denn wegen des Verbots der Rückwirkung und mangels Vorhandenseins geeigneter
deutscher Arbeitnehmer sei die AEVO in der ab 30.09.1996 geltenden Fassung nicht auf Fahrer anzuwenden, die - wie
vorliegend - insbesondere seit einem Zeitpunkt vor dem 01.09.1993 bei einer ungarischen Firma beschäftigt waren.
Dagegen hat die Beklagte Berufung zum BayLSG eingelegt und vorgetragen: Den Klägern könne aufgrund der
Regelung der AEVO in der bis zum 31.08.1993 geltenden Fassung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) kein Bestandsschutz gewährt werden, denn nach dem Urteil des BSG vom 10.03.1994 -
7 RAr 44/93 - BSGE 74, 90, bestehe ein solcher nur für Arbeitgeber mit Sitz im Inland, die ausländische Fahrer im
grenzüberschreitenden Verkehr bereits vor dem 01.09.1993 beschäftigt hätten. Der Kläger zu 3. und F. seien jedoch
vor dem 01.09.1993 nicht bei einer deutschen Firma beschäftigt gewesen. Für ausländische Arbeitnehmer, die bei
einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland beschäftigt seien, habe die damalige Rechtsprechung und die zum 01.09.1993
erfolgte Rechtsänderung keine Auswirkungen gehabt. Ab 01.10.1995 wären AE-frei nur noch Tätigkeiten im
grenzüberschreitenden Verkehr gewesen, wenn die eingesetzten LKWs auch im Ausland zugelassen wären. Zur
erforderlichen Umstellung und unter Berücksichtigung des Art 12 Grundgesetz (GG) sei eine Übergangsfrist bis
30.04.1997 von der Beklagten gewährt worden. Die Klägerin zu 1. sei nicht Arbeitgeberin des Klägers zu 3. und des
F., ihre Klage sei daher unzulässig. Die Klägerin zu 2. könne sich als juristische Person mit Sitz im Ausland nicht auf
die Grundrechte der Art 12 und 14 GG berufen. Aus Art 2 Abs 1 GG ergebe sich kein Anspruch darauf, dass der
Einsatz ausländischer Fahrer durch ausländische Kläger auf deutschen LKWs gewährleistet werden müsse (BSG vom
02.08.2001 - B 7 AL 86/00 R - BSGE 88, 231).
Die Beklagte beantragt, unter teilweiser Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 09.06.1999 die Klagen in vollem
Umfang abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die Entscheidung des SG im Wesentlichen für zutreffend. F. und der Kläger zu 3. seien bereits vor 1993
bei der Klägerin zu 2. beschäftigt gewesen. Mit Verträgen vom 29.12.2000 seien beide aber nunmehr bei der Fa.E.
angestellt und würden dort weiterhin auf LKWs eingesetzt werden, die auf die Klägerin zu 1. zugelassen seien.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Akte aus dem Verfahren
S 13 VR 115/97.AL 97 des SG Nürnberg und L 8 B 263/97 AL ER des BayLSG sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist
zulässig und begründet, das Urteil des SG ist abzuändern und die Klagen sind in vollem Umfang abzuweisen. Die
Feststellung, die von der Klägerin zu 2. beschäftigten, im grenzüberschreitenden Güterverkehr eingesetzten
ungarischen Arbeitnehmer F. und der Kläger zu 3. bedürften keiner AE, ist unzutreffend.
Die Klage der Klägerin zu 1. hat das SG zu Recht als unzulässig abgewiesen. Berufung hierwegen hat die Beklagte
nicht eingelegt. Auch liegt keine Anschlussberufung der Klägerin zu 1. vor.
Die Klage der Klägerin zu 2. ist unbegründet. Im Zeitpunkt der Entscheidung des SG war die Klägerin zu 2. noch
Arbeitgeberin des Klägers zu 3. und des F. Die Klage war daher zulässig. Die Klägerin zu 2. hat aber keinen Anspruch
auf die Feststellung, dass der Kläger zu 3. und F. - bezügl. des Fahrers P. ist weder Berufung noch
Anschlussberufung eingelegt worden - keiner AE auf in der BRD zugelassenen LKWs der Klägerin zu 1. im
grenzüberschreitenden Güterverkehr bedürfen (zumindest solange sie bei der Klägerin zu 2. beschäftigt waren). Es
besteht nämlich keine Ausnahme vom grundsätzlichen, allein in die Zukunft gerichteten (BSGE 88, 231) und damit
anhand des ab 01.01.1998 geltenden Rechts - das SG hat die Feststellung am 09.06.1999 getroffen - zu prüfenden
Genehmigungserfordernis für die Beschäftigung von Ausländern in Deutschland (§ 284 Abs 1 Satz 1 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch -SGB III- in der ab 01.01.1998 geltenden Fassung; im Ergebnis ebenso für die Zeit bis 31.12.1997:
§ 19 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-). Eine derartige Genehmigung wird als AE (§ 285 SGB III) oder als
Arbeitsberechtigung (§ 286 SGB III) erteilt (§ 284 Abs 4 SGB III). Eine Ausnahme von der Genehmigungspflicht im
vorliegenden Fall kommt allenfalls nach § 284 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB III (bzw. für die Zeit vor dem 01.01.1998
gemäß § 19 Abs 4 Satz 2 AFG) in Betracht. Hiernach bedürfen einer Genehmigung nicht Ausländer, wenn dies in
zwischenstaatlichen Vereinbarungen, aufgrund eines Gesetzes oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist. Nachdem
insoweit zwischenstaatliche oder gesetzliche Regelungen nicht vorliegen, kann sich die AE-Freiheit nur aus § 9 der
auf der Ermächtigungsgrundlage des § 288 Abs 1 Nr 1 und 2 sowie Nr 4 bis 8 SGB III erlassenen
Arbeitsgenehmigungsverordnung (ArGV) vom 17.09.1998 (BGBl I S.2899) ergeben. Der allein einschlägige § 9 Nr 3a
ArGV regelt, dass das fahrende Personal im grenzüberschreitenden Güterverkehr mit Sitz im Ausland nur dann keiner
AE bedarf, wenn "das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelassen ist" (vgl hierzu BSGE 88, 231). Diese
Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall schon deshalb nicht erfüllt, weil die in Frage stehenden LKWs in
Deutschland zugelassen sind.
Die begehrte AE-Freiheit für den Kläger zu 3. und F. lässt sich auch nicht damit begründen, dass sie bei der Klägerin
zu 2. bereits vor dem 10.10.1996 eingestellt waren, also vor dem Zeitpunkt, zu dem die mit § 9 Nr 3 ArGV inhaltlich
übereinstimmende Neuregelung des § 9 Nr 2 AEVO - erlassen aufgrund von § 19 Abs 4 AFG - i.d.F der Verordnung
zur Änderung des AE-Rechts vom 30.09.1996 (BGBl I 1491) in Kraft getreten ist. Diese hat die Voraussetzung für die
AE-Freiheit für "das fahrende Personal im grenzüberschreitenden ... Güterverkehr bei Arbeitgebern mit Sitz im
Ausland" um das Erfordernis erweitert, dass "das Fahrzeug im Sitzstaat des Arbeitgebers zugelasssen ist" (§ 9 Nr 2a
AEVO nF). Die ÄndVO enthielt insoweit - über ihren Art 4 hinaus, wonach die Änderung des § 9 AEVO am Tag nach
der Verkündung der ÄndVO (Ausgabe des BGBl, am 09.10.1996) in Kraft getreten ist - keinerlei Übergangsrecht.
Hieraus kann jedoch nicht die Folgerung gezogen werden, dass der entsprechenden Neuregelung auch ohne
ausdrückliche Bestimmung ein Übergangsrecht dahingehend unterstellt werden kann, dass Arbeitnehmer von
Arbeitgebern mit Sitz im Ausland, deren Arbeitsverhältnis vor dem In-Kraft-Treten der ÄndVO begründet worden ist,
künftig unbegrenzt in Deutschland im grenzüberschreitenden Verkehr auch solche LKWs führen dürfen, die in
Deutschland zugelassen sind. Ohne Bedeutung ist insoweit, ob die Änderung deklaratorisch oder konstitutiv gewirkt
hat (so BSGE 88, 231).
Zu einer früheren Änderung des § 9 Nr 2 AEVO (durch die 10. Verordnung zur Änderung der AEVO vom 01.09.1993 -
BGBl I S 1527 -, in Kraft ab 01.09.1993) ist vom BSG die Auffassung vertreten worden, in diese ÄndVO sei eine
Übergangsregelung dahingehend hineinzulesen, dass sie bisher AE-freie Beschäftigungsverhältnisse nicht erfasse
(vgl. BSGE 74, 90). Durch die damalige Rechtsänderung war das Erfordernis eingeführt worden, dass AE-Freiheit
anders als bis dahin nur für fahrendes Personal im grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr "bei
Arbeitgebern mit Sitz im Ausland" bestehe. Damit wollte das BSG den Grundsätzen der sog. unechten Rückwirkung
von Normen Rechnung tragen und die damalige neue Regelung der AEVO dahingehend verfassungskonform
auslegen, dass für die AE-Freiheit bei vor dem 01.09.1993 eingestelltem Personal ein zeitlich unbegrenzter
Bestandsschutz gegeben ist. Dieses damals gefundene Ergebnis einer Fortschreibung der AE-Freiheit für alle bereits
vor der Rechtsänderung begründeten Beschäftigungsverhältnisse mit Wirkung für alle Zukunft kann jedoch auf die hier
zu entscheidende Fallkonstellation nicht übertragen werden. Denn die durch die Neuregelung der AEVO vom
30.09.1996 beeinträchtigten Belange wiegen jedenfalls weitaus weniger schwer. Ein zeitlich unbegrenzter
Bestandsschutz verbietet sich damit von vornherein (so BSGE 88, 231). Insbesondere hatten die Klägerin zu 2., der
Kläger zu 3. und F. nunmehr mehrere Jahre Zeit, um sich auf die neue Situation einzustellen. Auf
Vertrauensgesichtspunkte sowie auf die Rechtsprechung des BSG in BSGE 74, 90 kann sich allerdings die Klägerin
zu 2. nicht berufen, denn der Kläger zu 3. und F. waren vor dem 01.09.1993 nicht bei einer deutschen Firma
angestellt. Nur diese, dauernd bei einer deutschen Firma beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer fielen unter den
Schutzgedanken, den das BSG in seiner damaligen Entscheidung entwickelt hat. Der Kläger zu 3. und F. waren
bereits seit der Zeit vor dem 01.09.1993 bei einer in Ungarn ansässigen Firma beschäftigt.
Die Klägerin zu 2. als Firma mit Sitz im Ausland kann sich auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten
Gewerbebetrieb nicht berufen (Art 19 Abs 3 GG; vgl. BSGE 88, 231).
Der Kläger zu 3. hat auch keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung, im grenzüberschreitenden Verkehr
auf in der BRD zugelassenen Fahrzeugen der Klägerin zu 1. keiner AE zu bedürfen, wobei es nicht darauf ankommt,
ob er diese Tätigkeit bei der Klägerin zu 2. oder bei seiner neuen Arbeitgeberin ESE-Produktion Bt ausübt (vgl. hierzu
oben). Für ihn kommt insbesondere ein Grundrechtsschutz nicht aus den speziellen Grundrechtsverbürgungen des Art
14 GG oder Art 12 GG in Betracht (vgl. BSGE 88, 231). Er kann sich allenfalls auf Art 2 Abs 1 GG als Fahrer berufen.
Über diese Regelung können sich zwar Ausländer auf den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Vertrauensschutz
berufen. Die Verfassung erzwingt jedoch keine Auslegung von § 9 Nr 2 AEVO in der ab 10.10.1996 geltenden
Fassung bzw. von § 9 Nr 3 ArGV dahingehend, dass für die bei der Klägerin zu 2. oder anderen in Ungarn ansässigen
Firmen angestellten ungarischen Fahrer eine Beschäftigung in Deutschland auf in Deutschland zugelassenen LKWs
jedenfalls über den Zeitpunkt der Entscheidung des BSG hinaus gewährleistet werden müsste (vgl. hierzu BSGE 88,
231).
Nach alledem ist das Urteil des SG abzuändern und die Klagen der Klägerin zu 2. und des Klägers zu 3. sind
ebenfalls abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.