Urteil des LSG Bayern vom 26.07.2001

LSG Bayern: befreiung, unterbringung, hinterbliebenenrente, witwenrente, altersrente, sozialhilfe, vorsorge, krankenkasse, arbeitslosenhilfe, grenzwert

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.07.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 6 KR 15/98
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 73/99
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 28. April 1999 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die vollständige Befreiung von Zuzahlungen bei Leistungen über den 31.03.1997 hinaus.
Die am 1919 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit 01.08.1956 als Rentnerin versichert. Zum 01.07.1995 bezog
sie eine Hinterbliebenenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Höhe von insgesamt 972,- DM
(Grundrente 664,- DM, Ausgleichsrente 308,- DM), eine Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in
Höhe von 576,96 DM sowie eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 295,78 DM.
Außerdem erhielt die Klägerin Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem BVG. Sie befindet sich seit 22.05.1995 in
einem Altenheim, dessen monatliche Kosten 3.964,90 DM betrugen.
Die Klägerin war seit 22.09.1995 und zuletzt mit Bescheid vom 19.11.1996 von der Zuzahlung zu Arznei-, Verband-
und Heilmitteln, Hilfsmitteln sowie zu stationären Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen befreit. Bereits mit
Schreiben vom 01.07.1996 hatte die AOK Bayern (Pflegekasse) der Klägerin zugesagt, dass sie sich ab dem
01.07.1996 an den pflegebedingten Kosten des Aufenthaltes im Heim entsprechend der Pflegestufe III beteiligen
werde.
Bis zum 31.03.1997 erhielt die Klägerin für die Pflege und Unterbringung im Altenheim Leistungen der
Kriegsopferfürsorge des Bezirks Oberfranken. Ab 01.04.1997 zahlte die Pflegekasse Pflegegeld nach Stufe III in
Höhe von 2.800,- DM.
Die Klägerin erhielt mit Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Bayreuth (Versorgungsamt) vom
06.06.1997 ab 01.07.1997 Versorgungsbezüge nach dem BVG in Höhe von insgesamt 1.002,- DM (677,- DM
Grundrente und 325,- DM Ausgleichsrente) und nach den Rentenmitteilungen aus der gesetzlichen
Rentenversicherung ab 01.07.1997 eine Altersrente in Höhe von 288,37 DM, Kindererziehungsleistung in Höhe von
35,60 DM sowie eine Witwenrente in Höhe von 637,30 DM.
Die Beklagte überprüfte im Juli 1997 die Befreiung und stellte mit Bescheid vom 22.08.1997 fest, dass die
Voraussetzungen für die vollständige Befreiung nicht mehr gegeben seien. Maßgebend für die Beurteilung der
Einnahmmen zum Lebensunterhalt im Rahmen der vollständigen Befreiung seien die tatsächlichen Bruttoeinnahmen
des Versicherten zum Lebensunterhalt, unabhängig von etwaigen allgemeinen Aufwendungen für die Unterbringung in
einem Pflege- bzw. Altenheim.
Die Klägerin legte hiergegen am 18.09.1997 Widerspruch ein und machte geltend, andere Krankenkassen würden die
gewährte Befreiung belassen und es seien nicht die Bruttoeinnahmen anzusetzen, sondern vielmehr seien die
Pflegekosten vom Lebensunterhalt abzusetzen.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.1998 den Widerspruch mit der Begründung zurück, die
Aufwendungen für die Unterbringung in einem Pflegeheim seien nicht von den Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt
abzuziehen.
Die Klägerin hat mit der Klage vom 28.01.1998 beim Sozialgericht Bayreuth (SG) wieder geltend gemacht, aus den
tatsächlichen Einnahmen seien die feststehenden Ausgaben herauszurechnen, die durch Krankheit entstanden seien.
Der durch die Leistungen der Pflegekasse nicht gedeckte Pflegeaufwand in Höhe von 306,20 DM sei vom
Bruttoeinkommen abzuziehen. Damit stünde ihr weiterhin die vollständige Befreiung zu. Es sei außerdem der
Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen.
Das SG hat mit Urteil vom 28.04.1999 die Klage mit der Begründung abgewiesen, es sei in den tatsächlichen
Verhältnissen eine Änderung eingetreten, die die Voraussetzungen für die Anwendung der Härtefallregelung für die
Zukunft entfallen lasse. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei durch den Wegfall der Leistungen aus der
Kriegsopferfürsorge für die Zeit ab 31.03. 1997 eingetreten. Eine unzumutbare Belastung liege nach § 61 Abs.2 Nr.1
Sozialgesetzbuch V vor, wenn die monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten 40 v.H. der
monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches des SGB nicht überschreiten. Die danach maßgebliche
Belastungsgrenze lag im für den Bescheid vom 22.08.1997 maßgeblichen Zeitraum bei 1.708,- DM. Demgegenüber
hatte die Klägerin monatliche Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt in Höhe von 1.844,74 DM (BVG-
Hinterbliebenenrente, Witwenrente, Altersrente). Aufwendungen, die durch einen bestimmten Bedarf ausgelöst würden,
dürften nicht von den Einnahmen zum Lebensunterhalt abgezogen werden.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 18.06. 1999, mit der sie wieder geltend macht, als Einnahme
zum Lebensunterhalt dürfe bei der Beurteilung der vollständigen Befreiung von der Zuzahlung nurmehr die um den
gekürzten Betrag sich ergebende Bruttoeinnahme herangezogen werden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.04.1999 und den zugrundeliegenden Bescheid der Beklagten vom
22.08.1997 in der Gestalt des Widerspuchsbescheides vom 08.01.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
sie über den 31.03.1997 hinaus von der Zuzahlung gem. § 61 SGB V zu befreien.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG,
auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. Der Wert des
Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,- DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG). Der Senat geht hier davon aus,
dass die geltend gemachte zeitlich nicht begrenzte vollständige Befreiung von der Zuzahlung zu Arznei-, Verband-
und Heilmitteln sowie Hilfsmitteln bei der Klägerin ab August 1997 bis zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung den
Wert des Beschwerdegegenstandes von 1.000,- DM überstiegen hat.
Die Berufung ist unbegründet.
Denn in den Verhältnissen, die dem Befreiungsbescheid aus dem Jahre 1996 (vollständige Befreiung) zugrundelagen,
ist durch den Wegfall der Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach dem 31.03.1997 eine wesentliche Änderung im
Sinne des § 48 Abs.1 Sozialgesetzbuch X (SGB X) eingetreten. Die daraufhin erforderliche Neuberechnung der
unzumutbaren Belastung gemäß § 61 Abs.2 Nr.1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) führt zu einer Aufhebung des
Bescheides und zum Entfall der vollständigen Befreiung, wie die Beklagte mit Bescheid vom 22.08.1997 zu Recht
entschieden hat.
Nach § 61 Abs.1 Nr.1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) hat die Krankenkasse Versicherte von der Zuzahlung zu Arznei-,
Verband- und Heilmitteln, Hilfsmitteln sowie zur stationären Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen nach §§ 23
Abs.4, §§ 24, 40 Abs.2 oder § 41 SGB V zu befreien, wenn die Versicherten unzumutbar belastet würden. Gemäß §
61 Abs.2 SGB V liegt eine unzumutbare Belastung vor, wenn 1. die monatlichen Bruttoeinnahmen zum
Lebensunterhalt des Versicherten 40 v.H. der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des 4.Buches nicht überschreiten,
2. der Versicherte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz oder im Rahmen der
Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz, Arbeitslosenhilfe nach dem Sozialgesetzbuch III (SGB III),
Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz oder dem SGB III erhält oder 3. die Kosten der
Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Einrichtung von einem Träger der Sozialhilfe oder der
Kriegsopferfürsorge getragen werden.
Bei der hier streitigen Frage, ob eine unzumutbare Belastung vorliegt, können die in § 61 Abs.2 Nr.2, 3 SGB V
angegebenen Tatbestände wie der Bezug von Bedürftigkeitsleistungen und die Unterbringung in einem Heim oder in
einer ähnlichen Einrichtung zu Lasten der Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge von vornherein verneint werden, da
insbesondere die Kriegsopferfürsorge keine Leistungen mehr erbracht hat. Insofern ist eine wesentliche Änderung im
Sinne des § 48 Abs.1 Sozialgesetzbuches X eingetreten.
Demgegenüber macht die Klägerin zu Unrecht geltend, ihre Einnahmen zum Lebensunterhalt würden 40 v.H. der
monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV nicht überschreiten. Die monatliche Bezugsgröße betrug im Jahr 1997
4.270,- DM und 40 v.H. davon 1.708,- DM. Diesem Wert sind gegenüberzustellen die Leistungen der
Hinterbliebenenrente nach dem BVG sowie die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Sie übersteigen
zusammengenommen den maßgebenden Grenzwert von 1.708,- DM. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen die
Leistungen der Hinterbliebenenrente nach dem BVG berücksichtigt werden, da sie hauptsächlich den entgehenden
allgemeinen Lebensunterhalt ersetzen sollen und nicht wie z.B. die Beschädigten-Grundrente zweckgebundene
Aufwendungen sind (Bundessozialgericht - BSG - vom 21.10.1980, BSGE 50, 250; BSG vom 08.12.1992, BSGE 71,
299).
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es bei der Berechnung nach § 61 Abs.2 Nr.1 SGB V maßgebend auf
die Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt an und nicht auf eine Nettogröße. Bruttoeinnahmen sind die dem
tatsächlichen Lebensunterhalt dienenden persönlichen Einnahmen der Versicherten einschließlich der gesetzlichen
Abzüge. Es ist unerheblich, ob die Einnahmen tatsächlich zum Lebensunterhalt verwendet werden; ausreichend ist,
dass sie dem Lebensunterhalt zu dienen geeignet sind (BSG vom 09.06.1998 SozR 3-2500 § 61 Nr.8). Das BSG hat
in dieser Entscheidung an einer wortlautgetreuen Auslegung der Befreiungsregelung festgehalten.
Das in den Zuteilungsvorschriften zum Ausdruck kommende Bemühen um eine möglichst einfach zu handhabende
Regelung steht der Ansicht der Klägerin entgegen. Nach dem Gesetzeszweck soll über die Zuzahlungspflicht
möglichst rasch und ohne großen Ermittlungsaufwand entschieden werden können (BT-Drucksache 11/2237 S.187
sowie Urteil des BSG vom 29.06.1994 SozR 3-2500 § 61 Nr.5).
Das angefochtene Urteil ist somit nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).