Urteil des LSG Bayern vom 19.07.2007

LSG Bayern: vergleich, materielles recht, kostenregelung, zivilprozessordnung, beendigung, öffentlich, leistungsklage, gewissheit, form, prozesshandlung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.07.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 19 AS 488/06 WA
Bayerisches Landessozialgericht L 11 AS 262/06
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.08.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Rechtsstreit des S 19 AS 664/05 durch den Vergleich vom 23.03.2006 beendet worden ist.
Den vom Kläger gestellten Antrag auf Bewilligung von Einstiegsgeld für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit
wies die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.12.2005 ab.
Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Einen konkreten Klageantrag hat er nicht
gestellt. In der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2006 hat der Vorsitzende u.a. darauf hingewiesen, dass die
erlassenen Bescheide wegen Ermessensfehler aufzuheben seien. Der Kläger habe allerdings ein schlüssiges
Unternehmenskonzept vorzulegen. Daraufhin haben die Beteiligten lt. Protokoll auf Vorschlag des Vorsitzenden
folgenden Vergleich geschlossen:
I. Die Beklagte hebt den Bescheid vom 13.07.2005 und den Widerspruchsbescheid vom 07.12.2005 auf und
verpflichtet sich, nach vorheriger Beratung des Klägers, bis spätestens 30.06.2006 unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag zu entscheiden.
II. Die Beklagte erstattet die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
III. Der Kläger wird der Beklagten unverzüglich ein schriftliches Unternehmenskonzept mit Angabe des Finanzbedarfs
vorlegen.
Dieser Vergleich ist den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden.
Mit Schreiben vom 13.06.2006 hat der Kläger gegenüber dem SG erklärt, er ziehe seine Zustimmung zum Vergleich
zurück und beantrage die Neuaufnahme der Sache. Hierzu hat er u.a. auch einen Schriftsatz der für das SG-Verfahren
bevollmächtigten Rechtsanwältin vom 20.06.2006 vorgelegt, in dem diese ihn darauf hinweist, dass das gerichtliche
Verfahren auch in Gegenwart des Klägers vergleichsweise durch Aufhebung des angegriffenen Bescheides beendet
worden sei. Der Ablehnungsbescheid allein sei Gegenstand des beendeten Verfahrens gewesen. Der Kläger möge das
im Rahmen des Vergleichs zugesagte Unternehmenskonzept vorlegen.
Mit Urteil vom 09.08.2006 hat das SG festgestellt, dass das Verfahren S 19 AS 664/05 durch Vergleich vom
23.03.2006 beendet ist. Der Vergleich sei ordnungsgemäß protokolliert worden und aus materiell-rechtlichen Gründen
nicht unwirksam. Die Dauer der mündlichen Verhandlung sei für den Streitgegenstand angemessen gewesen. Bei der
Bewilligung von Einstiegsgeld handele es sich um eine Ermessensentscheidung, so dass lediglich eine Aufhebung
der angegriffenen Bescheide und eine Verpflichtung der Beklagten zur erneuten Verbescheidung in Betracht kam,
nachdem Anhaltspunkte für eine Ermessensreduzierung auf Null gefehlt hätten. Auch im Wege eines Urteils hätte der
Kläger nicht mehr erreichen können. Die Vorlage eines unternehmerischen Konzeptes sei erforderlich, denn die bisher
vorliegenden Unterlagen seien nicht ausreichend. Anfechtungsgründe lägen nicht vor. Ein Widerrufsvorbehalt sei im
Vergleich nicht aufgenommen worden. Gründe, die eine Nichtigkeitsklage nach § 579 Zivilprozessordnung (ZPO) oder
eine Restitutionsklage nach § 580 ZPO eröffnen würden, seien nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
Dagegen hat der Kläger Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Das SG habe einen Vergleich
vorgeschlagen, unter enormem Zeitdruck vorgelesen und seine Zustimmung abgefragt. Der Fall sei zunächst für
abgeschlossen gehalten worden. Nach Erhalt des schriftlichen Vergleiches und näherem Hinsehen habe er an der
Seriosität des Vergleiches gezweifelt. Der Kläger hat sich zum Akteninhalt der Beklagten geäußert und den gesamten
Verfahrensablauf noch einmal dargestellt.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.08.2006 aufzuheben und das
Verfahren S 19 AS 664/05 beim Sozialgericht fortzusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens sei lediglich zu prüfen, ob der bestehende Vergleich der Rechtsstreit beendet
worden sei.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig, jedoch
nicht begründet. Das Verfahren S 19 AS 664/05 ist durch den Vergleich vom 23.03.2006 beendet worden.
Ein Vergleich ist wirksam zustande gekommen. Der Vergleich verstößt nicht gegen § 101 Abs 1 SGG, denn die
Beteiligten konnten über den Gegenstand der Klage verfügen. Es handele sich um eine vergleichsweise Beendigung
des Verfahrens. Das gegenseitige Nachgeben ist darin zu sehen, dass die Beklagte die bisher erlassenen Bescheide
aufhebt und erneut über den Antrag des Klägers entscheiden wird. Der Kläger hat auf die Stellung eines
Leistungsantrages - auch wenn dieser gegebenenfalls mangels Ermessensreduzierung auf Null unzulässig und ohne
Erfolg geblieben wäre - verzichtet und sich bereit erklärt, ein Finanzierungskonzept vorzulegen.
Der Prozessvergleich hat dabei eine Doppelnatur. Er ist einerseits materiell-rechtlicher Vertrag, für den materielles
Recht gilt, andererseits aber auch Prozesshandlung der Beteiligten, die den Rechtsstreit unmittelbar beendet und
deren Wirksamkeit nach den Grundsätzen des Prozessrechtes richtet (vgl. Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 101 RdNr 3 mwN zur Rechtsprechung).
Der Vergleich vom 23.03.2006 des Prozessvergleichs ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Er ist in der
mündlichen Verhandlung in Anwesendheit der Beteiligten des Rechtsstreites - der Kläger war hier durch zudem durch
eine Bevollmächtigte vertreten - vor dem SG zur Niederschrift abgeschlossen worden (§ 101 Abs 1 SGG). Aus der
Niederschrift ergibt sich, dass der Vergleichswortlaut den Beteiligten vorgelesen und von diesen genehmigt worden
ist. Die Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und vom Vorsitzenden sowie von der
Urkungsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§§ 122 SGG, 159, 160 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die
Unterschrift der Beteiligten ist nicht erforderlich. Der Kläger hat den Vergleich nach Vorlesen auch ausdrücklich
zugestimmt, wie sich aus dem Protokoll ergibt (§ 122 SGG iVm § 165 Satz 1 ZPO). Eine Widerrufsmöglichkeit ist
darin nicht vorgesehen.
Der Prozessvergleich ist auch materiell-rechtlich wirksam. Wegen seiner Doppelnatur entfaltet der Prozessvergleich
keine Rechtswirksamkeit, wenn die Beteiligten nicht wirksam zugestimmt haben oder er als öffentlich-rechtlicher
Vertrag nach den Bestimmungen der Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nichtig oder wirksam angefochten ist; das
Gleiche gilt, wenn nach dem Inhalt des Vergleichs der als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit
nicht entspricht oder der Streit oder die Gewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde (§ 779 Abs
1 BGB; vgl. BSG, Urteil vom 24.01.1991 - 2 RU 51/90 - Reg.Nr. 19676).
Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Anhaltspunkte für eine Níchtigkeit des Prozessvergleiches - etwa nach den
Bestimmungen des §§ 116 ff BGB - oder für seine Unwirksamkeit nach § 779 Abs 1 BGB, liegen nicht vor.
Dem durch eine Bevollmächtigte vertretenen Kläger ist die Rechtslage und dessen Einschätzung vom Vorsitzenden
dargestellt worden. Nachdem der Vorsitzende davon ausgegangen war, dass eine Ermessensentscheidung von der
Beklagten bisher nicht getroffen worden und eine Ermessensreduzierung auf Null nicht in Betracht zu ziehen sei, war
zudem davon auszugehen, dass eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage allein begründet sein könnte. Eine
Leistungsklage würde keinen Erfolg haben.
Der Vergleich ist somit wirksam zustande gekommen. Durch diesen Vergleich ist auch der gesamte Rechtsstreit
beendet worden. Es ergibt sich zum einen aus der im Vergleich enthaltenen abschließenden Kostenregelung bzgl. der
außergerichtlichen Kosten. Zum anderen ergibt sich dies aus dem vom Kläger an das SG übersandten Schreiben
seiner Bevollmächtigten vom 20.06.2006. Darin führt diese aus, dass das gerichtliche Verfahren in Gegenwart des
Klägers vergleichsweise beendet worden sei durch Aufhebung des angegriffenen Bescheides. Dieser allein sei
Gegenstand des erfolgreich beendeten Verfahrens gewesen. Der Kläger werde nunmehr aufgefordert, das
Unternehmenskonzept vorzulegen. Auch der Kläger selbst gibt in seiner Berufungsbegründung an, der Fall sei
zunächst für abgeschlossen gehalten worden, ging also von einer den Rechtsstreit abschließender vergleichsweisen
Regelung aus. Hieraus sowie aus der erwähnten Kostenentscheidung ist zu entnehmen, dass die Beteiligten sich
darüber einig waren, dass der Rechtsstreit mit Abschluss des Vergleiches in vollem Umfang beendet worden sei. Die
Aufnahme einer lediglich deklaratorischen Erledigungserklärung in dem Vergleichstext ist nicht erforderlich (vgl.
Leitherer aaO RdNr 10), vielmehr wird durch den Vergleich der Rechtsstreit unmittelbar beendet, wenn der gesamte
Streitstoff erfasst wird. Dies ist hier, wie sich aus der Kostenregelung und dem Schreiben der Rechtsanwältin vom
20.06.2006 ergibt, der Fall. Die Aufnahme einer deklaratorischen Erledigungserklärung im Rahmen des
Vergleichstextes erscheint jedoch zumindest als sinnvoll, wenn noch kein konkreter Klageantrag gestellt worden ist.
Somit ist das Verfahren S 19 AS 664/05 durch den Vergleich vom 23.03.2006 vollständig erledigt und beendet
worden. Ausführungen zu einer Wiederaufnahmeklage (§ 179 SGG iVm §§ 578 ff ZPO) erübrigen sich. Gegen
Prozessvergleiche ist eine Wiederaufnahmeklage grundsätzlich nicht zulässig (vgl. BSG Urteil vom 28.11.2002 - B 7
AL 26/02 R - mwN).
Nach alledem ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.