Urteil des LSG Bayern vom 08.04.2005

LSG Bayern: wichtiger grund, arbeitslosigkeit, stiftung, wechsel, konzept, beendigung, regierung, verfügung, kündigung, direktor

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.04.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 1 AL 605/03
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 82/04
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 3. Februar 2004 wird
zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu
erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen des Eintritts einer Sperrzeit
wegen Arbeitsaufgabe streitig.
Am 14.07.2003 meldete sich die 1962 geborene Klägerin arbeitslos und beantragte mit Wirkung zum 28.07.2003 die
Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg). Nach der Arbeitsbescheinigung der Stiftung Behindertenwerk St. J. war sie
dort vom 16.06.1989 bis 10.11.2002 als Erzieherin mit einer Arbeitszeit von 25 Wochenstunden tätig. Das
Arbeitsverhältnis endete mit Aufhebungsvertrag vom 10.11.2002 mit sofortiger Wirkung. Vom 11.11.2002 bis
25.07.2003 ging die Klägerin einer von vornherein befristeten Beschäftigung als heilpädagogische Förderlehrerin beim
Förderzentrum St. G. nach. In der Begründung zum Abschluss des Aufhebungsvertrags mit der Stiftung
Behindertenwerk St. J. wies die Klägerin darauf hin, sie habe 1998 begonnen, sich nebenberuflich als Heilpädagogin
zu qualifizieren und habe diese Ausbildung erfolgreich im Juli 2002 abgeschlossen. Nach Erhalt des
Abschlusszeugnisses habe sie bei Herrn Direktor B. vorgesprochen, um ihm einerseits das Zeugnis zu übergeben und
um andererseits auf ein Stellenangebot als Heilpädagogin zu hoffen. Auf Anregung von Herrn B. habe sie vor Ende
ihres Sommerurlaubs ein Konzept erarbeitet und ihm zukommen lassen. Nach weiteren Gesprächen habe sie ein
weiteres Konzept erarbeitet. Den Werkstattleiter habe Herr B. aufgefordert, ihr ein Betätigungsfeld entsprechend ihrer
Qualifikation zukommen zu lassen. Ihr Tätigkeitsfeld sei jedoch unverändert geblieben. Um Überstunden zu
vermeiden, habe sie den Werkstattleiter gebeten, einen Antrag auf Stundenaufstockung zu stellen. Dieser Antrag sei
bis zu ihrem Ausscheiden unbearbeitet geblieben. Während ihr zweites Konzept in Bearbeitung gewesen sei, habe sie
sich mit einigen Förderschulen telefonisch in Verbindung gesetzt, darunter mit dem Förderzentrum N ... Der dortige
Direktor, Herr H. , habe ihr mitgeteilt, dass sie aufgrund von Lehrermangel dringend eine Förderlehrerin suchen
würden. Sie habe gewusst, dass diese Stelle nur auf 19 Schulstunden reduziert und zunächst für ein Schuljahr
befristet gewesen sei. Herr H. habe sie darauf hingewiesen, dass dies aus Schulsicht eine Zweidrittelstelle darstelle.
Unter Umständen würde diese Stelle im neuen Schuljahr erneut genehmigt werden. Mit dieser Option habe sie ein
weiteres Gespräch mit Herrn B. gesucht. Dieser habe ihr mitgeteilt, dass es ihm aus wirtschaftlichen Gründen
unmöglich sei, derzeit einen Heilpädagogen zu beschäftigen. Daraufhin habe er einen Auflösungsvertrag angeboten
und habe sie aufgefordert, für zehn Stunden wöchentlich der Stiftung zur Verfügung zu stehen. Sie habe dies mit
Herrn H. abgesprochen, woraufhin ihr Stundenplan so erstellt worden sei, dass sie Montags für Herrn B. frei gewesen
sei. Eine Woche später habe ihr dieser vorgeworfen, sich die Arbeit herauszusuchen und den anderen die
"Drecksarbeit" zu überlassen. Aus dieser Situation sei das Arbeitsverhältnis in der Stiftung für sie dermaßen
unerträglich geworden, dass sie, wenn auch mit einigen Zweifeln, in den Auflösungsvertrag eingewilligt habe.
Mit Bescheid vom 07.08.2003 stellte die Beklagte eine Sperrzeit vom 26.07. bis 17.10.2003 fest. Die Klägerin habe
mit Abschluss des Aufhebungsvertrages voraussehen müssen, dass sie durch die Auflösung des
Beschäftigungsverhältnisses (nach Beendigung des anschließenden von vornherein befristeten Arbeitsverhältnisses)
arbeitslos werden würde. Ihr wäre die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Behindertenwerkschaft bis
zur Aufnahme einer unbefristeten Tätigkeit zuzumuten gewesen.
Zur Begründung ihres Widerspruchs führte die Klägerin aus, es sei für sie nicht voraussehbar gewesen, dass sie nach
Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses automatisch arbeitslos sein würde. Richtig sei vielmehr, dass sie mit einer
Vertragsverlängerung habe rechnen können. Die Regierung von Schwaben habe die Stelle ohne weitere Rücksprache
mit ihr und trotz ihres schriftlich mitgeteilten Interesses an einer Weiterbeschäftigung anderweitig besetzt. Des
Weiteren wies sie darauf hin, dass sie gerade im Hinblick auf die befristete Anstellung bereits seit Anfang des Jahres
2003 über 50 Bewerbungen in verschiedensten Einrichtungen und Institutionen eingereicht habe. Die Absagen seien
zumeist damit begründet worden, dass keine finanziellen Mittel für Heilpädagogen bzw. Sozialpädagogen vorhanden
wären, trotz entsprechenden Personalbedarfs.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.09.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin
habe für ihr Verhalten keinen wichtigen Grund gehabt. Dass sie beim Behindertenwerk nicht entsprechend ihrer neu
erworbenen Qualifika- tion habe eingesetzt werden können, habe sie nicht berechtigt, auf Kosten der
Versichertengemeinschaft die Arbeitslosigkeit herbeizuführen. Es sei ihr zuzumuten gewesen, die Beschäftigung als
Erzieherin zumindest so lange fortzusetzen, bis sie eine ihren Vorstellungen und ihrer Qualifikation entsprechende
nahtlose und unbefristete Anschlussbeschäftigung gefunden hätte. Sie habe auch keine Veranlassung gehabt, davon
auszugehen, sie werde in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen.
Zur Begründung der zum Sozialgericht (SG) Augsburg erhobenen Klage hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen
wiederholt. Ergänzend hat sie ausgeführt, die Auseinandersetzungen mit Herrn B. hätten begonnen sich negativ auf
ihren Gesundheitszustand auszuwirken. So habe sie zu dieser Zeit unter Schlaflosigkeit gelitten, was sich wiederum
negativ auf ihre Blut- zuckerwerte (sie sei insulinpflichtige Diabetikerin Typ I) ausgewirkt habe. Lediglich ihr
Pflichtbewusstsein und ihre Verantwortung gegenüber den ihr anvertrauten Behinderten hätten sie diese Zeit
durchstehen lassen.
Mit Urteil vom 03.02.2004 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der
Klägerin für die Zeit vom 26.07. bis 30.09.2003 Alg zu bewilligen. Es sei ein Wertungswiderspruch, einen
Sperrzeittatbestand anzunehmen, wenn ein Beschäftigungsverhältnis aufgegeben wurde, um nahtlos ein nur
befristetes Anschluss-Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen, nachdem in § 121 Abs.5 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB III) befristete Arbeitsverhältnisse ausdrücklich als zumutbar bewertet worden seien (vgl.
Niesel Kommentar SGB III § 144 Rdnr.19). Die Klägerin habe einen wichtigen Grund für einen Wechsel in eine neue
Arbeitsstelle gehabt, an der der berufbegleitend erworbenen Qualifizierung Rechnung getragen worden sei. Zum einen
habe sie damit den Anregungen der Beklagten entsprochen, wie sie zum Beispiel in der Datenbank der Beklagten für
Aus- und Weiterbildung formuliert seien. Kontinuierliche Fortbildung im sozialpädagogischen Bereich sei unabdingbar,
um in der Arbeit neuen fachlichen Erkenntnissen ebenso wie gesellschaftlichen Veränderungen gerecht werden zu
können. Auch die Auseinandersetzung mit neuen Methoden und Handlungsstrategien in benachbarten Gebieten des
Sozialwesens sei je nach persönlichem Arbeitsschwerpunkt erforderlich. Aufstiegsinteressierte Erzieherinnen können
danach zum Beispiel eine heilpädagogische Zusatzqualifikation erwerben. Die Auswirkung der in den nächsten Jahren
drastisch sinkenden Kinderzahlen auf die Nachfrage nach Erzieherinnen dürfte der Beklagten ebenso bekannt sein.
Durch Art.12 des Grundgesetzes sei im Übrigen die Entscheidungsfreiheit bezüglich des Wechsels der Arbeitsstellen
garantiert. Sozialleistungsgesetze dürften nicht die Wirkung staatlicher Berufslenkung haben, steuernde Eingriffe
müssten verhältnismäßig sein (vgl. Urteil BSG vom 28.03.1990, SozR 3-4100 § 56 AFG Nr.1). Es sei also das Recht
der Klägerin gewesen, für die erworbene Zusatzqualifikation auch ein neues Betätigungsfeld zu suchen. Der Wechsel
sei zuerst nahtlos in ein befristetes Arbeitsverhältnis erfolgt; glaubhaft weit vor Ende seien Bemühungen um einen
Anschlussarbeitsplatz gelaufen. Mit der Qualifizierung sei auch das Ziel der langfristigen Vermeidung von
Arbeitslosigkeit besser erreicht.
Mit der Berufung vertritt die Beklagte die Auffassung, es komme allein darauf an, ob die Klägerin für die Lösung des
Beschäftigungsverhältnisses bei der Stiftung St. J. einen wichtigen Grund gehabt habe. Dies sei nicht der Fall. Sie sei
zwar eventuell unterqualifiziert, aber in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis bei der Stiftung beschäftigt gewesen und
habe dann als heilpädagogische Förderlehrerin in ein befristetes Arbeitsverhältnis bei der St.-G. Schule in N.
gewechselt. Dabei habe sie sich bei Vertragsschluss nicht der Tatsache verschließen können, dass sie nach Ablauf
der Befristung eventuell arbeitslos werden würde. Sie habe zu diesem Zeitpunkt nicht davon ausgehen können, dass
die Stelle dauerhaft mit ihr besetzt werden würde. Im Übrigen greife § 144 Abs.1 Nr.1 SGB III auch nicht in den von
Art.12 Grundgesetz geschützten Bereich der Entscheidungsfreiheit für einen Arbeitsplatzwechsel ein. Ein Eingriff in
die freie Wahl des Arbeitsplatzes liege vor, wenn der Staat den Einzelnen am Erwerb eines zur Verfügung stehenden
Arbeitsplatzes hindere, ihn zur Annahme eines bestimmten Arbeitsplatzes zwinge oder die Aufgabe eines
Arbeitsplatzes verlange. Es stehe allen Beschäftigten frei, jederzeit ihren Arbeitsplatz zu wechseln. Nur sofern dieser
Arbeitsplatzwechsel dazu führe, dass der Beschäftigte durch den Wechsel an einem befristeten Arbeitsplatz seine
Arbeitslosigkeit zurechenbar verschuldet habe, diene der Eintritt einer Sperrzeit dazu, das Risiko der Arbeitslosigkeit
nicht auf die Versichertengemeinschaft abzuwälzen. Die Sperrzeit sie nicht wegen Aufnahme einer befristeten
Beschäftigung, sondern wegen Aufgabe eines unbefristeten Beschäftigungsverhältnisses eingetreten, ohne dass dafür
ein wichtiger Grund vorgelegen habe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03.02.2005 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt weiterhin die Auffassung, dass die Entscheidung, auch einen befristeten Arbeitsvertrag zu schließen, nicht
mit einer Sperrzeit sanktioniert werden könne. So sei es in den vergangenen Jahren üblich geworden, gerade im
sozialen Bereich und insbesondere im Schulwesen befristete Verträge anzubieten.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein
Einschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.
Zu Recht hat das SG mit Urteil vom 03.02.2004 die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 26.07. bis
30.09.2003 Alg zu zahlen, da die Bescheide der Beklagten vom 07.08.2003 und 15.09.2003 rechtwidrig sind.
Denn die Klägerin hat durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages mit der Stiftung Behindertenwerk St. J. vom
10.11.2002 die Arbeitslosigkeit nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, ohne dafür einen wichtigen Grund
zu haben.
Hat der Arbeitslose gemäß § 144 Abs.1 Nr.1 SGB III unter anderem das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch
vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), ohne für sein
Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, so tritt eine Sperrzeit von zwölf Wochen ein.
Voraussetzung für die Feststellung einer Sperrzeit ist unter anderem, dass der Arbeitnehmer die Arbeitslosigkeit
herbeigeführt hat. Das ist (nur) der Fall, wenn die Kündigung Ursache der Arbeitslosigkeit ist (BSG SozR 3-4100 § 119
Nr.3 = NZA 1990, 791). Erforderlich ist somit ein Kausalzusammenhang zwischen Kündigung bzw. Abschluss eines
Aufhebungsvertrages und Arbeitslosigkeit. Hierbei kommt es nicht auf die Arbeitslosigkeit an, für die eine Leistung
geltend gemacht wird, sondern auf die durch die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses herbeigeführte (BSGE
84, 225 = SozR 3-4100 § 119 Nr.17). Zwar ist die am 25.07.2003 eingetretene Arbeitslosigkeit kausal auf den
Auflösungsvertrag zurückzuführen, der Klägerin stand jedoch für ihr Verhalten ein wichtiger Grund zur Seite. So hat
das BSG in seinem Urteil vom 26.10.2004 (Az.: B 7 AL 98/03 R) entschieden, dass unter anderem aus dem am
02.01.2001 in Kraft getretenen Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) vom 21.12.2000
(BGBl.I 1966) abzuleiten sei, dass der Wechsel aus einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis in ein befristetes
es nicht generell ausschließt, dass ein wichtiger Grund vorliegen kann. Das BSG teilt die Ansicht der Vorinstanzen,
dass aus Art.12 Abs.1 Grundgesetz abzuleiten sei, dass Arbeitnehmern grundsätzlich auch die Möglichkeit offen
stehen muss, befristete - ihnen attraktiv erscheinende - Arbeitsverhältnisse, zu Gunsten unbefristeter
Arbeitsverhältnisse aufzunehmen. Nach den - nicht tragenden - Gründen im Urteil des BSG könnte es aber fraglich
sein, ob ein wichtiger Grund auch dann vorliegt, wenn von vornherein feststeht, dass das Anschlussarbeitsverhältnis
aufgrund einer Befristung zu einem bestimmten Zeitpunkt enden wird und keinerlei konkrete Aussicht auf eine
Verlängerung des Beschäftigungsverhältnisses besteht.
Unter Berücksichtigung dieser vom BSG aufgestellten Grundsätze ist der Senat der Ansicht, dass für die Klägerin ein
wichtiger Grund bestand, das unbefristete Beschäftigungsverhältnis zu lösen. Die Klägerin hatte eine konkrete
Aussicht, dass sich ihr zunächst befristetes Arbeitsverhältnis unbefristet verlängern würde. Dies steht aufgrund der
Äußerungen des Direktors des Förderzentrums N. , Herrn H. , die er gegenüber der Klägerin gemacht hat, fest. Dass
letztlich die Regierung von Schwaben die Stelle ohne weitere Rücksprache mit der Klägerin anderweitig besetzt hat,
ist unschädlich. Objektiv konnte die Klägerin davon ausgehen, dass sie in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis
übernommen werden würde, zumal damals offensichtlich ein Lehrermangel herrschte.
Somit war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Augsburg vom 03.02.2004 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.