Urteil des LSG Bayern vom 05.08.2010

LSG Bayern: verwaltungsakt, bindungswirkung, daten, altersrente, rücknahme, erlass, avg, datum, rentenanspruch, anerkennung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 05.08.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 11 R 4287/06
Bayerisches Landessozialgericht L 14 R 586/09
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18. März 2009 wird
zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf Neufeststellung seiner Altersrente unter Bewertung
von insgesamt 63 Kalendermonaten mit Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung hat.
Der im Oktober 1941 geborene Kläger hat vom 8. Oktober 1959 bis 15. Juli 1960 und vom 1. Oktober 1963 bis 31. Juli
1964 eine Schulausbildung sowie vom 1. August 1964 bis 10. Februar 1968 eine Fachschulausbildung absolviert.
Mit Bescheid vom 19. Juli 1989 stellte die Beklagte den Versicherungsverlauf des Klägers gemäß § 104 Abs. 3 AVG
fest. Darin sind die o.g. Zeiten als Zeiten der Schul- bzw. Fachschulausbildung, als sog. Ausfallzeiten, enthalten.
In dem Bescheid ist der Hinweis enthalten, dass über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf
enthaltenen Daten erst bei Feststellung einer Leistung ent- schieden werde.
Dem Bescheid war auch eine Rentenauskünft vom gleichen Datum beigefügt. In dieser Rentenauskünft wurden für 61
Kalendermonate mit Ausfallzeiten (Ausbildungszeiten) Werteinheiten unter Anwendung von § 32 a AVG ermittelt.
Mit Bescheid vom 10. November 1997 stellte die Beklagte gemäß § 149 Abs. 5 SGB VI für den Kläger den
Versicherungsverlauf für die Zeiten bis 31. Dezember 1990 erneut fest, soweit sie nicht bereits früher festgestellt
worden sind. Hierin sind die Ausbildungszeiten, dem Datum nach vollständig enthalten, wurden aber zum Teil mit dem
Vermerk "Höchst- dauer überschritten" gekennzeichnet. Auch in diesem Bescheid ist der Hinweis enthalten, dass
über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei der Feststellung einer
Leistung entschieden werde.
Auf seinen Antrag vom 10. August 2004 hin gewährte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 6. September 2004
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Alters- teilzeitarbeit ab 1. November 2004. Im Rentenbescheid sind 63
Kalendermonate als Ausbildungszeiten angerechnet. Allerdings wurden von diesen 63 Kalendermonaten nur die ersten
36 Kalendermonate (35 Monate als beitragfreie und ein Monat als beitrags- geminderte Zeit) mit Entgeltpunkten
bewertet.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, im Gegensatz zu früheren Auskünften seien
seine Studienzeiten nur für 3 Jahre anerkannt worden. Dies sei eine Ungleichbehandlung, da jüngere
Geburtsjahrgänge, die aber früher in Rente ge- gangen seien, diese Zeiten voll angerechnet bekommen hätten. Ihm
sei zwar bekannt, dass freiwillige Nachzahlungen vorgenommen werden konnten. Die damit verbundenen hohen
Beträge könne sich ein normaler Angestellter mit Familie jedoch nicht leisten. Es hätten auch die Beiträge
nachgezahlt werden müssen, die in den Jahren der Nachzahlung gelten und nicht diejenigen, die seinerzeit für eine
Versicherung ausgereicht hätten. Dies sei eine Benachteiligung gegenüber verheirateten Frauen, die sich bei ihrer
Heirat ihre Rentenversicherungsbeiträge auszahlen ließen und später durch Rückzahlung der mittlerweile geringfügig
gewordenen Beiträge verhältnismäßig hohe Renten sichern konnten. Darüber hinaus machte er weitere Einwände
geltend, die nicht Gegenstand seines Berufungsbegehrens sind.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2005 wurde der Widerspruch, soweit ihm nicht abgeholfen worden war,
zurückgewiesen. Zeiten der Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres würden bei einem Rentenbeginn ab 1.
Januar 2002 bis zur Höchstdauer von insgesamt acht Jahren (96 Kalendermonaten) als Anrechnungszeit
berücksichtigt. Nach § 74 S. 3 SGB VI würden die Zeiten schulischer Ausbildung jedoch für höchstens drei Jahre
bewertet. Der Widerspruchsbescheid wurde nicht mit einer Klage angefochten und damit bestandskräftig.
Der Kläger wandte sich erst wieder im April 2005 an die Beklagte und bat - unter Hinweis auf die Entscheidung des
Bundessozialgerichts vom 30. März 2004, B 4 RA 36/02 - um Überprüfung, ob für die gesamten Ausbildungszeiten
Entgeltpunkte anzusetzen seien.
Die Beklagte wertete die Anfrage des Klägers vom April 2005 als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X und lehnte
durch Bescheid vom 16. Juni 2005 den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheids vom 26. November 2004
ab. Aus dem vom Kläger zitierten Urteil des BSG ergäben sich keine Gründe für eine für den Kläger günstigere
Entscheidung.
Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch verwies der Kläger darauf, ihm lägen Bescheide vor, die die Anerkennung
von 61 Kalendermonaten für die Studienzeit vor- sehen. Diese Zeiten sowie die Zeit der Ableistung des
Grundwehrdienstes seien sogar mit höheren Werten ausgewiesen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. September 2006 zurück- gewiesen, da sich aus der
Entscheidung des BSG vom 30. März 2004 keine Änderung für den Fall des Klägers ergebe.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht (SG) Regensburg erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er
könne keinen Unterschied zu dem bereits entschiedenen Fall des BSG erkennen. In verschiedenen Bescheiden sei
die gesamte Studienzeit mit positiven Bewertungen anerkannt worden. Dies sei mit keinem Verwaltungsakt zurück-
genommen worden.
Mit Urteil vom 18. März 2009 hat das SG die auf die Bewertung und Berücksichtigung von 61 Kalendermonaten mit
Ausbildungsanrechnungszeiten gerichtete Klage abgewiesen. Im Vormerkungsbescheid stelle der Versicherungsträger
Daten (hier die Zeiten der Aus- bildung) fest. In ihm könne von Gesetzes wegen keine verbindliche Feststellung über
eine etwaige zukünftige Anrechnung und Bewertung getroffen werden. In Bezug auf die Tatsache, während welcher
Zeiten Schul- und Fachschulausbildung vorgelegen hätten, habe sich nichts geändert. Aus den Urteilen des BSG vom
30. März 2004 ergebe sich ebenfalls kein Anspruch auf Neufeststellung gemäß § 44 SGB X. Über die Anrechen-
arkeit könne erst im Leistungsfall entschieden werden. Ein Vertrauenstatbestand könne entgegen dem eindeutigen
Gesetzeswortlaut nicht geschaffen werden.
Mit der hiergegen erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Urteil des BSG vom 30. März
2004, Az. B 4 RA 36/02 R, wurde auszugsweise wieder- gegeben. In verschiedenen Bescheiden sei die gesamte
Studienzeit mit positiven Bewertungen anerkannt worden. Dies sei mit keinem Verwaltungsakt zurückgenommen
worden. So sei mit Bescheid vom 19. Juli 1989 die strittigen Studienzeiten nicht nur für die Beteiligten verbindlich
festgestellt, sondern auch mit Werteinheiten belegt worden. Dieser Bescheid sei zu keiner Zeit durch einen
Verwaltungsakt aufgehoben worden; auch nicht durch den Bescheid vom 10. November 1998.
Der Senat hat vom Kläger sämtliche Auskünfte, Schreiben und Bescheide der Beklagten aus dem Jahr 1989 bis 1996
und von der Beklagten eine Mikrofilmreproduktion der Vorgänge ab Januar 1997 beigezogen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18. März 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. Juni 2005 in
der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den
Bescheid vom 6. September 2004 in der Fassung des Bescheids vom 26. November 2004 sowie in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2005 abzuändern und den Wert der Regelaltersrente unter Bewertung von
insgesamt 63 Kalender- monaten mit Anrechnungszeiten bzw. beitragsgeminderten Zeiten wegen schulischer
Ausbildung ohne Begrenzung nach § 74 S. 3 SGB VI festzustellen sowie ab Rentenbeginn entsprechend höhere
Rente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Akten des SG und der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegen- stand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid vom 16. Juni 2005 in der Fassung des Widerspruchs- bescheids vom 28. September
2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 44
Abs. 1 SGB X auf Rücknahme des Rentenbescheids vom 6. September 2004 in der Fassung des Bescheids vom 26.
No- vember 2004 sowie in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2005 und Bewertung von
Anrechnungszeiten bzw. beitragsgeminderten Zeiten wegen schulischer Ausbildung über den in den angefochtenen
Bescheiden festgesetzten Umfang hinaus.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von
einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu
Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, gemäß § 44
Abs. 1 S. 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
Bei Erlass des Rentenbescheids vom 6. September 2004 in der Fassung des Bescheids vom 26. November 2004 hat
die Beklagte weder das Recht unrichtig angewandt noch ist sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Sie
hat daher auch nicht Sozial- leistungen zu Unrecht nicht erbracht.
Alle im Bescheid vom 19. Juli 1989 bzw. im Bescheid vom 10. November 1997 vorge- merkten Anrechnungszeiten
wegen schulischer Ausbildung sind im Rentenbescheid vom 6. September 2004 berücksichtigt worden. Weder in
zeitlicher Hinsicht noch in der rentenrechtlichen Einordnung der Zeiten als Anrechnungszeiten hat sich eine Änderung
ergeben. Gemäß § 74 S. 3 SGB VI in der ab 1. Januar 2002 gültigen Fassung können aber nur maximal drei Jahre an
schulischer Ausbildung bewertet werden.
Aus dem Urteil des BSG vom 30. März 2004 ergibt sich für den Fall des Klägers nichts anderes. Denn mit einem
Vormerkungsbescheid werden lediglich der Rechtscharakter der rentenrechtlichen Zeit und deren zeitlicher Umfang
festgestellt. Die abschließende Ent- cheidung über die Anrechnung und Bewertung ist nicht Gegenstand eines
Vormerkungs- bescheides und hat erst mit dem Rentenbescheid zu erfolgen.
Die Vormerkungsbescheide vom 19. Juli 1989 und 10. November 1997 enthalten auch keine Bewertung der
Anrechnungszeiten. Eine solche ist nur in den Rentenauskünften, etwa vom 19. Juli 1989 erfolgt. Diese haben jedoch
keine Bindungswirkung im Sinne des § 77 SGG, da es sich bei den Rentenauskünften nicht um Verwaltungsakte
handelt. Nur Verwaltungsakte, nicht jedoch schlichte Auskünfte können eine Bindungswirkung für eine spätere
Leistungsfestsetzung im Rahmen eines Rentenbescheids entfalten. Die dem Kläger erteilten, nicht
rechtsverbindlichen Rentenauskünfte stehen unter dem Vorbehalt von zukünftigen Rechtsänderungen (vgl. nunmehr
ausdrücklich § 109 Abs. 2 SGB VI). Sie spiegeln die Rentenhöhe wider, die sich ergeben würde, wenn nach dem zum
Zeitpunkt der Erteilung der Rentenauskunft geltenden Recht ein Rentenanspruch bestünde. Eine Bindungswirkung in
Bezug auf die dort ermittelten Werte für alle 61 oder später 63 Monate mit Zeiten der schulischen Ausbildung zu
Gunsten des Auskunftsempfängers im Falle einer für ihn ungünstigen Rechtsänderung ergibt sich aus den Auskünften
nicht.
Die den Kläger belastenden Abweichungen im Rentenbescheid gegenüber den Vormerkungsbescheiden liegen also
nicht in dem Umstand, dass die Beklagte bereits anerkannte Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung im
Rahmen der Grund- bzw. Vergleichsbewertung nicht mehr berücksichtigt hätte. Vielmehr haben sie ihren Grund darin,
dass im Rahmen der begrenzten Gesamtleistungsbewertung gemäß § 74 S. 2,3 SGB VI a.F. Entgeltpunkte nur noch
für 3 Jahre derartiger Anrechnungszeiten zu ermitteln waren und zudem eine Begrenzung auf 0,0625 Entgeltpunkte
stattzufinden hatte. Hierbei handelt es sich aber ausschließlich um eine Frage der Bewertung von Anrechnungszeiten
wegen schulischer Ausbildung, die in Übereinstimmung mit den damals wie heute gültigen Bestimmungen und nach
dem tatsächlichen Inhalt der ergangenen Vormerkungsbescheide von der Beklagten in diesen gerade nicht verbindlich
geregelt worden ist (und auch nicht verbindlich hätte geregelt werden dürfen).
Hier liegt auch der entscheidende Unterschied zu der vom Kläger angeführten Entscheidung des BSG vom 30. März
2004. In dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt hat die dortige Beklagte statt der durch
Vormerkungsbescheid festgestellten 107 Kalendermonate an Ausfallzeiten wegen Ausbildung im Rahmen der
Rentenhöchstwertfestsetzung nur 60 Kalendermonate tatsächlich berücksichtigt.
Beim Klager hat aber weder eine Kürzung der anzurechnenden Monate seiner in den früheren Bescheiden enthaltenen
Anrechnungszeiten stattgefunden, noch wurde deren rentenrechtliche Einordnung verändert. Die Bewertung der Zeiten
war, wie oben bereits ausgeführt, nicht Gegenstand der verbindlichen Feststellungen der Vormerkungs- bescheide.
Damit besteht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch des Klägers auf eine Berücksichtigung weiterer
Entgeltpunkte für seine Anrechnungszeiten.
Im Übrigen wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen und auf die Gründe des
zutreffenden Urteils der ersten Instanz im Sinne von § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf dem Umstand, dass der Kläger auch im Berufungs- verfahren
erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.