Urteil des LSG Bayern vom 22.04.2005

LSG Bayern: wichtiger grund, fristlose kündigung, ärztliche behandlung, firma, arbeitslosigkeit, druck, schweigepflicht, gespräch, kündigungsfrist, verhinderung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.04.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 46 AL 515/03
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 117/04
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. September 2003 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist der Eintritt einer sechswöchigen Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe streitig.
Die 1971 geborene Klägerin meldete sich am 12.09.2002 erneut bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die
Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg).
Nach der Arbeitsbescheinigung der Firma K. Lagertechnik AG war die Klägerin dort vom 18.04.2001 bis 10.09.2002
als Sekretärin beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristlose Kündigung der Klägerin vom 11.09.2002 mit
sofortiger Wirkung. Unter "Sonstige Hinweise des Arbeitgebers an das Arbeitsamt" wurde vom Arbeitgeber vermerkt
"Frau W. ist seit dem 11.09. nicht mehr zur Arbeit erschienen. Sie hat per E-mail fristlos gekündigt." Der
Arbeitsbescheinigung beigeführt war eine Abmahnung des Arbeitgebers an die Klägerin vom 13.08.2002. Dort heißt
es: "Nach Ihrem Arbeitsvertrag § 8 Abs.1 und 2 sind sie verpflichtet, ihrem Arbeitgeber schnellstmöglich über Ihre
Verhinderung Mitteilung zu machen und bis zum 3. Kalendertag eine Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit
vorzulegen. Sie sind am 8., 9. und 12. August nicht zur Arbeit erschienen und haben der Firma auch keinerlei
Information über Art und Dauer ihrer Verhinderung zu kommen lassen. Für den vorstehenden Sachverhalt mahnt Sie
die Firma ab". Die ordentliche Kündigungsfrist betrug vier Wochen zum Monatsende. In der Stellungnahme zur
Beendigung des Arbeitsverhältnisses führte die Klägerin aus, am 06.08.2002 habe die ihr gegenüber sitzende neue
Kollegin Frau von B. (seit 15.04. 2002) in der Mittagspause deutlich gesagt, dass sie (die Klägerin) gar nichts zu
sagen habe. Dies habe sie sehr verwirrt. Die Kollegin sei sich scheinbar sehr sicher gewesen, dass bei einem Streit
alle in der Chefetage zu ihr halten würden. Frau von B. habe sie schon immer von oben herab behandelt. Sie habe
daraufhin eine Mail an die Vorgesetzten geschrieben, in dem sie den Sachverhalt geschildert habe. Als sie aus der
Mittagspause am 07.08.2002 zurückgekehrt sei, hätten ein Vorgesetzter und Frau von B. sofort aufgehört zu reden.
Es seien weitere Gespräche gefolgt mit der Folge, dass ihrer Kollegin jedes Wort geglaubt worden sei. Man habe den
Eindruck gehabt, dass die Geschäftsleitung sie habe los werden wollen. Diesem Druck habe sie sich nicht gewachsen
gefühlt.
Ermittlungen der Beklagten bei der Firma haben ergeben, dass sich die Klägerin jedem Klärungs- und
Vermittlungsversuch gegenüber nicht zugänglich gezeigt habe. Trotzdem habe man den Eindruck gewonnen, dass
sich die Situation im Laufe der Zeit wieder einrenken würde.
Mit Bescheid vom 28.10.2002 stellte die Beklagte den Eintritt einer sechswöchigen Sperrzeit vom 11.09.2002 bis
22.10.2002 fest. Die Klägerin habe durch ihre Kündigung das Beschäftigungsverhältnis selbst aufgegeben und habe
voraussehen müssen, dass sie dadurch arbeitslos werde. Eine Rückfrage beim ehemaligen Arbeitgeber habe ergeben,
dass es am 06.08.2002 zu einem Streit zwischen ihr und einer Arbeitskollegin gekommen sei. In der Folgezeit sei
durch die Firma versucht worden, die angespannte Arbeitssituation zu entschärfen, wobei ein letztes klärendes
Gespräch am 10.09.2002 gescheitert sei.
Zur Begründung ihres Widerspruchs führte die Klägerin unter anderem aus, die Mobbingvorwürfe habe sie versucht zu
erklären. Ihre Kollegin habe ihr den Mund verbieten wollen, so dass sie nichts mehr zu sagen gehabt habe. Mit
Widerspruchsbescheid vom 27.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur
Konkretisierung und Objektivierung der Mobbingvorwürfe sei die Klägerin zu einem Gespräch beim Psychologischen
Dienst eingeladen worden. Dies habe sie jedoch abgelehnt. Insgesamt sei es der Klägerin zuzumuten gewesen, das
Beschäftigungsverhältnis solange fortzusetzen, bis sie nahtlos ein neues Arbeitsverhältnis hätte eingehen können, so
dass der Eintritt der Arbeitslosigkeit vermieden worden wäre.
Zur Begründung der zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage hat die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen
wiederholt.
Mit Schreiben vom 10.09.2003 hat das SG der Klägerin mitgeteilt, dass zur Aufklärung des Sachverhalts Ermittlungen
erforderlich seien, weshalb sie gebeten werde, die beigefügte Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen
Schweigepflicht und sozialrechtlichen Geheimhaltungspflicht abzugeben. Dieser Aufforderung ist die Klägerin nicht
nachgekommen, da sie nicht nachvollziehen könne, sie als krank hinzustellen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 26.09.2003 hat das SG als Zeugen die ehemaligen Vorgesetzten der
Klägerin - Dr.M. D. und A. S. - sowie Frau von B. als Zeugen einvernommen. Wegen der Einzelheiten ihrer
Bekundungen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Mit Urteil vom 26.09.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Ein wichtiger Grund für ihr Verhalten habe die Klägerin
nicht gehabt. Das Gericht habe insbesondere nach der Einvernahme der drei Zeugen, aber auch auf Grund des
gesamten Akteninhalts und des persönlichen Eindrucks von der Klägerin im Erörterungstermin vom 01.08.2003 und in
der mündlichen Verhandlung dem Vorwurf der Klägerin, sie sei von Mitarbeitern ihres Arbeitgebers gemobbt worden,
nicht folgen können. Nach Überzeugung des Gerichts habe die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten wesentlich dazu
beigetragen, dass ein im Arbeitsleben alltäglicher Konflikt zwischen Arbeitnehmern derart eskaliert sei, dass das
Beschäftigungsverhältnis nicht mehr habe fortgeführt werden können. Ob die Klägerin auf Grund gesundheitlicher
Beeinträchtigungen objektiv nicht in der Lage gewesen sei, ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, habe
das Gericht aus eigener Sachkunde nicht feststellen können. Bei der Feststellung dieses Sachverhalts habe die
Klägerin nicht mitgewirkt. Da sie für das Vorliegen eines wichtigen Grundes darlegungspflichtig sei und im Zweifel
dafür auch die materielle Beweislast trage, müsse das Gericht davon ausgehen, dass ein wichtiger Grund nicht
vorgelegen habe.
Zur Begründung ihrer Berufung führt die Klägerin aus, die Klage sei nie behandelt worden. Zudem sei behauptet
worden, die Klage richte sich gegen den ehemaligen Arbeitgeber, was nicht zutreffend sei. Da ihr dringend benötigte
Unterlagen nicht ausgehändigt worden seien, beantrage sie die komplette Akte des Gerichts als Kopie.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 20.07.2004 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die Akten auf der Geschäftsstelle zur
Einsichtnahme bereitlägen.
Eine Akteneinsichtnahme durch die Klägerin erfolgte nicht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.09.2003 sowie den Bescheid vom
28.10.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.03.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihr für die Zeit vom 11.09. bis 22.10.2002 Arbeitslosengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich der Auffassung des SG im Urteil vom 26.09.2003 an.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der
Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144
Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.
Zu Recht hat das SG München mit Urteil vom 26.09.2003 die Klage abgewiesen, da die Bescheide der Beklagten vom
28.10.2002 und 27.03.2003 nicht zu beanstanden sind.
Denn die Klägerin hat das Beschäftigungsverhältnis bei der Firma Krusche durch ihre fristlose Kündigung gelöst und
dadurch zumindest grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt, ohne für ihr Verhalten einen wichtigen Grund zu
haben.
Bezüglich ihrer fristlosen Kündigung kann sich die Klägerin nicht auf einen wichtigen Grund berufen. Ob ein wichtiger
Grund gegeben ist, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unter Berücksichtigung
von Sinn und Zweck der Sperrzeitregelung zu beurteilen. Sie soll die Solidargemeinschaft vor der Inanspruchnahme
durch Leistungsberechtigte schützen, die den Eintritt des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit selbst herbeiführen
oder zu vertreten haben. Eine Sperrzeit soll nur dann eintreten, wenn einem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen und der Interessen der Versichertengemeinschaft
ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann (vgl. BSG SozR 3-4300 § 144 Nr.12 S.34 m.w.N.). Dabei muss
der wichtige Grund nicht nur die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern gerade auch den konkreten
Zeitpunkt der Lösung decken (BSG a.a.O.).
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Klägerin das Beschäftigungsverhältnis fristlos gekündigt hat,
wohingegen die ordentliche Kündigungsfrist vier Wochen zum Monatsende betrug.
Ein wichtiger Grund kann auch nicht allein darin gesehen werden, dass eine Kündigung des Arbeitgebers, wie von
diesem ausgeführt, zum 31.10. (fristgerecht) bevorstand. Denn insoweit wurde in zahlreichen BSG-Entscheidungen
bereits festgehalten, dass ein Arbeitnehmer dem Ausspruch einer drohenden Kündigung des Arbeitgebers nicht ohne
weiteres zuvorkommen darf. Denn grundsätzlich ist es dem Arbeitnehmer im Interesse der Versichertengemeinschaft
zuzumuten, die Kündigung abzuwarten, sofern nicht besondere Umstände vorliegen (BSG SozR 3-4100 § 144 Nr.12
S.34).
Weiterhin ist auch anzuführen, dass im Zeitpunkt der Kündigung durch die Klägerin die Kündigung des Arbeitgebers
gar nicht beabsichtigt war.
Ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses könnte zwar grundsätzlich darin zu sehen sein,
dass die Klägerin vorgetragen hat, durch das (behauptete) Mobbing befürchtete, krank zu werden. Nachdem die
Klägerin aber weder im Vorverfahren noch im erstinstanzlichen Verfahren bereit war, sich diesbezüglich untersuchen
zu lassen bzw. aussagefähige medizinische Unterlagen beizubringen, lässt sich nicht beurteilen, ob bereits ein
Krankheitszustand vorlag, ob also ein regelwidriger Körper- und/oder Geisteszustand zu bejahen war, der vom Leitbild
des gesunden Menschen so abwich, dass die Klägerin zur Ausübung der normalen psychischen/physischen
Funktionen nicht mehr in der Lage war (BSGE 66, 248, 249 - SozR 3-2200 § 182 Nr.2). Grundsätzlich steht zwar der
Annahme einer Krankheit nicht entgegen, dass sich die Klägerin ihren eigenen Ausführungen gemäß nicht in ärztliche
Behandlung gegeben hat. Zu bedenken ist aber, dass sie selbst angegeben hat, dass sie sich allein durch die
Übersendung des Vordrucks über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht durch das SG beleidigt gefühlt
hat. Insbesondere hat sie darauf hingewiesen, dass sie es als unzumutbar finde, sie als krank hinzustellen.
Insgesamt konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, das der auf die Klägerin am Arbeitsplatz ausgeübte Druck
so groß gewesen ist, dass ihr eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar war, bzw. das Vertrauensverhältnis derart
gestört gewesen ist, dass keine zumutbare gemeinsame Basis für eine weitere Zusammenarbeit mehr vorlag, was
aber Voraussetzung für einen wichtigen Grund wäre (dazu BSG SozR 4-4300 § 144 Nr.4 = NZS 2004, 382).
Somit war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 26.09.2003 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.