Urteil des LSG Bayern vom 14.09.2005

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.09.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 24 U 940/00
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 46/04
I. Die Befristung des Genehmigungsbescheides der Beklagten vom 16. Dezember 2003 wird aufgehoben. II. Die
Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
III. Die Parteien haben einander keine Kosten zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Befristung der Genehmigung des Gefahrtarifes.
In ihrem seit 01.01.2001 geltenden Gefahrtarif, der grundsätzlich nach Gewerbezweigen aufgegliedert ist, hat die
Klägerin zur Ermittlung der Gefahrklassen zunächst die in den Jahren 1995 bis 1999 erbrachten Leistungen für die in
diesem Zeitraum erstmals entschädigten Unfälle den Entgelten in Gestalt der Lohnsummen desselben Zeitraums
gegenübergestellt. Die sog. DDR-Altlasten, das heißt die von der Klägerin zu übernehmenden Aufwendungen für
Versicherungsfälle der ehemaligen DDR, hat sie so in die Berechnung der Gefahrklasse einbezogen, dass sie
gleichmäßig auf alle Gewerbezweige verteilt wurden.
Die Summe der gezahlten Leistungen für Versicherungsfälle im Beobachtungszeitraum 1995 bis 1999, die in nicht
mehr existierenden Unternehmen angefallen waren, hatte 24,76 % des Umlagebedarfs im gleichen Zeitraum
ausgemacht. Die Klägerin hatte in dem vorhergehenden Gefahrtarif zur gleichmäßigeren Verteilung unter den
verschiedenen Gewerbezweigen eine grobe Auf- bzw. Abrundung der Gefahrklassen vorgenommen. Nachdem die
Leistungen für Versicherungsfälle aus nicht mehr existierenden Unternehmen massiv angestiegen waren, wurden
diese sog. "toten Lasten" bei der Bildung der Gefahrklassen mit ihrem prozentualen Anteil (24,76 %) und der
Durchschnittsgefahrklasse (4,0) gewichtet, mit der Folge, dass diese toten Lasten auf alle Gewerbezweige
gleichmäßig verteilt wurden. Damit werde dem Gebot des Gleichbehandlungsgrundsatzes und dem Willkürverbot
entsprochen.
Im Genehmigungsverfahren äußerte die Beklagte Bedenken gegen ein solches Vorgehen und kündigte eine lediglich
befristete Genehmigung an. Gegen die vorgenommene Verteilung der DDR-Altlasten äußerte sie keine Bedenken.
Die Klägerin machte geltend, die toten Lasten könnten nicht mehr gezielt einzelnen Gewerbezweigen zugeordnet
werden. Außerdem seien im Lauf der Zeit eine Vielzahl von Gewerbezweigen untergegangen bzw. auf eine derart
kleine Größenordnung geschrumpft, dass diese nicht mehr als eigenständige Gewerbezweige geführt würden; andere
Gewerbezweige seien neu entstanden.
Mit Bescheid vom 21.12.2000 genehmigte die Beklagte den Gefahrtarif, jedoch befristet bis 31.12.2003, damit die
Klägerin bis dahin die beanstandeten Regelungen korrigieren könne. Hierzu zählte sie die nivellierende Einbeziehung
der toten Lasten in die Berechnung der Gefahrklassen. Dies widerspreche § 157 Abs.3 SGB VII. Der
Gesetzeswortlaut lasse eine solche Regelung nicht zu. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift lasse eine solche
Vorgehensweise nicht zu, denn danach komme es bei der Berechnung der Gefahrklassen allein auf die aktuellen
Belastungsverhältnisse an. Die übrigen Lasten würden erst bei der Beitragsberechnung relevant, § 167 SGB VII. Des
Weiteren sei bei der Aufstellung des Gefahrtarifs nach § 157 Abs.3 SGB VII die Abstufung nach den
Gefährdungsrisiken maßgeblich. Eine Nivellierung des Gefahrklassenniveaus werde diesen gesetzlichen
Anforderungen nicht gerecht. Der Gesetzgeber habe gerade auf die Abstufung nach den Gefährdungsrisiken
abgestellt, um damit das zur Vermeidung von Unfällen erforderliche Bewusstsein bei den hoch belasteten Tarifstellen
zu stärken. Eine Angleichung der Gefahrklassen entspreche nicht dieser Zielsetzung.
Der Genehmigungsbescheid enthält weitere Beanstandungen des Gefahrtarifs, zu denen die Beklagte jedoch im
gerichtlichen Verfahren ausgeführt hat, sie hätten zur Einschränkung der Genehmigung durch eine Befristung nicht
ausgereicht und ihretwegen wäre eine Befristung nicht ausgesprochen worden.
Das Sozialgericht hat die Befristung mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 04.12.2003 aufgehoben. Die Klage
begehre zulässigerweise die Aufhebung der Befristung. Bei den Gefahrtarifen der Unfallversicherung dürfe die
Genehmigungsbehörde lediglich die Rechtmäßigkeit, nicht auch die Zweckmäßigkeit prüfen. Im Rahmen ihres
Regelungsspielraumes habe die Klägerin in Übereinstimmung mit § 157 Abs.3 SGB VII die toten Lasten ebenso wie
die DDR-Altlasten nivellierend berücksichtigen dürfen. Die Klägerin habe damit einen Anspruch auf Genehmigung des
Gefahrtarifs gehabt. Die Beklagte habe die Genehmigung auch nicht nach § 32 Abs.1 SGB X mit einer
Nebenbestimmung versehen dürfen, weil dies weder durch Rechtsvorschriften zugelassen sei, noch durch die
Befristung sichergestellt werde, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Genehmigung erfüllt würden.
Die Beklagte hat die Genehmigung des Tarifvertrages mit Bescheid vom 16.12.2003 erneut bis 31.12.2005 befristet.
Ein Abdruck hiervon ist beim Sozialgericht am 30.12.2003 eingegangen. Das Urteil ist der Beklagten am 12.01.2001
zugegangen.
Mit ihrer Berufung beantragt die Beklagte, das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.12.2003 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Im Gegensatz zur RVO, die für die Gefahrklassenbildung keine ausdrückliche Anweisung enthalten habe, schreibe §
157 Abs.3 SGB VII vor, dass Gefahrklassen aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten zu
berechnen seien. Durch diese Norm werde die Berechnungsmethode und die Auswahl der Berechnungsmerkmale für
die Belastungsziffern ausdrücklich gesetzlich festgeschrieben. Die Aufzählung sei als abschließend anzusehen und
schließe damit die Berücksichtigung weiterer Merkmale oder anderer Berechnungsmethoden (z.B. Nivellierungen)
grundsätzlich aus. Die vom Sozialgericht vorgenommene Auslegung stehe nicht nur im Widerspruch zum Wortlaut
des § 157 Abs.3 SGB VII, sondern auch zum Gesetzeszweck des § 157 SGB VII. Zweck des Gefahrtarifs sei es, die
Verteilung der Lasten der Berufsgenossenschaft auf die dieser angehörenden Unternehmen nach dem jeweils
innewohnenden Risiko der Unfallgefährlichkeit des Gewerbezweigs zu verteilen. Die gesetzliche Unfallversicherung
beinhalte damit ein Element privater Versicherungen, deren Beiträge nach Versicherungsrisiken abgestuft seien.
Risikogerechte Beiträge sollten Anreiz zur Prävention geben und die Beitragsgerechtigkeit fördern. Die solidarische
Verteilung der toten Lasten auf alle Tarifstellen werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Eine Abstufung nach
Gefährdungsrisiken finde in keiner Weise mehr statt. Zudem würden die Aufwendungen allen, am Entstehen der
Lasten auch gänzlich unbeteiligten Tarifstellen aufgebürdet und schlügen sich nicht mehr in der Tarifstelle nieder, in
der sie angefallen seien. Das zur Vermeidung von Unfällen erforderliche Bewusstsein bei den hoch belasteten
Tarifstellen werde dadurch nicht gestärkt, ein Präventionsanreiz bleibe gerade aus.
Der Bescheid vom 16.12.2003 sei gemäß § 96 Abs.1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Dass das
Sozialgericht gleichwohl den Bescheid in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt habe, stelle eine Verletzung dieser
Vorschrift dar.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie beantragt weiter, die Befristung des
Genehmigungsbescheides vom 16.12.2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, den Antrag auf Aufhebung der Befristung des Genehmigungsbescheides vom 16.12.2003
abzuweisen.
Die Klägerin macht geltend, der Gefahrtarif sei kein bloßes Rechenwerk, sondern ein Zusammenfluss rechnerischer
und wertender bzw. gewichtender Faktoren. In diesem Rahmen stehe ihr bei der Bildung der Gefahrklassen ein
Ermessensspielraum zu. Die Regelung des § 157 SGB VII habe keine Änderung der bisherigen Praxis bei der
Gefahrklassenberechnung durch die Berufsgenossenschaften bewirken wollen. Die toten Lasten rührten zu 3,39 %
von Fremdrentenfällen, zu 31,66 % von pauschal übernommenen DDR-Altlasten und zu 64,95 % von Lasten
ehemaliger Mitgliedsbetriebe her. Letztere könnten in einem Großteil der Fälle nicht mehr den Gefahrtarifstellen
zugeordnet werden, weil die Gewerbezweige insgesamt untergegangen bzw. in anderen Gewerbezweigen aufgegangen
seien. Zum Teil seien auch die Lasten aus in Konkurs gegangenen Betrieben bei ihr verblieben, während die
Nachfolgeunternehmen wegen des technologischen Wandels mit veränderten Werkstoffen bei anderen
Berufsgenossenschaften aufgenommen worden seien. 45,42 % der toten Lasten rührten aus Schadensereignissen
her, die weiter als 30 Jahre zurücklägen, und 25,60 % aus Schadensereignissen, die weiter als 40 Jahre zurücklägen.
Das Kausalitätsverhältnis zwischen Unternehmen und Last sei damit weitgehend aufgehoben. Bei ihrem weit
gespreizten Gefahrtarif, der Gefahrklassen von 1,5 bis 12,5 vorsehe, sei die proportional stärkere Heranziehung von
Unternehmen mit (aktuell) höherer Unfallgefahr zur Finanzierung der toten Last nicht mit dem Gleichheitsgrundsatz
vereinbar.
Die Beklagte verweist auf das Gesetz vom 14.08.2005, Bundesgesetzblatt I S.2410, nach dessen § 153 Abs.4 SGB
VII geregelt worden sei, wann bei der Beitragsberechnung von der Berücksichtigung des Grades der Unfallgefahr in
den Unternehmen ganz oder teilweise abgesehen werden könne. Die damit getroffene Einführung einer Sonderumlage
für bestimmte tote Lasten bedeute zugleich, dass § 157 Abs.3 SGB VII eng auszulegen sei, da ansonsten die
ausdrückliche gesetzgeberische Regelung des § 153 SGB VII leer laufe.
Die Klägerin ist hierzu der Ansicht, die Möglichkeit der Erhebung einer Sonderumlage solle nach der
Gesetzesbegründung primär gewährleisten, dass vor einem Finanzausgleich zwischen verschiedenen
Berufsgenossenschaften zunächst ein Solidarausgleich innerhalb einer Berufsgenossenschaft stattfinde. Den
Berufsgenossenschaften bleibe es deshalb überlassen, ob sie die toten Lasten im Rahmen der Aufstellung des
Gefahrtarifs berücksichtigten oder ihre Beitragsumlageberechnungen entsprechend anpassten und eine Sonderumlage
durchführten. Inwieweit die Umsetzung des einen oder des anderen Prinzips sich gegenseitig ausschließen sollten,
sei nicht ersichtlich.
Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Klägerin und die Akte
des Sozialgerichts in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die von der Beklagten form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach
§ 144 SGG liegt nicht vor.
Der Bescheid der Beklagten vom 16.12.2003 ist gemäß § 96 Abs.1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden,
weil er die bisherige Befristung aus gleich bleibenden rechtlichen Gründen und ohne Prüfung einer neuen
Tatsachengrundlage verlängert und damit abgeändert hat (vgl. BSG Urteil vom 15.05.2002 Az.: B 6 KA 22/01 R;
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer Kommentar zum SGG 8. Auflage § 96 Rdnr.4a m.w.N.). Der Bescheid ist vor
Abschluss des Klageverfahrens ergangen, da das ohne mündliche Verhandlung ergangene Urteil des Sozialgerichts
erst durch Zustellung wirksam geworden ist, § 133 Satz 1 SGG. Auf Antrag der Klägerin entscheidet das
Berufungsgericht über diesen Bescheid (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. § 96 Rdnr.12).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn die Beklagte hat die Genehmigung des Gefahrtarifs zu Unrecht
befristet. Auch die erneute Befristung war danach aufzuheben.
Bezüglich der Zulässigkeit der Klage und der rechtlichen Grenzen, innerhalb deren die Beklagte die Genehmigung
eines Tarifvertrages verweigern kann oder auszusprechen hat, wird nach § 153 Abs.2 SGG auf die Gründe des
angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Die Befristung der Genehmigung des Gefahrtarifs scheitert nicht schon an § 32 Abs.1 SGB X. Danach darf ein
Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch
Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des
Verwaltungsaktes erfüllt werden. Die Zulassung der Nebenbestimmung durch Rechtsvorschrift kann sich aus dem
Sinn der jeweiligen Rechtsvorschrift ergeben (vgl. BSG Urteil vom 27.02.1992 Az.: 6 RKa 32/91). Es kann
dahingestellt bleiben, ob sich aus den abgestuften Sanktionsmöglichkeiten im Genehmigungsverfahren nach § 158
Abs.2 SGB VII konkludent als mildere Sanktionsmöglichkeit die Befristung einer Genehmigung eines Gefahrtarifs
herleiten lässt. Jedenfalls sollte die Befristung sicherstellen, dass die aus der Sicht der Beklagten notwendigen
Änderungen des Gefahrtarifes vorgenommen und damit die gesetzlichen Voraussetzungen der Genehmigung erfüllt
würden.
Die Klägerin hat sich bei der von ihr vorgenommenen Berücksichtigung der toten Lasten bei der Ermittlung der
Gefahrklassen nicht außerhalb des Regelungsspielraums des § 157 Abs.3 SGB VII bewegt. Danach werden die
Gefahrklassen aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten berechnet. Die Vorschrift
bestimmt damit jedoch weder eine bloße Gegenüberstellung von Leistungen und Arbeitsentgelten, noch zu welchen
Teilen und in welcher Art eine solche Gegenüberstellung zu erfolgen hat. Sie normiert insoweit lediglich, dass nicht ein
abstrakt oder technisch angenommener Grad der Unfallgefahr maßgeblich ist, sondern eine monetäre Bewertung der
Unfallgefahren unter Zugrundelegung der Entschädigungslast einerseits und der Arbeitsentgelte andererseits (Ricke
Kasseler Kommentar § 157 SGB VII Rdnr.14 m.w.N.; zur geschichtlichen Entwicklung vgl. Schulz, Die
Berufsgenossenschaften 1995, S.316, 317).
Mit der Einführung des § 157 Abs.3 SGB VII wollte der Gesetzgeber die Berechnung der Gefahrklassen entsprechend
der Praxis der Unfallversicherungsträger regeln (Bundestagsdrucksache 13/2204 S.111; BSG SozR 4-2700 § 157
Nr.1). Bei der Erfüllung der Verpflichtung, durch einen Gefahrtarif Gefahrklassen zu bilden, stand der
Vertreterversammlung nach dem bis dahin geltenden Recht ein Regelungsspielraum zu, der durch die
Wertentscheidungen des Gesetzes begrenzt war und folglich nicht im Widerspruch zu den tragenden Grundsätzen des
Unfallversicherungsrechts stehen durfte. Im Rahmen des der Vertreterversammlung eingeräumten
Regelungsspielraums konnte sie bestimmen, ob und in welchem Maße Anteile der Unfallaltlast einbezogen wurden
oder nicht. Ebenso war es ihr möglich, Prognosen über die künftige Entwicklung der Zahlen miteinzubauen.
Umgekehrt musste sie früher unrichtige Schätzungen oder Umstrukturierungen in den Betrieben bei der Bildung des
Gefahrtarifs berücksichtigen und diesen entsprechend korrigieren. Daraus folgt, dass der Gefahrtarif und die dazu
gebildeten Gefahrklassen insgesamt kein bloßes Rechenwerk, sondern einen Zusammenfluss rechnerischer,
wertender und gewichtender Faktoren darstellte (BSG Urteil vom 18.10.1994 Az.: 2 Ru 6/94).
Danach konnte die Klägerin, entsprechend der Praxis der Unfallversicherungsträger, wie sie von der
höchstrichterlichen Rechtsprechung gebilligt wurde, zur Ermittlung der Gefahrklassen unter anderem sowohl die
Neulasten als auch einen Teil der Alt- lasten heranziehen. In diesem Rahmen war eine unterschiedliche Gewichtung
der einbezogenen Entschädigungslasten zulässig, wenn sich andernfalls eine ungerechte Verteilung alter Unfalllasten
auf die verschiedenen Unternehmensgruppen oder -teile ergeben würde (BSG SozR 2200 § 731 Nr.1). Konnten aber
grundsätzlich solche Teile der Entschädigungslast in die Bildung der Gefahrklassen miteinbezogen werden, muss dies
auch bezüglich der sog. toten Lasten gelten. Eine gleichmäßige Verteilung der toten Lasten auf alle Unternehmen war
damit möglich, sofern dies nicht dem Sinn des Gesetzes widersprach und im Widerspruch zu den tragenden
Grundsätzen des Versicherungsrechtes, unter anderem der Beachtung des Grades der dem Unternehmenszweig
eigentümlichen Unfallgefahr, stand (BSG SozR 2200 § 731 Nrn.1 und 2).
Als solche Begrenzung kommt der aus dem Versicherungsgedanken resultierende Grundsatz in Betracht, wonach ein
Gewerbezweig eine Gemeinschaft zur Risikoabsicherung bildet, soweit die Risiken in Gestalt der Versicherungsfälle
dieser Gemeinschaft zuzuordnen sind (Kostenverursacherprinzip; vgl. Schulz a.a.O. S.322). Daneben war jedoch
stets anerkannt, dass bei der Ermittlung der Gefahrklasse der aktuellen Entwicklung der Unfallgefahren Rechnung
getragen werden durfte und ggf. musste (BSG SozR 2200 § 731 Nr.1) und die Anreize für Verhütungsmaßnahmen der
Unternehmen umso größer sind, je weniger die Beitragsbelastung Bezug auf in der Vergangenheit entstandene
Entschädigungslasten aufweist (Schulz, Gefahrtarif und Risikoausgleich bei den gewerblichen
Berufsgenossenschaften, Schriftenreihe des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften 1981, S.184
f.). Bei einer entsprechenden Loslösung der Risiken von den Betriebsverhältnissen in den Unternehmen, wie man sie
zunächst bei den Wegeunfällen als gegeben ansah, wurde die gleichmäßige Verteilung der Entschädigungslasten für
rechtmäßig gehalten. Von der konkreten Anwendung auf die Wegeunfälle wurde in der Folge jedoch abgegangen, weil
durchaus Zusammenhänge zwischen Betriebsverhältnissen und Wegeunfalllasten festzustellen waren (Schulz 1981
S.178).
Die toten Lasten weisen nach der nicht zu beanstandeten Einschätzung der Klägerin keinen hinreichenden
versicherungsrechtlichen Bezug zu den derzeit von der Beitragserhebung belasteten Unternehmen mehr aus. Die die
entsprechende Entschädigungslast auslösenden Unternehmen sind, zum Teil seit vielen Jahren, aus der
Zahlergemeinschaft durch Erlöschen ausgeschieden. Die Gewerbezweige ihrerseits, aus denen die Belastungen
resultieren, haben sich im Laufe der Zeit durch den technologischen Wandel und die damit verbundene Änderung der
entsprechenden Tarifstelle in ihrer Zusammensetzung entsprechend verändert. Unter Berücksichtigung des
Gesichtspunktes, dass mit einem Neulasttarif und einer gleichmäßigen Verteilung der toten Lasten die jeweils
aktuellen Gefährdungsrisiken in den Unternehmen den größten Ausschlag bei einer Änderung der Gefahrklasse und
damit den stärksten Anreiz für Unfallverhütungsmaßnahmen geben, durfte deshalb die Vertreterversammlung der
Klägerin in Übereinstimmung mit dem Gesetz die gewählte Berücksichtigung der toten Lasten bei der Ermittlung der
Gefahrklassen beschließen.
Die Neuregelung des § 153 SGB VII durch Gesetz vom 14.08.2005 gebietet keine andere Gesetzesauslegung. Die
Neuregelung gilt ab 18.08.2005 und betrifft nicht § 157 Abs.3 SGB VII. Selbst wenn ihr eine authentische
Gesetzesinterpretation für die Vergangenheit zu entnehmen wäre, beträfe diese nicht den Regelungsspielraum des §
157 Abs.3 SGB VII. Die neue Regelung betrifft das Lastenausgleichsverfahren zwischen den
Berufsgenossenschaften und macht eine mögliche Begünstigung einer Berufsgenossenschaft davon abhängig, dass
sie in der in § 153 Abs.4 SGB VII normierten Weise zuvor einen Teil der Rentenaltlasten ohne Berücksichtigung des
Grades der Unfallgefahr allein entgeltbezogen auf ihre Mitgliedsunternehmen umgelegt hat (Bundestagsdrucksache
15/5669 S.5). Sie sagt nichts darüber aus, ob eine Berufsgenossenschaft einen solchen internen Solidarausgleich
auch bei der Bildung der Gefahrklassen vornehmen darf.
Da die übrigen Beanstandungen des Gefahrtarifs in den angefochtenen Bescheiden nach Aussagen der Beklagten die
Befristungen der Genehmigungen nicht getragen hätten und allein ihretwegen auch nicht ausgesprochen worden
wären, bilden sie für sich keine hinreichende Rechtsgrundlage für die von der Klägerin angefochtenen
Nebenbestimmungen. Die Befristungen waren deshalb aufzuheben.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 Abs.4 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.