Urteil des LSG Bayern vom 21.05.2003

LSG Bayern: mitgliedschaft, unternehmen, einzelfirma, anfechtungsklage, verwaltungsakt, satzung, rechtswidrigkeit, offenkundig, nichtigkeit, unrichtigkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 21.05.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 2 U 75/97
Bayerisches Landessozialgericht L 17 U 348/99
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.07.1999 und die Bescheide
vom 19.10.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1997 aufgehoben. II. Die Beklagte hat dem
Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger Mitglied bei der Beklagten ist.
Der Kläger betrieb seit 01.07.1982 zusammen mit seiner Ehefrau die Firma O. GmbH in N ... Gegenstand des
Unternehmens war "Holzeinschlag und Holzhandel". Die Firma war laut Aufnahmebescheid vom 28.10.1982 Mitglied
der Beklagten. Am 21.02.1994 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass das Unternehmen für dauernd eingestellt sei.
Daraufhin beendete die Beklagte mit bindendem Bescheid vom 17.03.1994 die Mitgliedschaft und löschte das
Unternehmen im Unternehmerverzeichnis zum 31.12.1993.
Am 04.03.1993 übersandte der Kläger der Beigeladenen eine Gewerbeanmeldung für ein "Forstunternehmen,
Holzeinschläge, Forstarbeiten, Großhandel mit Rundholz" zum 01.10.1992 mit Arbeitsaufnahme am 01.07.1993. Die
Beigeladene nahm sodann mit Bescheid vom 26.04.1994 das "forstwirtschaftliche Lohnunternehmen" in das
Unternehmerverzeichnis auf und erhob Beiträge ab 01.07.1993.
Aufgrund einer Unfallmeldung im Juli 1995 nahm die Beklagte Ermittlungen zur Frage einer Betriebsfortführung der
Firma O. GmbH durch die Einzelfirma B. O. auf. Da durch die Einzelfirma B. O. Arbeitnehmer der Firma O. GmbH laut
Auskunft der AOK Bayern vom 18.07.1995 übernommen worden waren, erließ die Beklagte am 19.10.1995 einen
Aufnahmebescheid und einen Veranlagungsbescheid.
Gegen diese Bescheide erhob der Kläger am 27.11.1995 Widerspruch. Die Firma O. GmbH sei ordnungsgemäß
abgewickelt worden. Mit Widerspruchsbescheid vom 24.02.1997 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die
Mitteilung des Klägers, die Firma O. GmbH sei eingestellt worden, sei unrichtig gewesen. Es hätte eine Überweisung
durch sie an die Beigeladene erfolgen müssen. Der Löschungsbescheid vom 17.03.1994 sei aufgrund unzutreffender
Angaben des Klägers erfolgt. Bis zum Zeitpunkt der Beendigung der Mitgliedschaft durch Überweisung stünden ihr
Beiträge zu.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben und beantragt, "den
Aufnahmebescheid der Beklagten vom 19.10.1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1997 aufzuheben". Er
hat dargelegt, die Firma O. GmbH, die hauptsächlich mit Holzhandel beschäftigt gewesen sei, sei ordnungsgemäß
liquidiert worden. Die Firma B. O. betreibe Holzrücken und Holzeinschlag dh Lohnarbeiten. Zuständig sei die
Beigeladene. Die Beklagte trug vor, Art der Tätigkeit und Aufnahme der Arbeiten wiesen darauf hin, dass das
vormalige Unternehmen der Firma O. GmbH ab 01.07.1993 zeitlich unmittelbar durch den Kläger als Nachfolger
fortgeführt worden sei. Dies werde bestätigt durch die Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern. Eine Eintragung bei
der Beigeladenen hätte der vorgehenden Überweisung bedurft und sei deshalb unwirksam. Das SG hat mit Beschluss
vom 08.01.1998 die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Franken und Oberbayern, Regionaldirektion Bayreuth
zum Verfahren beigeladen und mit Urteil vom 15.07.1999 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
der Aufnahmebescheid vom 19.10.1995 sei nicht zu beanstanden. Der Kläger habe mit seiner neuen Firma unter
Beibehaltung der letztlich gleichen Tätigkeit mit einigen ehemaligen Mitarbeitern den Betrieb der Firma O. GmbH
fortgesetzt. Der Kläger sei daher ab 01.07.1993 weiterhin als Mitglied der Beklagten zu führen.
Gegen dieses Urteil haben der Kläger und die Beigeladene Berufung eingelegt. Die Beigeladene hat darauf
hingewiesen, dass bereits zum 01.10.1992 eine Gewerbeanmeldung für die Einzelfirma B. O. erfolgt sei, die Firma O.
GmbH sei aufgrund Liquidation erst zum 31.12.1993 gewerbeamtlich abgemeldet und von der Beklagten im
Unternehmerverzeichnis gelöscht worden. Es seien zwar geringe Teile der Betriebseinrichtung übernommen worden,
jedoch keine Betriebseinrichtungen bzw Maschinen und Geräte, die auf eine Betriebsfortführung schließen ließen.
Dass der Kläger bei der Neuerrichtung seines Betriebes auf ihn bekannte Arbeitskräfte zurückgegriffen habe und
darüber hinaus auch auf Geschäftsbeziehungen der liquidierten GmbH, sei nachvollziehbar.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.07.1999 und die Bescheide vom 19.10.1995 idF
des Widerspruchsbescheides vom 24.02.1997 aufzuheben.
Die Beigeladene schließt sich dem Antrag des Klägers an.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers und der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg
vom 15.07.1999 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die
Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Das Widerspruchsverfahren gemäß §§ 78 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist
ordnungsgemäß durchgeführt worden. Zwar hat der Kläger die Widerspruchsfrist versäumt, diese Fristversäumnis ist
jedoch dadurch, dass die Beklagte sich im Widerspruchsbescheid vom 24.02.1997 sachlich eingelassen hat, geheilt
(Meyer-Ladewig Kommentar zum SGG § 84 Anm 7).
Die Berufung ist auch begründet.
Das Urteil des SG Nürnberg vom 15.07.1999 und die angefochtenen Bescheide vom 19.10.1995 sind aufzuheben. Der
(Wieder)-aufnahme der Einzelfirma O. in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten steht ihre formelle Mitgliedschaft
bei der Beigeladenen entgegen.
Vorliegend sind noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden. Das am 01.01.1997 in
Kraft getretene Sozialgesetzbuch (SGB) VII ist nicht auf den vor seinem In-Kraft-Treten erlassenen angefochtenen
Bescheid anzuwenden, weil er mit einer isolierten Anfechtungsklage angegriffen worden ist, bei der grundsätzlich die
Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes maßgebend ist (SozR 3-
2200 § 664 RVO Nr 2). Der Kläger wendet sich mit seiner Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 1 SGG gegen die
Aufnahme in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten. Da die Aufnahme für ihn die durch Satzung und Gesetz
begründeten Pflichten entstehen lässt, liegt ein Verwaltungsakt vor (BSGE 32, 218; 38, 187, 191). Der Kläger begehrt
die Aufhebung dieses Verwaltungsaktes.
Der angefochtene Verwaltungsakt ist aufzuheben, weil die Aufnahme des Klägers mit dem Unternehmen
"Holzeinschlag/Holzhandel" in das Unternehmerverzeichnis der Beklagten nicht rechtmäßig ist.
Der Kläger war seit 1982 mit seinem Unternehmen der Firma O. GmbH materiell und formell Mitglied der Beklagten
gemäß §§ 659 Abs 1, 664 Abs 1 RVO. Die formelle Mitgliedschaft war dadurch, dass die Beklagte den Kläger in ihrem
Unternehmerverzeichnis mit bindendem Bescheid vom 17.03.1994 gelöscht hat, gemäß § 667 Abs 2 RVO beendet.
Ob auch die materielle Mitgliedschaft beendet war - sie endet mit der Einstellung des Betriebs, die nicht vorliegt bei
einer Betriebsfortführung durch andere (Kasseler Kommentar - Ricke - § 667 RVO Anm 7) -, kann im vorliegenden Fall
dahingestellt bleiben. Denn selbst wenn eine Betriebsfortführung vorläge und damit eine irrtümliche Löschung durch
die Beklagte mit der Folge, dass weiterhin eine materielle Mitgliedschaft des Klägers bei ihr bestünde, hätte die
Beklagte nicht den streitigen Aufnahmebescheid vom 19.10.1995 erlassen dürfen. Zu dieser Zeit nämlich war der
Kläger bereits bei der Beigeladenen formell als Mitglied aufgenommen worden. Die Aufnahme mit bindendem
Bescheid vom 26.04.1994 war wirksam. Auch eine irrtümliche Aufnahme trotz fehlender sachlicher Zuständigkeit wird
bei fehlender Anfechtung wirksam (aaO § 664 RVO Nr 5). Es kam infolgedessen eine Formalversicherung des Klägers
bei der Beigeladenen zustande, nachdem der Mitgliedsschein zugestellt war und die Beigeladene Beiträge erhoben
und angenommen hatte (aaO). Eine erneute Aufnahme durch die Beklagte war nun nicht mehr möglich. Eine
Aufnahme ist unzulässig, wenn ein Unternehmen bereits bei einem anderen Unfallversicherungsträger formell als
Mitglied aufgenommen ist (BSG SozR 3-2200 § 664 Nr 2). Eine Doppelmitgliedschaft widerspricht dem Prinzip der
Katasterstetigkeit. Der dennoch erteilte zweite Aufnahmebescheid ist nach § 40 Abs 1 SGB X nichtig, denn er leidet
an einem besonders schwerwiegenden Fehler, der bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände
auch offenkundig war (so auch Graeff in Hauck, K § 136 SGB VII RdNr 13 mwN). Die Beklagte hat die Unterlagen der
Beigeladenen vor der Bescheiderteilung nämlich eingesehen und hatte daher von der formalen Mitgliedschaft des
Klägers bei der Beigeladenen Kenntnis. Der Kläger kann die Feststellung der Nichtigkeit des Aufnahmebescheides,
aber auch - wie hier - seine Aufhebung mittels Anfechtungsklage verlangen (Meyer-Ladewig aaO, nach § 54 RdNr 27
und § 55 RdNr 14 a).
Eine etwaige Unrichtigkeit der Eintragung und ihre Korrektur gemäß § 664 Abs 3 SGG ist hier nicht Gegenstand des
Rechtsstreits. Auf die Möglichkeit der Anfechtung des Aufnahmebescheids der Beigeladenen durch die Beklagte
kommt es mangels tatsächlich erfolgter Anfechtung nicht an (ebenso BSG aaO).
Der Aufnahmebescheid und der Veranlagungsbescheid waren daher aufzuheben. Die Rechtswidrigkeit des
Veranlagungsbescheides resultiert bereits aus der fehlenden Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht.