Urteil des LSG Bayern vom 09.10.2002

LSG Bayern: kaufmännischer angestellter, rente, erwerbsfähigkeit, berufsunfähigkeit, erwerbsunfähigkeit, minderung, arbeitslosigkeit, unfallfolgen, defizit, leistungsbezug

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 09.10.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 11 RA 276/00
Bayerisches Landessozialgericht L 13 RA 39/02
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19. Oktober 2001 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund
Antrags vom 26.11. 1999 streitig.
Der am 1941 geborene Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland.
Vom Versorgungsamt Regensburg ist bei ihm ein GdB von 40 anerkannt, ein Neufeststellungsantrag vom 06.08.2000
wurde abgelehnt. Ein erster Rentenantrag des Klägers vom 12.02.1998 war mit Bescheid der Beklagten vom
14.08.1998 abgelehnt worden, da der Kläger noch für fähig erachtet wurde, leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten.
Am 26.11.1999 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Er
gab dabei an, nach Absolvierung einer kaufmännischen Lehre in verschiedenen Berufen tätig gewesen zu sein, zuletzt
als Verkäufer und Berater sowie Filialleiter im Reifenhandel bis Mai 1991. Von Februar 1995 bis Dezember 1997 sei er
selbständig im Reifendienst tätig gewesen.
Mit Bescheid vom 07.01.2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die besonderen versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nach dem beigefügten Versicherungsverlauf hat der Kläger die Zeit vom
01.01.1984 bis 31.05.1991 durchgehend mit Pflichtbeiträgen belegt. Von Juni 1991 bis Dezember 1991 sind Zeiten der
Arbeitslosigkeit vorgemerkt, ab 01.01.1992 bis 31.01.1995 Pflichtbeiträge wegen Arbeitslosigkeit. Ab 13.01.1998 sind
wieder Zeiten der Arbeitslosigkeit, jedoch ohne Leistungsbezug und ohne Anrechnung vorgemerkt. In Österreich hat
der Kläger Versicherungszeiten von 1955 bis 1964 zurückgelegt (111 Monate). Auf den Widerspruch des Klägers holte
die Beklagte ein chirurgisch-sozialmedizinisches Gutachten vom 16.03.2000 ein, worin zusammenfassend ausgeführt
wird, dem Kläger seien ab Antragstellung keine Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert mehr zumutbar. Mit Bescheid
vom 29.05.2000 lehnte die Beklagte den Rentenantrag erneut ab mit der Begründung, der Kläger sei zwar seit
26.11.1999 berufs- bzw. erwerbsunfähig, habe im maßgebenden Zeitraum vom 26.11.1994 bis 25.11.1999 nur drei
Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Die Beklagte zog im fortgeführten Widerspruchsverfahren ein Gutachten aus
einem Verwaltungsverfahren bei der BG der Chemischen Industrie bei, worin zusammenfassend ausgeführt ist, nach
Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit ab 17.09.1989 sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Unfallfolgen auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt mit 10 v.H. anzusetzen. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2000 wies die Beklagte den
Widerspruch des Klägers daraufhin als unbegründet zurück.
Dagegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgerichts Regensburg und führte im Wesentlichen aus, ihm stehe die
Rente zu, da er sich nur deshalb selbständig gemacht habe und in der Folge mangels Gewinn keine Beiträge
entrichtet habe, um nicht auf das Arbeitsamt bzw. auf Sozialleistungen zurückgreifen zu müssen. Das Sozialgericht
zog einen Befundbericht des behandelnden Arztes bei, der zahlreiche Originalbefunde beifügte, und holte ein
Terminsgutachten des Dr.G. , Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 28.06.2001 ein. Dieser führte
zusammenfassend aus, beim Kläger bestünden derzeit keine Hinweise auf eine belangvolle Erkrankung auf
neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Das Sozialgericht holte weiter ein orthopädisches Gutachten des Dr.H.
vom 21.08.2001 ein. Dieser stellte folgende Gesundheitsstörungen fest: Lokales Lumbalsyndrom nach wiederholten
operativen Eingriffen ohne bedeutsames neurologisches Defizit, leichte Einschränkungen einzelner Gelenke der
oberen Extremitäten, Streckdefizit beider Kniegelenke, Einschränkungen der Sprunggelenksbeweglichkeit beidseits,
geringfügige Folgen einer alten Beinvenenthrombose links.
Der Kläger sei noch in der Lage, vollschichtig leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten. Nicht
mehr zumutbar seien schwere oder mittelschwere Arbeiten.
Mit Urteil vom 19.10.2001 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf
Gewährung von Versichertenrente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit, da er in seinem Beruf als kaufmännischer
Angestellter noch vollschichtige Tätigkeiten verrichten könne. Selbst wenn der Kläger berufs- oder erwerbsunfähig ab
Antragstellung wäre, hätte er keinen Anspruch auf Rente, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht
erfüllt seien.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers, zu deren Begründung er im Wesentlichen ausführt, er habe auch nach
seiner zweiten Bandscheibenoperation noch Schmerzen, welche sich in den Beinen bemerkbar machten, wenn er nur
100 bis 200 m gehe.
Der Senat holte ein orthopädisches Gutachten des Dr.G. vom 17.07.2000 ein, der folgende Gesundheitsstörungen
feststellte: 1. Chronisch-degeneratives Lumbalsyndrom bei Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation und
konsekutivem Aufbau der Bandscheibe mit begleitend resultierender deutlicher Facettgelenksarthrose.
Lumbalgieformes und pseudoradikuläres Schmerzsyndrom mit anhaltender Funktionsbehinderung bei häufig
rezidivierenden stärkeren und länger anhaltenden Muskelreizerscheinungen, keine Nervenreizerscheinungen, kein
neurologisches Defizit. 2. Status nach operativ versorgter Kniescheibenfraktur beidseitig, ohne bleibende wesentliche
Funktionsbehinderung bei geringgradigem Beugedefizit. 3. Status nach sogenannter Distensionsarthroskopie des
linken Schultergelens vom 03.08.2000 bei idiopathischer Schultersteife linksseitig mit noch resultierendem mäßigem
Bewegungsdefizit, vornehmlich im Bereich der Rotation ohne wesentliche Funktionseinschränkungen. 4. Status nach
kindlicher Calcaneusfraktur mit operativer Versorgung.
Der Kläger könne seit Oktober 1999 Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses
vollschichtig verrichten. Es seien noch leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen oder mit regelmäßigem
Lagewechsel zwischen Stehen, Sitzen und Gehen möglich. Nicht mehr möglich sei das Heben und Tragen von
Gegenständen über 5 kg, Tätigkeiten in gebückter Haltung oder solche, die mit regelmäßigem Bücken verbunden
seien, ferner Arbeiten unter Akkord, im Freien, unter Nässe sowie mit Zugluft. Die geforderten Wege zu Fuß zur
Arbeitsstätte von 500 m seien gut zurückzulegen.
Der Kläger konnte sich mit diesem Begutachtungsergebnis nicht einverstanden erklären und verwies darauf, dass er
über 20 Jahre im Reifenmontagegeschäft tätig gewesen sei, das mit Heben und Tragen zu tun habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19.10.2001 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der
Bescheide vom 27.01.2000 und vom 29.05.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2000 zu
verurteilen, ihm auf den Antrag vom 26.11.1999 Rente wegen Erwerbs- hilfsweise Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Schwerbehindertenakte des
Versorgungsamtes Regensburg, der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist gemäß den §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
zulässig, jedoch sachlich unbegründet, da das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.
Das Sozialgericht hat zutreffend einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit verneint,
da dieser jedenfalls im Zeitpunkt der Untersuchungen durch die gehörten gerichtlichen Sachverständigen im Jahre
2001 und auch vorher nicht wenigstens berufsunfähig war. Zu Recht ist das Sozialgericht auch von einem
Berufsschutz des Klägers als kaufmännischer Angestellter ausgegangen und hat ihn in die Gruppe der Angestellten
mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren eingeordnet. Die Tätigkeit eines kaufmännischen Angestellten kann
der Kläger jedoch nach den Feststellungen der gehörten Sachverständigen ohne wesentliche Einschränkung
verrichten. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob er bei seiner Tätigkeit im Reifenhandel als Verkäufer,
Berater und Filialleiter auch selbst körperlich mitgearbeitet hat. Er kann jedenfalls den rein kaufmännischen Teil des
ausgeübten Berufes noch weiterhin vollschichtig verrichten. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des
Sozialgerichts an und nimmt Bezug auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs.2 SGG).
Ergänzend ist unter Berücksichtigung des im Berufungsverfahrens eingeholten weiteren orthopädischen
Fachgutachtens auszuführen, dass auch hierdurch eine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht möglich
ist. Dr.G. , der dem Senat als besonders erfahrener Gutachter bekannt ist, hat nach gründlicher Untersuchung des
Klägers und Auswertung des Vorbefundmaterials widerspruchsfrei festgestellt, dass dem Kläger noch leichte
überwiegend im Sitzen zu verrichtende Tätigkeiten vollschichtig möglich sind. Die beschriebenen qualitativen
Leistungseinschränkungen wie zeitweiser Wechsel der Körperhaltung, kein Heben und Tragen von Gegenständen über
5 kg, keine Tätigkeiten in gebückter Haltung oder mit regelmäßigen Bücken, keine Arbeiten unter Akkord, im Freien,
unter Nässe sowie mit Zugluft schließen eine Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter im Büro nicht aus.
Abgesehen von der im Ersturteil zu Recht verneinten Frage, ob beim Kläger zumindest Berufsunfähigkeit vorliegt,
könnte die Rente auch deswegen nicht gewährt werden, weil die besonderen versicherungsrechtlichen
Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Der Anspruch des Klägers beurteilt sich dabei nach den §§ 43, 44, 240, 241 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) in der bis
31.12. 2000 geltenden Fassung (§ 300 Abs.2 SGB VI). Bezüglich der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ist
durch die zum 01.01.2001 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelungen insoweit keine Änderung eingetreten.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen wären nur dann erfüllt, a) wenn der Leistungsfall spätestens im Jahre
1984 eingetreten wäre (§ 240 Abs.2 SGB VI) oder b) wenn die Zeit ab 01.01.1984 bis zum etwaigen Eintrittt von
Berufsunfähigkeit mit Anwartschaftserhaltungszeiten voll belegt oder noch belegbar wäre (§ 240 Abs.2 SGB VI) oder
c) wenn die letzten fünf Jahre vor Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens drei Jahren Pflichtbei-
trägen belegt wären (§ 43 Abs.1 Nr.2 und Abs.3 SGB VI) oder d) wenn die Berufsunfähigkeit aufgrund eines
Tatbestandes ein- treten wäre, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt wäre (§§ 43 Abs.4, 53 SGB VI).
Keine dieser Voraussetzungen liegt beim Kläger vor.
Der Eintritt eines Leistungsfalles noch im Jahre 1984 läßt sich schon deswegen nicht begründen, weil der Kläger noch
bis mindestens Mai 1991 versicherungspflichtig beschäftigt und von Februar 1995 bis Dezember 1997 selbständig
erwerbstätig war. Ferner ist eine lückenlose Belegung der Zeit ab 01.01.1984 mit Beiträgen bzw.
Anwartschaftserhaltungszeiten nicht gegeben und auch nicht mehr herzustellen. Für den Kläger wurde im Januar 1995
der letzte Pflichtbeitrag aufgrund Leistungsbezug wegen Arbeitslosigkeit geleistet. Nach diesem Zeitpunkt liegen
weitere rentenrechtliche Zeiten (§§ 54 ff. SGB VI) nicht vor. Die nachträgliche Entrichtung freiwilliger Beiträge ist nicht
möglich, da die Frist des § 197 Abs.2 SGB VI abgelaufen ist.
Der Kläger hat auch nicht die letzten fünf Jahre vor einem möglichen Eintritt einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet. Ausgehend vom
Versicherungsverlauf vom 02.11.2000 hätte der Leistungsfall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit beim Kläger bis
Januar 1997 eintreten müssen, damit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt gewesen wären.
Abgesehen davon, dass die Beweiserhebung des Erstgerichts und des Senats den Eintritt von Berufs- bzw.
Erwerbsunfähigkeit nicht ergeben haben, war der Kläger noch bis Ende 1997 selbständig erwerbstätig.
Letztlich liegt auch ein Tatbestand der in § 53 SGB VI genannten Art, der ursächlich für eine etwaige
Berufsunfähigkeit sein könnte, nicht vor. Zwar hat der Kläger im Jahre 1989 einen Arbeitsunfall erlitten (§ 53 Abs.1
Satz 1 Nr.1 SGB VI), doch sind die noch bestehenden Folgen des Arbeitsunfalls nach den vorliegenden Gutachten
nicht so schwerwiegend, dass sich hieraus eine wesentliche Minderung der Erwerbsunfähigkeit ableiten ließe. Auf
internistischem Fachgebiet wurde im Juli 1990 festgestellt, dass aufgrund der Unfallfolgen eine MdE von 10 v.H. auf
Dauer für gerechtfertigt gehalten werde. Orthopädischerseits bestehen keine Unfallfolgen, die eine Minderung der
Erwerbsfähigkeit bedeuten. Dies ergibt sich aus den in der Schwerbehindertenakte befindlichen Gutachten des
Prof.Dr.M. vom 26.06.1990 und des Prof.Dr.N. vom 08.08.1990.
Die Entscheidung des Sozialgerichts ist nach alldem nicht zu beanstanden, weshalb die Berufung als unbegründet
zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, gemäß § 160 Abs.2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.