Urteil des LSG Bayern vom 03.01.2007

LSG Bayern: steuerstrafverfahren, gesellschafter, vertretung, nachforderung, ausführung, verjährungsfrist, auflage, unterliegen, arbeitgeberhaftung, obsiegen

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 03.01.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 8 R 11/06
Bayerisches Landessozialgericht L 5 B 834/06 KR PKH
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 09.08.2006 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe in einem Klageverfahren wegen Beitragsnachforderungen auf Grund einer
Betriebsprüfung.
Die 1944 geborene Klägerin betrieb Ende der 90er-Jahre bis 2001 in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts zusammen mit der 1974 geborenen S. M. die "M. und K. GbR". Geschäftsgegenstand war die Durchführung
von Gebäudereinigungsarbeiten. In Auswertung der Akten eines Steuerstrafverfahrens forderte die Beklagte auf Grund
einer Betriebsprüfung mit Bescheid vom 23.03.2005/Widerspruchsbescheid vom 08.12.2005 von der Klägerin als (Mit-
)Arbeitgeberin Gesamtsozialversicherungsbeiträge einschließlich Säumniszuschläge in Höhe von EUR 259.901,20 für
den Zeitraum Januar 1999 bis Mai 2001 nach. Die M. und K. GbR habe in dieser Zeit nach den Feststellungen im
Steuerstrafverfahren Umsätze von ca. 977.000,00 DM erzielt, obgleich nur drei Arbeitnehmer als beschäftigt gemeldet
gewesen seien. Zudem hätten die Ermittlungen ergeben, dass drei angebliche Subunternehmer der M. und K. GbR ein
Tätigwerden für diese bestritten. Auf Grund dieses Sachverhaltes setzte die Beklagte mit Summenbeitragsbescheid
die Nachforderung fest, wobei sie von den üblichen Arbeitszeiten und Arbeitsentgelten ausging.
Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben und Prozesskostenhilfe beantragt. Sie sei zum einen mittellos, zum anderen
biete die Rechtsverfolgung ausreichend Aussicht auf Erfolg, weil sie als Minderheitsgesellschafterin der BGB-
Gesellschaft für deren Verbindlichkeiten nicht haften dürfe. Sie sei als Gebäudereinigungsmeisterin lediglich für die
tatsächliche Ausführung der Arbeiten zuständig gewesen, während sämtliche kaufmännischen Tätigkeiten die
Mehrheitsgesellschafterin M. allein ausgeführt habe. Von deren Machenschaften habe sie - die Klägerin - nichts
gewusst. Entsprechend sei das Strafverfahren gegen sie bereits eingestellt worden. Die Finanzbehörden hätten von
der Nachforderung von Steuern abgesehen. Sie könne deshalb nicht für Sozialversicherungsschulden der
Gesellschaft haften. Zudem seien die Forderungen verjährt.
Mit Beschluss vom 09.08.2006 hat das Sozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht
abgelehnt, weil die Klägerin als Mitgesellschafterin der Arbeitgeberin für deren Schulden hafte. Verjährung sei nicht
eingetreten, weil die Klägerin durch das Steuerstrafverfahren rechtzeitig vor Verjährungseintritt positive Kenntnis von
der Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge erlangt habe.
Dagegen hat die Klägerin Beschwerde eingelegt, nochmals auf ihre Mittellosigkeit hingewiesen, das bisherige
Vorbringen wiederholt und betont, sie sei nicht in der Lage, die fälligen Gerichtskosten für das Klageverfahren
aufzubringen und werde deshalb durch die Versagung der Prozesskostenhilfe der Möglichkeit beraubt, sich gegen die
Forderung der Beklagten zu wehren. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sei deshalb zur Herstellung der
Waffengleichheit mit der Beklagten Prozesskostenhilfe zu gewähren. Zudem habe die Klägerin faktisch nicht als
Gesellschafterin fungiert, sämtliche Zahlungsvorgänge seien über Konten der Mitgesellschafterin M. geflossen.
Betriebswirtschaftlich-kaufmännisch habe diese der Klägerin nichts mitgeteilt. Im Übrigen könne die Klägerin nach der
sog. Doppelverpflichtungstheorie nicht für die Schulden der Gesellschaft haften.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig
(§§ 172, 173, 73a SGG i.V.m. § 127 Abs.2 Satz 2 ZPO), jedoch unbegründet.
Prozesskostenhilfe erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten
der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, soweit die beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs.1 Satz 1 SGG, §§
114 ff. ZPO). In diesem Rahmen wird den Beteiligten ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl
beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen
Rechtsanwalt vertreten ist (§ 121 Abs.2 ZPO).
Ungeachtet der Bedürftigkeit der Klägerin und der Erforderlichkeit, ihr einen Rechtsanwalt beizuordnen, fehlt es für die
beabsichtigte Rechtsverfolgung im Klageverfahren an einer hinreichenden Aussicht auf Erfolg, wie das Sozialgericht
zutreffend festgestellt hat.
Die Prozesskostenhilfe soll das Gebot der Rechtsschutzgleichheit, das aus Art.3 Abs.1 i.V.m. Art.19 Abs.4 GG folgt,
verwirklichen, indem sie Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichstellt (vgl.
Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 14.10.2003 - 1 BvR 901/03). Da dieses Verfahren den grundgesetzlich
gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bietet, sondern erst zugänglich macht, dürfen die Anforderungen insoweit nicht
überspannt werden. Die hinreichende Erfolgsaussicht ist jedoch unbestreitbar gesetzliche Voraussetzung, damit nicht
Unbemittelte bessergestellt werden als Bemittelte, die bei vernünftiger Abwägung der Erfolgsaussichten ein
Klageverfahren nicht anstrengen würden.
Vor diesem Hintergrund ist hinreichende Erfolgsaussicht im Rahmen eines summarischen Prüfungsverfahrens
anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers auf Grund der Sachverhaltschilderung und der
vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der
Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist und ein Obsiegen ebenso für wahrscheinlich hält wie ein Unterliegen
(Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage, § 73a Rz.7 m.w.N.).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass die Klägerin unzweifelhaft an der M. und K. GbR beteiligt war,
welche im fraglichen Zeitraum Umsätze fast in Millionenhöhe durch Gebäudereinigungsarbeiten erzielt hat. Weil diese
Umsätze durch die Gesellschafter selbst sowie durch angegebene Arbeitnehmer allein nicht getätigt werden konnten,
war die Beklagte in Auswertung der Strafakten berechtigt, von der Beschäftigung mehrerer Arbeitnehmer auszugehen,
die entsprechenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge im Rahmen eines Summenbeitragsbescheides zu schätzen
sowie unter Anwendung sachgerechter Maßstäbe auf insgesamt 259.901,20 EUR einschließlich Säumniszuschläge
festzulegen. Dabei durfte die Beklagte für die Beiträge, die der Arbeitgeber gesetzlich schuldet und für die er haftet,
auf die Klägerin zurückgreifen. Denn es handelt sich insoweit um Verbindlichkeiten der Gesellschaft bürgerlichen
Rechts M. und K. GbR. Für diese haftet die Klägerin auch nach der neueren Rechtsprechung der Zivilgerichte
insbesondere des BGH als (Mit-)Gesellschafterin jedenfalls akzessorisch. Sie kann sich dabei nicht darauf berufen,
von unredlichem und rechtswidrigemVerhalten der (Mit-)Gesellschafterin M. nichts gewusst zu haben. Denn zum
einen war die Klägerin für die tatsächliche Ausführung der Reinigungsarbeiten zuständig, sie hat damit jedenfalls
gegenüber den tätigen Personen die Funktion des weisungserteilenden Arbeitgebers vor Ort wahrgenommen. Sie kann
sich in der Folge nicht damit exkulpieren, dass sie sich um die rechtliche, betriebswirtschaftliche und finanzielle
Abwicklung der Arbeitgeberpflichten nicht gekümmert habe, weil dafür ausschließlich die (Mit-)Gesellschafterin M.
zuständig gewesen sei. Andernfalls könnte sich der gesetzlichen Arbeitgeberhaftung entledigen, wer seine
Arbeitgeberpflichten auf einen (Mit-)Gesellschafter oder anderweitig überträgt und diesen - wie die Klägerin nach ihrem
Vortrag die (Mit-)Gesellschafterin M. - ohne jedwede Kontrolle nach freien Stücken schalten und walten lässt.
Dass das Strafverfahren gegenüber der Klägerin eingestellt wurde und die Finanzbehörden mangels Vermögen der
Klägerin auf die Vollstreckung von Steuerschulden verzichtet haben, bleibt für die Frage der Erfolgsaussicht der Klage
ohne Belang. Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht auf Verjährung berufen, weil sie vor Ablauf der vierjährigen
Verjährungsfrist durch das Steuerstrafverfahren ausreichende Kenntnis von den möglichen Beitragsschulden erlangt
hatte.
Die Beschwerde war deshalb zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar und ergeht kostenfrei (§§ 177, 183 SGG).