Urteil des LSG Bayern vom 31.07.2007

LSG Bayern: operation, behandlung, krankengymnastik, makromastie, entstellung, form, entlastung, ptosis, skoliose, psychotherapie

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 31.07.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 15 KR 231/05
Bayerisches Landessozialgericht L 5 KR 191/06
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.04.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Kostenerstattung in Höhe von 4.575,57 EUR nebst Zinsen wegen einer im März 2005
durchgeführten Mammareduktionsplastik.
Die 1987 geborene Klägerin, die familienversichert ist, beantragte am 22.11.2004 die Kostenübernahme für die für den
18.03.2005 vorgemerkte Operation. Der Allgemeinarzt Dr.M. hatte ihr bereits am 07.05.2004 bescheinigt, wegen
Hypertrophie beider Mammae tägliche Beschwerden von Seiten der gesamten Wirbelsäule zu haben. Eine spezifische
Behandlung der Beschwerden vor allem im Schulter-Armbereich beiderseits sei ohne entsprechende Reduktion der
Mammae kaum erfolgversprechend. Der plastische Chirurg Dr.S. diagnostizierte eine Makromastie beidseits. Bei der
Untersuchung am 17.12.2004 durch Dr.P. vom MDK stellte diese fest, neben einem adäquat gut stützenden BH sei
dringend sportliche Betätigung in Form von Krankengymnastik und ambulante Psychotherapie zu empfehlen. Im
Vordergrund stünden kosmetische Probleme. Daraufhin lehnte die Beklagte den Antrag am 23.12.2004 ab.
Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin ein Schreiben des Dr.S. vom 24.01.2005 vor, wonach die Entscheidung
des MDK nicht nachvollziehbar sei. Die Erfahrung zeige, dass bei einer Makromastie (Dr.P. hatte lediglich eine Ptosis
diagnostiziert) mit krankengymnastischen Maßnahmen wenig zu erreichen sei. In einem weiteren Schreiben der
Evang. Beratungsstelle vom 03.01.2005 heißt es, für die Klägerin sei es undenkbar, sich mit ihrer ungewöhnlichen
Oberweite zu arrangieren. Nach einem anonymen Übergriff aufgrund ihrer großen Oberweite und mehrjähriger
Befassung mit der jetzt getroffenen Entscheidung sei die Brustoperation wohlüberlegt. Nachdem der MDK hieraus
keine neuen Erkenntnisse gewinnen konnte, lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme erneut am
22.02.2005 ab. Nach Eingang eines weiteren Widerspruchs beauftragte die Beklagte erneut den MDK mit einem
Gutachten nach ambulanter Untersuchung. Vorgelegt wurde dabei Herrn Dr.U. ein Schreiben der Nervenärztin R. vom
14.03.2005, wonach die psychotherapeutischen Möglichkeiten ausgereizt seien. Die Operation sei notwendig, um der
sozialen Ausgrenzung vorzubeugen. Dr.U. beschrieb unauffällige Mammae, die sich größenmäßig im Normbereich
befänden mit natürlicher Ptosis 2.Grades. Die Brustgröße falle dem neutralen Betrachter nicht störend auf. Durch die
Fixierung auf die vermeintlich zu großen Brüste sei von einer Störung im Selbstwertgefühl auszugehen. Die geklagten
Wirbelsäulenbeschwerden seien nicht Folge der Brustgröße.
Die Beklagte wies den Widerspruch am 19.05.2005 zurück. Eine Kostenübernahme für Eingriffe in regelrechte
Körperzustände komme auch bei psychischen Störungen in der Folge nicht in Betracht. Im Übrigen sei kein
Ursachenzusammenhang zwischen den Wirbelsäulenbeschwerden und Brustgröße nachgewiesen.
Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben und geltend gemacht, trotz konsequenter sportlicher Betätigung habe sie
unter Beschwerden gelitten. Trotz jahrelanger Gespräche mit der Psychiaterin hätten psychische Störungen
vorgelegen, die sich durch den anonymen Übergriff verstärkt hätten. Die Brustgröße sei nicht im Normbereich und die
vorliegende psychiatrische Problematik stehe im Vordergrund. In der mündlichen Verhandlung am 18.04.2006 hat die
Klägerin angegeben, vor der Operation nicht in orthopädischer Behandlung gewesen zu sein. Der Hausarzt M. habe
Entsprechendes nicht empfohlen.
Das Sozialgericht hat die Klage am 18.04.2006 abgewiesen. Nach höchstrichterliche Rechtsprechung liege eine
Operation am gesunden Körper zur Beeinflussung psychischer Leiden in der Eigenverantwortung der Versicherten. Im
Hinblick auf Größe, Gewicht und Aussehen der weiblichen Brust gebe es eine große Schwankungsbreite, weshalb
angesichts des erwarteten Resektionsgewichts von 600 Gramm je Seite nicht auf eine Krankheit geschlossen werden
könne. Psychische Störungen könnten nur mit den Mitteln der Psychotherapie behandelt werden. Orthopädischen
Beschwerden sei in erster Linie mit den Mitteln der anerkannten orthopädischen und physiotherapeutischen
Therapiekonzepte zu begegnen. Zudem sei die Klägerin nie in orthopädischer Behandlung gewesen. Insgesamt habe
das Gericht den Eindruck gewonnen, dass es der Klägerin doch mehr um ein ästhetisches Problem ging.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Entsprechend der von den Ärzten bestätigten Makromastie liege eine
Krankheit vor, da die Größe der Mammae nicht mehr proportional zum Gesamthabitus sei, somit eine Entstellung
vorliege. Die Operation sei auch zur Behandlung der Rückenbeschwerden notwendig gewesen, da die
Wirbelsäulenmuskulatur nicht stark genug gewesen sei, um das Resektionsgewicht von 1.060 Gramm zu
kompensieren. Die Möglichkeit einer konservativen Behandlung sei auch nach Rücksprache mit dem Chirurgen Dr.S.
ausgeschöpft gewesen. Aus dem abnormen Kontrast der Brustentwicklung zum übrigen körperlichen Erscheinungsbild
habe eine nicht unerhebliche Bewegungsbeeinträchtigung der Halswirbelsäule resultiert.
Auf Antrag der Klägerin ist der Orthopäde Dr.S. als Sachverständiger gehört worden. Dieser hat zunächst nach
ambulanter Untersuchung der Klägerin am 16.03.2007 geschrieben, bei dem großen Mädchen mit Flachrücken und
Skoliose bestehe eine eingeschränkte Belastbarkeit der Wirbelsäule, so dass es auch vom Wirbelsäulenbefund her
unbedingt ratsam gewesen sei, die Gewichtsreduktion der Mammae durchzuführen. Die Frage 3 nach der
Unmöglichkeit unbefangener Bewegungsmöglichkeiten könne eigentlich nicht beantwortet werden, da er die Klägerin
vor der Brustoperation nicht gesehen habe. Angesichts der Entfernung von 500 g Brustgewebe auf jeder Seite müsste
die Frage aber eindeutig mit ja beantwortet werden. Mit Schreiben vom 18.06. 2007 hat der Sachverständige
wiederholt, dass bei der Klägerin ein krankhafter Wirbelsäulenbefund vorliege. Insbesondere handle es sich um eine
Beinlängendifferenz, um eine Beckenschrägstellung, um eine Verbiegung der Lenden- und Brustwirbelsäule sowie um
eine vermehrte Rundrückenbildung. Ob die konventionellen Behandlungsmöglichkeiten erfolglos ausgeschöpft worden
seien, könne nach Aktenlage nicht beantwortet werden. Zeitraum und Anzahl krankengymnastischer
Behandlungsrezepte müssten vorgelegt werden.
Von Seiten des MDK/Dr.V. ist ausgeführt worden, die Entlastung einer 1,70 m großen und 70 kg schweren Frau mit 1
kg sei nicht massiv. Dieser gewichtsentlastende Effekt könne ebenso gut durch Stärkung der Rückenmuskulatur
mittels intensiver Krankengymnastik erreicht werden. Daran ändere die Feststellung einer dezenten Skoliose und
eines Flachrückens nichts.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 18.04.2006 aufzuheben und die Beklagte unter
Aufhebung ihres Be- scheides vom 23.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2005 zu
verurteilen, Kosten in Höhe von 4.575,57 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit 22.11.2004
zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Akte des Sozialgerichts Würzburg sowie der
Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil
des Sozialgerichts Würzburg vom 18.04.2006 ist ebensowenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom
23.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2005. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf
Erstattung der Kosten, die ihr im Zusammenhang mit der im März 2005 durchgeführten Mammareduktionsplastik
entstanden sind. Die Operation war nicht zur Behebung einer Krankheit notwendig.
Als Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die im März 2005 selbst beschaffte Behandlung kommt § 13
Abs 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Danach hat eine Krankenkasse Kosten nur dann zu erstatten, wenn sie die Kosten
dadurch verursacht hat, dass sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat. Die selbst beschaffte Behandlung muss infolgedessen zu den Leistungen gehören, welche die
Krankenkassen allgemeiner Natur nach als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (st.Rspr vgl zB SozR 3-
2500 § 13 Nr 11 und § 13 Nr 22). Der Anspruch aus § 13 Abs 3 SGB V scheitert jedoch, weil auch ein Primäranspruch
auf eine operative Brustverkleinerung nicht besteht.
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V eine "Krankheit"
voraus. Damit wird ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder
Geisteszustand verstanden, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (SozR 3-
2500 § 27 Nr 11, SozR 3-2200 § 182 Nr 14, jeweils mwN). Dabei kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit
Krankheitswert im Rechtssinn zu. Die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung vielmehr dahingehend
präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder
wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (BSG, Urteil vom 19.10.2004, Az: B 1 KR 9/04 R mwN).
Zutreffend und ausführlich hat das Sozialgericht begründet, dass weder die geltend gemachten orthopädischen
Beschwerden noch die psychischen Aspekte die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs im Bereich der Brüste
begründen. Insoweit wird gemäß § 153 Abs 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe
abgesehen.
Durch die Stellungnahme des nach § 109 SGG benannten Sachverständigen Dr.S. hat sich dadurch keine Änderung
ergeben. Zwar hat er wegen einer eingeschränkten Belastbarkeit der Wirbelsäule die Gewichtsreduktion der Mammae
für unbedingt ratsam gehalten, die maßgebliche Frage nach der erfolglosen Ausschöpfung der konventionellen
Behandlungsmöglichkeiten zunächst jedoch offengelassen. Hierzu hat der MDK am 16.04.2007 zutreffend ausgeführt,
die Entlastung einer 1,70 m großen und 70 kg schweren Versicherten um ca. 1000 g eines exzentrisch wirkenden
Gewichts in Höhe der Brustwirbelsäule stelle keine massive Entlastung dar. Anders läge der Fall etwa, wenn die
Versicherte 1,60 m groß und 50 kg schwer wäre. Der vorliegende gewichtsentlastende Effekt könne ebenso gut durch
Stärkung der Rückenmuskulatur mittels intensiver Krankengymnastik erreicht werden.
Mit seiner Ansicht befindet er sich in Übereinstimmung mit den Dres.P. und U. , die die Klägerin vor ihrer Operation
untersucht haben und lediglich dezente Veränderungen an der Wirbelsäule festgestellt haben. Die ergänzenden
Ausführungen des Sachverständigen vom 18.06.2007 sind nicht geeignet, eine vom MDK abweichende Beurteilung zu
rechtfertigen. Insbesondere hat er die Behauptung des Klägerbevollmächtigten nicht bestätigt, die Beschwerden der
Wirbelsäule bzw. der Muskulatur hätten nicht mittels Krankengymnastik behoben werden können. Er hat eine
Mammareduktion lediglich wegen der Beschwerden im Brustwirbelsäulenbereich empfohlen, nicht hingegen wegen der
vom Klägerbevollmächtigten aufgeführten angeblichen Hüftdysplasie. Intensive Krankengymnastik hätte erst erfolglos
ausgeschöpft werden müssen, um eine Behandlungsnotwendigkeit im Sinn einer operativen Brustverkleinerung
erkennen zu können.
Eine Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen äußerlicher
Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Die Rechtsprechung hat eine Entstellung bei einer Frau ohne
natürliches Kopfhaar, bei einer Wangenatrophie oder bei Narben im Lippenbereich angenommen bzw. erörtert (SozR 3-
2500 § 33 Nr 45, SozR 3-1750 § 372 Nr 1). Ob die Vergrößerung der Brüste bzw. die Disproportion zwischen
Brustgröße und den übrigen Körpermaßen überhaupt den Begriff der Entstellung erfüllen kann, hat es in Frage gestellt,
nachdem Form und Größe der weiblichen Brust außerordentlich vielfältig sind (Urteil des BSG vom 19.10.2004 - B 1
KR 9/04 R -). Selbst wenn man aber mit dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt ausnahmsweise der
außergewöhnlichen Größe der weiblichen Brust entstellende Wirkung beimessen wollte, wäre dies vorliegend nicht zu
bejahen. Eine solche entstellende Wirkung wäre anzunehmen, wenn diese es einer Frau erschwert oder gar unmöglich
macht, sich frei und unbefangen unter den Mitmenschen zu bewegen, weil sie naturgemäß ständig alle Blicke auf sich
zieht und zum Objekt der Neugierde wird, so dass ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beeinträchtigt wird
(LSG Sachsen Anhalt, Entscheidung vom 10.11.2005, L 4 KR 22/05).
Zwar entspricht diese Definition der subjektiven Einschätzung der Klägerin, der Senat teilt diese Einschätzung jedoch
nicht. Maßgeblich erscheint, dass keiner der beiden Gutachter des MDK die Größe der Brüste als besonders auffällig
beschrieben hat. Insbesondere hat Dr.U. bei seiner Untersuchung wenige Tage vor der Operation festgestellt, die
Brustgröße sei im Bereich des Normalen einzustufen und falle dem neutralen Betrachter nicht störend auf. In
Übereinstimmung mit Dr.P. hat er lediglich eine natürliche Ptosis beschrieben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob
der plastische Chirurg zu Recht eine Makromastie diagnostiziert hat. Für den krankenversicherungsrechtlichen
Leistungsanspruch kommt es nicht darauf an, ob die Medizin die festgestellte Erkrankung mit Rücksicht auf die
vermutete Ursache als Makromastie bezeichnet und ob man dort zu Recht oder zu Unrecht von einem bestimmten
Normalzustand der Brust ausgeht (BSG, Beschluss vom 19.10.2004, B 1 KR 92/03 B). Entscheidend ist, dass der
Nachweis besonderer Auffälligkeit im Alltag nicht erbracht ist. Dies ist insbesondere auch nicht durch die
Stellungnahme Dr.S. vom 16.03.2007 geschehen, der aufgrund der Größe des entfernten Gewebes auf eine
ausgeprägte Hyperthrophie der Brüste schloss. Er hat nämlich selbst eingeräumt, dass er eigentlich zu der Frage
nach der unbefangenen Bewegungsmöglichkeit keine Stellung nehmen könne, weil er die Klägerin vor der
Brustoperation nicht gesehen habe. Mit dieser Stellungnahme unter Vorbehalt sind die gutachterlichen Ausführungen
der beiden MDK-Ärzte, die die Klägerin vor der Operation gesehen haben, nicht entkräftet.
Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.