Urteil des LSG Bayern vom 21.04.2006

LSG Bayern: schutz der ehe, familie, heizung, bedürftigkeit, sozialstaatsprinzip, freibetrag, entscheidungsbefugnis, fahrkosten, gestaltungsspielraum, erfüllung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 21.04.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 50 AS 193/05
Bayerisches Landessozialgericht L 7 AS 76/05
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. Oktober 2005 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (Alg II) streitig.
Der 1945 geborene Kläger, verheiratet mit Frau H. Z. (geb. 1947), beantragte am 09.12.2004 die Bewilligung von Alg
II.
Er bezog bis zum 11.01.2005 Alg I in Höhe von zuletzt täglich 37,18 Euro. Im Januar 2005 erhielt er Alg I in Höhe von
insgesamt 298,98 Euro.
Die Ehefrau des Klägers, die seit dem 01.09.1979 bei der D. AG beschäftigt ist, erzielt dort ein Bruttoarbeitsentgelt
von 1.756,83 Euro (= 1.635,92 Euro netto).
Mit Bescheid vom 18.12.2004 lehnte die Bekalgte die Bewilligung von Alg II ab, da der Kläger nicht hilfebedürftig sei.
Der Kläger und seine Ehefrau hätten einen Gesamthilfebedarf von 988,76 Euro (Regelleistungen 622,00 Euro und
Kosten für Unterkunft und Heizung 366,76 Euro). Abzüglich der Freibeträge der Ehefrau betrage das anrechenbare
Einkommen der Ehefrau 1.276,39 Euro.
Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei hilfebedürftig, da durch die Anrechnung des Einkommens
seiner Ehefrau kein deutlich über den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes liegendes
Lebenshaltungsniveau verbleibe. Im Übrigen dürfte die zugrundeliegende Gesamtbedarfsberechnung der
Bedarfsgemeinschaft gegen das Grundgesetz (GG) verstoßen und ihn im Übrigen auch in seinen Rechten aus Art.14
GG verletzten sowie auch gegen Art.6 GG (Schutz der Ehe und Familie) verstoßen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13.04.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Das für den
Monat Januar 2005 anzurechnende Einkommen der Bedarfsgemeinschaft von insgesamt 1.566,01 Euro übersteige
den Bedarf von 988,76 Euro. Auch ab dem Monat Februar 2005 nach vollständigem Wegfall des Alg I liege das dann
zu berücksichtigende Einkommen von 1.303,01 Euro über dem Bedarfssatz. Mangels Bedürftigkeit bestehe kein
Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Für die Anwendung eines unterhaltsrechtlichen
Selbstbedarfs nach bürgerlichem Recht bezüglich des Einkommens der Ehefrau sei bei Vorliegen einer
Bedarfsgemeinschaft keine rechtliche Möglichkeit gegeben. Die Bedarfs- und Einkommensermittlung
zusammenlebender Ehegatten nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) würden insofern dem früheren
Sozialhilferecht entsprechen.
Zur Begründung der zum Sozialgericht München (SG) erhobenen Klage hat der Kläger erneut darauf hingewiesen, die
Berechnung der Beklagten fordere letztlich von den Eheleuten, dass beide auf Sozialhilfeniveau absinken müssten.
Hierdurch werde das grundlegende Prinzip von Ehe und Familie, insbesondere der gegenseitigen Verpflichtung zur
Hilfe, gestört. Außerdem liege ein Verstoß gegen Art.14 GG vor. Die völlige Gleichschaltung von über Jahrzehnte hin
arbeitenden Menschen in abhängigen Arbeitsverhältnissen und hierbei erfolgter Abführung von Sozialabgaben mit
Menschen, welche über Jahrzehnte hin keinerlei geregelter Arbeit nachgegangen seien und insoweit keine
Sozialabgaben entrichtet hätten und auch keine andere Vorsorge getroffen hätten, verstoße gegen Art.1 GG. Darüber
hinaus sei die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt, weshalb auch ein Verstoß gegen Art.2 GG vorliege.
Mit Urteil vom 12.10.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Berechnungen der Beklagten seien nicht zu
beanstanden. Der Kläger lebe mit seiner Ehefrau gem. § 7 Abs.3 SGB II in einer Bedarfsgemeinschaft mit der Folge,
dass das Einkommen seiner Ehefrau anzurechnen sei. Ein Verstoß gegen Art.14 GG läge nicht vor. Der Kläger habe
zwei Jahre lang Alg I bezogen. Die Leistungen nach dem SGB II seien ebenso wie die frühere Arbeitslosenhilfe (Alhi)
steuerfinanziert und damit nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht durch Art.14 GG geschützt. Ein
Verstoß gegen den durch Art.6 GG gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie läge ebenfalls nicht vor. Es sei ein
typischer Fall des gegenseitigen Einstehens füreinander in einer Ehe, wenn das Gehalt des anderen Ehegatten den
Partnern zur Sicherung des Lebensunterhalts diene. Dies gelte auch dann, wenn abweichend von dem früher
herrschenden und den Art.6 GG vorausgesetzten Fall nicht der Ehemann, sondern die Ehefrau das Einkommen
verdiene. Der Einwand des Klägers, es läge eine Ungleichbehandlung mit nichtverheirateten erwerbsfähigen
Arbeitslosen vor, lasse unberücksichtigt, dass die Tatsache der Ehe durchaus auch finanzielle Vorteile biete.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.10.2005 und den Bescheid vom 18.12.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13.04.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.01.2005 Leistungen
nach dem SGB II zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte schließt sich der Auffassung des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils an.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und die
Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG); ein
Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.
Zu Recht hat das SG München mit Urteil vom 12.10.2005 die Klage abgewiesen, da der Bescheid vom 18.12.2004 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2005 nicht zu beanstanden ist.
Denn dem Kläger stehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht zu, da er nicht
hilfebedürftig ist.
Nach § 3 Abs.2 SGB II darf Alg II nur erbracht werden, soweit Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden
kann.
§ 7 Abs.1 Satz 1 Nr.3 SGB II bestimmt, dass Leistungen nach dem SGB II erwerbsfähige Personen erhalten, die
hilfebedürftig sind. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs.1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in
Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend
aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann.
Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und das Vermögen des Partners zu
berücksichtigen (§ 9 Abs.2 Satz 1 SGB II).
Nach § 7 Abs.3 SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft u.a. der nicht dauernd getrenntlebende Ehegatte.
Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten gem. § 19 Satz 1 SGB II als Alg II Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung und unter den
Voraussetzungen des § 24 SGB II einen befristeten Zuschlag.
Zur Bedarfsgemeinschaft gehören der Kläger und seine Ehefrau H. Z ... Der Gesamtbedarf zur Sicherung des
Lebensunterhalts wurde zutreffend mit monatlich 988,76 Euro ermittelt (Regelleistung und Kosten der Unterkunft
gemäß §§ 20 und 22 SGB II).
Auf diesen Gesamtbedarf ist das zu berücksichtigende Einkommen beider Ehegatten anzurechnen (§ 19 Satz 2 SGB
II).
Für Januar 2005 erzielte der Kläger ein Einkommen aus restlichem Alg I in Höhe von 293,48 Euro. Seine Ehefrau
erhielt nach der eingereichten Bezügemitteilung des Arbeitgebers für den Monat Dezember ein Bruttoeinkommen von
1.995,91 Euro (netto = 1.635,92 Euro). Unter Berücksichtigung von § 11 Abs.2 SGB II sowie der §§ 2 und 3 der ALG
II/Sozialgeld-VO (Alg II-V) sind die nachfolgenden Einkommensbereinigungen vorzunehmen:
Einkommen des Klägers:
Alg I 293,48 Euro abzüglich Pauschbetrag für private Versicherungen gem. § 3 Nr.1 Alg II-V 30,00 Euro zu
berücksichtigendes Einkommen 263,00 Euro
Einkommen seiner Ehefrau:
Bezüge netto 1.635,92 Euro abzüglich Pauschbetrag für private Versicherungen 30,00 Euro abzüglich notwendiger
Ausgaben (Fahrkosten, Gewerkschaftsbeitrag) 71,91 Euro gem. § 3 Nr.3 Alg II-V abzüglich Freibetrag gem. § 30 SGB
II 231,00 Euro zu berücksichtigendes Einkommen 1.303,01 Euro
Das für den Monat Januar 2005 anzurechnende Einkommen der Bedarfsgemeinschaft von insgesamt 1.566,01 Euro
übersteigt somit den Bedarf von 988,76 Euro. Auch nach vollständigem Wegfall des Alg I liegt auch ab Februar 2005
das dann zu berücksichtigende Einkommen von 1.303,01 Euro über dem Bedarfssatz.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 24 SGB II. Die Zahlung eines befristeten Zuschlags nach dem Bezug von
Alg I setzt insoweit voraus, dass überhaupt Hilfebedürftigkeit vorliegt.
Die vom Kläger vorgetragenen verfassungsrechtlichen Verstöße bzw. vorgetragenen verfassungsrechtlichen
Bedenken greifen nicht. Insbesondere steht der Entscheidung nicht das Sozialstaatsprinzip des Art.20 Abs.1 GG
entgegen. Denn der Gesetzgeber hat bei der Erfüllung seiner aus dem Sozialstaatsprinzip folgenden Verpflichtung, für
eine gerechte Sozialordnung zu sorgen, einen weiten Gestaltungsspielraum. Grundsätzlich fällt es in seine
Entscheidungsbefugnis, in welchem Umfang soziale Hilfe unter Berücksichtigung der vorhandenen Mittel und anderer
gleichrangiger Staatsaufgaben gewährt werden kann und soll.
Die Leistungen der Grundsicherung knüpfen allein an die Bedürftigkeit des Antragstellers an. Im Übrigen konnte auch
die Bewilligung von Alhi bis zum 31.12.2004 nur nach einer Bedürftigkeitsprüfung unter Berücksichtigung von
Einkommen und Vermögen des Partners erfolgen.
Wenn der Kläger weiter vorträgt, dass, sollte das SGB II insgesamt verfassungswidrig sein, ihm nach den bisherigen
gesetzlichen Regelungen Alhi zu bewilligen sei, so ist dies nicht möglich. Denn mit Inkrafttreten des SGB II zum
01.01.2005 sind die Bestimmungen des SGB III über die Bewilligung der Alhi außer Kraft getreten.
Somit war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG München vom 12.10.2005 zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.