Urteil des LSG Bayern vom 13.12.2007

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 13.12.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 29 EG 36/02
Bayerisches Landessozialgericht L 9 EG 27/06
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgericht München vom 15.02.2006 aufgehoben und die
Klage abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten der Klägerin sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. III. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld (BErzG) nach dem
Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für das erste Lebensjahr des Kindes N. , geboren 2001, bis 31.01.2002
streitig.
I.
Die 1975 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte ist die Mutter des 2001 in Deutschland geborenen Kindes N. ; sie
ist kroatische Staatsangehörige und hält sich seit August 2000 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie reiste als
Besucherin ihres jetzigen Ehemannes in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seit 02.02.2001 ist sie mit dem
Kindsvater D. B. , einem jugoslawischen Staatsangehörigen, verheiratet. Am 06.02.2001 beantragte sie eine
Aufenthaltsgenehmigung beim Landratsamt M ... Laut Eintragung in ihrem Reisepass galt der Aufenthalt gemäß § 69
Abs.3 Ausländergesetz vorläufig als erlaubt. Seit der Geburt des Sohnes lebt die Klägerin und Berufungsbeklagte mit
dem Kind und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreut und erzieht das Kind und übte daneben keine
Erwerbstätigkeit aus.
Der Antrag auf Bewilligung von Bundeserziehungsgeld für den ersten mit zwölften Lebensmonat des Kindes vom
26.05.2001 wurde durch Bescheid vom 11.06.2001 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin
gehöre nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Für den Anspruch eines Ausländers sei Voraussetzung,
dass er eine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis besitze oder unanfechtbar als Asylberechtigter
anerkannt sei (§ 1 Abs.6 BErzGG).
Hiergegen wurde am 18.06.2001 Widerspruch eingelegt, in dem unter anderem ausgeführt wird, dass der Ehemann der
Klägerin seit 02.02.1993 eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung besitze und in Deutschland Steuern zahle. Am
06.02.2002 übersandte die Klägerin alle Unterlagen einschließlich einer Bescheinigung des Landratsamtes M ... Aus
dieser ergibt sich, dass die Klägerin am 06.02.2001 Antrag auf Aufenthaltserlaubnis gestellt habe. Da der Reisepass
noch nicht auf den neuen Familiennamen umgeschrieben war, wurde ihr eine vorläufige Bescheinigung nach § 69
Abs.3 Ausländergesetz (AuslG) ausgestellt. Ausländerrechtlich sei dieser Aufenthalt mit vorläufiger Bescheinigung
rechtmäßig. Mit Bescheid vom 18.02.2002 wurde Erziehungsgeld ab 01.02.2002 gewährt. Für die vorangegangene
Zeit bestehe kein Anspruch auf Erziehungsgeld, da die Klägerin nicht im Besitz der erforderlichen
Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis gewesen sei.
Auch hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2002 wurde der
Widerspruch gegen den Bescheid vom 11.06.2001 zurückgewiesen, soweit ihm nicht abgeholfen wurde. Der
Aufenthalt im Bundesgebiet habe bis 04.02.2002 als erlaubt im Sinne des § 69 Abs.3 des AuslG gegolten. Dieser
Aufenthaltstitel stelle keines der in § 1 Abs.6 BErzGG geforderten Aufenthaltsrechte dar. Erst seit 05.02.2002 verfüge
die Klägerin über eine Aufenthaltserlaubnis, so dass ab 01.02.2002 Erziehungsgeld gezahlt werden könne.
II.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht (SG) München erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie
habe ein gültiges Visum gehabt, mit dem sie auch hätte arbeiten dürfen. Aufgrund mündlicher Verhandlung gab die 29.
Kammer der Klage für den Zeitraum 05.08.2001 bis 31.01.2002 statt. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen (Urteil
vom 15.02.2006). Zwar habe die Klägerin vor dem 05.02.2002 keinen in § 1 Abs.6 Satz 2 Nr.1 BErzGG genannten
Aufenthaltstitel gehabt, sondern lediglich eine Bescheinigung nach § 69 Abs.3 AuslG bis zur Ersterteilung einer
Aufenthaltserlaubnis im Familiennachzug. Die Klägerin habe nur Antrag auf erstmalige Aufenthaltserlaubnis und nicht
auf Aufenthaltsberechtigung nach § 27 AuslG gestellt. Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen nach dem
Gesetzeswortlaut einer rückwirkenden Gewährung des Bundeserziehungsgeldes nicht vor. Jedoch sei hier eine
analoge Anwendung des § 1 Abs.6 Satz 4 BErzGG vorzunehmen. Aus der bestehenden gesetzlichen Regelung könne
nicht geschlossen werden, der Gesetzgeber habe eine rückwirkende Gewährung von Erziehungsgeld bei einer
zeitlichen Bearbeitungslücke im Rahmen der erstmaligen Antragstellung einer Aufenthaltserlaubnis durch einen
Ehegatten definitiv ausschließen wollen. Es spreche vieles dafür, dass diese (nicht allzu häufige) Fallkonstellation
neben dem Hauptanliegen des Gesetzentwurfs übersehen wurde. Darüber hinaus verweist das Urteil auf die
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 111, 176 ff.), wonach die Bedeutung von Aufenthaltstiteln
gegenüber dem Gleichheitssatz und dem Schutz von Ehe und Familie (Art.3, 6 GG) in entscheidender Weise
zurückgedrängt worden sei. Unter Anwendung der Sechsmonatsfrist des § 4 Abs.2 Satz 3 BErzGG wurde der Klage
für die Zeit sechs Monate rückwirkend ab dem 05.02.2002 stattgegeben.
III.
Mit der am 15.03.2006 eingelegten Berufung wendet der Beklagte ein, dass eine analoge Anwendung des § 1 Abs.6
Satz 4 BErzGG bei der vorliegenden Fallgestaltung ausgeschlossen sei. Eine ungewollte Gesetzeslücke sei nicht
gegeben.
Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakten des Sozialgerichts beigezogen.
Die Bevollmächtigte des Beklagten stellt den Antrag aus der Berufungsschrift vom 09.03.2006.
Der Bevollmächtigte der Klägerin stellt den Antrag aus dem Schriftsatz vom 31.07.2006 (Bl.19 d. Berufungsakte).
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung des Beklagten
erweist sich als in der Sache begründet.
Der Klägerin und Berufungsbeklagten steht der streitige Anspruch auf Bundeserziehungsgeld nicht zu.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 11.06.2001 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom
18.02.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2002, mit welchem Erziehungsgeld vor dem
01.02.2002 versagt worden ist.
Wie das SG zutreffend dargelegt hat, verfügte die Klägerin, die im Bewilligungszeitraum weder die deutsche
Staatsangehörigkeit noch diejenige eines Mitgliedsstaates der EU besessen hat, über keinen der erforderlichen
qualifizierten Aufenthaltstitel im Sinne des § 1 Abs.6 Satz 4 BErzGG. Gemäß § 1 Abs.6 Satz 1 des BErzGG in der
für Geburten ab dem 02.01.2001 geltenden Fassung erhält ein Ausländer mit der Staatsangehörigkeit eines
Mitgliedsstaates der Europäischen Union oder eines der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EU-
/EWR-Bürger) nach Maßgabe der Absätze 1 bis 5 Erziehungsgeld. Ein anderer Ausländer ist anspruchsberechtigt,
wenn 1. er eine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis besitzt, 2. er unanfechtbar als Asylberechtigter
anerkannt ist oder 3. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs.1 des AuslG unanfechtbar festgestellt worden
ist. Maßgebend ist der Monat, in dem die Voraussetzungen des Satzes 2 eintreten. Im Fall der Verlängerung einer
Aufenthaltserlaubnis oder der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung wird Erziehungsgeld rückwirkend (§ 4 Abs.2
Satz 3) bewilligt, wenn der Aufenthalt nach § 69 Abs.3 des AuslG als erlaubt gegolten hat.
Die Klägerin hatte vor dem 05.02.2002 unstreitig keine in § 1 Abs.6 Satz 2 Nr.1 BErzGG genannten Aufenthaltstitel,
sondern lediglich eine Bescheinigung nach § 69 Abs.3 AuslG bis zur Ersterteilung einer Aufenthaltserlaubnis im
Familiennachzug. Gemäß § 1 Abs.6 Satz 4 des BErzGG wird im Fall der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis oder
der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung Erziehungsgeld rückwirkend (§ 4 Abs.2 Satz 3) bewilligt, wenn der
Aufenthalt nach § 69 Abs.3 des AuslG als erlaubt gegolten hat. Auch diese Voraussetzungen erfüllte die Klägerin
nicht, da sie Antrag auf erstmalige Aufenthaltserlaubnis, also nicht auf Verlängerung, und nicht auf
Aufenthaltsberechtigung nach § 27 des AuslG gestellt hat. Damit liegen nach dem Gesetzeswortlaut die
tatbestandlichen Voraussetzungen einer rückwirkenden Gewährung von BErzG nicht vor. Zu diesem Schluss kommt
zu Recht auch das SG.
Entgegen der Rechtsauffassung des SG liegt jedoch keine ungewollte Gesetzeslücke vor, die durch einen
Analogieschluss zu füllen ist. Hierzu sind die Gesetzesmaterialien heranzuziehen. Die Bundestagsdrucksache
14/3118, S.14 ist insoweit eindeutig. Darin heißt es: "Nach Satz 4 besteht der Anspruch auf Erziehungsgeld, unter
den übrigen Voraussetzungen, auch rückwirkend (nach § 4 Abs.2 Satz 3 höchstens für sechs Monate vor dem Antrag
auf Erziehungsgeld), wenn ein Ausländer rechtzeitig, d.h. grundsätzlich vor Ablauf der Geltungsdauer der
Aufenthaltserlaubnis entweder ihre Verlängerung oder eine Aufenthaltsberechtigung beantragt hatte und damit eine
Erlaubnisfiktion nach § 69 Abs. 3 des AuslG bestand. Da sich nach den Erfahrungen der Erziehungsgeldstellen im
Einzelfall wegen einer häufig unvermeidbar verzögerten Entscheidung der Ausländerbehörde beträchtliche Härtefälle
ergeben können, ist diese neue Regelung nach Satz 4 gefertigt." Der Gesetzgeber sieht es also nur bei bereits
vorhandenem Aufenthaltstitel und rechtzeitiger Weiterbeantragung als gerechtfertigt an, eine Fiktion als
Anspruchsvoraussetzung zum Bezug des BErzG anzuerkennen. Die Gesetzesmaterialien schließen aus, dass der
Gesetzgeber eine rückwirkende Gewährung von Erziehungsgeld bei einer zeitlichen Bearbeitungslücke im Rahmen der
erstmaligen Antragstellung sicherstellen wollte. Vielmehr sollten nur Ausländer mit einem verfestigten Aufenthaltstitel,
die sich rechtzeitig um eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bzw. Ausstellung einer Aufenthaltsberechtigung
bemüht haben und ohne eigenes Verschulden wegen der Bearbeitungsdauer des Ausländeramtes zunächst nur eine
Bescheinigung nach § 69 Abs.3 AuslG erhielten, nicht mehr vom Bezug des Erziehungsgeldes ausgeschlossen sein.
Ein verfestigtes Aufenthaltsrecht liegt bei der Klägerin nicht vor. Ihr Aufenthalt gilt lediglich als erlaubt.
Deshalb ist auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 06.07.2004 (Az.: 1 BvR 2515/95) hier nicht
einschlägig, da es zwar die Art des Aufenthaltstitels allein nicht als Grundlage für eine Prognose über die
Aufenthaltsdauer ausreichen lassen will, aber doch das Abstellen auf einen auf die verschiedenste Weise formal
verfestigten Aufenthaltstatus für notwendig hält. Ein derartiger formal verfestigter Aufenthaltsstatus ist für die Zeit vor
Erhalt der Aufenthaltserlaubnis bei der Klägerin nicht erkennbar.
Unerheblich ist auch der Aufenthaltstitel des Ehemanns der Klägerin. Die Verzögerung in der erstmaligen Erteilung
des Aufenthaltstitels liegt nicht in der Verantwortung der hiesigen Behörden, sondern daran, dass der neue Pass mit
dem Familiennamen nicht früher aus Kroatien beigebracht werden konnte. Es war der zuständigen Behörde damit
nicht möglich, die Anspruchsvoraussetzungen für den Aufenthaltstitel zu prüfen. Ein Analogieschluss kommt deshalb
nicht in Betracht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erziehungsgeld vor dem 01.02.2002. Das Urteil des SG ist
deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang
konnte der Beklagte nicht zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet werden, die der Klägerin zu ihrer
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden sind.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil
nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf, noch
weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes
oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.