Urteil des LSG Bayern vom 30.04.2009

LSG Bayern: diabetes mellitus, wiederaufnahme des verfahrens, berufliche tätigkeit, gesellschaft, behinderung, zustand, komplikationen, versorgung, stadt, flughafen

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.04.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 10 SB 664/03
Bayerisches Landessozialgericht L 15 SB 87/08
Bundessozialgericht B 9 SB 1/09 R
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 6. September 2004 wird
zurück- gewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Der 1964 geborene Kläger begehrt die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne von §§ 2 Abs. 2, 69
Abs. 1 des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).
Mit Erstantrag vom 17.06.2003 hat der Kläger auf den bei ihm bestehenden insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I
hingewiesen. Der Beklagte hat die Unterlagen der Diabetes-Schwerpunktpraxis A. und E. beigezogen. Diese haben
den Kläger auf eine intensivierte konventionelle Insulintherapie eingestellt. Dementsprechend haben sich im
Folgenden hyper- oder hypoglykämische Stoffwechselentgleisungen nicht mehr nachweisen lassen. Die berufliche
Situation des Klägers ist als problematisch eingestuft worden (Bundesgrenzschutz am Flughafen D-Stadt im
Flugsicherheitsdienst mit Dienst an der Waffe).
Entsprechend der versorgungsärztlichen Stellungnahme nach Aktenlage vom 28.08.2003 hat der Beklagte mit dem
streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Bayreuth vom 02.09.2003 den
Grad der Behinderung (GdB) wegen der bestehenden Gesundheitsstörung "Zuckerkrankheit (mit Diät und Insulin
einstellbar)" mit 40 festgestellt. Eine Steuerbescheinigung nach § 33b des Einkommensteuergesetztes (EStG) ist
nicht ausgestellt worden.
Der Widerspruch vom 12.09.2003 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Bayreuth
vom 02.09.2003 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayer. Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom
18.11.2003 zurückgewiesen worden. Der GdB betrage zutreffend 40 und nicht 50.
Im Rahmen des sich anschließenden Klageverfahrens hat die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom
08.01.2004 eingehend dargelegt, dass der bei dem Kläger bestehende erhebliche Therapieaufwand GdB-erhöhend zu
berücksichtigen sei. Es sei mit den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit" nicht vereinbar, dass ein
Diabetiker mit einem ganz erheblichen Therapieaufwand (4-Spritzen-Regime) gut eingestellt sei und dementsprechend
einen niedrigeren GdB zu erwarten habe, als derselbe Diabetiker, der aufgrund eines insuffizienten Therapieregimes
schlecht eingestellt sei. Dies führe dazu, dass dem Patienten, der sich nicht an die Therapieempfehlungen halte, am
Ende ein höherer GdB zugeordnet werde als demjenigen, der die Therapieempfehlungen gewissenhaft befolge.
Insoweit werde auf die Stellungnahmen der Deutschen Diabetesgesellschaft in gleichgelagerten Fällen verwiesen,
ebenso auf das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 05.03.2003 - S 31 SB 388/01.
Der Beklagte hat die versorgungsärztlich-internistische Stellungnahme des Dr. H. P. vom 09.02.2004 vorgelegt.
Danach liege bei dem Kläger ein mit Antikörpern gegen die Glutamin-Decarboxylase einhergehender LADA (= latenter
Autoimmun-Diabetes der Adulten) vor, also ein relativ spät manifestierter Diabetes Typ I, der nach kurzer Phase der
Behandlung mit oralen Antidiabetika insulinpflichtig geworden sei und nun mit intensivierter konventioneller
Insulintherapie (ICT) behandelt werde. Folgeschäden würden bisher nicht vorliegen. Die gute Einstellung werde auch
im Widerspruchsschreiben bestätigt. Dementsprechend werde empfohlen, den GdB wie bisher mit 40 festzustellen.
Das Sozialgericht Bayreuth hat weitere ärztliche Unterlagen des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J. K. mit
Fremdbefunden der Diabetes-Schwerpunktpraxis A. und E. beigezogen. Gleiches gilt für die Unterlagen des
Arbeitsmedizinischen Dienstes Grenzschutzpräsidium Süd. Im Folgenden hat das Sozialgericht Bayreuth mit
Beweisanordnung vom 03.05.2004 Dr. J. T. gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zum
ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat die Einschätzung des Diabetes mellitus mit einem GdB von 40 als
zutreffend erachtet. Nach den vorliegenden Unterlagen handele es sich weder um einen besonderen schwer
einstellbaren Diabetes mellitus noch würden zusätzliche diabetische Komplikationen vorliegen. Eine minimale Störung
der Oberflächensensibilität und des Vibrationsempfindens würden keinen zusätzlichen GdB bedingen.
Nach entsprechender Ankündigung vom 03.08.2004 hat das Sozialgericht Bayreuth die Klage mit Gerichtsbescheid
vom 06.09.2004 abgewiesen und sich hierbei auf die übereinstimmenden Ausführungen des versorgungsärztlichen
Dienstes des Beklagten und des nach § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG bestellten Sachverständigen Dr. J. T. gestützt.
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 20.09.2004 ging am 21.09.2004 beim Bayer. Landessozialgericht (BayLSG)
ein. Von Seiten des BayLSG wurden die Schwerbehinderten-akten des Beklagten, die erstinstanzlichen Unterlagen
sowie die Blutzuckertagebücher des Klägers beigezogen.
Der nach § 109 SGG benannte und beauftragte Sachverständige Prof. Dr. W. A. S. kam mit fachinternistischem
Gutachten vom 28.12.2005 zu dem Ergebnis, dass der bei dem Kläger bestehende Diabetes mellitus vom Typ LADA
ohne chronische Komplikationen, behandelt nach den Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft mit intensivierter
Insulintherapie (ICT) mit 4-Spritzen-Regime, mit einem GdB von 50 zu bewerten sei, dies aufgrund des erforderlichen
Mehraufwandes zur Optimierung der Stoffwechselsituation bei vier Insulininjektionen pro Tag.
Dr. S. verwies mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 15.03.2006 darauf, es sei nach den Anhaltspunkten
nicht vorgesehen, dass ein Diabetiker in Abhängigkeit von der Häufigkeit der täglichen Blutzuckermessungen
unterschiedliche GdB-Werte zugesprochen bekomme.
In Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien holte das BayLSG weitere Befundberichte von Dr. P. P. und der
Leiterin Ärztlicher und Sicherheitstechnischer Dienst Bundespolizeipräsidium Süd ein. Die nunmehrige Behandlerin Dr.
S. D. bestätigte mit Befundbericht vom 04.12.2006, dass die Blutzuckereinstellung in den letzten Monaten nach ihrer
Datenlage stabil gewesen sei. Im Folgenden bestellte das BayLSG mit Beweisanordnung vom 13.12.2006 Dr. B. E.
gemäß § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser befürwortete mit internistischem Gutachten
vom 04.03.2007 einen GdB von 40. Bei dem Kläger liege ein Diabetes mellitus Typ I ohne Organkomplikationen vor.
Die Bevollmächtigte des Klägers betonte mit Schriftsatz vom 08.05.2007, dass bei dem Kläger aufgrund der
verschlechterten Einstellbarkeit ein GdB von 50 angemessen sei.
Das BayLSG hat mit Beschluss vom 13.06.2007 das Ruhen des Verfahrens angeordnet, um die Entscheidung des
Bundessozialgerichts (BSG) in dem Revisionsverfahren B 9a SB 10/06 R abzuwarten.
Nach Wiederaufnahme des Verfahrens hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 09.12.2008 die versorgungsärztliche
Stellungnahme des Dr. S. vom 08.12.2008 vorgelegt. Das Therapieschema des Klägers sei nicht als erhöhter
Therapieaufwand zu werten, sondern als üblicher Therapieaufwand der "Basis-Bolus-Konzept-Insulinbehandlung", die
die Teilhabe eines Diabetikers am Leben in der Gesellschaft erleichtere und nicht erschwere. Bei dem Kläger liege
daher kein erhöhter Therapieaufwand vor, der eine höhere Bewertung der Zuckerkrankheit rechtfertigen würde. In
Berücksichtigung der Ausführungen der Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 11.12.2008 holte das
BayLSG einen aktuellen ärztlichen Befundbericht von Dr. S. D. ein. In ihren Unterlagen seien nur die Diabetes-
spezifischen Befunde vorliegend. Entsprechend dem Ersuchen des BayLSG übermittelte die Bevollmächtigte des
Klägers mit weiterem Schriftsatz vom 27.01.2009 ergänzend nochmals Kopien des Diabetikertagebuches für den
aktuellen Zeitraum.
In der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2009 berichtet der Kläger, dass er seit Juni 2008 auch wieder eine
Dienstwaffe beim Dienst tragen dürfe (Schichtdienst am Flughafen D-Stadt). Im Übrigen schildert er eingehend
beispielhafte Tagesabläufe. Das Messen und Spritzen dauere ungefähr zwei Minuten, wenn es hoch komme.
Insgesamt sei seine Behandlungsmethode diejenige der Basis-Bolus-Therapie mit gewöhnlich mindestens vier
Spritzen. Sein letzter deutlicher hypoglykämischer Zustand sei vor etwa zwei bis drei Monaten gewesen. Ein solcher
Zustand dauere ungefähr fünf bis zehn Minuten. Einmal sei er auch bewusstlos geworden, das müsse so 2003/2004
gewesen sein. Er sei eher sportlich, spiele viel Fußball, gehe joggen, fahre Fahrrad und gehe spazieren. Bei
sportlichen Aktivitäten müsse er vorher auch immer zwingend eine Messung durchführen. Nach jeder sportlichen
Aktivität werde nochmals gemessen.
Auf Hinweis des BayLSG hat sich die Bevollmächtigte des Beklagten bereit erklärt, dem Kläger ab Antragstellung
(17.06.2003) eine Steuerbescheinigung gemäß § 33b EStG auszustellen.
Die Prozessbevollmächtigte des Klägers stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom
06.09.2004 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung des Bescheides vom 02.09.2003 in Form
des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2003 bei dem Kläger ab dem 17.06.2003 einen Gesamtgrad der Behinderung
von 50 festzustellen.
Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß § 202 SGG i.V.m. § 540 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie
entsprechend § 136 Abs. 2 SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß den §§ 143, 144 und 151 SGG zulässig, jedoch
unbegründet. Das Sozialgericht Bayreuth hat die Klage gegen den Bescheid vom 02.09.2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18.11.2003 mit Gerichtsbescheid vom 06.09.2004 zutreffend abgewiesen.
Menschen sind gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische
Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilnahme am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung
bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Menschen sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX im Sinne des Teils 2 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von
wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem
Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.
Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG)
zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Das KOV-VfG ist entsprechend
anzuwenden, soweit nicht das SGB X Anwendung findet. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft werden als GdB nach 10-er Graden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 BVG
festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend. Eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein GdB von wenigstens 20
vorliegt (§ 69 Abs. 1 SGB IX).
Die eingangs zitierten Rechtsnormen werden durch die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bzw. 2004, 2005 und 2008" ausgefüllt.
Wenngleich diese Verwaltungsvorschriften, herausgegeben vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, für das
Gericht nicht zwingend bindend sind, werden sie dennoch regelmäßig zur Gesetzesauslegung und als wertvolle
Entscheidungshilfe herangezogen. Das Gebot der Gleichbehandlung, wie es in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG)
normiert ist, erfordert es auch in diesem Fall, keinen anderen Bewertungsmaßstab als den üblichen anzulegen (vgl.
Urteil des 9a Senats des BSG vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 in "Die Sozialgerichtsbarkeit" 1991, S.227 ff. zu
"Anhaltspunkte 1983").
Mit Urteilen vom 23.06.1993 - 9a/9 RVs 1/91 und 9a/9 RVs 5/92 (ersteres publiziert in BSGE 72, 285 = MDR 1994
S.78, 79) hat das BSG wiederholt dargelegt, dass den "Anhaltspunkten 1983" keine Normqualität zukommt; es
handelt sich nur um antizipierte Sachverständigengutachten. Sie wirken sich in der Praxis der Versorgungsverwaltung
jedoch normähnlich aus. Ihre Überprüfung durch die Gerichte muss dieser Zwitterstellung Rechnung tragen. Die
"Anhaltspunkte 1983" haben sich normähnlich entwickelt nach Art der untergesetzlichen Normen, die von
sachverständigen Gremien kraft Sachnähe und Kompetenz gesetzt werden. Allerdings fehlt es insoweit an der
erforderlichen Ermächtigungsnorm sowie an klaren gesetzlichen Vorgaben und der parlamentarischen Verantwortung
hinsichtlich der Besetzung des Gremiums sowie der für Normen maßgeblichen Veröffentlichung. Hinsichtlich der
richterlichen Kontrolle der "Anhaltspunkte 1983" ergeben sich Besonderheiten, ungeachtet der Rechtsqualität der
"Anhaltspunkte 1983". Sie sind vornehmlich an den gesetzlichen Vorgaben zu messen. Sie können nicht durch
Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer generellen Richtigkeit widerlegt werden; die Gerichte sind insoweit prinzipiell auf
eine Evidenzkontrolle beschränkt. Eine solche eingeschränkte Kontrolldichte wird in der Verwaltungsgerichtsbarkeit
mit den Sachgesetzlichkeiten des jeweiligen Regelungsbereiches und der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber
begründet (vgl. Papier, DÜV 1986, S.621 ff. und in Festschrift für Ule, 1987, S.235 ff.). Eine solche Beschränkung in
der gerichtlichen Kontrolle ist auch für die "Anhaltspunkte 1983" geboten, weil sonst der Zweck der gleichmäßigen
Behandlung aller Behinderten in Frage gestellt würde.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 (vgl. NJW 1995, S.3049,
3050) die Beachtlichkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und
nach dem Schwerbehindertengesetz 1983" im verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren als "antizipierte
Sachverständigengutachten" bestätigt. Der in Art. 3 GG normierte allgemeine Gleichheitssatz gewährleistet innerhalb
des § 3 SchwbG nur dann eine entsprechende Rechtsanwendung, wenn bei der Beurteilung der verschiedenen
Behinderungen regelmäßig gleiche Maßstäbe zur Anwendung kommen. - Entsprechendes gilt auch für die neu
gefassten "Anhaltspunkte 1996", die die zwischenzeitlich gewonnenen Erkenntnisse und Fortschritte in der
medizinischen Wissenschaft über die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen, die Rechtsprechung des BSG,
zwischenzeitliche Änderungen der Rechtsgrundlagen sowie Erfahrungen bei der Anwendung der bisherigen
"Anhaltspunkte 1983" eingearbeitet haben (BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/03 R in SGb 2004 S.378) bzw.
nunmehr die "Anhaltspunkte 2004, 2005 und 2008".
In Ergänzung zu § 30 Abs. 1 BVG hat der Gesetzgeber in § 30 Abs. 17 BVG n.F. das Bundesministerium für Arbeit
und Soziales ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des
Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von
Schädigungsfolgen und die Feststellung des GdS i.S. des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die
Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung
der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung
und Fortentwicklung zu regeln.
Dementsprechend sind die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2008" mit Wirkung ab 01.01.2009 durch
die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" abgelöst worden (vgl. Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung).
Diese sind im Wesentlichen zu den vormals maßgeblichen "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2008"
inhaltsgleich; betreffend der Bewertung eines Diabetes mellitus ist jedoch insoweit eine Modifikation vorgenommen
worden, als nicht mehr zwischen einem Diabetes mellitus Typ I und Typ II unterschieden wird. Nach den
"Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2008" war in Rz. 26.15 vorgesehen, dass ein Diabetes mellitus
des Typ I (wie hier) durch Diät und alleinige Insulinbehandlung gut einstellbar einen GdB von 40 bedingt. Ein schwer
einstellbarer Diabetes Typ I, verbunden auch mit gelegentlichen ausgeprägten Hypoglykämien, ist mit einem GdB von
50 zu bewerten gewesen. Nun sehen die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" in Teil B Ziff. 15 vor, dass ein
Diabetes mellitus unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je
nach Stabilität der Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) mit einem GdB von 30 bis 40 zu bewerten ist.
Besteht eine unter Insulintherapie instabile Stoffwechsellage einschließlich gelegentlicher schwerer Hypoglykämien,
bedingt dies einen GdB von 50.
Unabhängig davon hat das BSG seine Rechtsprechung zur Bewertung eines Diabetes mellitus mit Urteil vom
11.12.2008 - B 9/9a SB 4/07 R - fortgeführt und grundsätzlich ausgesprochen: Zur Feststellung des GdB wegen
Diabetes mellitus unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 10/06 R, mit der
der erkennende Senat festgestellt hat, dass die den Diabetes mellitus betreffenden Nr. 26.15 der AHP 1996 und 2004
nur mit gewissen Maßgaben dem höherrangigen Recht und dem Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.
Die angesichts der Entscheidung des BSG vom 24.04.2008 - B 9/9a SB 10/06 R vom ärztlichen
Sachverständigenbeirat "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erfolgte
vorläufige Neufassung des Abschnitts Diabetes mellitus in Nr. 26.15 der AHP (s. Rundschreiben des BMAS vom
22.09.2008 - IV C 3-48064-3) berücksichtigt allein die Einstellungsqualität und - noch - nicht den die Teilhabe
beeinträchtigenden Therapieaufwand. Die Notwendigkeit seiner Berücksichtigung ergibt sich indes zwingend aus § 69
Abs. 1 Satz 3 SGB IX (ab 01.05.2004: Satz 4). Er kann je nach Umfang dazu führen, dass der allein anhand der
Einstellungsqualität des Diabetes beurteilte GdB auf den nächsthöheren Zehnergrad festzustellen ist. Neben der
Einstellungsqualität und dem Therapieaufwand für den Diabetes mellitus selbst führen sog. Organkomplikationen, also
dauerhafte, durch den Diabetes verursachte Gesundheitsstörungen an anderen Organen, nicht zu einer Erhöhung des
Einzel-GdB wegen Diabetes.
Hiervon ausgehend steht aufgrund der Beweisaufnahme zur Überzeugung des erkennenden Senats sowohl nach alter
als auch nach neuer Rechtslage sowie in Beachtung der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung fest,
dass der bei dem Kläger bestehende Diabetes mellitus mit einem GdB von 40 zutreffend bewertet ist. Denn unstreitig
besteht bei dem Kläger ein Diabetes mellitus Typ I, der erst im Erwachsenenalter aufgetreten ist (LADA).
Übereinstimmend beschreiben sowohl die behandelnden Ärzte A. und E. bzw. nunmehr Dr. D. eine relativ stabile
Stoffwechsellage. Gleiches gilt für den erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Dr. J. T. mit Gutachten vom
02.08.2004 bzw. die zweitinstanzlich gehörten Sachverständigen Prof. Dr. W.A. S. mit Gutachten vom 28.12.2005
und Dr. B. E. mit Gutachten vom 04.03.2007. Dies korrespondiert wiederum mit den übereinstimmenden
Ausführungen des Klägers selbst in der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2009. Danach ist er einmal bewusstlos
geworden, so etwa 2003/2004. Im Übrigen lag sein letzter deutlicher hypoglykämischer Zustand etwa zwei bis drei
Monate zurück. Dass der Kläger relativ stabil eingestellt ist, ergibt sich auch aus dem Umstand, dass er nach
eigenem Bekunden seit Juni 2008 wieder eine Dienstwaffe beim Dienst tragen darf (Schichtdienst am Flughafen D-
Stadt). Vorstehende Gesichtspunkte belegen zweifelsfrei, dass bei isolierter Betrachtung des bei dem Kläger
bestehenden Krankheitsbildes eines Diabetes mellitus Typ I im Erwachsenenalter (LADA) ein GdB von 40 sowohl in
der Vergangenheit angemessen war (vgl. AHP 1996, 2004 ff. in Rz. 26.15) als auch derzeit angemessen ist (vgl.
Versorgungsmedizinische Grundsätze Teil B Ziff.15).
Die Auffassungen der ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr. W.A. S. mit Gutachten vom 28.12.2005 und Dr. B. E. mit
internistischem Gutachten vom 14.03.2007 unterscheiden sich in der Frage, ob die bei dem Kläger erforderliche
intensivierte Insulintherapie (ICT) mit 4-Spritzen-Regime GdB-erhöhend zu berücksichtigen ist oder nicht (vgl. Urteil
des BSG vom 11.12.2008 - B 9/9a SB 4/07 R).
Insoweit steht zur Überzeugung der erkennenden Senats fest, dass im Falle des Klägers eine GdB-Erhöhung auf 50
nicht vorzunehmen ist. Es fällt auf, dass der Kläger sein Leben in Berücksichtigung des bei ihm bestehenden
Diabetes mellitus bestens eingerichtet und organisiert hat. Dies betrifft nicht nur die Nahrungsaufnahme oder seine
berufliche Tätigkeit, sondern auch sein Freizeitverhalten samt den diversen sportlichen Aktivitäten, teils mit der
Familie, teils ohne diese. Die erkennbar gewordene "eiserne Disziplin", die der Kläger regelmäßig an den Tag legt,
ermöglicht es ihm regelmäßig mit einer intensivierten Insulintherapie (ICT) mit 4-Spritzen-Regime auszukommen. Das
Messen und Spritzen dauert nach eigenem Bekunden im Einzelfall ungefähr zwei Minuten, wenn es hoch kommt. Der
durchschnittliche tägliche Therapieaufwand beläuft sich bei dem Kläger somit auf maximal zehn Minuten. Bei
sportlichen Aktivitäten kommen aufgrund von zwei notwendigen Messungen bis zu fünf Minuten hinzu.
In Übereinstimmung mit Dr. S. mit versorgungsärztlicher Stellungnahme vom 08.12.2008 ist der Senat der
Auffassung, dass ein Therapieaufwand von durchschnittlich 15 Minuten pro Tag noch keinen erhöhten
Therapieaufwand darstellt, der eine Höherbewertung des GdB bedingen würde. Denn die angewandte Basis-Bolus-
Therapie (der Kläger spritzt nach eigenem Bekunden situationsabhängig Humalog oder das langzeitwirkende Insulin
Lantus) bedingt, dass der Kläger zahlreiche individuelle Freiheiten nutzen kann, die Diabetikern mit einem schlecht
eingestellten Diabetes mellitus nicht mehr offenstehen.
Nachdem bei dem Kläger auch keine relevanten Sekundärfolgen bestehen (Dr. J. T. hat mit Gutachten vom
02.08.2004 lediglich auf eine minimale Störung der Oberflächensensibilität und des Vibrationsempfindens
hingewiesen), ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine Erhöhung des GdB auf 50 nicht veranlasst gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen gewesen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG): In Fortführung des
Urteils des BSG vom 11.12.2008 - B 9/9a SB 4/07 R - ist festzustellen, dass bei einem Kläger, der an einem Diabetes
mellitus vom Typ I (LADA) ohne chronische Komplikationen leidet, bei einem durchschnittlichen Therapieaufwand von
10 bis 15 Minuten kalendertäglich nach den Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft mit intensivierter
Insulintherapie (ICT) mit 4-Spritzen-Regime keine Erhöhung des GdB von 40 auf 50 gerechtfertigt ist.