Urteil des LSG Bayern vom 26.07.2006

LSG Bayern: berufliche tätigkeit, hauptsache, erlass, zivilprozessordnung, deckung, rechtsgrundlage, obsiegen, form, beendigung, zusicherung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 26.07.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 16 AS 203/06 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 442/06 AS ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 30.05.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Streitig ist die Übernahme der Kosten für einen Wiederholungslehrgang für fachtechnisches Aufsichtspersonal in der
Kampfmittelbeseitigung in der Zeit vom 15.05.2006 bis 19.05.2006.
Der Antragsteller (ASt) bezog bis zur Aufnahme einer bis 18.06.2006 befristeten versicherungspflichteten
Beschäftigung im Januar 2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II).
Im Dezember 2005 beantragte er die Kostenübernahme für den oben genannten Wiederholungslehrgang, den er auf
Nachfrage trotz des bestehenden befristeten Arbeitsverhältnisses besuchen wollte. Er werde hierfür Urlaub nehmen.
Der zuständige Sachbearbeiter fertigte am 05.05.2006 diesbezüglich eine positive Stellungnahme zu den Akten. Mit
Bescheid vom 17.05.2006 und nach Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2006 lehnte die
Antragsgegnerin allerdings die Kostenübernahme ab. Der ASt sei nicht hilfebedürftig. Leistungen können daher nicht
erbracht werden.
Hiergegen hat der ASt Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Am 18.05.2006 hatte er beim SG Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren gestellt, die Ag
zur vorläufigen Kostenübernahme für den Lehrgang zu verurteilen. Die Übernahme der Lehrgangskosten sei mündlich
zugesichtert worden. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 30.05.2006 abgelehnt. Es fehle an einem
Anordnungsgrund, nachdem der Antrag erst einen Tag vor Beendigung des Lehrgangs gestellt worden sei. Aber auch
ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht worden. Eine schriftliche Zusicherung im Sinne des § 34
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei nicht erteilt worden.
Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. Das SG hat
ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG). Das Rechtsmittel erweist sich jedoch nicht als begründet.
Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86 b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa
dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare
Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so
BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74, vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003,
1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4. Aufl. RdNr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und
das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den er sein Begehren
stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat der Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs
2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8.Aufl, § 86 b RdNr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und
Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927,
NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache
erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der
Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem
Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die
Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Fall ist
gegebenenfalls auch anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu
entscheiden (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).
Vorliegend fehlt es bereits an einem Anordnungsgrund, denn streitig sind allein Leistungen für einen vergangenen
Zeitraum, nämlich für den vom 15.06.2006 bis 19.06.2006 dauernden Lehrgang. Eine Entscheidung über einen
vergangenen Zeitraum ist grundsätzlich nicht eilbedürftig. Solche Leistungen dienen nämlich nicht der Deckung eines
gegenwärtigen Bedarfs. Der ASt ist deshalb in zumutbarer Weise für die hier geltend gemachte Forderung auf das
Hauptsacheverfahren zu verweisen. Im Rahmen dieses Hauptsacheverfahrens wird das SG auch darüber zu befinden
haben, ob der Bedarf des ASt im Juni 2006 unter Berücksichtigung der Lehrgangskosten durch seine berufliche
Tätigkeit gedeckt ist (vgl Schumacher in Oestreicher, SGB XII/SGB II § 16 RdNr 94 und 95, Stand Dezember 2005).
Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).