Urteil des LSG Bayern vom 21.10.2010

LSG Bayern: versorgung, beendigung, kündigung, entzug, anteil, heimbewohner, stadt, ermessen, pflegeheim, jahresgewinn

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 21.10.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 6 P 106/06
Bayerisches Landessozialgericht L 2 P 54/09 B
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 1. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.
II. Der Beschluss ergeht gebührenfrei.
III. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen die Festsetzung des Streitwertes auf 2,5 Millionen Euro. Dem lag im
Verfahren vor dem Sozialgericht Landshut ein Rechtsstreit über die Wirksamkeit der Kündigung eines
Versorgungsvertrages durch Bescheid vom 23. November 2006 zugrunde. Das Sozialgericht hob mit Urteil vom 25.
Juni 2009 den Bescheid der Beschwerdeführerinnen auf. Eine Streitwertfestsetzung enthielt das Urteil nicht. Das
Sozialgericht hat mit Beschluss vom 1. Dezember 2009 den Streitwert auf 2,5 Mio. Euro festgesetzt. Das vom
Beschwerdegegner betriebene Pflegeheim habe in den Jahren 2006 bis 2008 jeweils Umsätze von mehr als 3 Mio.
Euro erzielt, wie sich aus der Mitteilung vom 22. September 2009 ergebe. In der mündlichen Verhandlung vom 25.
Juni 2009 erklärte der Beschwerdegegner, dass der Unterschied zwischen den Leistungen nach § 43 a des Elften
Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XI) zu den Leistungen nach § 43 SGB XI jährlich 855,288.- Euro betrage, wobei sich
dieser Wert auf das Jahr 2008 bezog. Gemäß § 52 Abs. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) sei der nach oben begrenzte
Streitwert von 2,5 Mio. Euro festzusetzen. Zur Begründung der hiergegen gerichteten Beschwerde hat die
Bevollmächtigte der Beschwerdeführerinnen ausgeführt, die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12.
Juni 2008 (Az.: B 3 P 2/07 R), nach der bei der Kündigung eines Versorgungsvertrages der Streitwert nach dem
dreifachen Jahresumsatz aus der Versorgung der sozialversicherungspflichtigen Personen zu bemessen sei, könne
im vorliegenden Fall nicht einschlägig sein. Bei atypischen Fällen, in denen die Streitwertgrundsätze nicht den
wirtschaftlichen Interessen entsprechen, sei der Streitwert abweichend zu ermitteln. Aus einem Beschluss des BSG
vom 12. September 2006 (Az.: B 6 KA 70/05 B) lasse sich ableiten, dass es in einem atypischen Fall sachgerecht
sein könne, bezogen auf den üblichen Drei-Jahres-Zeitraum quartalsweise 5.000.- EUR anzusetzen. Vorliegend
handele es sich um einen atypischen Fall, weil die Einrichtung ungeachtet des laufenden Betriebs mit den üblichen
Umsätzen, die sie erwirtschafte, nicht nur keinen Überschuss über die Ausgaben habe, sondern defizitär arbeite. Der
Streitwert sei deshalb auf 60.000.- EUR festzusetzen. Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerde
zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall gehe es nicht um eine von ihm begehrte Zulassung nach § 72 SGB XI, sondern
um die Abwehr einer von den Beschwerdeführerinnen erklärten Zulassungsentziehung gemäß § 74 SGB XI. Die
bislang durch den 3. Senat des BSG angelegten Maßstäbe seien deshalb zu modifizieren. Bei überwiegend sozial
pflegeversicherten Personen würde der Verlust des Status als zugelassene Pflegeeinrichtung innerhalb kurzer Zeit
zum wirtschaftlichen Zusammenbruch der Pflegeeinrichtung führen. Die wirtschaftlichen Folgen seien gravierender als
bei der Ablehnung eines Antrags auf Zulassung. Es sei daher angemessen, für den Streitwert auf den aus der
Versorgung sozial versicherungspflichtiger Personen resultierenden dreifachen Jahresumsatz und nicht auf den
Jahresgewinn zurückzugreifen. Ein atypischer Fall im Sinne der Entscheidung des BSG vom 12. September 2006
liege nicht vor, insbesondere arbeite die Einrichtung nicht defizitär. Im Übrigen sei entscheidend allein der Umsatz,
nicht der Gewinn oder Verlust. Die Beschwerdeführerinnen haben darauf hingewiesen, dass durch die Beendigung des
Versorgungsvertrages der Einrichtung nicht der Ruin gedroht hätte. Es sei lediglich um die Frage gegangen, ob der
Versorgungsvertrag beendet und eine Vertragsbeziehung ausschließlich mit dem Sozialhilfeträger nach dem Zwölften
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Rahmen der Eingliederungshilfe eingegangen werden könnte. Diese
Sonderkonstellation rechtfertige jedenfalls den Gegenstandswert deutlich niedriger festzusetzen als dies bei der
endgültigen Beendigung jeglicher vertraglicher Beziehung mit allen Kostenträgern der Fall wäre. Der
Beschwerdegegner hat demgegenüber eingewandt, dass eine Einrichtung, der der Versorgungsvertrag gemäß §§ 71
Abs. 2, 72 SGB XI gekündigt wird, nicht automatisch einen Anspruch auf Abschluss einer Vereinbarung gemäß §§ 76,
77 SGB XII habe. Bei der Einrichtung handele es sich gerade nicht um eine Einrichtung der Eingliederungshilfe.
II. Die Streitwertbeschwerde ist zulässig (§ 197 a SGG, § 68 GKG), jedoch unbegründet.
Das Verfahren ist gemäß § 197 a SGG grundsätzlich kostenpflichtig. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus
§§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 3 Abs. 1, 52 GKG. In Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist der Streitwert
grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu
bestimmen, § 52 Abs. 1 GKG. Bietet der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die
Bestimmung des Streitwerts, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 Euro anzunehmen. Betrifft der
Antrag eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend, § 52
Abs. 3 GKG.
Bei Streitigkeiten über die Zulassung eines Pflegeheimes stellt die Rechtsprechung des BSG auf den Wert der
Jahresgewinne aus drei Jahren ab (BSG vom 12. Juni 2008, B 3 P 2/07 ER und Verweis auf BSG vom 10. November
2005, B 3 KR 36/05; LSG D-Stadt-Brandenburg vom 31. August 2006, Az.: L 24 B 31/06 P ER). Vorliegend richtete
sich der Rechtsstreit allerdings gegen den Entzug der Zulassung durch einen Kündigungsbescheid. Da dies in der
Regel für den betroffenen Träger der Einrichtung wirtschaftlich schwerwiegendere Folgen als die Nichtzulassung hat,
ist bei Streitigkeiten um die Abwehr einer Zulassungsentziehung auf den dreifachen Jahresumsatz abzustellen (BSG
v. 12. Juni 2008, a.a.O.). Insbesondere hat das BSG in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass bei einem
hohen Anteil sozial pflegeversicherter Personen an der Gesamtzahl der Heimbewohner der Verlust des Status als
zugelassene Pflegeeinrichtung in kurzer Frist zum wirtschaftlichen Zusammenbruch des Pflegeheimes führen würde.
Der Senat vermag vorliegend keinen atypischen Fall, der zur Abweichung von diesem Grundsatz führt, zu erkennen.
Die von den Beschwerdeführerinnen zitierte Entscheidung des 6. Senats des BSG vom 12. September 2006 (BSG,
a.a.O.) betrifft nur die Ausnahmefälle, dass die durchschnittlichen Umsätze dem wirtschaftlichen Interesse der
Betroffenen auch nicht annähernd entsprechen. Auch insoweit stellt das BSG aber auf den Umsatz und nicht auf den
Gewinn oder Verlust ab.
Darüber hinaus ist nach Ansicht des Senats zumindest für die Ermittlung der Grundlagen der Streitwertfestsetzung
nicht maßgeblich, ob stattdessen eine Vertragsbeziehung ausschließlich mit dem Sozialhilfeträger (der allerdings
vorliegend personengleich mit dem Beschwerdeführer ist) nach dem SGB XII eingegangen werden könnte. Formal
rechtlich sollte durch den Kündigungsbescheid nämlich das Vertragsverhältnis zum 30. November 2007
vollumfänglich beendet werden. Dadurch tritt kein Automatismus für den Abschluss einer Vereinbarung nach dem
SGB XII ein. Der Sozialhilfeträger war nicht einmal dem Verfahren beigeladen.
Es ist deshalb auch vorliegend angemessen, für den Streitwert in Streitigkeiten nach § 74 SGB XI auf den aus der
Versorgung sozial pflegeversicherter Personen resultierenden dreifachen Jahresumsatz und nicht auf den pauschalen
Regelstreitwert oder einen reduzierten Streitwert von 60.000.- Euro zurückzugreifen. Die Streitwertfestsetzung durch
das Sozialgericht auf den Höchstwert von 2,5 Millionen Euro (§ 52 Abs 4 GKG) war daher nicht zu beanstanden.
Die Gebührenfreiheit und die Kostenentscheidung folgen aus § 68 Abs. 3 GKG. Dieser Beschluss ist gemäß § 177
SGG unanfechtbar.