Urteil des LSG Bayern vom 03.02.2009

LSG Bayern: rechtsbeistand, abgabe, mindestbetrag, klagerücknahme, aussichtslosigkeit, ermessensfehlgebrauch, mündlichkeit, ausnahmefall, ermessensausübung, akte

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 03.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 6 R 120/08
Bayerisches Landessozialgericht L 20 B 671/08 R
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 24.06.2008 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Streitig war die Frage, ob von der Rente der Klägerin ein zusätzlicher Beitrag zur Krankenversicherung
einzubehalten war. Nach Fortsetzung des wegen einer ausstehenden Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG)
zur streitgegenständlichen Rechtsfrage ruhenden Klageverfahrens hat der Klägerbevollmächtigte die Anberaumung
eines Erörterungstermins ohne Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin und ohne - erneute - Beiziehung
der Akten der Beklagten begehrt. Das SG hat den Klägerbevollmächtigten auf die Missbräuchlichkeit der Fortführung
des Verfahrens wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit nach der Entscheidung der Rechtsfrage durch das BSG
hingewiesen und ihn aufgefordert, innerhalb eines Monats das Verfahren zu beenden, ansonsten könnten ihm bzw. der
Klägerin die durch die Fortführung des Verfahrens verursachten Kosten, mindestens 150,00 EUR, auferlegt werden.
Daraufhin hat der Klägerbevollmächtigte mitgeteilt, er habe einen Erörterungstermin beantragt, um die Klage
zurückzunehmen. In der mündlichen Verhandlung vom 24.06.2008 hat der Klägerbevollmächtigte die Klage nach vier
Minuten Verhandlungsdauer zurückgenommen. Das SG hat daraufhin beschlossen, der Klägerin Verschuldenskosten
in Höhe von 150,00 EUR aufzuerlegen (Beschluss vom 24.06.2008). Die Fortführung des Verfahrens nach
entsprechender Belehrung sei missbräuchlich und die Aussichtslosigkeit der weiteren Rechtsverfolgung dem
Klägerbevollmächtigten auch bekannt gewesen, denn er habe im beantragten Termin die Klage nur zurücknehmen
wollen. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens der Klägerin und die - erneute - Beiziehung von Akten der
Beklagten habe er nicht für erforderlich gehalten. Ein neuer Sachvortrag sei nicht erfolgt. Für dieses Verhalten gebe
es keinen vernünftigen Grund, außer dass für den Bevollmächtigten eine zusätzliche Terminsgebühr entstehe. Die
Durchführung eines Termins allein zur Befriedigung finanzieller Interessen des Bevollmächtigten müsse das Gericht
jedoch nicht hinnehmen, zumal sich - was im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen
sei - dieser in einer Vielzahl von Fällen ähnlich verhalten habe. Die tatsächlich erfolgte Klagerücknahme sei zu
berücksichtigen, so dass der Mindestbetrag von 150,00 EUR als vertretbar erscheine. Dagegen hat die Klägerin
Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Missbräuchlichkeit setze ein hohes Maß an Uneinsichtigkeit
voraus. Eine Terminsgebühr entstehe unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne Wahrnehmung eines Termins.
Die rechtlichen Erwägungen des SG könnten daher keinen Bestand haben. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf
die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, aber nicht
begründet. Zu Recht hat das SG der Klägerin Mutwillenskosten auferlegt. Sie muss sich das Verhalten ihres -
ehemaligen - Prozessbevollmächtigten bzw. Vertreters gemäß § 192 Abs 1 Satz 2 SGG zurechnen lassen. Dieser hat
den Rechtsstreit fortgeführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -
verteidigung dargelegt und er auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits
hingewiesen worden ist (§ 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG in der ab 01.04.2008 geltenden Fassung). Das SG hat dabei
das ihm zustehende Ermessen zutreffend ausgeübt und den Mindestbetrag (§§ 192 Abs 1 Satz 3, 184 Abs 2 SGG)
als Verschuldenskosten auferlegt. Der - ehemalige - Rechtsbeistand der Klägerin hat nach Fortsetzung des
Verfahrens bei vorangegangenem Ruhen mit Schreiben vom 25.02.2008 gebeten, einen Erörterungstermin abzuhalten,
wobei das persönliche Erscheinen der Klägerin und eine erneute Aktenanforderung bei der Beklagten nicht erforderlich
sei. Aus dieser Formulierung geht eindeutig hervor, dass er nach der Entscheidung des BSG - dieses Verfahren hatte
zur Anordnung des Ruhens des Verfahrens geführt - keinerlei Erfolgsaussichten für die erhobene Klage mehr sah und
der Termin nur der Abgabe einer Klagerücknahmeerklärung dienen sollte. Diese Einschätzung wird bestätigt durch
sein auf den rechtlichen Hinweis des SG bezüglich eventueller Mutwillenskosten übersandtes Schreiben vom
15.04.2008, in dem er ausdrücklich ausführt, der Erörterungstermin sei von ihm beantragt, um die Klagerücknahme zu
erklären. Ebenfalls belegt die Dauer der mündlichen Verhandlung bis zur Abgabe der Klagerücknahmeerklärung (vier
Minuten), dass es in dem Termin lediglich zur unmittelbaren Abgabe der Klagerücknahmeerklärung kam, ohne dass
ein Rechtsgespräch stattgefunden haben kann. Zur weiteren Begründung wird diesbezüglich gemäß § 142 Abs 2 Satz
3 SGG auf die Ausführungen des SG Bezug genommen. Hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin im Rahmen des
Beschwerdeverfahrens ist noch darauf hinzuweisen, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung bzw. eines
Beschwerdeverfahrens ist noch darauf hinzuweisen, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung bzw. eines
Erörterungstermins zwar zu den Kernstücken des (sozialgerichtlichen) Verfahrens gehört (Grundsatz der Mündlichkeit,
vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl. u.a. Rdnr 6 Vor § 60) und die Auferlegung von
Verschuldenskosten wegen des Wunsches nach einer solchen nur ganz ausnahmsweise erfolgen kann. Ein solcher
Ausnahmefall liegt hier jedoch vor, denn der Rechtsbeistand der Klägerin kann nur von dem Wunsch nach Anfallen
einer Terminsgebühr geleitet gewesen sein. Der Termin war u.a. nicht erforderlich, um etwaige offene Fragen
rechtlicher oder sachlicher Art auszuräumen oder eine noch zögernde Mandantschaft zu überzeugen; er war allein zur
Abgabe der Rücknahmeerklärung vom Rechtsbeistand beantragt worden. Nachdem in der konkreten prozessualen
Situation auch keine "fiktive" Terminsgebühr (VV Nrn 3104 bzw. 3106 zu RVG) hätte anfallen können, ergibt sich für
den Senat kein anderer Grund für das Verhalten des Rechtsbeistands als diese Terminsgebühr zu erlangen.
Insbesondere hat der Rechtsbeistand in der mündlichen Verhandlung vor dem SG keine anderweitigen Gründe
angegeben, sondern den Gerichtssaal verlassen. Hinsichtlich der zutreffenden Ermessensausübung des SG bestehen
keine Bedenken. Es liegt weder ein Ermessensnichtgebrauch noch ein Ermessensfehlgebrauch vor. Auch die Höhe
der auferlegten Verschuldenskosten ist nicht zu beanstanden. Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).