Urteil des LSG Bayern vom 18.01.2005

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.01.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 29 V 21/99
Bayerisches Landessozialgericht L 15 V 16/02
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.07.2002 wird ver- worfen. I.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Witwenrente bzw. um die Zulässigkeit der Berufung.
Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin ihrer 1921 geborenen und am 12.12.2003 verstorbenen Mutter (Erbschein
Amtsgericht G. vom 27.02.2004), die am 22.10.1997 Witwenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG)
nach ihrem am 04.09.1996 verstorbenen versorgungsberechtigten Ehemann, A. L. , (nachfolgend
Versorgungsberechtigter) beantragte. Bei diesem waren zuletzt mit Bescheid vom 13.05.1953 im Sinne der
Entstehung mit einer MdE von 40 v.H. "Herzleistungsminderung bei Myocardschaden, Lebergewebeschädigung" als
Schädigungsfolgen anerkannt. Laut Todesbescheinigung des Gesundheitsamtes G. vom 18.09.1996 war der Tod
durch "Herzinsuffizienz bei Tumor-Kachexie und Verdacht auf Colon NPL" eingetreten.
Mit Bescheid vom 15.12.1997 lehnte der Beklagte Witwenrente ab, weil kein ursächlicher Zusammenhang zwischen
dem Todesleiden und den anerkannten Schädigungsfolgen bestehe; auch eine Versorgung nach § 1 Abs.5 Satz 2 in
Verbindung mit § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG lehnte er ab. Den Widerspruch hiergegen vom 30.12.1997 wies er mit
Widerspruchsbescheid vom 19.01.1999 zurück. Witwenbeihilfe lehnte er mit Bescheid vom 15.07.1998 ab. Ein
Widerspruchsbescheid wurde trotz Einlegung des Widerspruchs hiergegen am 17.08.1998 bislang nicht erlassen, da
der Widerspruch trotz letztmaliger Mahnung vom 21.08.2002 bislang nicht begründet wurde. Auch die im
Witwenrentenverfahren eingeschaltete Rechtsanwältin wurde nicht mehr tätig.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.01.1999 erhob die Klägerin für ihre Mutter am 26.02.1999 Klage.
Mit Urteil vom 10.07.2002 wies das Sozialgericht München die Klage unter Bezug auf das Gutachten des
Sachverständigen M. , der Versorgungsärztin Dr. H. bzw. auf die Gründe der Verwaltungsentscheidungen ab.
Ausweislich der Zustellungsurkunde der Deutschen Post AG vom 24.07.2002 wurde das Urteil in den Briefkasten der
Mutter eingeworfen.
Am 27.08.2002 wurde dem Nachtbriefkasten des Bayer. Landessozialgerichts ein Schreiben der Klägerin vom
24.08.2002 entnommen, mit dem sie Berufung gegen dieses Urteil einlegte und gleichzeitig ankündigte, Begründung
und Vollmacht im Original nachzureichen.
Nachdem der Klägerin seitens des Gerichtes mit Schreiben vom 06.09.2002 mitgeteilt worden war, dass die
Rechtsmittelfrist am 26.08. endete und die Berufung vom 27.08.2002 verspätet sei, rief die Klägerin u.a. am
01.10.2002 bei Gericht an, verwies auf ihren seelisch zerrütteten Gesundheitszustand wegen ihrer auf der
Intensivstation liegenden Mutter und kündigte ihr Kommen bei Gericht an. Am 04.10.2002 erschien sie auf der
Geschäftsstelle und erklärte u.a., nicht in der Lage gewesen zu sein, die Berufung rechtzeitig einzuwerfen, da ihre
Mutter im Krankenhaus wegen eines Herzinfarktes gelegen habe, sie selbst im Dauerstress gestanden hätte und
zwischen dem Krankenhaus und ihrer Wohnung hin und her gependelt sei; den Briefkasten ihrer Mutter in Bad K. habe
sie aus zeitlichen Gründen nicht mehr regelmäßig kontrolliert; es sei auch nicht geklärt, ob ihre Mutter in ein
Pflegeheim müsse oder wieder nach Hause kommen könne; aus diesem Grunde sei auch sie gesundheitlich sehr
angeschlagen; deswegen habe sie die Berufungsschrift ihrer Kusine, Frau P. , in M. ihrer Erinnerung nach am
Wochenende 24./25.08. übergeben; diese habe sich per Taxi zum Gericht fahren lassen; der Taxifahrer habe die
Berufung dann in den Nachtbriefkasten eingeworfen; ihre Kusine sei der Auffassung, die Berufung sei noch rechtzeitig
vor Mitternacht eingeworfen worden.
In der nachfolgenden Zeit war es nicht möglich, Termine durchzuführen oder von der Klägerin Sachanträge zu
erhalten: die Klägerin legte für sich und ihre Mutter entsprechende ärztliche Atteste vor, bat um Aufschub des
Rechtsstreites, zuletzt am 20.02.2004 bis Ende des zweiten Quartals 2004 und stellte am 29.09.2004 u.a. telefonisch
eine Rücknahme der Berufung in Aussicht. In dem daraufhin am 28.10.2004 angesetzten Erörterungstermin erschien
sie nicht.
In der mündlichen Verhandlung war für die Klägerin niemand erschienen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.07.2002 sowie den Bescheid des
Beklagten vom 15.12.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.01.1999 aufzuheben und ihr
Witwenrente bis zum Tode ihrer am 12.12.2003 verstorbenen Mutter zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.07.2002 zu
verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen.
Zum Verfahren wurden beigezogen die Versorgungs- und Schwerbehindertenakten des Versorgungsberechtigten sowie
die Witwenrentenakten und die Akten des Bayer. Landessozialgerichts, Az.: L 7 V 193/72 und des Sozialgerichts
München, Az.: S 29 V 21/99.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts in den Verfahren des Beklagten und des Sozialgerichts wird gemäß § 202 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und § 543 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf den Tatbestand des angefochtenen
Urteils und die dort angeführten Beweismittel, hinsichtlich des Sachverhalts im Berufungsverfahren auf die
Schriftsätze samt Anlagen der Beteiligten und den Inhalt der Berufungsakte nach § 136 Abs. 2 SGG Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die formgerecht eingelegte Berufung ist wegen Versäumung der einmonatigen Berufungsfrist des § 151 Abs. 1 SGG
unzulässig und deshalb zu verwerfen.
Ausweislich der Zustellungsurkunde der Deutschen Post AG wurde das angefochtene Urteil am 24.07.2000 durch
Einwurf in den Briefkasten der Mutter und damit der richtigen Adressatin zugestellt. Die einmonatige Berufungsfrist
begann daher am 25.07.2002 und endete mit Ablauf des 26.08.2002, da zuvor ein Wochenende war (§§ 151 Abs. 1,
64 SGG). Nachdem die Berufungsschrift der Klägerin vom 24.08.2002 jedoch erst am 27.08.2002 beim Bayer.
Landessozialgericht einging, liegt keine fristgerechte Berufung vor.
Diese Versäumung der Rechtsmittelfrist kann auch nicht durch das Institut der "Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand" geheilt werden (§§ 67, 153 SGG). Obwohl die Klägerin im Schreiben des Gerichtes vom 06.09.2002
umfassend auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde, konnte sie glaubhaft keine Umstände darlegen, wonach sie
ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Wenn sie in der Niederschrift vom
04.10.2002 angibt, den Briefkasten ihrer Mutter aus zeitlichen Gründen nicht mehr regelmäßig kontrolliert und das
angefochtene Urteil wahrscheinlich erst am 24.08.2002 gefunden zu haben, so ist in diesem Verhalten eine
Nachlässigkeit zu sehen, die umso schwerer wiegt, als die Klägerin Bevollmächtigte ihrer Mutter im Klageverfahren
war und von dem Sozialgerichtstermin Kenntnis hatte. Dies zeigt zumindest die von ihr verfasste Mitteilung vom
08.07.2002 an das Sozialgericht, die von ihrer Mutter unterschrieben war. Auch die Übergabe der Berufungsschrift an
ihre Cousine und deren Weitergabe an den Taxifahrer zum Einwurf in den Nachtbriefkasten kann nicht als
ordnungsgemäße Wahrnehmung der Interessen ihrer Mutter bezüglich einer rechtzeitigen Berufungseinlegung gewertet
werden. Schließlich war auch der von der Klägerin geschilderte "Dauerstress" nicht geeignet, sie an der rechtzeitigen
Einlegung der Berufung zu hindern. Durch Krankheit wird die Versäumung der Frist zur Einlegung zwar grundsätzlich
schon dann entschuldigt, wenn sie so schwer war, dass ein Prozessbevollmächtigter nicht mit der
Beschwerdeeinlegung beauftragt und in gebotenem Umfang informiert werden konnte (vgl. z.B. BVerwG vom
19.07.1962, Az.: VIII B 186.60 in DVBl 1963, 684 und in MDR 1962, 931; das BSG zitiert diese Entscheidung in Az.:
9a BVg 10/91 vom 25.02.1992 und in Az.: 4 NB 35/93 vom 27.09.1993); die von der Klägerin geschilderte
Stresssituation erfüllt diese Kriterien einer Krankheit nicht, entsprechende ärztliche Unterlagen wurden nicht vorgelegt.
Unverständlich ist dem Gericht auch, dass die Klägerin die Berufungsschrift nicht, wie bereits früher im
Verwaltungsverfahren gefaxt hat. Unverständlich ist auch, warum sie die im Verwaltungsverfahren bereits beauftragte
Rechtsanwältin im Falle einer möglichen eigenen Verhinderung bzw. Überbelastung nicht mit der Einlegung der
Berufung beauftragte; auch die von ihr gegenüber der Verwaltung und später auch gegenüber dem Gericht
angekündigte Vertretung durch den VdK kam nicht zustande.
Nachdem eine fristgemäße Einlegung des Rechtsmittels damit nicht erfolgte, ist dem Senat die materiell-rechtliche
Prüfung der Witwenrente verwehrt.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).