Urteil des LSG Bayern vom 22.04.2010

LSG Bayern: getrennt lebender ehegatte, verkehrswert, verwertung, bedürftigkeit, eigentumswohnung, arbeitslosenhilfe, arbeitsloser, lebenshaltung, kaufpreis, erwerb

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.04.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 5 AL 693/04
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 143/05
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 23.02.2005 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat 1/5 der außerordentlichen Kosten des Klägers zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit vom 01.08.2001 bis
31.12.2001. Der 1939 geborene Kläger bezog Arbeitslosengeld (Alg) bis zu dessen Erschöpfung am 19.11.1999. Für
die Zeit vom 20.11.1999 bis 31.05.2000 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Alhi ab (Bescheid vom 03.04.2000 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2000). Dabei wurde u.a. eine sich im Eigentum des Klägers
befindende 55 qm große Wohnung in D., M. Weg, mit einem Verkehrswert von 10.000.- DM berücksichtigt. Die
dagegen geführte Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) und Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG)
blieben erfolglos. Im Klageverfahren holte das SG eine Stellungnahme des Verwalters der Wohnung in D., Herrn D. B.
(B), ein. Danach lag der Verkehrswert der Wohnung Anfang 2001 bei ca. 500,00 DM pro qm. B hatte die Wohnung
zumindest im Jahre 2000 persönlich gesehen (S 5 AL 278/00). Laut dem Urteil des Senats vom 29.04.2004 (L 10 AL
144/01) verfügte der Kläger zum damaligen Zeitpunkt über ein zumutbar verwertbares Vermögen (Aktienbesitz und
Bausparguthaben) i.H.v. 38.862,44 DM, welches die Bedürftigkeit für insgesamt 36 Wochen ausschließe. Auf den
Wert der Eigentumswohnung käme es daher nicht mehr an. Die hiergegen vom Kläger eingelegte
Nichtzulassungsbeschwerde blieb erfolglos (Beschluss des Bundessozialgericht - BSG - vom 29.04.2004 - B 11 AL
175/04 B - ). Nach einer Zeit der Beschäftigung bei der Fa. T. Tours in K. bezog der Kläger ab 04.12.2000 für 240
Tage bis 31.07.2001 Alg nach einem gerundeten Bemessungsentgelt i.H.v. 930,00 DM (ursprüngliches
Bemessungsentgelt 843,61 DM zuzüglich einer pauschalen Erhöhung um 10 % entsprechend der Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts, Beschluss vom 24.05.2000 - 1 BvL1/98 -. Ab dem 13.06.2002 war der Kläger wieder
versicherungspflichtig beschäftigt. Den anschließenden Antrag vom 11.07.2001 auf Alhi lehnte die Beklagte mit dem
streitgegenständlichen Bescheid vom 06.08.2001 ab. Der Kläger verfüge über ein Vermögen von 27.500,00 DM, das
verwertbar und dessen Verwertung zumutbar sei. Dabei werde der vom SG im Verfahren S 5 AL 278/00 ermittelte
Verkehrswert der im Eigentum des Klägers stehenden Wohnung mit 500,00 DM je qm zugrunde gelegt. Unter
Berücksichtigung eines Freibetrags von 8.000,00 DM verblieben 19.500,00 DM. Der Kläger sei damit für einen
Zeitraum von 23 Wochen (d.h. bis 08.01.2002) nicht bedürftig. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.06.2004 zurück. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht
Nürnberg (SG) erhoben. Mit Urteil vom 23.02.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Die fehlende Bedürftigkeit
ergebe sich allein aus der Verwertbarkeit der Eigentumswohnung. Der Verkehrswert der Wohnung Typ F im M. Weg
sei bei einer Größe von 55 qm im Jahre 2001 mit einem Verkehrswert von ca. 500,00 DM/qm anzusetzen, sodass bis
08.01.2002 von fehlender Bedürftigkeit auszugehen sei. Die Veräußerung der nicht selbst bewohnten Wohnung sei
auch zumutbar. Auf weiteres, noch vorhandenes Vermögen sei daher nicht einzugehen. Gegen dieses Urteil hat der
Kläger Berufung zum LSG eingelegt und zur Begründung ausgeführt, der Verkehrswert der Wohnung sei unzutreffend
ermittelt. Der Senat hat einen Versicherungsverlauf des Klägers von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) sowie
eine Stellungnahme des Gutachterausschusses des Amts für Bodenmanagement H. eingeholt. Danach ergab sich
aus der Auswertung der Kaufpreissammlung 2001 elf Verkaufsfälle von Wohnungen mit vergleichbarer
Wohnungsgröße und Wohnungslage, für die ein durchschnittlicher Kaufpreis von 252,63 Euro (= 494,10 DM) pro qm
gezahlt wurde. Mit Teilvergleich vom 08.04.2010 haben die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der Bewilligung
von Alhi für die Zeit ab 01.01.2002 übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich bereit erklärt, den
Anspruch auf Alhi für die Zeit ab 01.01.2002 erneut zu überprüfen. Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts
Nürnberg vom 23.02.2005 und den Bescheid der Beklagten vom 06.08.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24.06.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Arbeitslosenhilfe in der
gesetzlicher Höhe ab 01.08.2001 bis 31.12.2001 zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie
hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, sowie
der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist
aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid vom 06.08.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 24.06.2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger
war im allein noch streitigen Zeitraum vom 01.08.2001 bis 31.12.2001 nicht bedürftig. Nach § 190 Abs.1 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB III) in der ab 01.01.2000 geltenden Fassung (BGBl I 1999, S. 2624) hat Anspruch auf Alhi,
wer u.a. bedürftig ist (Nr.5). Bedürftig ist gemäß § 193 Abs. 1 SGB III in der ab 01.08.2001 geltenden Fassung (BGBl.
I 1997 S.594) ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebens
unterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende
Einkommen die Alhi nicht erreicht. Gemäß § 193 Abs. 2 SGB III ist ein Arbeitsloser nicht bedürftig, solange mit
Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder das Vermögen
einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt
ist. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, konkretisieren gem. § 206 SGB III die §§ 6 ff der
Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 07.08.1974 (BGBl. I S.1929) in der vom 01.08.2001 - 31.12.2001 geltenden
Fassung (BGBl I 2001, 266). Nach § 6 Abs. 1 AlhiV ist Vermögen des Arbeitslosen und seines nicht dauernd getrennt
lebenden Ehegatten zu berücksichtigen, soweit es verwertbar, die Verwertung zumutbar und der Wert des Vermögens,
dessen Verwertung zumutbar ist, jeweils 8 000,00 DM übersteigt. Vermögen ist insbesondere verwertbar, soweit seine
Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können (§ 6 Abs. 2 S. 1 AlhiV). Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1
AlhiV ist die Verwertung zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter
Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen
billigerweise erwartet werden kann. Nicht zumutbar ist hierbei u.a. die Verwertung von Vermögen, das für eine
alsbaldige Berufsausbildung, zum Aufbau oder zur Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage oder zur
Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt ist (Satz 2 Nr.3) oder eines Hausgrundstückes von
angemessener Größe, das der Eigentümer bewohnt, oder einer entsprechenden Eigentumswohnung oder eines
Vermögens, das nachweislich zum alsbaldigen Erwerb eines solchen Hausgrundstückes oder einer solchen
Eigentumswohnung bestimmt ist (Satz 2 Nr.7). Für eine Alterssicherung i.S.d. § 6 Abs.3 S. 2 Nr. 3 AlhiV ist
Vermögen u.a. bestimmt, wenn der Arbeitslose und sein nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte dieses nach dem
Eintritt in den Ruhestand zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts verwenden wollen und eine der Bestimmung
entsprechende Vermögensdisposition getroffen haben, § 6 Abs. 4 AlhiV. Nach § 8 AlhiV ist das Vermögen ohne
Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Für die Bewertung ist der
Zeitpunkt maßgebend, in dem der Antrag auf Alhi gestellt wird, bei späterem Erwerb von Vermögen der Zeitpunkt des
Erwerbs. Änderungen des Verkehrswerts sind nur zu berücksichtigen, wenn sie erheblich sind. Der Kläger war in der
Zeit vom 01.08.2001 bis 31.12.2001 aber nicht bedürftig. Er verfügte bei der Beantragung von Alhi am 11.07.2001
zumindest über ein Vermögen i.H.v. 27.500,00 DM. Dies ergibt sich zur Auffassung des Senats aus der eingeholten
Auskunft des Gutachterausschusses des Amts für Bodenmanagement H. vom 02.04.2008. Danach waren nach einer
Auswertung der Kaufpreissammlung im Erfassungsjahr 2001 elf Verkaufsfälle von Wohnungen mit vergleichbarer
Wohnungsgröße und Wohnungslage zu einem durchschnittlichen Kaufpreis von 252,63 EUR/qm (= 494,10 DM/qm)
festzustellen. Damit ist hinsichtlich der Wohnung von einem Verkehrswert von 500,00 DM/qm auszugehen, unter
Berücksichtigung einer Wohnungsgröße von 55 qm ergab sich ein Verkehrswert von 27.500,00 DM. Bestätigt wird
dies durch die vom SG in dem bereits abgeschlossenen Verfahren S 5 AL 278/00 eingeholte und im Wege des
Urkundsbeweises nach § 118 Abs. 1 SGG iVm §§ 415 ff Zivilprozessordnung (ZPO) verwertbare Stellungnahme des
Wohnungsverwalters B. Dieser hatte die Wohnung zumindest Anfang 2000 anlässlich einer Übergabe persönlich
gesehen und konnte sich damit einen Eindruck des individuellen Zustandes der Wohnung zum damaligen Zeitpunkt
bilden. Unter Berücksichtigung des Freibetrags von 8.000,00 DM verblieb somit ein verwertbares Vermögen des
Klägers i.H.v. 19.500,00 DM. Anhaltspunkte dafür, dass die Verwertung der Wohnung nicht zumutbar gewesen sein
könnte, sind vom Kläger nicht vorgetragen worden und dem Senat auch nicht ersichtlich. Die Verwertung der
Wohnung ist nicht offensichtlich unwirtschaftlich und kann unter Berücksichtigung einer angemessenen
Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens billigerweise erwartet werden. Eine außergewöhnliche Erwerbsbiografie
(vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25.05.2002 - B 11a/11 AL 73/04 R, SozR 4 - 4220 § 6 Nr 3), die das Vorliegen einer
besonderen Härte begründen könnte, liegt beim Kläger unter Berücksichtigung des beigezogenen
Versicherungsverlaufs nicht vor. Eine Verwendung der Wohnung zur Alterssicherung nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 AlhiV war
offensichtlich nicht gegeben, jedenfalls fehlte es an einer entsprechenden Vermögensdisposition (§ 6 Abs.4 Nr.1
AlhiV). Eine Ausnahmegrund nach § 6 Abs.3 Nr.7 AlhiV lag nicht vor, die Wohnung wurde vom Kläger nicht selbst
bewohnt. Nach § 9 AlhiV besteht Bedürftigkeit nicht für die Zahl voller Wochen, die sich aus der Teilung des zu
berücksichtigenden Vermögens durch das Arbeitsentgelt ergibt nach dem sich die Alhi richtet, d.h. das Netto-
Bemessungsentgelt gem. § 136 SGB III. Dieses beträgt 840,00 DM. Vorliegend begehrt der Kläger Alhi im Anschluss
an das bis 31.07.2001 bezogene Alg, sodass § 200 Abs.1 SGB III in der ab 01.01.2001 bis 31.12.2002 geltenden
Fassung (BGBl I 2000 S. 594) anzuwenden ist. Danach ist bei der Bemessung der Alhi des Klägers ab 01.08.2001
zwar das Bemessungsentgelt heranzuziehen, nachdem das zuletzt bis 31.07.2001 bezogene Alg bemessen worden
ist, vermindert jedoch um den Betrag, der auf einmalig gezahltem Arbeitsengelt beruht und somit vermindert um die
von der Beklagten vorgenommene pauschale 10-prozentige Erhöhung (vgl. BSG, Urteil vom 04.11.1999 - B 7 AL
76/98 R - SozR 3-4100 § 136 Nr 11). Das Vermögen i.H.v. 19.500.- DM ist auch zu berücksichtigen, obwohl die
Beklagte - nicht aber nachfolgend das SG und das LSG - das Haus bzw. das damit verbundene Vermögen bereits bei
der Ablehnung des Anspruches auf Alhi für die Zeit ab 20.11.1999 im Bescheid vom 03.04.2000 angesetzt hatte. Der
Alg-Bezug des Klägers für die Zeit ab 04.12.2000 führte nach § 196 Abs.1 Nr.1 SGB III in der ab 01.01.1998
geltenden Fassung (BGBl I 1997 S. 594) zu einem Erlöschen des vorherigen Alhi-Anspruchs für die Zeit ab
20.11.1999. Damit handelte es sich für die Frage des Alhi-Bezugs ab 01.08.2001 nicht mehr um den "gleichen" Alhi-
Anspruch (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 19.12.2001 - B 11 AL 49/01 - veröffentlicht in juris). Eine erneute
Berücksichtigung der Eigentumswohnung war damit möglich.
Die Beklagte hat somit zu Recht einen Wegfall der Bedürftigkeit für 23 Wochen festgestellt (19.500,00 DM, geteilt
durch 840,00 DM). Der Kläger war jedenfalls für den streitgegenständlichen Zeitraum bis 31.12.2001 nicht bedürftig
und hat keinen Anspruch auf Alhi. Das Vorhandensein weiterer Vermögenswerte bleibt daher ohne Bedeutung. Nach
alledem war die Berufung zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und ergibt sich unter
Berücksichtigung des Teilvergleichs vom 08.04.2010 aus dem jeweiligen Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.