Urteil des LSG Bayern vom 10.12.2003

LSG Bayern: erwerbsfähigkeit, berufsunfähigkeit, verfassungsrecht, härte, fürsorge, eingriff, rechtsgrundlage, zusammenwirken, solidarität, gesundheit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.12.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 12 RA 387/00
Bayerisches Landessozialgericht L 13 RA 166/01
Bundessozialgericht B 4 RA 17/04 B
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27. März 2001 wird zurückgewiesen.
II. Die Klage gegen die Bescheide vom 01.02.2002 sowie vom 22.08.2002 wird abgewiesen. III. Außergerichtliche
Kosten sind nicht zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kürzung der Rente wegen Berufsunfähigkeit wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze in der Zeit
ab Mai 2000 bis Juni 2002 mit Ausnahme der Zeit vom Januar 2002 bis März 2002.
Der 1955 geborene Kläger ist bei der Firma F. Computers GmbH als Auditor und Qualitätsplaner in Teilzeit (seit 7/02
16 Stunden, ab 1.1.2003 17 Stunden, jeweils pro Woche) beschäftigt. Wegen einer dialysepflichtigen
Niereninsuffizienz erhielt er seit 01.12.1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) auf Zeit (vgl. Bescheid vom
21.11.1996), seit 01.06. 1998 Rente wegen BU auf Dauer (vgl. Bescheid vom 11.05.1998). Eine Änderung des
Rentenanspruchs aufgrund der zweiten Nierentransplantation im März 1999 ist nicht eingetreten. Wegen
Überschreitens der Hinzuverdienstgrenze berechnete die Beklagte die Rente ab 01.02.1999 neu; der Bescheid vom
19.04.2000 ist bestandskräftig geworden.
Mit streitigem Bescheid vom 10.08.2000 hob die Beklagte wegen Änderung des Hinzuverdienstes den Bescheid vom
19.04.2000 mit Wirkung ab 01.05.2000 auf und forderte eine Überzahlung von 2.756,74 DM zurück (vgl. §§ 48 Abs.1
Satz 2 Nr.3, 50 Abs.1 SGB X). Eine monatliche Tilgungsrate von 200,00 DM werde ein- geräumt. Der Widerspruch
wurde mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2000 zurückgewiesen. Bei ausreichender Aufklärung über die
individuellen Hinzuverdienstgrenzen bestehe kein Vertrauensschutz, das öffentliche Interesse an der Rücknahme
über- wiege die Interessen des Klägers. Das Vorgehen der Beklagten sei nicht ermessensfehlerhaft, die monatliche
Ratenzahlung sei keine unbillige wirtschaftliche Härte.
Mit der zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgetragen, die Kürzung
der Rente um 1/3 bei Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze um acht Euro sei völlig unverhältnismäßig.
Gesundheitsbedingt könne er nicht mehr als 18 Stunden pro Woche arbeiten, um diese Kürzung auszugleichen.
Unterhalb der Hinzuverdienstgrenze könne er firmenbedingt nicht arbeiten.
Durch Urteil vom 27.03.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Grundlage für die Kürzung seien § 96a Abs.2 Nr.2
SGB VI (in Kraft bis 31.12.2000) und § 313 SGB VI (in Kraft ab 01.01. 2001). Einwände gegen die Berechnung würden
nicht erhoben. Unstreitig überschreite der Kläger ab 01.05.2000 die Hinzuverdienstgrenze für die volle Rente wegen
Berufsunfähigkeit. Die- se Grenze betrage ab 01.07.2000 4.683,00 DM. Der Bescheid vom 19.04.2000 sei nach § 48
Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGB X aufzuheben, die Überzahlung in Höhe von 2.756,74 DM (5/00 bis 9/00) sei zurückzuzahlen.
Die Regelungen des § 96a Abs.1 Nr.1, Abs.2 Nr.2a und 2b SGB VI und des § 313 SGB VI verstießen nicht gegen
Verfassungsrecht, insbesondere nicht gegen den Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG. Der Gesetzgeber habe mit
dem Gesetz vom 15.12. 1995 (BGBl.I S.1824) ab 01.01.1996 die Teilrente bei Überschreiten bestimmter
Hinzuverdienstgrenzen eingeführt. Ziel sei es gewesen, die Lohnersatzfunktion der Rente wegen Berufs- bzw.
Erwerbsfähigkeit (BU bzw. EU) zu stärken und insbesondere zu verhindern, dass Rente bzw. Erwerbseinkommen
insgesamt höher seien als der Verdienst vor Eintritt der BU bzw. EU. Der Gesetzgeber habe zum einen nach dem
individuellen Verdienst im letzten Jahr vor dem Eintritt der BU bzw. EU differenziert, woraus sich die individuelle
Verdienstgrenze errechne. Die Einführung der drei Grenzen führe im Fall des Klägers wegen geringfügigen
Überschreitens zu einer Härte, die nicht verfassungswidrig sei. Andererseits habe der Kläger bisher von der Regelung
profitiert, da eine stärkere Differenzierung (z.B. fünf Stufen) bereits früher zu einer geringeren Rente wegen BU geführt
hätte.
Mit seiner zum Bayer. Landesssozialgericht (LSG) eingelegten Berufung rügt der Kläger einen Verstoß der streitigen
Regelungen (§§ 96a Abs.2 Nr.2 und 313 SGB VI) gegen die Grundrechte aus Art.3 und Art.14 GG. Die
Dritteldifferenzierung sei zu grob. Da sein Einkommen nach der allgemeinen Lohnentwicklung schneller steige als die
an die Rentenentwicklung gekoppelte Hinzuverdienstgrenze, führe dies auf lange Sicht zu einer noch weiteren
Kürzung seiner BU-Rente, was er nach Art.14 GG nicht hinzunehmen brauche. Ab Juli 2002 habe er seine Arbeitszeit
auf 16 Stunden pro Woche reduziert, so dass er seit diesem Zeitpunkt die volle Rente wegen BU erhalte. Eine
ständige Reduzierung der Arbeitszeit sei jedoch aufgrund seiner leitenden Stellung und der übertariflichen Entlohnung
durch den Arbeitgeber nicht möglich. Ab 01.01.2003 arbeite er 17 Stunden pro Woche und erhalte damit noch die
ungekürzte Rente. Übersichten zum Vergleich "Bruttoeinkommensentwicklung (Regeleinkommen) zu
Hinzuverdienstgrenze" werden vorgelegt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.03.2001 aufzuheben und die Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 10.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2000 sowie der
Bescheide vom 01.02.2002 und 22.08.2002 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.05.2000 bis 30.06.2002,
ausgenommen die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.03.2002, weiterhin die volle Rente wegen Berufsunfähigkeit ohne
Kürzung zu zahlen und die zu gewährende Rentenleistung vom 01.10.2000 mit 4 % zu verzinsen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat wegen eines anderen Beitragssatzes in der Krankenversicherung ab 01.01.2002 (vgl. Bescheid vom
01.02. 2002) bzw. wegen Änderung des Hinzuverdienstes und der Rentenanpassung ab 01.07.2000 die Rente wegen
BU neu berechnet. (vgl. Bescheid vom 22.08.2002).
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die
Verwaltungsakten der Beklagten. Auf ihren Inhalt wird zur Ergänzung des Tatbestands Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Senat konnte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden. Das SG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger im streitigen
Zeitraum (01.05.2000 bis 30.06.2002) ein Anspruch auf ungekürzte Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) nicht zusteht.
Der Senat weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück und sieht bis
auf das Folgende von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe nach § 153 Abs.2 SGG ab.
Streitig ist allein der Zeitraum vom 01.05.2000 bis 30.06.2002, wie ihn der Kläger im Antrag im Erörterungstermin vom
24.09. 2003 bestimmt hat. Für eine Entscheidung über diesen Zeitpunkt hinaus in die Zukunft fehlt das
Rechtsschutzbedürfnis. Denn für die Zeit ab 01.07.2002 ist der Kläger bei ungekürzter Zahlung von Rente wegen BU
nicht beschwert.
Rechtsgrundlage für Aufhebung des Bescheides vom 19.04.2000 ist § 48 Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGB X. Was die Höhe
der Überzahlung in Höhe von 2.756,74 DM sowie die Berechnung der Rente wegen BU ab 01.05.2000 angeht, werden
weder Einwände erhoben noch sind solche ersichtlich. Dies gilt auch für die nachfolgend ergangenen Bescheide vom
01.02.2002 und 22.08.2002, die nach § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sind.
Ein Verstoß der vom Kläger gerügten Vorschriften (§ 96a Abs.1, Abs.2 Nr.2a und Nr.2b SGB VI, in der Fassung bis
31.12.2000, sowie § 313 Abs.1, Abs.2 Nr.2, Abs.3 Nr.1 SGB VI, in der Fassung ab 01.01.2001) gegen
Verfassungsrecht, insbesondere gegen Art.14 und Art.3 GG, ist nicht ersichtlich.
Durch Art.14 Abs.1 GG war der Gesetzgeber nicht gehindert, ab 01.01.1996 erstmals Hinzuverdienstgrenzen für
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einzuführen. Richtig ist, dass der Kläger durch Entrichtung von
Pflichtbeiträgen Ansprüche und Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) erwirbt, die dem
Schutz des Art.14 GG unterfallen. Geschützt sind die Rechte in ihrem Gesamtbestand, wie sie sich aus dem
funktionalen Zusammenwirken der verschiedenen Elemente nach der jeweiligen Gesetzeslage ergeben, nicht dagegen
einzelne Anspruchs- bzw. Berechnungselemente (vgl. BVerfGE 53, 257, 293; 58, 81, 109).
Die Einführung der Hinzuverdienstgrenzen und damit der Eingriff in diese Rechte ist jedoch nach Art.14 Abs.1 Satz 2
GG gerechtfertigt. Die GRV beruht wesentlich auf dem Gedanken der Solidarität ihrer Mitglieder sowie des sozialen
Ausgleichs und enthält von jeher auch ein Stück sozialer Fürsorge (vgl. BVerfGE 58, 81, 110; 76, 256, 301; BVerfG,
Beschluss vom 29.12.1999, 1 BvR 679/98). Rentenansprüche weisen zwar einen hohen personalen Bezug auf.
Zugleich stehen sie jedoch in einem ausgeprägt sozialen Zusammenhang. Aus Art.14 Abs.1 Satz 2 GG hat der
Gesetzgeber daher die Befugnis, Rentenansprüche und Rentenanwartschaften zu beschränken, Leistungen zu kürzen
und Ansprüche und Anwartschaften umzugestalten, sofern dies einem Gemeinwohlzweck dient und dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit genügt (vgl. BVerfGE 100, 1, 37 f.).
Mit der Einführung der Hinzuverdienstgrenzen durch das Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 15.12.1995 (BGBl.I S.1824) war bezweckt, bei den Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit die Lohnersatzfunktion zu stärken und zu bewirken, dass auch Arbeiten auf Kosten der
Gesundheit für die Ermittlung der Höhe des Hinzuverdienstes berücksichtigt werden müssten. Damit sollte
sichergestellt werden, dass ein Versicherter, dessen Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wegen eines
Hinzuverdienstes gekürzt wird, nicht besser gestellt wird, als wenn an die Stelle des Arbeitsentgelts oder
Arbeitseinkommens eine kurzfristige Lohnersatzleistung tritt (vgl. BT-Drucks 13/2590, S.23 zu Nr.5; 13/8671, S.118).
Schließlich sollten unerwünschte Ausweichreaktionen von der Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres auf
die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vermieden werden (vgl. BT-Drucks 13/8011, S.54). Der Gesetzgeber
hat auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Denn zweimal im Laufe eines Kalenderjahres ist das
Überschreiten bis zum Doppelten der jeweils geltenden Hinzuverdienstgrenze unbeachtlich. Bei der Prüfung der
Hinzuverdienstregelung des § 96a SGB VI ist ein zu berücksichtigender Hinzuverdienst den jeweiligen, ggfs.
anteiligen Hinzuverdienstgrenzen gegenüberzustellen. Insgesamt ist daher diese zur Stärkung des Prinzips von
Leistung und Gegenleistung (sog. Äquivalenz-Prinzip) eingeführte Rechtsänderung nicht zu beanstanden.
Ebenso wenig verstößt die Einführung der Hinzuverdienstgrenzen zum 01.01.1996 gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass Stichtagsregelungen
für die Schaffung von Ansprüchen wie für das In-Kraft-Treten belastender Regelungen trotz der damit verbundenen
Härten grundsätzlich zulässig sind (vgl. BVerfGE 44, 1, 21; 58, 81, 126; 75, 78, 106; 80, 297, 311; 87, 1, 43 f.),
vorausgesetzt, der Gesetzgeber hat seinen Spielraum in sachgerechter Weise genutzt, die für die zeitliche
Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt und eine sachlich begründete Entscheidung
getroffen (vgl. BVerfGE 95, 64, 88 f.). Diese Gesichtspunkte hat der Gesetzgeber bei der Wahl des Stichtages am
01.01.1996 beachtet. Dabei wird auf die Begründung zu Art.14 GG (vgl. oben) Bezug genommen.
Die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente wegen BU in drei Stufen (Vollrente, 2/3 - Rente, 1/3 - Rente) in § 96a SGB VI
ist eingeführt worden, um so dem jeweiligen Einzelfall angemessen Rechnung tragen zu können. (vgl. BT-Drucks
13/2590, S.20, 23). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie in der gesetzlichen Rentenversicherung ist der
Gesetzgeber berechtigt, zu generalisieren, typisieren und zu pauschalieren (vgl. BVerfGE 84, 348, 360; 87, 234, 255
f.). Dabei ist dem Gericht die Prüfung verwehrt, ob der Gesetzgeber die jeweils beste, gerechteste oder
zweckmäßigste Lösung gefunden hat (vgl. BVerfGE 81, 156, 206; 71, 255, 271). Anhaltspunkte, dass er bei dieser
Grenzziehung willkürlich vorgegangen ist, sind nicht ersichtlich. Die Ungleichbehandlung hält einer Prüfung am
Maßstab des Art.3 Abs.1 GG umso eher stand, als die Betroffenen die Wirkung der Norm und damit die
unterschiedliche Behandlung weitgehend selbst vermeiden können (vgl. BVerfGE 95, 267, 316). Vorliegend hat der
Kläger zumindest für die Zeit ab Juli 2002 durch Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber die für ihn ungünstigen Folgen
der Hinzuverdienstgrenzen ausgeschlossen.
Nach alledem ist die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung ist daher als unbegründet
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.