Urteil des LSG Bayern vom 11.05.2005

LSG Bayern: sachleistung, pflegeheim, amtshandlung, form, unterbringung, auskunft, leistungsanspruch, vorverfahren, beratung, imbezillität

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.05.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 P 102/00 E-FdV
Bayerisches Landessozialgericht L 2 P 14/01
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 14. Dezember 2000 aufgehoben. Die
Beklagte wird verurteilt, dem Kläger EUR 4.090,34 zu erstatten. II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu
erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Tragung von Kosten einer Heimunterbringung.
Die bei der Beklagten versicherte und am 25.06.1998 verstorbene M. W. litt an Oligophrenie vom Grade der
Imbezillität und befand sich seit 1955 in Pflegeeinrichtungen, seit 23.06. 1995 im A.heim M ... Die Kosten der
Heimunterbringung wurden vom Kläger als Sozialhilfeträger getragen.
Dem A.heim M. wurde in einer Entscheidung der Arbeitsgemeinschaft der Pflegekassenverbände in Bayern am
13.06.1996 der Bestandsschutz nach § 73 Abs.3 Satz 2 SGB XI verweigert. Ein Versorgungsvertrag mit dem
Heimträger kam für die Zeit ab 01.12.1996 zustande.
Am 23.01.1996 beantragte der Betreuer der Versicherten bei der Beklagten Leistungen der Pflegeversicherung für die
stationäre Unterbringung, am 21.06.1996 stellte der Kläger einen solchen Antrag nach § 91a BSHG. Aus beiden
Anträgen ergab sich die Unterbringung der Versicherten im A.heim. Die Pflegebedürftigkeit der Versicherten nach
Pflegestufe 1 ist unstreitig.
Mit Bescheiden vom 11. und 30.04.1997 an die Betreuer gewährte die Beklagte Leistungen wegen der vollstationären
Pflege ab dem 01.03.1997 und teilte dem Kläger mit Schreiben vom 17.04.1997 mit, dass sie für die Zeit vom
01.12.1996 bis 28.02.1997 monatlich DM 2.000 nachzahle. Über die Zeit davor werde der Kläger zu gegebener Zeit
Mitteilung erhalten. Am 21.04.1997 begehrte der Kläger von der Beklagten die Erstattung der Pflegekosten in Höhe
von DM 2.000 monatlich für die Zeit vom 01.07.1996 bis 28.02.1997.
Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 25.02.1998 bereit, monatlich DM 400 zu zahlen und verweigerte im
Übrigen die Erstattung von Kosten, weil mit dem Pflegeheim für diesen Zeitraum kein Versorgungsvertrag bestanden
und die Versicherte nur Anspruch auf Sachleistungen in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung gehabt habe.
Der Kläger hat zur Begründung seines Anspruches unter anderem vorgetragen, die Beklagte habe es unterlassen, der
Versicherten die zustehende Sachleistung rechtzeitig in einer zugelassenen Einrichtung zu erbringen und müsse
deshalb hierfür haften.
Das Sozialgericht hat die am 23.03.1998 erhobene Klage auf Erstattung von DM 8.000 für den Zeitraum vom 01.07.
bis 30.11. 1996 als unbegründet abgewiesen. Für das A.heim habe in dem streitigen Zeitraum kein
Versorgungsvertrag bestanden, die Beklagte sei deshalb nicht leistungspflichtig gewesen.
Der Kläger beantragt, den Rechtsstreit an das örtlich und sachlich zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen,
hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, ihr einen Betrag von DM 8.000 für die Zeit vom 01.07. bis 30.11.1996 für die
vollstationäre Pflege der M. W. zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Das Begehren des Klägers, die Verweigerung des Bestandsschutzes für das A.heim aufzuheben, ist in beiden
Rechtszügen erfolglos geblieben (Urteil des Senats vom selben Tage).
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144
SGG besteht nicht.
Die Berufung ist auch begründet.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 104 SGB X. Danach hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger
Anspruch auf Erstattung der von ihm erbrachten Sozialleistungen gegen den Leistungsträger, gegen den der
Sozialleistungsberechtigte vorrangig einen Anspruch hatte. Nachrangig verpflichet ist ein Leistungsträger, soweit
dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung
verpflichtet gewesen wäre. Die Versicherte M. W. hatte einen Anspruch gegen die Beklagte aus dem
Pflegeversicherungsverhältnis, der dem Anspruch gegen den Kläger auf Sozialhilfeleistungen vorging (§ 13 Abs.3
SGB XI). Die Beklagte war deshalb grundsätzlich in Höhe ihrer eigenen Leistungspflicht erstattungspflichtig. Hierfür ist
der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet (§ 114 Satz 2 SGB X, § 51 Abs.1 Nr.2 SGG). Dem Hauptantrag des
Klägers war schon aus diesem Grunde nicht stattzugeben.
Zutreffende Klageart war die Leistungsklage, bei der ein Vorverfahren nicht stattzufinden hatte (Meyer-Ladewig,
Kommentar zum SGG, 7. Aufl., § 54 Rdnr.4; § 114 Rdnr.11).
Die Versicherte hatte für den fraglichen Zeitraum einen Leistungsanspruch gegen die Beklagte nach § 43 SGB XI
i.V.m. Art.49a Pflegeversicherungsgesetz, weil bei ihr die Voraussetzungen der Pflegestufe I gegeben waren und eine
häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich war. Es handelte sich um einen Sachleistungsanspruch, auch wenn
er in Form einer pauschalierten Kostenerstattung zu erbringen war (vgl. Leitherer, KassKomm, § 43 SGB XI Rdnr.11).
Hierbei ändert die Ausgestaltung des Leistungsanspruches nichts an der Tatsache, dass gegenüber dem Träger des
Pflegeheimes zunächst die Versicherte Schuldnerin des Heimentgeltes war.
Der Anspruch der Versicherten auf die Sachleistung bestand zwar grundsätzlich nur, sofern es sich bei der in
Anspruch genommenen Leistung des Heimträgers um eine solche einer zugelassenen Einrichtung, d.h. einer
Einrichtung, mit der ein Versorgungsvertrag geschlossen war oder als geschlossen galt, handelte (Leitherer, a.a.O.,
Rdnr.10). Wenngleich dies hier für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht der Fall war, hatte die Versicherte
dennoch einen Kostenerstattungsanspruch als Folge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches (vgl. hierzu
Seewald, KassKomm, vor § 38 SGB I Rdnr.30 ff.).
Der von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt
voraus, dass der Sozialleistungsträger eine ihm aufgrund Gesetzes oder Sozialrechtsverhältnisses obliegende Pflicht,
insbesondere zur Auskunft und Beratung, verletzt hat. Weiter ist erforderlich, dass zwischen der Pflichtverletzung des
Sozialleistungsträgers und dem Nachteil des Betroffenen ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Schließlich muss
der durch das pflichtwidrige Verwaltungshandeln eingetretene Nachteil durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt
werden können (vgl. BSG, Urteil vom 16.12. 2004 - Az.: B 9 VJ/03 R).
Die Beklagte hatte in Kenntnis der Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Leistungserbringers durch die
Versicherte die sich aus § 7 Abs.2 SGB XI und §§ 14 und 15 SGB I ergebende Pflicht, diese zum einen darauf
hinzuweisen, dass hierfür eine Leistungspflicht der Beklagten nicht bestand und zum anderen die Pflicht, ein
Pflegeheim nachzuweisen, das die Versicherte als Sachleistung hätte in Anspruch nehmen können (vgl. BSG SozR
1300 § 18 Nr.11; SozR 3-3300 § 12 Nr.1). Wegen der Verletzung dieser Verpflichtung hatte die Beklagte die
Versicherte so zu stellen, wie sie bei Inanspruchnahme einer zugelassenen Einrichtung gestanden wäre. Sie hatte ihr
insoweit grundsätzlich die Kosten der tatsächlich in Anspruch genommenen Leistung im angemessenen Umfang zu
ersetzen. Hierbei handelt es sich auch um eine zulässige Amtshandlung, denn die Kostenerstattung ist die vom
Gesetz vorgesehene Ausgestaltung des Sachleistungsanspruchs. Die Beklagte hätte deshalb der Versicherten nach §
43 SGB XI i.V.m. Art.49a § 1 Abs.1 Pflegeversicherungsgesetz jedenfalls pauschal monatlich DM 2.000 im Wege des
Herstellungsanspruches zu erstatten gehabt. Die Betragsbeschränkungen des § 34 Abs.2 SGB XI und Art.49a § 1
Abs.3 Pflegeversicherungsgesetz greifen im vorliegenden Fall nicht ein. Es handelte sich um jährlich zu bestimmende
Ausgabenbeschränkungen, die nach einer Überprüfung zum 1. September und 1. März des Jahres ggf. durch
nachfolgende Bescheide umzusetzen waren. Bei einer solchen nachträglichen Änderung durch Bescheide wäre eine
Verschlechterung für die Vergangenheit gegenüber der Versicherten nach § 45 SGB X nicht rechtmäßig gewesen. Es
braucht deshalb nicht entschieden zu werden, ob die damals geregelte Betragsbeschränkung auch einen
sozialrechtlichen Herstellungsanspruch beschränken würde (s. hierzu BSG SozR 3-3300 § 12 Nr.1).
Die von der Beklagten für die Versicherte zu erbringende Sozialleistung hat der Kläger erbracht, er war hierzu nur
nachrangig verpflichtet und hat deshalb gegen die Beklagte einen entsprechenden Erstattungsanspruch nach § 104
Abs.1 SGB X. Der Kläger hat den Anspruch innerhalb der Frist des § 111 SGB X geltend gemacht und beziffert.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 Abs.4 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.