Urteil des LSG Bayern vom 22.07.2003

LSG Bayern: berufsunfähigkeit, rente, industrie, bayern, erwerbsfähigkeit, ausbildung, tarifvertrag, firma, wartezeit, behinderung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.07.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 25 RJ 557/99
Bayerisches Landessozialgericht L 5 RJ 608/00
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. Juli 2000 insoweit abgeändert,
als Berufsunfähigkeit ab 27. März 2000 anzuerkennen ist und dem Kläger ab 1. Oktober 2000 bis 31. März 2004 die
gesetzlichen Leistungen zu gewähren sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. II. Im Übrigen wird die Berufung
der Beklagten zurückgewiesen. III. Die Beklagte erstattet dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des
Rechtsstreits. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit ab Antragstellung am 26.08.1998.
Der am 1966 geborene Kläger hat in der Zeit vom 01.09.1982 bis Mitte 1988 den Beruf des Metzgers erlernt und die
Lehre am 18.07.1988 mit der Gesellenprüfung abgeschlossen. Anschließend war er bis 30.09.1988 bzw. vom
15.01.1989 bis 21.11.1989 versicherungspflichtig beschäftigt. Am 18.03.1990 erlitt er bei einem privaten Mopedunfall
einen Tibiakopfbruch rechts mit Gelenkflächenbeteiligung sowie eine Sprengung des Sternoclaviculargelenks links.
Seither war der Kläger lediglich von April 1999 bis April 2001 versicherungspflichtig beschäftigt. Es handelte sich
dabei um eine Tätigkeit als Hilfskraft in der Gipsmodellvorbereitung und - entsorgung nach einer Anlernzeit von 6
Wochen.
Wegen der Bewegungseinschränkung im Kniegelenk wurde der Grad der Behinderung nach dem
Schwerbehindertengesetz mit 20 festgestellt. Ein Neufeststellungsantrag wurde am 02.04.2001 abgelehnt.
Am 21.11.1991 beantragte der Kläger erstmals die Gewährung von Rente und gab an, zuletzt als Fahrer beschäftigt
gewesen zu sein. Nachdem ärztlicherseits festgestellt worden war, dass der Kläger als Metzger weniger als zwei
Stunden einsatzfähig sei, gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 13.10.1992 dem Kläger Rente wegen
Berufsunfähigkeit auf Zeit vom 10.02.1992 bis 30.06.1993.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 25.08.1993 wurde die Weitergewährung der Berufsunfähigkeitsrente über den
30.06.1993 hinaus abgelehnt. Der Kläger könne sowohl als Metzger als auch als Prüfer in der fleischverarbeitenden
Industrie vollschichtig tätig sein.
Eine von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Umschulungsmaßnahme zum Datenverarbeitungskaufmann brach
der Kläger am 30.06.1995 wegen mangelnder Rechtschreibkenntnisse ab. Wegen Auffälligkeiten im
Persönlichkeitsbereich wurde eine Psychotherapie empfohlen, die anschließend stationär gewährt wurde. Die
Fachärzte diagnostizierten eine narzißtische Persönlichkeitsstörung, entließen den Kläger vorzeitig und hielten leichte
und mittelschwere Arbeiten unter qualitativen Einschränkungen für vollschichtig zumutbar.
Unter Verweisung auf Tätigkeiten als Verkaufsmetzger und Kontrolleur in der fleischverarbeitenden Industrie lehnte die
Beklagte eine Rentengewährung mit Bescheid vom 22.03.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
25.06.1997 erneut ab. Mit Bescheid vom 28.01.1997 lehnte sie es auch ab, berufsfördernde Maßnahmen zu
gewähren. Im Widerspruchsbescheid vom 24.10.1997 heißt es, die Beklagte sei mangels Berufsunfähigkeit des
Klägers nicht für berufsfördernde Maßnahmen zuständig.
Das Arbeitsamt Traunstein gewährte dem Kläger ab 02.03.1998 eine Integrationsmaßnahme, die nach einem privaten
Autounfall am 09.03.1998 abgebrochen wurde.
Am 26.08.1998 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die
Beklagte ließ ihn von dem Orthopäden Dr.G. untersuchen, der in seinem Gutachten vom 01.10.1998 eine chronisch
rezidivierende Gonalgie rechts bei Zustand nach Tibiakopffraktur feststellte. Der Kläger könne auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten. Vermieden werden sollten langes Stehen und einseitige
körperliche Belastungen, die zu einer Überlastung im Bereich des rechten Kniegelenks führten. Denkbar wäre eine
stufenweise Wiedereingliederung in seinen alten Beruf als Metzger, die zuletzt ausgeübte schwere körperliche
Tätigkeit als Akkordmetzger könne er nicht mehr ausüben. Mit angefochtenem Bescheid vom 05.11.1998
(Widerspruchsbescheid vom 27.01.1999) lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente ab, da der Kläger trotz der
bestehenden Gesundheitsstörungen noch in der Lage sei, in seinem Lehrberuf vollschichtig tätig zu sein.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Gericht nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte ein
orthopädisches Gutachten in Auftrag gegeben. Nach ambulanter Untersuchung am 27.03.2000 hat der
Sachverständige Dr.K. in seinem Gutachten vom 02.04.2000 als Hauptleiden degenerative Veränderungen an der
lasttragenden Wirbelsäule diagnostiziert. Wegen der Erkrankung insbesondere an der unteren Lendenwirbelsäule
könnten schwerste Arbeiten nicht mehr abverlangt werden. Ausschließlich gehende bzw. stehende Beschäftigungen
seien nicht mehr möglich. Anforderungen als Metzger seien nicht mehr zumutbar, da es hierbei zu teils erheblichen
wirbelsäulenbelastenden Hebe- und Tragearbeiten komme und die Beschäftigung nahezu ausschließlich in stehender
Position erfolge. Eine Tätigkeit als Kontrolleur in der fleischverarbeitenden Industrie sei dem Kläger abzuverlangen.
Dem hat Dr.S. von Seiten der Beklagten zugestimmt und als weitere Verweisungstätigkeiten Disponent im
Fachhandel für Fleischereibedarf, Restaurantmanager und Partyservicekraft genannt. Als weitere Verweisungstätigkeit
hat die Beklagte ferner die Tätigkeit als Sachbearbeiter in der fleischverarbeitenden Industrie angeführt.
Das Sozialgericht München hat die Beklagte am 04.07.2000 zur Anerkennung der Berufsunfähigkeit ab 26. August
1998 und zur Leistungsgewährung ab 01.09.1998 verurteilt. Der Kläger genieße Berufsschutz als Metzger und sei
nicht auf eine Tätigkeit als Qualitätskontrolleur zu verweisen. Auch die übrigen von der Beklagten genannten
Verweisungstätigkeiten schieden angesichts der Stellungnahmen des Landesarbeitsamts Bayern vom 22.05.1998
bzw. 29.11.1994 aus.
Gegen das am 17.10.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30.10.2000 Berufung eingelegt. Der Kläger genieße
keinen Berufsschutz, da er nicht mindestens 60 Monate als Facharbeiter eingesetzt gewesen sei. Die dreijährige
Ausbildung habe den Zeitraum von September 1982 bis Juli 1988 und sieben Lehrherren benötigt. Vor dem Unfall im
März 1990 sei der Kläger zuletzt entsprechend den eigenen Angaben im ersten Rentenverfahren ab Juli 1988 als
Fahrer bei der Firma M. tätig gewesen. Die vom Sozialgericht genannten Landesarbeitsamts-Stellungnahmen seien
nicht ins Verfahren eingeführt worden.
Der Kläger hat eine Arbeitsbescheinigung der nicht mehr existenten Firma M. vom 03.12.1997 überreicht, wonach er
dort vom 24.05. bis 21.11.1989 als Metzer beschäftigt war. Auch hat er einen Arbeitsvertrag mit der SB
Warenhausgesellschaft S. mbH vom 13.08.1990 über eine Beschäftigung als Metzger vorgelegt. Ausweislich der
Bestätigung der AOK Rosenheim war der Kläger vom 24.05. bis 21.11.1989 als Metzger gemeldet.
Der Senat hat eine Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern zur konkreten Einsatzfähigkeit des Klägers in den
von der Beklagten genannten Berufen angefordert, die am 22.04.2003 erstellt worden ist. Danach sind Arbeitsplätze
für Qualitätskontrolleure Schonarbeitsplätze und erfordern Tätigkeiten als Sachbearbeiter in der fleischverarbeitenden
Industrie ebenso wie die als Disponent, als Telefonverkäufer, als Restaurantmanager und als Partyservicekraft eine
längere Einarbeitungszeit als drei Monate.
Die Beklagte hat eingeräumt, dass die genannten Verweisungstätigkeiten aufgrund ihres zu hohen Niveaus
auszuschließen seien, hat jedoch unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 27.12.2002
ausgeführt, die Tätigkeit eines Kassierers an Selbstbedienungstankstellen komme als eine zumutbare
Verweisungstätigkeit in Betracht.
Zur Verweisbarkeit eines Metzgers auf eine Tätigkeit als Tankstellenkassierer ist in der mündlichen Verhandlung am
24.07. 2003 eine berufskundliche Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern vom 07.05.2003 übergeben worden.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.07.2000 aufzuheben und die Klage gegen den
Bescheid vom 05.11. 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27.01.1999 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.07.2000
zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts München, der
Schwerbehindertenakten sowie der Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch nur teilweise als begründet.
Das Urteil des Sozialgerichts München vom 04.07.2000 ist insoweit abzuändern, als Beginn und Dauer der Rente
wegen Berufsunfähigkeit betroffen sind. Der Bescheid der Beklagten vom 05.11.1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27.01.1999 ist nur insoweit abzuändern, als Leistungen wegen Berufsunfähigkeit auch
für die Zeit ab 01.10.2000 abgelehnt worden sind. Der Leistungsfall der Berufsunfähigkeit ist am 27.03.2000
eingetreten. Die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen
Berufsunfähigkeit sind gegeben. Eine Befristung der Rente ist vorzunehmen, um dem Grundsatz des Vorrangs der
Leistungen zur Teilhabe vor Rentenleistungen Geltung zu verschaffen. Der Beklagten ist Gelegenheit zu geben, vor
Gewährung einer Dauerleistung Möglichkeiten der beruflichen Wiedereingliederung zu prüfen.
Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit haben Versicherte, wenn sie berufsunfähig sind, in den letzten 5 Jahren
vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufweisen
und vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Berufsunfähig sind Versicherte, deren
Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und
seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken
ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle
Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen
Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs.1 und Abs.2 Satz 1 und 2 SGB VI in der gemäß § 300 Abs.2
SGB VI bis 31.12.2001 maßgebenden Fassung). Unstreitig ist seit der Begutachtung durch Dr.K. im Klageverfahren,
dass der Kläger die erlernte Tätigkeit als Metzger nicht mehr ausüben kann. In seiner Stellungnahme vom 26.04.2000
hat Dr.S. dem gerichtlichen Sachverständigen darin beigepflichtet, dass der Kläger keine ausgeprägten und
anhaltenden Geh- und Stehbelastungen mehr bewältigen kann und schweres Heben und Tragen in der Größenordnung
von ca. 20 kg nicht mehr zumutbar ist. Diese Einschränkungen sind mit dem Anforderungsprofil eines Metzgers nicht
vereinbar. Als Metzger genießt der Kläger jedoch Berufsschutz.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf, d.h. die der Versicherungsflicht
zugrunde liegende Berufstätigkeit, die der Versicherte zuletzt auf Dauer verrichtet hat. Das letzte
versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis vor der Untersuchung durch Dr.K. übte der Kläger vom 24.05.1989
bis 21.11.1989 aus. Ausweislich der Bescheinigung des damaligen Arbeitgebers, der Firma M. , sowie der AOK
Rosenheim handelte es sich dabei um eine Tätigkeit als Metzger. Zweifel hieran hat die Beklagte zuletzt nicht mehr,
wohl aber im Berufungsbegründungsschriftsatz im Hinblick auf die eigene Angabe des Klägers im ersten
Rentenverfahren geäußert. Danach war er ab 1988 als Fahrer tätig. Selbst im Fall einer minder qualifizierten Tätigkeit
als Fahrer könnte hingegen von keiner Lösung vom Beruf des Metzgers ausgegangen werden, nachdem der Kläger lt.
Vertrag mit der SB-Warenhausgesellschaft S. mbH vom 13.08.1990 - wenige Tage nach seinem Unfall am 18.03.1990
- erneut versuchte, in seinen Beruf zurückzukehren.
Der Berufsschutz scheitert auch nicht daran, dass der Kläger keine 60 Kalendermonate als ausgebildeter Metzger
zurückgelegt hat. Richtig ist, dass der Kläger seinen durch eine ungewöhnlich lange Ausbildung erlernten Beruf nur
wenige Monate ausgeübt hat. Von Oktober 1988 bis Dezember 1988 weist der Versicherungsverlauf keinerlei Beiträge
auf, Anfang 1989 hat er zwei Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Angestellten entrichtet, war im März 1989
krank und schließlich ab 22.11.1989 arbeitslos. Entscheidend ist aber, dass die erlernte Tätigkeit tatsächlich nach
Erfüllung der Wartezeit von 60 Kalendermonaten noch ausgeübt worden ist. Die allgemeine Wartezeit hatte der Kläger
bereits im Februar 1988 erreicht. Die danach ausgeübte Tätigkeit als Metzger hat daher trotz ihrer kurzzeitigen Dauer
Berufsschutz begründet (ebenso BSG vom 11.09.1980, Az.: 1 RJ 94/ 79).
Der Leistungsfall der Berufsunfähigkeit ist nicht bereits vor dem 27.03.2000 eingetreten. Zwar ist dem Kläger bereits
für die Zeit vom 10.02.1992 bis 30.06.1993 Berufsunfähigkeitsrente zuerkannt worden und sowohl im zweiten als auch
im dritten Rentenverfahren haben die von der Beklagten zugezogenen Ärzte ein untervollschichtiges
Leistungsvermögen als Metzger festgestellt. Diese Einschätzung basierte jedoch ausschließlich auf der Behinderung
von Seiten des rechten Knies. Dessen Funktion fand Dr.G. in seinem Gutachten vom 01.10.1998 infolge des vom
Kläger betriebenen Trainings gekräftigt. Der Orthopäde hielt deshalb mittelschwere bis schwere Arbeiten für
vollschichtig zumutbar. Dass diese Beurteilung von Dr.K. nicht geteilt wird, hängt damit zusammen, dass im
Vordergrund seiner Diagnosen ein fehlstatisch degeneratives Wirbelsäulensyndrom steht, das die berufliche
Leistungsbreite beginnend einschränkt. Durch die festgestellten Erkrankungen insbesondere an der unteren
Lendenwirbelsäule ist die körperliche Belastbarkeit so weit reduziert, dass schwerste Arbeiten dem Kläger nicht mehr
abzuverlangen sind. Die diskreten Aufbrauchserscheinungen am Hüft- und Kniegelenk verbieten ausschließlich
gehende bzw. stehende Beschäftigungen. Erst durch das Hinzutreten der Veränderungen an der Wirbelsäule, die auch
Beschwerden verursachen, verbietet sich die Ausübung des Metzgerberufs. Nachdem der Kläger selbst angegeben
hat, seit zwei bis drei Wochen unter akuten Schmerzen an der Lendenwirbelsäule zu leiden und auch die
Befundberichte der behandelnden Ärzte keine entsprechenden Auffälligkeiten enthalten haben, ist erst ab dem
Untersuchungszeitraum bei Dr.K. von einer relevanten Leistungsminderung auszugehen.
Dem Kläger ist keine der von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten zumutbar. Auch für die Beklagte
nachvollziehbar hat das Landesarbeitsamt in seiner Stellungnahme vom 22.04.2003 ausgeführt, dass weder die
Tätigkeit als Qualitätskontrolleur noch die als Sachbearbeiter in der fleischverarbeitenden Industrie, als Disponent im
Fachhandel für Fleischereibedarf, als Telefonverkäufer, Restaurantmanager oder Partyservicekraft in Betracht
kommen. Auf eine Tätigkeit darf nur verwiesen werden, wenn die für sie notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten
innerhalb einer bis zu drei Monate dauernden Einarbeitung und Einweisung erworben werden können (SozR 2200 §
1246 Nr.23; SozR a.a.O. Nr.38, 86). Bei den Vorkenntnissen des Klägers, der seinen erlernten Beruf im Akkord
verrichtet hat, ist nicht davon auszugehen, dass er Zugang zu einem der genannten Arbeitsplätze haben dürfte.
Er kann auch nicht auf die Tätigkeit eines Kassierers an Selbstbedienungstankstellen verwiesen werden. Zwar nimmt
die Beklagte Bezug auf das im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27.12.2002 (Az. L 6 RJ 251/02)
angeführte Anforderungsprofil, das auch im Urteil desselben Senats vom 19.12.2001 (L 6 RJ 211/00) Gegenstand
umfangreicher Erörterungen war. Zutreffend weist das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz darauf hin, dass auch das
Bundessozialgericht davon ausgeht, dass der Kassierer an Selbstbedienungstankstellen eine von der Wertigkeit des
Berufs her für einen Facharbeiter zumutbare Verweisungstätigkeit darstellt (BSG vom 16.11.2000 Az.: B 13 RJ 17/00
R). In keiner der genannten Entscheidungen wird jedoch ausgeführt, ob für einen Fachfremden eine höchstens
dreimonatige Einarbeitungszeit ausreicht, um die Tätigkeit des Kassierers auf echter Anlernebene vollwertig
auszuüben. Zweifel hieran hatte bereits das Landessozialgericht für das Saarland in seiner Entscheidung vom
29.06.2000 (Az.: L 1 RJ 80/98) angemeldet und unter Bezugnahme auf Systematik und Wortlaut der
Gruppeneinteilung im einschlägigen Tarifvertrag die Verweisbarkeit eines gelernten Gleisbauers auf Tätigkeiten als
Kassierer an Selbstbedienungstankstellen verneint. Mit den darin enthaltenen Gründen hat sich der 6. Senat des LSG
Rheinland-Pfalz in seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2001 (a.a.O.) nicht auseinandergesetzt.
Systematik und Wortlaut der im einschlägigen Tarifvertrag für die Arbeitnehmer/innen des Tankstellen- und
Garagengewerbes in Bayern enthaltenen Gruppeneinteilung haben Ähnlichkeit mit dem im Saarland geltenden
Tarifvertrag für die Tätigkeit eines Kassierers an einer Selbstbedienungstankstelle. So wird in der Vergütungsgruppe 4
zwischen Kassieren mit Tätigkeiten im Shop in der einjährigen Anlernzeit und mit Kassieren mit Tätigkeiten im Shop
nach der Anlernzeit mit einjähriger Berufserfahrung differenziert. Mit dem LSG Saarland geht der Senat daher davon
aus, dass in der Vergütungsgruppe 4 kaufmännische Kenntnisse erwartet werden und darüber hinaus eine
verantwortliche umfassende Tätigkeit, möglicherweise mit Inkassovollmacht und Dispositionsbefugnissen, was etwa
den Einkauf angeht, gemeint ist. Da der Kläger über keinerlei kaufmännische Qualifikation verfügt, kann nicht
abgesehen werden, dass er die dort verlangten Qualifikationen in einer geringeren Zeit erwerben kann als der
vorgesehenen einjährigen Anlernzeit.
Zutreffend führt das LSG Saarland aus, dass sich eine sehr kurze Anlernzeit von weniger als drei Monaten mit dem
landläufigen Bild von Beschäftigten verknüpft, die in Tankstellen tatsächlich nur die Kasse bedienen und eventuell
das Sortiment auffüllen. Insoweit handelt es sich aber um reine Hilfstätigkeiten , die unter der Anlernebene liegen und
dem Kläger deshalb sozial unzumutbar sind.
Auch in der Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern vom 07.05.2003 für das SG Würzburg zur Verweisbarkeit
eines Metzgers auf die Tätigkeit als Tankstellenkassier heißt es unter Berufung auf den Tarifvertrag des Bayerischen
Einzelhandels, eine Einstufung als Kassierer setze eine einschlägig abgeschlossene Ausbildung oder eine dreijährige
Berufstätigkeit voraus. Ohne kaufmännische Vorkenntnisse reiche eine höchstens dreimonatige Einarbeitungszeit
erfahrungsgemäß nicht aus, die Qualifikationsebene der Anlernberufe zu erreichen. Mangels Benennung einer
zumutbaren Verweisungstätigkeit ist der Kläger daher berufsunfähig.
Die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitsrente begegnet keiner- lei versicherungsrechtlichen Problemen. Der Kläger
hat im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 27.03.1995 bis 27.03.2000 mehr als drei Jahre Pflichtbeiträge im Sinne
des § 43 Abs.1 Ziff.2 i.V.m. § 38 Satz 2 Ziff.3 SGB VI a.F. vorzuweisen.
Die in der Zeit vom 01.05.1999 bis Anfang 2001 ausgeübte vollschichtige Tätigkeit bei einer orthopädietechnischen
Firma war keine zumutbare Verweisungstätigkeit. Sie konnte bereits nach einer Anlernzeit von 6 Wochen ausgeübt
werden und beinhaltete Hilfsarbeiten bei der Gipsmodellvorbereitung und -entsorgung.
Die Rente wegen Berufsunfähigkeit ist zu befristen. Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden gemäß § 102
Abs.2 SGB VI a.F. auf Zeit geleistet, wenn begründete Aussicht besteht, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit in
absehbarer Zeit behoben sein kann. Zwar haben verschiedene Eingliederungsversuche des Arbeitsamts aus
unterschiedlichen Gründen (Rechtsschreibschwäche, Persönlichkeitsauffälligkeiten, Unfallereignis 1998) keinen Erfolg
gezeitigt und der Kläger zeigt wenig Bereitschaft, an einer qualifizierten Wiedereingliederung mitzuwirken. Die
Beklagte hat es bislang und zuletzt mit Widerspruchsbescheid vom 24.10.1997 abgelehnt, dem Kläger
berufsfördernde Maßnahmen zu gewähren. Begründet hat sie dies mit der mangelnden Berufsunfähigkeit des Klägers.
Nachdem diese jetzt feststeht, ist der Beklagten Gelegenheit zu geben, dem Antrag und der Verpflichtung des erst
36-jährigen Klägers auf Wiedereingliederung in das Erwerbsleben Rechnung zu tragen und Leistungen zur
Rehabilitation anzubieten. Weil diese Vorrang vor Rentenleistungen haben (§ 9 Abs.1 Satz 2 SGB VI a.F.) ist die
Rentengewährung bis zum Abschluss der Berufsfindung bzw. Arbeitserprobung zu begrenzen. Hierfür wird ein
Zeitraum von einem Dreivierteljahr als angemessen erachtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.