Urteil des LSG Bayern vom 28.03.2007

LSG Bayern: eltern, kaufmännischer angestellter, deutsches reich, aufenthalt, inhaftierung, internierung, freiheit, anerkennung, jugend, verfolgter

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.03.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 13 R 469/05 WG
Bayerisches Landessozialgericht L 1 R 705/06
Bundessozialgericht B 13 R 27/07 BH
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. Mai 2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung des
Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).
Der 1933 in C. (heute Ukraine) geborene Kläger ist Inhaber des Ausweises für Vertriebene und Flüchtlinge A. Nach
seinen Angaben ist er als Jude im Kindesalter mit seinen Eltern nach Deutschland deportiert worden. Im Rahmen
einer Kontenklärung gab er an, in der Zeit von Februar 1949 bis August 1955 als Bauzeichner (Lehre), als
Baupraktikant sowie als kaufmännischer Angestellter, in der Zeit von 1957 bis 1966 in Film- und Fernsehproduktionen
und ab 1967 bis Mai 1988 in der Apotheke seiner Ehefrau beschäftigt gewesen zu sein. Ausbildungen habe er am
Institut für Bildjournalismus in den Jahren 1955 bis 1957, an der Journalistenschule in P. im Jahre 1960 sowie an der
Hochschule für Politik in M. vom April 1973 bis März 1980 absolviert. Ab 01.03.1998 bezieht er von der Beklagten
Regelaltersrente (Bescheid vom 02.10.2003).
Am 30.06.2003 beantragte der Kläger die Überprüfung seiner Rente unter Berücksichtigung des ZRBG. Am
14.01.2004 übersandte er den hierzu ausgefüllten Fragebogen und führte Folgendes aus: "In der Anlage Aufenthalt im
Ghetto L. (L./Polen) durch Gestapo und SS. Aufgriff B./Österreich - St.M./Schweiz, der so genannten damaligen
deutschen Reichsgrenze, als unsere österreichische Heimat durch das Deutsche Reich besetzt war. Unfreiwilliger
Transport mit meinen Eltern nach L ..." Auf Fragen der Beklagten zum Beginn und Ende der Beschäftigung gab der
Kläger das Jahr 1943 an. Er sei außerhalb des Ghettos beschäftigt gewesen, wobei eine tägliche Rückkehr in das
Ghetto erfolgt sei. Im aufgelösten Teil des Ghettos habe er Wertsachen, Ritualgegenstände und versteckten
Schmuck den ganzen Tag über gesucht. Er sei einfach von der SS ausgesucht worden. Eine Entlohnung wie
Ghettogeld, Lebensmittel oder Sachbezüge habe es nicht gegeben. Außerdem gab er an, mit den Eltern durch
Deportation ins Feindesland Deutsches Reich gekommen zu sein. Seine verlorene Kindheit und Jugend könne er
niemals vergessen und er könne nicht verzeihen.
Die Beklagte zog vom Bundesministerium der Finanzen die Entschädigungsakte bei, in der sich eine eidesstattliche
Versicherung des Klägers vom 20.10.1972 befindet. Darin heißt es, dass er mit seinen Eltern 1940 die Heimat C.
verlassen und nach Deutschland habe flüchten müssen. Er sei im Alter von sieben Jahren in einem
Forschungsinstitut in L. zum Zwecke wissenschaftlicher Experimente abgesondert worden und
Untersuchungsprozeduren ausgesetzt gewesen. Besonders bedrückend sei für ihn der Umstand gewesen, dass er
längere Zeit gezwungen gewesen sei, getrennt von seinen Eltern zu leben. Allerdings sei er selbst nie seiner Freiheit
beraubt gewesen im Sinne einer Internierung oder Inhaftierung. Ständig habe er jedoch nach Maßgabe der
Bedingungen in psychischer Spannung gelebt. Seit der Verfolgung leide er unter neurovegetativen Störungen und
Beschwerden.
Mit Überprüfungsbescheid vom 11.08.2004 lehnte die Beklagte die Anerkennung von Zeiten einer Beschäftigung in
einem Ghetto nach dem ZRBG ab. Die Überprüfung des Bescheides vom 02.10.2003 habe ergeben, dass die
Altersrente in zutreffender Höhe festgestellt worden sei. Die Anerkennung der behaupteten Zeit der Beschäftigung im
Ghetto L. im Jahre 1943 werde abgelehnt, weil diese Zeit weder nachgewiesen, noch ausreichend glaubhaft gemacht
worden sei. Eine Beschäftigung, die die Anwendung des ZRBG rechtfertigen würde, sei nicht ausgeübt worden. Der
Aufenthalt in einem Ghetto sei nicht nachgewiesen, da sich der Kläger, entsprechend der eidesstattlichen Erklärung
vom 20.10.1972, nach der Flucht aus C. in L. aufgehalten habe. Hinweise auf einen Aufenthalt in L. seien nicht zu
ersehen. Im Widerspruchsverfahren führte der Kläger aus, im Ghetto L. habe er Knechtarbeit mit anderen Kindern im
aufgelösten jüdischen Stadtteil geleistet. Er habe keine Kindheit und Jugend gehabt. Sie sei ihm genommen worden.
Ihm stehe eine Verfolgtenrente zu. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2005 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Eine Tätigkeit im Sinne des ZRBG liege erst dann vor, wenn tatsächlich Entgelt oder Sachbezüge in
wesentlichem Umfang gewährt worden seien. Die Rente nach dem ZRBG sei keine Entschädigungsleistung für das
erfahrene Unrecht oder den Aufenthalt und die Arbeit im Ghetto. Das ZRBG ermögliche nur zusätzliche
rentenrechtliche Zeiten. Es liege kein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ZRBG vor, wenn dieses nicht auf einem
freien Willensentschluss beruhe. Eine Zwangsarbeit, die für das Überleben unabdingbar gewesen sei, falle nicht unter
die Regelung dieses Gesetzes. Eine entgeltliche Beschäftigung habe der Kläger nicht geltend gemacht. Die Annahme
einer versicherungspflichtigen Beschäftigung scheide auch auf Grund des damaligen Lebensalters aus.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und ausgeführt,
die Bundesrepublik Deutschland habe Wiedergutmachung zu leisten. Sie habe als Rechtsnachfolgerin eine ethische
und moralische Verpflichtung gegenüber dem jüdischen Personenkreis und sich mit ihrer bedingungslosen Kapitulation
verpflichtet, die Schuld zu begleichen. Es sei eine Zumutung für ihn als Jude, vor einem "BRD-Tribunal" zu
erscheinen, wenn noch immer NS-Literatur in den Werkstätten des Unrechts gelehrt würde. Er habe damals als
Zehnjähriger unter Aufsicht im aufgelösten jüdischen Stadtviertel von L. nach Wertgegenständen suchen müssen und
er sei misshandelt worden. Er hat ein Schreiben der C. vom 17.12.2004 über die Auszahlung einer Entschädigung für
Mitglieder des Schweizer Flüchtlingsprogramms vorgelegt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat er erklärt, er
wisse nicht mehr so genau, wann er im Ghetto L. gewesen sei.
Mit Urteil vom 12.05.2006 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf
eine zusätzliche Anrechnung von fiktiven Beitragszeiten nach dem ZRBG. Dieses Gesetz setzte voraus, dass es
sich bei der Tätigkeit nicht um eine reine obrigkeitlich angeordnete Zwangsarbeit gehandelt habe, sondern den
Verfolgten noch ein gewisser Spielraum habe verbleiben müssen. Zwar sei eine Altersgrenze, wie bei der
Ersatzzeitregelung, nämlich das vollendete 14. Lebensjahr, im ZRBG nicht enthalten. Auch habe es für den Bereich
des Ghettos L. Legitimationskarten mit der Bezeichnung Lehrling für verschiedene Ressorts gegeben, die ein deutlich
jüngeres Alter als 14 Jahre aufgewiesen hätten, so dass die Tatsache, dass der Kläger in der streitigen Zeit noch
nicht 14 Jahre alt gewesen sei, kein zwingendes Hindernis für Ghetto-Beitragszeiten sei. Inwieweit das 14. Lebensjahr
im Einzelfall unterschritten werden könne, sei aber eine Frage, die hier nicht zu entscheiden sei. In der
eidesstattlichen Erklärung vom 20.10.1972 habe der Kläger unmissverständlich angegeben, er sei selbst nie seiner
Freiheit im Sinne einer Internierung oder Inhaftierung beraubt gewesen. Das Ghetto L. sei bereits am 30.04.1940
hermetisch abgeriegelt worden. Es habe unter strikter Bewachung gestanden und bereits am 11.04.1941 sei vom
Kommando der Schutzpolizei ein Sonderbefehl für den Schusswaffengebrauch bei der Bewachung des Ghettos L.
erlassen worden. Angesichts dieser Isolierung, der strikten Bewachung und der mehr als katastrophalen
Lebensverhältnisse im Ghetto im Jahr 1943 sei es ausgeschlossen, dass jemand, der im Ghetto L. gewesen sei,
diesen Aufenthalt nicht als Internierung oder Inhaftierung betrachtet habe. Insoweit sei ein unauflösbarer Widerspruch
zu den jetzigen Angaben des Klägers gegeben. Im Übrigen habe der Kläger angegeben, er sei einfach von der SS
ausgesucht worden. Auch eine Entlohnung sei klar und unmissverständliche verneint worden, womit zusätzlich die
Voraussetzungen des ZRBG nicht erfüllt seien.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und ausgeführt, die Bundesrepublik Deutschland habe sich
gegenüber dem Staat Israel verpflichtet, erlittenes Unrecht wieder gut zu machen. Die Bundesrepublik Deutschland
sei verpflichtet, ihm eine NS-Verfolgtenrente zu zahlen. Seine verlorene Kindheit und Jugend könne ihm keiner
ersetzen.
Im Zuge des Erörterungstermins vom 13.12.2006 hat der Kläger erklärt, er sei etwa im Frühjahr 1943 mit den Eltern
ins Ghetto L. gekommen und nach seiner Erinnerung von der Gestapo dorthin gebracht worden. Es sei ihnen die
österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt worden. Anschließend seien sie wieder freigekommen, nachdem sein
Vater alles abgeleugnet habe, was mit dem jüdischen Glauben zu tun gehabt habe. Sie hätten sich dann nicht mehr
im Ghetto befunden, seien aber unter Aufsicht gestanden. Nach seiner Erinnerung hätten sie sich ca. zwei bis drei
Monate im Ghetto befunden. Im Ghetto hätten seine Eltern arbeiten müssen. Die Aufseher hätten versucht, ihn
irgendwie umzuerziehen. Er sei von SS-Leuten ausgesucht worden und er habe die Aufgabe gehabt, nach Ritual- bzw.
Wertgegenständen zu suchen, an Orten, an denen jüdische Familien gewohnt hätten. Er habe an den nicht mehr
genutzten Randbezirken des Ghettos suchen sollen.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 12.05.2006 und des
Bescheides vom 11.08.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2005 zu verurteilen, unter
Abänderung des Bescheides vom 02.10.2003 höhere Regelaltersrente auf Grund einer Ghetto-Beitragszeit für seine
Zeit im Ghetto L. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den
Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, der Akten des SG mit den Az.: S 13 An 619/94.Wg und S 13 RA
1230/98.WG, der Akte des Bayer. Landessozialgerichts mit dem Az.: L 1 RA 30/01, der Akten des SG und des LSG
zu diesem Verfahren sowie der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), sie hat
aber in der Sache keinen Erfolg.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 11.08.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18.01.2005, mit dem die Beklagte im Überprüfungsverfahren gemäß § 44 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) den Antrag des Klägers auf höhere Regelaltersrente, die die Beklagte mit Bescheid vom
02.10.2003 gewährt hat, abgelehnt hat. Das SG hat die hiergegen erhobene Klage zu Recht mit Urteil vom 12.05.2006
abgewiesen.
Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von
einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu
Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er
unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen (§ 44 Abs.1 Satz 1 SGB X). Die
Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Rentenbescheid vom 02.10.2003 zurückzunehmen und auf Grund von
Ghetto-Beitragszeiten höhere Rentenleistungen zu gewähren, denn sie hat weder das Recht unrichtig angewandt,
noch ist sie von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist.
Der Kläger hat ab dem 01.03.1998 einen Anspruch auf Regelaltersrente gemäß § 35 SGB VI, deren Höhe sich
insbesondere nach den während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten Arbeitsentgelten bzw. dem
Arbeitseinkommen richtet (§ 63 Abs.1 SGB VI). Beitragszeiten sind in erster Linie Zeiten, für die nach Bundesrecht
Pflichtbeiträge gezahlt worden sind (§ 55 Abs.1 Satz 1 SGB VI). Pflichtbeitragszeiten sind auch Zeiten, für die
Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als ge-zahlt gelten (§ 55 Abs.1 Satz 2 SGB VI). Zu diesen besondern
Vorschriften gehört auch das ZRBG, verkündet als Art.1 des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus
Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch vom 20.06.2002 (BGBl I
S. 2074), das am 01.07.1997 gemäß Art. 3 Abs.2 dieses Gesetzes in Kraft getreten ist.
Das ZRBG, das die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung
nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung ergänzt (§ 1 Abs.2 ZRBG), gilt für Zeiten der
Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn die Beschäftigung
aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist, diese gegen Entgelt ausgeübt wurde und sich das Ghetto in
einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, soweit für diese Zeiten nicht
bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird (§ 1 Abs.1 Satz 1 ZRBG).
Diese Anwendungsvoraussetzungen des § 1 Abs.1 Satz 1 ZRBG sind bei dem Kläger nicht nachweislich erfüllt. Zwar
ist der Kläger als Verfolgter im Sinne des § 1 Abs.1 Bundesentschädigungsgesetz (BEG) anzusehen. Danach ist
Verfolgter, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalismus oder aus Gründen der Rasse, des
Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch
Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem
wirtschaftli-chen Fortkommen erlitten hat. Der Kläger ist Mitglied des Bayer. Landesverbandes der jüdischen
Verfolgten des NS-Regimes und hat Entschädigungsleistungen der Claims Conference erhalten. Nach seinen
Angaben hat er sich auch im Jahre 1943 im Ghetto L. wegen seines jüdischen Glaubens ca. zwei bis drei Monate
zwangsweise aufgehalten. Auch wenn sich aus seiner eidesstattlichen Versicherung vom 20.10.1972 ergibt, er sei
selbst nie seiner Freiheit im Sinne einer Internierung oder Inhaftierung beraubt gewesen, enthält diese Erklärung
jedoch insbesondere Aussagen zu Untersuchungsprozeduren in einem Forschungsinstitut im Alter von sieben Jahren.
Jedenfalls lässt sich dieser eidesstattlichen Versicherung nicht zwingend entnehmen, dass sich der Kläger nicht doch
im Jahre 1943 zwei bis drei Monate im Ghetto L. aufgehalten hat. Denkbar ist auch, dass er im Rahmen der
eidesstattlichen Erklärung vom 20.10.1972 lediglich die Begriffe der Inhaftierung und Internierung nicht mit dem
Aufenthalt im Ghetto L. als Zehnjähriger zusammen mit seinen Eltern in Verbindung gebracht hat. Mangels konkreter
Beweisbarkeit ist dem SG im Ergebnis jedenfalls zuzustimmen, dass der erforderliche Nachweis für einen Aufenthalt
des Klägers im Ghetto L. nicht geführt ist.
Dies kann letztlich aber dahin stehen. Nach Überzeugung des Senats wäre selbst dann, wenn die Richtigkeit der
Angaben des Klägers im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren unterstellt würde, ein Anspruch nach dem ZRBG nicht
gegeben.
Diesen Angaben ist nämlich zu entnehmen, dass jedenfalls die Voraussetzungen einer Beschäftigung aus eigenem
Willensentschluss (§ 1 Abs.1 Halbsatz 1 Nr.1a ZRBG) und die Verrichtung gegen Entgelt (§ 1 Abs.1 Halbsatz 1 Nr.1 b
ZRBG) nicht erfüllt sind. Mit diesen Tatbestandsvoraussetzungen nimmt das Gesetz Bezug auf die von der
Rechtsprechung genannten Merkmale der Freiwilligkeit und Entgeltlichkeit im Rahmen der Beschäftigung in einem
Ghetto (BSG SozR 4-5050 § 15 Nr.1; Breith. 2005, 403; Urteile vom 18.06.1997, Az.: 5 RJ 68/95 und 5 RJ 66/95).
Zwar ist nicht von vorneherein davon auszugehen, dass die Beschäftigung einer jüdischen Arbeitskraft in einem
Ghetto als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu bewerten ist, denn ein freies
Beschäftigungsverhältnis liegt nur vor, wenn die Beschäftigten aus einem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis
insoweit entlassen sind, als sie in einem Betrieb nach den Regeln des Arbeitsrechts tätig sind und ein Einfluss dritter
Stellen auf die Gestaltung des Verhältnisses nicht stattfindet (BSG, Urteil vom 17.03.1993, Az.: 8 Rkn U 1/91). Nach
den Angaben des Klägers hat er aber die von ihm genannten Arbeitsleistungen, nämlich das Aufsuchen von
Wertsachen, Ritualgegenständen und Schmuck im aufgelösten Teil des Ghettos L. unter keinem Gesichtspunkt im
Rahmen eines irgendwie gestalteten Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt. Im Verwaltungsverfahren hat er
mitgeteilt, dass eine Arbeitsvermittlung für diese Tätigkeit nicht stattgefunden hat, sondern er einfach von der SS
ausgesucht worden sei. Er habe auch keinen Lohn (Ghettogeld) erhalten und sei auch nicht anderweitig, wie z.B. mit
Lebensmitteln oder anderen Sachbezügen, entlohnt worden. Diese Angaben bestätigte der Kläger im Zuge des
Berufungsverfahrens. Auch hier hat er angegeben, von den SS-Leuten ausgesucht worden zu sein, um an Orten, an
denen jüdische Familien gewohnt hätten, nach Ritual- bzw. Wertgegenständen zu suchen, wobei die Aufseher
versucht hätten, ihn irgendwie umzuerziehen. Danach hatte der Kläger Arbeiten zu verrichten, die ausschließlich auf
Grund obrigkeitlichem Zwang erfolgten. Unter Zugrundelegung der Darlegungen des Klägers handelte es sich somit
um ein unfreies Arbeitsverhältnis, welches vom ZRBG nicht erfasst ist.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Kläger 1943 gerade einmal das 10. Lebensjahr vollendet hatte. Zwar hat
das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass das ZRBG eine Altersgrenze, wie sie § 250 Abs.1 Nr. 4 SGB VI für die
rentenrechtliche Anerkennung von Verfolgungszeiten vorsieht, nämlich das vollendete 14. Lebensjahr, nicht enthält.
Trotzdem kann das Alter eines Versicherten bei der Beurteilung der Frage, ob eine freiwillige Arbeitsleistung im Sinne
eines Beschäftigungsverhältnisses vorlag, nicht außer Acht gelassen werden. Das Landessozialgericht
Nordrhein/Westfalen hat zwar im Urteil vom 13.01.2006, Az.: L 4 RJ 113/04, ausgeführt, auch eine Beschäftigung
eines Kindes von unter 14 Jahren in einem Ghetto könne berücksichtigt werden. In diesem Fall erhielt aber die
Versicherte die Arbeitsstelle offenbar auf Initiative der Eltern und auf Grund einer falschen Angabe des Lebensalters
bei der Registrierung als Arbeitskraft. Sofern, wie hier, jedoch solche Umstände nicht vorliegen, ist davon
auszugehen, dass jedenfalls bei einem Alter von zehn Jahren ein Beschäftigungsverhältnis nicht begründet werden
sollte. Vorliegend gibt es keine Hinweise, dass Umstände wie in dem vom Landessozialgericht Nordrhein/Westfalen
entschiedenen Fall vorgelegen hätten, dass insbesondere auf Anregung der Eltern des Klägers dessen Arbeit
vermittelt worden ist. Denn der Kläger hat angegeben, dass er zur Arbeitsleistung einfach ausgesucht wurde.
Da somit die Voraussetzungen für eine Anwendung des ZRBG nicht erfüllt sind, können der Regelaltersrente des
Klägers keine Ghetto-Beitragszeiten zugrunde gelegt werden.
Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass der Gesetzgeber mit dem ZRBG nicht Entschädigungsansprüche von
Verfolgten in einem Ghetto begründen wollte. Mit dem ZRGB orientierte sich der Gesetzgeber an der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts in den Urteilen vom 18.06.1997 (Az.: 5 RJ 68/95 und 5 RJ 66/95), damit in einem Ghetto
aufgenommene Tätigkeiten, die die Voraussetzungen einer versicherungspflichtigen Beschäftigung erfüllen, als
Beitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt werden können. Ziel des Gesetzes ist somit nicht
die Kompensation von Nachteilen auf Grund erlittenen Unrechts als Verfolgter, sondern Ausgangspunkt für die
rentenrechtliche Anerkennung ist die Gleichbehandlung von Beschäftigungszeiten in einem Ghetto mit sonstigen
versicherungspflichtigen Beschäftigungen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 12.05.2006 war somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass der Kläger mit seiner Klage auch im
Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.