Urteil des LSG Bayern vom 08.07.2008

LSG Bayern: kopfschmerzen, commotio cerebri, schwerhörigkeit, trauma, unfallfolgen, wahrscheinlichkeit, arbeitsunfall, distorsion, kausalität, mensch

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 41 U 682/02
Bayerisches Landessozialgericht L 3 U 362/07
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 28.03.2007 wird zurückgewiesen.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Kläger aufgrund des am 26.05.1997 erlittenen Arbeitsunfalls eine höhere Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) als 30 v.H. hat.
Der 1943 geborene Kläger war bis zum Unfall als Bauhelfer tätig. Aufgrund des Bescheides vom 17.10.2001 erhielt er
ab 15.03.2000 eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 30 v.H. Als Folge des Arbeitsunfalls nicht
anerkannt wurde die beginnende Altersschwerhörigkeit des rechten Ohrs und die Schwerhörigkeit des linken Ohrs.
Grundlage dieser Entscheidung waren das chirurgische Sachverständigengutachten des Dr. P. vom 07.07.1999 /
06.04.2000, der die MdE auf 30 v.H. schätzte, ferner das HNO-ärztliche Sachverständigengutachten des Dr. K. vom
12.06.2001 und das neurologische Sachverständigengutachten des Prof. Dr. O./Dr. S. vom 29.12.2000, nach denen
keine MdE auf neurologischem und HNO-ärztlichem Fachgebiet vorlag.
Den Widerspruch des Klägers mit dem Ziel, wegen der vorhandenen Kopfschmerzen und der Schwerhörigkeit im
rechten Ohr eine höhere MdE als 30 v.H. zu erreichen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.08.2002
zurück.
Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten vom
17.10.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2002 aufzuheben und als Folgen des
Versicherungsfalles vom 26.05.1997 über die anerkannten Folgen hinaus zusätzlich eine Schwerhörigkeit auf dem
rechten Ohr und persistierende Kopfschmerzen anzuerkennen sowie dem Kläger eine Verletztenrente nach einer MdE
von mehr als 30 v.H. zu gewähren.
Das SG erhob Beweis durch die Einholung eines chirurgisch-orthopädischen Sachverständigengutachtens des Dr. L.
vom 18.09.2004 sowie nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eines neurologischen Gutachtens des Prof. Dr. P.
vom 19.12.2005/ 10.02.2006/25.03.2006. Dr. L. bestätigte das Ergebnis der Ermittlungen der Beklagten und kam zu
dem Ergebnis, dass beim Kläger eine MdE von 30 v.H. auf chirurgischem Gebiet vorliege. Prof. Dr. P. stellte fest,
dass sich auf neurologischem Gebiet keine Gesundheitsschäden mehr nachweisen ließen, die auf den Unfall vom
26.05.1997 zurückzuführen seien. Aus neurologischer Sicht liege beim Kläger ein Zustand nach Schädelprellung
sowie Gehirnerschütterung (Schädel-Hirn-Trauma Grad I oder Commotio cerebri) vor, die Folgen seien nach längstens
einem halben Jahr als abgeklungen anzusehen. Es sei nicht hinreichend wahrscheinlich, dass es beim Unfall auch zu
einer Halswirbel-Distorsion gekommen sei. Entsprechende Unfallfolgen wären jedoch bei einer HWS-Distorsion Grad I
ebenfalls nach einem halben Jahr folgenlos abgeklungen. Die Kopfschmerzen des Klägers seien auf die bestehenden
degenerativen Veränderungen der HWS und der Skoliose zurückzuführen.
Das SG wies die Klage mit Urteil vom 28.03.2007 ab. Eine höhere MdE als die anerkannte mit 30 v.H. sei nicht
nachgewiesen. Insoweit nahm das Gericht auf die Sachverständigengutachten des Dr. L. und des Prof. Dr. P. Bezug.
Hiergegen legte der Kläger Berufung ein. Der Senat erhob Beweis durch die Einholung eines neurologischen
Sachverständigengutachtens des Privatdozenten Dr. B. vom 26.03.2008. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass die vom
Kläger geltend gemachten Kopfschmerzen sowie der Schwindel nicht auf den Unfall zurückgeführt werden könnten.
Aus heutiger Sicht könne die Diagnose einer Commotio, d.h. eines Schädel-Hirn-Traumas des Grades I, bestätigt
werden. Beim Kläger sei nach dem Unfall eine Bewusstlosigkeit weder nachgewiesen noch wahrscheinlich, da der
Patient nicht vom Notarzt künstlich beatmet worden sei. Ein Zeichen einer allenfalls geringgradigen Schädigung
ergebe sich daraus, dass ein posttraumatischer Verwirrtheitszustand offensichtlich nicht vorgelegen habe. Nach den
Angaben der Ehefrau sei der Kläger zwar schwach gewesen, jedoch nicht desorientiert oder verwirrt. Da nach dem
Unfall keine Computertomographie des Gehirns erstellt wurde, sei nicht völlig auszuschließen, dass eine traumatische
Hirnquetschung vorlag. Jedoch könne beim Kläger aus neurologischer Sicht nicht von einem persistierenden
chronischen posttraumatischen Kopfschmerz ausgegangen werden. Derartige Kopfschmerzen könnten zwar nach
Schädel-Hirn-Traumen des Grades I auftreten, würden sich jedoch in den Folgemonaten komplett zurückbilden. Bei
anhaltenden Kopfschmerzen sei dagegen davon auszugehen, dass sie einen anderen Ursprung hätten. Die vom
Kläger geschilderten Schwindelerscheinungen seien völlig unspezifisch und ließen keine Rückschlüsse auf eine
organische Erkrankung zu. Dies entspreche den verschiedenen HNO-ärztlichen Vorbefunden, die keine Rückschlüsse
auf eine unfallbedingte Verletzung des Gleichgewichtsorgans ergeben hätten. Weitere fachärztliche Untersuchungen
seien nicht erforderlich.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28.03.2007 aufzuheben und unter Abänderung des
Bescheides vom 17.10.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.08.2002 eine höhere MdE als 30 v.H.
anzuerkennen und als Unfallfolge zusätzlich den Kopfschmerz und die Schwerhörigkeit des rechten Ohrs
festzustellen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Beklagtenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Er hat keinen Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer
höheren MdE als 30 v.H. Auch hat er keinen Anspruch darauf, dass die Kopfschmerzen und die Schwerhörigkeit
rechtes Ohr als Unfallfolgen festgestellt werden.
Die Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls und ggf. die Entschädigung durch Zahlung
von Verletztenrente (§ 56 SGB VII) setzt voraus, dass die Gesundheitsstörung Folge eines Versicherungsfalles, hier
also des Arbeitsunfalls vom 26.5.1997, ist (§§ 7, 8 SGB VII). Der Arbeitsunfall muss wesentlich an der Entstehung
der Gesundheitsstörung mitgewirkt haben. Davon ist auszugehen, wenn er neben anderen Bedingungen bei wertender
Betrachtung diejenige ist, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich
beigetragen hat (Theorie der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSGE 63, 277). Dabei
müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben dem Arbeitsunfall auch die Gesundheitsstörung, mit an
Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (Vollbeweis). Ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar
überschauender Mensch darf keinen Zweifel mehr haben (BSGE 7, 103, 106). Für den ursächlichen Zusammenhang
zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie
Folgenschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Es
genügt, wenn bei Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark
überwiegen, dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 32, 203, 209; 45, 285, 286).
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger auf neurologischem Gebiet keine unfallbedingten
Erkrankungen hat. Dies ergibt sich übereinstimmend aus dem Sachverständigengutachten nach § 109 SGG des Prof.
Dr. P. und dem vom Senat eingeholten Gutachten des PD Dr. B ... Damit können die Kopfschmerzen des Klägers
nicht als Unfallfolge berücksichtigt werden. Der Kläger erlitt bei seinem Unfall nur ein Schädel-Hirn-Trauma ersten
Grades, das folgenlos ausgeheilt ist.
Gegen ein schwereres Trauma spricht bereits der Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. D. vom 26.05.1997. Daraus
ergibt sich, dass der Kläger zum Untersuchungszeitpunkt wach und orientiert zu Raum, Zeit und Person war und eine
regelrechte Pupillomotorik hatte. Auch ist nicht belegt, dass der Kläger zu irgendeinem Zeitpunkt nach dem Unfall
bewusstlos war. Damit ist nach den Feststellungen des PD Dr. B. lediglich eine Gedächtnislücke nachgewiesen - der
Kläger konnte sich an den Unfallhergang nicht mehr erinnern. Darüber hinausgehende Zeichen eines schwereren
Schädel-Hirn-Traumas als des Grades I nicht nachgewiesen.
Außerdem entspricht der vom Kläger geschilderte Kopfschmerz nicht einem chronischen posttraumatischen
Kopfschmerz, da er sich in den Folgemonaten nach dem Unfall nicht komplett zurückgebildet hat. Deshalb ist davon
auszugehen, dass der Kopfschmerz eine andere Ursache als den Unfall hat, wie PD Dr. B. überzeugend dargelegt
hat.
Die geschilderten Schwindelerscheinungen sind völlig unspezifisch und lassen keine Rückschlüsse auf eine
organische Schwindelerkrankung zu.
Nach dem Ergebnis der neuerlichen Beweisaufnahme auf neurologischem Gebiet ist die Berufung unbegründet.
Die Schwerhörigkeit des Klägers ist ebenfalls nicht auf den Unfall zurückzuführen. Insoweit hat die behandelnde
Ärztin Dr. N. bereits im Befundbericht vom 08.01.2002 darauf hingewiesen, dass die Hörminderung auf beiden Ohren
schon vor dem Unfall am 26.05.1997 gemessen wurde.
Im Ergebnis steht also fest, dass die Unfallfolgen des Klägers auf chirurgisch-ortho-pädischem Gebiet liegen und mit
einer MdE von 30 v.H. zutreffend bewertet sind. Die Berufung ist deshalb ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund vorliegt.