Urteil des LSG Bayern vom 07.03.2001

LSG Bayern: soziale sicherheit, ungerechtfertigte bereicherung, klagefrist, zugang, post, menschenrechte, zustellung, form, auflage, auflösung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 07.03.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 9 RJ 281/98
Bayerisches Landessozialgericht L 19 RJ 565/00
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.08.2000 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt die Erstattung von Beiträgen, die er zur deutschen Rentenversicherung geleistet hat, auch
hinsichtlich des Arbeitgeberanteils. Der am 1937 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in
seinem Heimatland. Er war in der Zeit vom 29.11.1963 bis 30.08.1967 und danach vom 29.09.1969 bis 31.05.1978 in
Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Auf seinen Antrag vom 04.12.1969 erstattete die
Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz mit Bescheid vom 16.06.1970 die Beiträge für die Zeit vom
29.11.1963 bis 30.08.1967 in Höhe von insgesamt DM 2.171,44 (Hälfteerstattung). Auf den Antrag vom 21.08.1980
erteilte die beklagte LVA den Bescheid vom 06.07.1981, mit dem sie gemäß § 1303 Abs 1 RVO die in der Zeit vom
29.09.1969 bis 31.05.1978 geleisteten Beiträge erstattete. Der Erstattungsbetrag belief sich auf DM 14.222,10.
Am 12.11.1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut die Erstattung seiner Beiträge aus der deutschen
Rentenversicherung (für die Zeit von 1963 bis 1967 und von 1969 bis 1978). Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit
Bescheid vom 04.03.1997 ab, da die Beiträge für die genannten Zeiten bereits erstattet worden seien. Gegen diesen
Bescheid erhob der Kläger am 25.04.1997 Widerspruch und verlangte ausdrücklich auch die Erstattung der
Arbeitgeberbeiträge. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 06.10.1997 zurück. Gemäß § 210 Abs 3
SGB VI habe der Versicherte nur Anspruch auf Erstattung in Höhe der Beiträge, die er selbst getragen habe.
Dagegen hat der Kläger am 24.03.1998 Klage beim Sozialgericht Bayreuth erhoben und weiterhin die Erstattung auch
der Arbeitgeberanteile geltend gemacht. Die Verweigerung dieses Anspruches stelle eine Verletzung der
Menschenrechte und auch des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar, da Bürgern aus Ländern der Europäischen
Gemeinschaft auch die vom Arbeitgeber getragenen Beitragsanteile erstattet würden. Die Beklagte hat die Auffassung
vertreten, dass die Klage erst nach Ablauf der Klagefrist erhoben und daher als unzulässig zu behandeln sei. Mit
Gerichtsbescheid vom 03.08.2000 hat das Sozialgericht die Klage gegen den Bescheid vom 04.03.1997 idF des
Widerspruchsbescheides vom 06.10.1997 abgewiesen; es hat die Klage zwar als zulässig, aber als unbegründet
angesehen. Die Beklagte habe als Form der Zustellung des Widerspruchsbescheides gemäß Art 4 Abs 1 Bay VwZVG
iVm Art 47 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über soziale
Sicherheit das Einschreiben mit Rückschein gewählt. Nach dem Posteinlieferungsschein habe die Beklagte zwar den
genannten Bescheid am 09.10.1997 zur Post gegeben, auf die Zugangsfiktion des Art 4 Abs 1 Bay VwZVG könne sie
sich aber nicht berufen, da der Rückschein nicht zu ihren Akten gelangt sei und der Kläger einen späteren Zugang des
Widerspruchsbescheides behaupte. Wegen des Zustellungsmangels sei die Klagefrist des § 87 Abs 1 Satz 2 SGG
nicht in Gang gesetzt worden, die Klage demnach nicht wegen Fristversäumnis unzulässig. Die Klage sei jedoch
unbegründet, weil die Beiträge bereits in der gesetzlich festgelegten Höhe an den Kläger erstattet worden seien. Eine
Erstattung der Arbeitgeberanteile sehe das Gesetz nicht vor, entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht für
Staatsangehörige bestimmter Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Darin liege auch kein Verstoß gegen
verfassungsmäßige Grundsätze. Das Bundesverfassungsgericht habe bereits im Beschluss vom 24.11.1986 die
Verfassungsmäßigkeit der in § 1303 RVO geregelten Begrenzung der Beitragserstattung auf den sog
Arbeitnehmeranteil bestätigt.
Gegen den Gerichtsbescheid richtet sich die am 04.10.2000 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung
des Klägers. Der Verbleib der ihm nach seiner Auffassung zustehenden Gelder in Deutschland bedeute eine
ungerechtfertigte Bereicherung der Versicherungsanstalt; aus diesem Grund fordere er die Rüccerstattung aller für ihn
entrichteten Beiträge.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.08.2000 aufzuheben und
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 04.03.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 06.10.1997 zu
verurteilen, ihm auch die Arbeitgeberanteile der zur deutschen Rentenversicherung geleisteten Beiträge zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte der Beklagten mit Aktenteil der LVA Rheinprovinz und die Prozessakte des
Sozialgerichts Bayreuth vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten
Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§ 105 Abs 2 SGG);
Ausschlussgründe des § 144 SGG liegen nicht vor.
Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht als
zulässig angesehen. Der Senat teilt zwar nicht die Auffassung des SG, dass die Klagefrist des § 87 Abs 1 Satz 2
SGG nicht in Gang gesetzt worden sei. Diese Wirkung tritt (ohne Heilungsmöglichkeit nach Art 9 Abs 2 Bay VwZVG)
nur ein, wenn wesentliche (Zustellungs)Vorschriften verletzt sind. Das ist hier aber nicht der Fall. Greift die
Zugangsfiktion des Art 4 Abs 1 Bay VwZVG nicht, weil der Bescheidsadressat (unwiderlegbar) einen späteren Zugang
behauptet, muss die Beklagte die Bekanntgabe und deren Zeitpunkt beweisen (Bay VerfGH in MDR 77, 642; Meyer-
Ladewig SGG 5. Auflage RdNr 5 zu § 63). Vorliegend steht zwar fest, dass der Kläger den am 09.10.1997 zur Post
gegebenen Bescheid erhalten hat; unbekannt ist jedoch, wann er dem Kläger tatsächlich zugegangen ist. Da die
Beklagte den Zeitpunkt des Zugangs nicht beweisen kann, ist davon auszugehen, dass der Kläger die Klage innerhalb
der - bei ordnungsgemäßer Zustellung einzuhaltenden - Drei-Monats-Frist erhoben hat.
Zutreffend hat das SG auch entschieden, dass die Beklagte die Beitragserstattung für den Kläger bereits in korrekter
Anwendung des § 1303 RVO durchgeführt hat. Bezüglich der von der Erstattung erfassten Beitragsanteile wurde für
die Zeit ab 01.01.1992 die bisherige Regelung durch § 210 SGB VI in das Sozialgesetzbuch übernommen. Für eine
weitergehende Erstattung fehlt es mithin auch nach dem Rentenreformgesetz 1992 an einer gesetzlichen Grundlage.
Das Bundesverfassungsgericht hat für die insoweit unverändert gebliebene Gesetzeslage bestätigt, dass die
Regelung des § 1303 RVO aF nicht gegen Verfassungsnormen verstößt (Beschluss vom 24.11.1986 in SozR 2200 Nr
34 zu § 1303 RVO). Darauf ist das SG im angefochtenen Urteil bereits ausführlich eingegangen. Durch die
Begrenzung der Beitragserstattung auf die Arbeitnehmeranteile (regelmäßig die Hälfte der entrichteten Beiträge) wird
weder Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) noch Art 3 Abs 1 GG verletzt; der Senat hat insoweit keine
weitergehenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Hinweis des Klägers auf "eine Verletzung der
Menschenrechte" ist in keiner Weise geeignet, den geltend gemachten Anspruch zu begründen. Der Kläger übersieht
insbesondere, dass er (bis zur Auflösung seines Versicherungskontos auf Grund der Erstattung) durch die geleisteten
Beiträge gegen die Risiken der Invalidität, des Alters und des Todes versichert und dass es ihm letztlich freigestellt
war, die Erstattung zu beantragen oder zu gegebener Zeit die Versicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die
mit der Beitragserstattung verbundenen Rechtsfolgen waren dem Kläger bekannt. Seine Entscheidung kann er nicht
mehr rückgängig machen.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid vom 03.08.2000 war deshalb zurückzuweisen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.