Urteil des LSG Bayern vom 17.02.2009

LSG Bayern: beitragspflichtige beschäftigung, projekt, telefon, betriebsmittel, firma, marketing, vermarktung, unternehmen, dienstleistung, datensicherheit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 17.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 3 R 4613/04
Bayerisches Landessozialgericht L 5 R 420/08
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18. März 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob eine mittlerweile beendete Tätigkeit des Beigeladenen als Telefonkraft in einem Call-Center als
beitragspflichtige Beschäftigung zu qualifizieren ist.
1.
Die Klägerin ist ein in A-Stadt ansässiges Unternehmen mit dem für den streitigen Zeitraum handelsregisterlich
eingetragenen Geschäftszweck "Konzeption und Durchführung von Absatzförderungsmaßnahmen, sowie
Überwachung in der Ausführungsphase - Direktvertrieb von Drittprodukten und Dienstleistungen über eigene
Telefonmarketingzentrale -Übernahme von Aufgabenbereichen im Vertriebs- und Marketingwesen von dritten
Unternehmen". Sie betreibt u. a. ein Call-Center, für das der Beigeladene vom 09.06.2000 bis 01.06.2001 tätig war.
Seine Aufgabe bestand im Wesentlichen in der Vermarktung einer Frankiermaschine für den gewerblichen Gebrauch
des Herstellers P ... Die Maschine war für die damals anstehende DM/Euro-Umstellung speziell eingerichtet und sollte
mit Hilfe der Klägerin zeitnah intensiv in den Fachverkauf gebracht werden.
Die Klägerin beantragte am 09.08.2000, den sozialversicherungsrechtlichen Status mehrerer in ihrem Call-Center für
das P.-Projekt Tätiger, zu denen auch der Beigeladene zählte, als nicht beitragspflichtig festzustellen. Mit am
12.12.2000 bei der Beklagten eingegangenem Antrag begehrte der Beigeladene die gleiche Feststellung und gab dazu
an, er sei für die Klägerin sowie für weitere Auftraggeber im Telefon-Marketing tätig und mit der Erstellung von
Konzepten sowie mit der Unterstützung in Vertrieb und Verkauf betraut. Nach Auswertung der Angaben des
Beigeladenen im Anhörungsverfahren stellte die Beklagte mit Bescheid vom 17.09.2001 gegenüber der Klägerin und
dem Beigeladenen eine beitragspflichtige Tätigkeit fest. Die Klägerin stelle kostenlos alle Arbeitsmittel zur Verfügung
und mache Vorgaben zu Art und Umfang der Tätigkeiten und wohl ebenso zur zeitlichen Ausgestaltung. Ein
unternehmerisches Risiko sei nicht zu erkennen, eigene Betriebsmittel des Beigeladenen seien nicht vorhanden.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der Beigeladene vor, er sei seit jeher selbständig tätig, insbesondere
seit 1995 als Handelsvertreter für Haushaltswaren ebenso wie als Propagandist für Autopflegemittel oder als
Reisevermittler, er sei als Selbständiger einkommens- und umsatzsteuerpflichtig und habe mehrere anderweitige
Auftraggeber mit erheblichen Umsatzhöhen. Die Klägerin hat vorgebracht, die für sie freiberuflich im Telefonmarketing
Tätigen legten - anders als die im Call-Center fest angestellten Mitarbeiter - selbst fest, ob und wann sie für die
Klägerin arbeiten. Sie seien nur in Outbound-Gesprächen und nicht für eingehende Anrufe eingesetzt, hätten die Wahl,
im Call-Center oder aber von zu Hause aus zu telefonieren, unterlägen in den Gesprächen keiner Kontrolle und hätten
allenfalls allgemeine Vorgaben und Hinweise, aber keine Weisungen erhalten.
Den abweisendem Widerspruchsbescheid vom 08.09.2004 begründete die Beklagte damit, dass eine abhängige
Beschäftigung bestehe, weil der Beigeladene kein eigenes Kapital einsetze , kein Unternehmerrisiko trage,
funktionsgerecht in einen vorgegebenen Betriebsablauf eingegliedert und an einem für ihn freigehaltenen Arbeitsplatz
der Klägerin tätig sei.
2.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben, Feststellung einer nicht abhängigen Tätigkeit
des Beigeladenen für die Zeit 09.06.2000 bis 01.06.2001 beantragt im wesentlichen unter Wiederholung ihres
bisherigen Vorbringens.
Auf Anfrage des Gerichts hat der Beigeladene erläutert, im streitigen Zeitraum habe er neben der Klägerin weitere acht
Auftraggeber akquiriert, über ein selbst ausgestattetes home-office verfügt, eine Stundenvergütung von 25,00 DM,
später 28,00 DM und nochmals später 24,00 DM zuzüglich Erfolgsprovision pro verkaufter Frankiermaschine erhalten,
keine schriftliche Vereinbarung abgeschlossen und im Falle der Verhinderung keinen Vergütungsanspruch gehabt. Die
fast ausschließliche Tätigkeit habe in der Vermarktung der Frankiermaschine P. bestanden, was aus technischen
Gründen nur vom Call-Center der Klägerin zu bewerkstelligen gewesen sei. Dazu habe er mit der Klägerin die
Arbeitszeit verabredet, die die Klägerin in eine Wochenliste eingetragen habe. Nach diesen Listen habe die Klägerin
auch die Arbeitsplätze des Call-Centers verteilt und ausgerichtet. Es habe eine Berichtspflicht für die erledigten
Telefonate bestanden im Projekt für die Firma P ... Diese Firma habe auch die Telefonkräfte im Call-Center zur Art der
zu führenden Telefonate eingeführt bzw angewiesen sowie einen Leitfaden ausgegeben. Zwar sei er - der Beigeladene
- nicht zur höchstpersönlichen Arbeitsleistung verpflichtet worden, faktisch wäre aber eine Weitervergabe in Sachen
Frankiermaschine auf eine dritte Person aus Sachgründen, vor allem wegen der fehlenden unverzichtbaren
Einweisung vor Ort unmöglich gewesen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 18.03.2008 hat das Sozialgericht die Prokuristin und Projektmanagerin
M. sowie die Personalbearbeiterin S. P. als Zeuginnen einvernommen. Diese haben im wesentlichen angegeben, die
"freien Telefon-Marketing-Mitarbeiter" seien für die Klägerin nur im Projekt Frankiermaschine P. tätig gewesen, wobei
diese Arbeit wegen der Adress- und Datensicherheit im Call-Center der Klägerin habe erbracht werden müssen und
zwar nach einem Leitfaden mit täglicher Berichtspflicht. Diese habe sich aus Zielvorgaben in Gestalt der abgegebenen
und aus den abgearbeiteten Adressen der anzurufenden potentiellen Kunden ergeben. Die Arbeit im Call-Center sei
frei verabredet worden; sei sie aber vereinbart gewesen, habe sie als verbindlich gegolten, denn der nach Wochenliste
vergebene Platz im Call-Center sei dann ausschließlich für den konkreten Telefonisten freigehalten worden. Die
Dienstleistung habe höchstpersönlich erbracht werden müssen, weil eine Ersatzkraft erst eingearbeitet hätte werden
müssen. Die "Freiberufler" seien nach Stunden bezahlt worden, hätten keine Arbeitsmittel mitbringen müssen und
hätten Vorgaben in Gestalt von Leitfäden erhalten genauso wie die fest angestellten Telefonmitarbeiter. Ebenso wie
die fest Angestellten hätten die Freiberufler Tagesberichte erstellen und auch Zielvorgaben einhalten müssen, was
gegebenenfalls überwachbar und mit Hilfe von gesprächsweisen Rechtfertigungspflichten durchsetzbar gewesen wäre.
Die fest Angestellten hätten ein- und ausgehende Gespräche in mehreren Projekten geführt, die freien Mitarbeiter aber
im Wesentlichen nur Outbound-Gespräche im P.-Projekt.
Mit Urteil vom gleichen Tag hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung zusammengefasst ausgeführt, in
Abwägung aller Umstände des konkreten Falles des Beigeladenen vom 09.06.2000 bis 01.06.2001 sei eine
Beschäftigung anzunehmen. Der Beigeladene habe örtlich gebunden im Call-Center der Klägerin nach deren festem
Dienstplan zu einem erfolgsunabhängigen Stundenlohn sowie ohne Einsatz eigener Betriebsmittel tätig sein müssen.
Er sei auf Grund des Gesprächsleitfadens und der Ergebnisüberwachung sachlich weisungsgebunden sowie zur
höchstpersönlichen Arbeitsleistung verpflichtet gewesen. Für eine selbständige Tätigkeit sprechende Gesichtspunkte,
wie Tätigkeiten für mehrere Auftraggeber, eigene Arbeitsmittel sowie Anmeldung eines Gewerbes, träten insoweit
zurück. Der Streitwert wurde mit 5.000,00 Euro festgesetzt.
3.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt mit der Begründung, wesentliche Gesichtspunkte widerlegten eine
abhängige Beschäftigung. Der Beigeladene sei nicht weisungsgebunden gewesen, habe seine Arbeitszeit frei
bestimmt, habe selbst entschieden, wann er arbeiten wollte und sei allenfalls aus projektbezogenen sachlichen
Gründen gewissen Rahmenvorgaben unterlegen. Er habe jedes Telefonat eigenverantwortlich ohne Überwachung
geführt. Er sei auch nicht in die Betriebsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen. Seine Tätigkeit sei
entscheidend anders als die der festen Mitarbeiter gewesen, die auch Inbound-Anrufe zu erledigen gehabt hätten und
nur für diese Gesprächsart seien bestimmte Vorgaben unerlässlich gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 18.03.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 17.09.2001 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.09.2004 aufzuheben und festzustellen, dass der Beigeladene für die
Klägerin in der Zeit vom 09.06.2000 bis 01.06.2001 nicht versicherungspflichtig beschäftigt war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie
auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber
unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Entscheidung der Beklagten bestätigt, die streitige Tätigkeit in einem
Verfahren nach § 7a SGB IV als abhängige Beschäftigung zu qualifizieren.
Streitgegenstand ist der Statusbescheid vom 17.09.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.09.2004,
mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass der Beigeladene für die Klägerin in abhängiger Beschäftigung gearbeitet
hat. Diese Entscheidung hat das Sozialgericht im angegriffenen Urteil vom 18.03.2008 mit ausführlicher und
zutreffender Begründung bestätigt, so dass der Senat darauf Bezug nimmt und von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs 2 SGG absieht.
Ergänzend ist im Hinblick auf die Berufungsbegründung lediglich auszuführen, dass nach den zutreffenden
tatsächlichen Feststellungen des Sozialgerichts, die der Senat übernimmt, die Merkmale einer Beschäftigung i. S. d.
§ 7 Abs 1 SGB IV deutlich gegenüber den Merkmalen einer versicherungsfreien selbständigen Tätigkeit überwiegen.
Denn der Beigeladene musste im Projekt P. im Call-Center der Klägerin zu den im Wochenplan festgelegten Zeiten
und nach konkreten Vorgaben arbeiten, wobei er klar strukturierte Tätigkeitsnachweise zu erbringen hatte, die
gleichzeitig der Klägerin eine Tätigkeitskontrolle ermöglicht hatten. Weil die angefochtene Entscheidung der Beklagten
die Tätigkeit des Beigeladenen hinreichend konkret benannt hatte und aus den Verfahrensanträgen der Zeitraum der
zu beurteilenden Tätigkeit hinreichend fest umrissen ist, bleibt die Berufung vollumfänglich ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs 2 VwGO.
Der erstinstanzlich festgesetzte Streitwert begrenzt die Höhe des Streitwertes der Berufung, § 47 Abs 2 GKG.
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 SGG.