Urteil des LSG Bayern vom 14.05.2003

LSG Bayern: ordentliche kündigung, aufhebungsvertrag, beendigung, arbeitslosigkeit, berufsunfähigkeit, beitragspflicht, krankengeld, kündigungsfrist, altersrente, unternehmen

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.05.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 5 AL 1004/99
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 294/00
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.07.2000 wird zurückgewiesen. II.
Die Klage gegen den Bescheid vom 22.11.2000 wird abgewiesen. III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattungspflicht der Klägerin nach § 128 Arbeitsförderungsgesetz (AFG).
Der am 1939 geborene frühere Arbeitnehmer der Klägerin, G. S. (Sch.), beantragte am 18.12.1998 bei der Beklagten
Arbeitslosengeld (Alg) unter erleichterten Voraussetzungen (§ 428 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung - SGB III). Er
war vom 01.11.1984 bis 31.12.1998 bei der Klägerin als Finanzbuchhalter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde am
31.03.1995 zunächst durch die Klägerin zum 31.12.1997 gekündigt und noch am selben Tag mit Wirkung zum
31.12.1998 "zur Vermeidung einer betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung" durch Aufhebungsvereinbarung beendet.
Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zahlte die Klägerin nach ihren Angaben Sch. eine Abfindung in Höhe
von 30.000,00 DM. Die maßgebende Kündigungsfrist des Arbeitgebers betrug vier Monate zum Monatsende.
Bis 31.12.1998 war Sch. weiterhin als Finanzbuchhalter eingesetzt und vom 01.01.1998 bis 31.12.1998 in dieser
Eigenschaft im Rahmen des betrieblich veranlassten Übergangs der Finanzbuchhaltung auf ein Steuerbüro von der
Klägerin weiterbeschäftigt worden. Ab 01.01.1999 arbeitete Sch. befristet bis 28.02.1999 bei der Klägerin als Bürohilfe
für einen Bruttolohn von 300,00 DM/Monat bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von fünf Stunden. Nach seinen
Angaben konnte er Altersrente ohne Rentenminderung erst ab 01.01.2000 beziehen. Sch. erhielt von der Beklagten ab
01.01.1999 Alg (Bescheid vom 15.01.1999). Ab 18.03.1999 bezog er wegen Beendigung der Leistungsfortzahlung im
Krankheitsfall kein Alg mehr, sondern von der zuständigen Krankenkasse (DAK) Krankengeld.
Nach vorheriger Anhörung forderte die Beklagte mit Bescheid vom 03.08.1999 von der Klägerin gem § 128 AFG für 34
Leistungstage Erstattung von Alg, Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung in Höhe von 4.241,30 DM.
Aus einem dem Bescheid beigefügten Berechnungsbogen ergibt sich ein Erstattungszeitraum vom 01.01.1999 bis
03.02.1999. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 20.10.1999 zurück.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, den Bescheid vom
03.08.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.10.1999 aufzuheben. Der Rechtsstreit konzentriere
sich auf die Frage, ob ein auf betriebsbedingten Gründen beruhender Aufhebungsvertrag (komplette Stilllegung der
Finanzbuchhaltung) einer betriebsbedingten ordentlichen Arbeitgeberkündigung gleichzusetzen sei. Von Bedeutung sei
in diesem Zusammenhang, dass das Arbeitsverhältnis tatsächlich lange nach dem Tag beendet worden sei, zu dem
es bei fristgerechter ordentlicher Kündigung durch den Arbeitgeber geendet hätte.
Mit Urteil vom 04.07.2000 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Eine
Auflösungsvereinbarung lasse sich nicht in eine ordentliche Kündigung umdeuten. § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG sei
nicht auf Fälle einvernehmlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses anwendbar. § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG liege
ebenfalls nicht vor, da die Klägerin nicht berechtigt gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist oder mit einer sozialen Auslauffrist zu kündigen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und vorgetragen: Dem
Arbeitnehmer sei wegen Schließung der Finanzbuchhaltung bereits am 31.03.1995 zum 31.12.1997 gekündigt worden.
Lediglich aus sozialen Erwägungen sei unmittelbar danach noch am 31.03.1995 ein Aufhebungsvertag mit Wirkung
zum 31.12.1998 geschlossen worden. Damit habe man dem Arbeitnehmer das Gehalt bis 31.12.1998 weiter zahlen
können zum Vorteil der Versichertengemeinschaft. Unstreitig wäre eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits
zum 31.12.1997 möglich gewesen. Es sei vorliegend bei zwei Beendigungstatbeständen - rechtlich könne neben einer
Kündigung ein Aufhebungsvertrag geschlossen werden - von einer sozial gerechtfertigten Kündigung im Sinne § 128
Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG auszugehen.
Mit Bescheid vom 22.11.2000 machte die Beklagte weiter Erstattung für den Zeitraum 01.04.1999 bis 31.01.2000
geltend.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.07.2000 sowie den Bescheid vom 03.08.1999
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.10.1999 und den Bescheid vom 22.11.2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 22.11.2000
abzuweisen.
Eine Berufungserwiderung legte sie nicht vor.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Leistungsakten des Sch., auf die Erstattungsakte der Beklagten sowie
auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist nicht begründet, denn es liegen die
Voraussetzungen für eine Erstattungspflicht der Klägerin vor.
Gem § 128 Abs 1 Satz 1 AFG in der vom 01.01.1996 bis 31.03.1997 gültigen Fassung, die gem § 242 x Abs 6 AFG
auch noch auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, erstattet der Arbeitgeber, bei dem der Arbeitslose innerhalb der
letzten vier Jahre vor dem Tag der Arbeitslosigkeit, durch den nach § 104 Abs 2 die Rahmenfrist bestimmt wird,
mindestens 720 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hat, der
Bundesanstalt für Arbeit vierteljährlich das Alg für die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitslosen,
längstens für 624 Tage.
Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Sch. stand innerhalb der letzten vier Jahre vor dem 01.01.1999 mindestens 720
Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung bei der Klägerin. Die Erstattungsforderung
bezieht sich auf die Zeit nach Vollendung des 58. Lebensjahres des 1939 geborenen Sch. Die Höchstdauer von 624
Tagen ist nicht überschritten und die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass das Arbeitsverhältnis des
Sch. vor Vollendung des 56. Lebensjahres beendet worden ist oder der Arbeitslose auch die Voraussetzungen für eine
in § 118 Abs 1 Satz 1 Nrn 2 bis 4 AFG genannten Leistungen oder für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit erfüllt (§
128 Abs 1 Satz 2 AFG). Der Arbeitnehmer ist erst am 01.01.1999 arbeitslos geworden, also nach Vollendung seines
56. Lebensjahres. Sch. standen auch keine anderen Leistungen, insbesondere kein Krankengeld, Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit zu, denn Sch. hätte die Tätigkeit eines Finanzbuchhalters auch über den
31.12.1998 hinaus noch ausüben können. Es sind jedenfalls keine Gründe bekannt, die dieser Einschätzung
entgegenstehen könnten. Im Übrigen hatte Sch. Anspruch auf Altersrente ohne Minderung ohnehin erst ab
01.01.2000.
Zu Recht hat das SG den von der Klägerin geltend gemachten Ausnahmetatbestand des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4
AFG verneint.
Nach dieser Bestimmung tritt die Erstattungspflicht nicht ein, wenn der Arbeitgeber darlegt und nachweist, dass er
das Arbeitsverhältnis durch sozial gerechtfertigte Kündigung beendet hat. Die Klägerin hat das Arbeitsverhältnis mit
Sch. nicht durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung im Sinne § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG beendet, denn das
Arbeitsverhältnis des Sch. ist nicht durch die Kündigung vom 31.03.1995, die dem Arbeitnehmer an diesem Tag
zugegangen ist, sondern durch die anschließend - ebenfalls noch am 31.03.1995 - geschlossene
Aufhebungsvereinbarung beendet worden. Diese Vereinbarung stellt einen Aufhebungsvertrag dar. Ob diese als
Abwicklungsvertrag zu qualifizieren ist, mit dem lediglich die Folgen der rechtlich fortbestehenden Kündigung geregelt
werden sollten, oder ob es sich um einen Aufhebungsvertrag gehandelt hat, durch den die ursprüngliche Kündigung
zurückgenommen wurde und der als neuer Rechtsgrund konstitutiv für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses war, ist
abhängig von dem Inhalt der rechtsgeschäftlichen Erklärung der Parteien.
Nach Ansicht des Senat ging der übereinstimmende Wille der Parteien des Aufhebungsvertrags dahin, diesen zum
alleinigen Rechtsgrund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu machen. Dies ergibt sich daraus, dass durch
die Aufhebungsvereinbarung nicht nur das Ende des Arbeitsverhältnisses von dem 31.12.1997 auf den 31.12.1998
hinausgeschoben, sondern hierfür auch der Verlängerungsgrund (Übergabe der Finanzbuchhaltung an die
Steuerkanzlei) in der Vereinbarung mit angegeben wurde. Damit ist die ursprünglich ausgesprochene Kündigung durch
die Vereinbarung ersetzt worden, das Arbeitsverhältnis bis 31.12.1998 zu verlängern. Ferner geht auch die Klägerin in
der Arbeitsbescheinigung vom 29.12.1998 von einem mit Wirkung zum 31.12.1998 geschlossenen Aufhebungsvertrag
als Beendigungsgrund aus. Die vorangegangene Kündigung wird nicht mehr erwähnt.
Da somit das Arbeitsverhältnis nur durch Aufhebungsvertrag und nicht durch ordentliche Arbeitgeberkündigung
beendet wurde, greift die Ausnahme von der Erstattungspflicht nach § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG nicht ein. Diese
Regelung kann nämlich nicht über ihren Wortlaut hinaus auf Fälle einer einvernehmlichen (sozial gerechtfertigten)
Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag oder ähnliches erstreckt werden (BSG Urteil vom
21.09.2000 - B 11 AL 5/00 R -; BSG Urteil vom 20.09.2001 - B 11 AL 30/01 R - mwN zur st.Rspr.). Nach dieser
Rechtsprechung lässt sich ein Aufhebungsvertrag nicht als sozial gerechtfertigte Arbeitgeberkündigung im Sinne des
§ 128 Abs 1 Satz 2 Nr 4 AFG werten, selbst wenn materiell-rechtlich die Voraussetzungen für eine sozial
gerechtfertigte ordentliche Kündigung vorgelegen haben sollten. Ein solches Abstellen auf die äußere Form der
Aufhebung entspricht der Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), nach der gerade in der Wahl
bestimmter Formen der Beendigung von Arbeitsverhältnissen älterer, langjährig beschäftigter Arbeitnehmer ein Indiz
dafür zu sehen ist, dass die Arbeitslosigkeit in den Verantwortungsbereich des Arbeitgebers fällt (BVerfGE 81, 156,
197).
Die Voraussetzungen des § 128 Abs 1 Satz 2 Nr 5 AFG liegen ebenfalls nicht vor. Entscheidend ist in diesem
Zusammenhang, ob für den Arbeitgeber im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses objektiv ein Recht zur
Kündigung aus wichtigem Grund bestand. Diese Frage ist unter Heranziehung der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts zu § 626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu klären. Danach rechtfertigen betriebliche
Erfordernisse regelmäßig nur eine ordentliche Arbeitgeberkündigung nach § 1 Kündigungsschutzgesetz (BSG Urteil
vom 21.09.2000 - B 11 AL 5/00 R). Im Übrigen käme selbst eine Kündigung von ordentlich nicht mehr kündbaren
Arbeitnehmern - vorliegend war die ordentliche Kündigung nicht ausgeschlossen; die Klägerin hatte dem Sch.
zunächst ordentlich gekündigt - aus betrieblichen Gründen nur in Betracht, wenn zuvor vom Arbeitgeber alle
Anstrengungen unternommen worden wären, mit allen zumutbaren Mitteln eine Weiterbeschäftigung im Unternehmen -
zB durch Umorganisation - zu erreichen. Gesundheitliche Einschränkungen, die die Klägerin zur fristlosen Kündigung
des Sch. gegebenenfalls berechtigt hätten, lagen nicht vor (BVerfGE 81, 156, 200 ff).
Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 22.11.2000, der nach
dem Willen der Beteiligten Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden ist (§ 96 SGG), abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.