Urteil des LSG Bayern vom 24.07.2001

LSG Bayern: zumutbare tätigkeit, krankheit, behinderung, erwerbsfähigkeit, erwerbsunfähigkeit, berufsunfähigkeit, wartezeit, firma, ausbildung, hilfsarbeiter

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.07.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 27 RJ 1593/98
Bayerisches Landessozialgericht L 5 RJ 25/00
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. November 1999 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 1943 geborene Kläger mit jugoslawischer Staatsangehörigkeit lebt seit 1970 in Deutschland, wo er in der Zeit
bis zum 30.06.1986 versicherungspflichtig beschäftigt war, zuletzt seit dem 02.05.1985 bei einer Firma für
Entlüftungsanlagenbau als Hilfsarbeiter in der Spenglerei. Ab 27.06.1986 bestand Arbeitsunfähigkeit wegen einer
Erkrankung des linken Hüftgelenks (Hüftgelenksnekrose), die mehrere Operationen erforderlich machte. Am
16.12.1986 stellte der Kläger erstmals Rentenantrag, der zu einer Rente auf Zeit ab 17.03.1987 führte, die viermal
verlängert wurde (bis zum 30.04.1992). Nach endoprothetischer Versorgung des linken Hüftgelenks im März 1993
wurde die Rente im Zuge eines sozialgerichtlichen Verfahrens noch einmal verlängert bis zum 31.05.1994. Vom
19.04. bis 17.05.1995 fand ein Heilverfahren mit Übergangsgeldbezug statt.
Wenig später stellte der Kläger erneut einen Rentenantrag, der von der Beklagten zunächst abgelehnt wurde. Im
anschließenden Klageverfahren (mit mehreren Gutachten) erklärte sie sich jedoch bereit, über den Rentenantrag unter
Zugrundelegung eines Antragsdatums vom 24.05.1995 erneut rechtsbehelfsfähig zu entscheiden.
Diesen nunmehr streitgegenständlichen Antrag lehnte die Beklagte nach Einholung eines neurologisch-
psychiatrischen Gutachtens sowie eines orthopädischen Gutachtens mit Bescheid vom 12.03.1998 ab, weil der
Kläger nach den ärztlichen Feststellungen noch in der Lage sei, vollschichtig leichte Arbeiten, überwiegend in
geschlossenen, normal temperierten, trockenen Räumen ohne häufiges Bücken und ohne Überkopfarbeiten zu
verrichten. Den Widerspruch des Klägers vom 01.04.1998 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
23.06.1998 zurück.
Im anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren hat das Sozialgericht München (SG) ein orthopädisches Gutachten
von Dr.T. vom 27.07.1999 eingeholt, in dem dieser zwar eine leichtgradige Veränderung im Bereich der
Endoprothesenschaftspitze mit Hinweis auf eine beginnende Lockerung feststellte, die aber nicht so gravierend sei,
dass sie ein wesentliches Krankheitspotential enthalte. Der Kläger könne unter Berücksichtigung der festgestellten
Gesundheitsstörungen seit Mai 1995 unter den üblichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses noch leichte
Tätigkeiten, vermehrt im Sitzen, in geschlossenen Räumen, ohne häufiges Treppensteigen, ohne Heben und Tragen
von schweren Lasten, ohne Arbeiten in oder über der Horizontalen bzw. in Kniehockstellung oder im Knien und mit
betriebsüblichen Pausen vollschichtig verrichten. Er könne auch noch ca. 600 m am Stück gehen, öffentliche
Verkehrsmittel benutzen und Autofahren. Eine gravierende Gewichtsreduktion sei erforderlich. Gestützt auf dieses
Gutachten hat das SG die Klage mit Urteil vom 12.11.1999 abgewiesen.
Mit seiner dagegen eingelegten Berufung hat der Kläger eine große Anzahl von ärztlichen Unterlagen vorgelegt sowie
einen Bescheid des Versorgungsamtes München II vom 13.09.2000, wonach er inzwischen einen GdB von 80
aufweist und das Merkzeichen G besitzt. Der Senat hat ein orthopädisches Gutachten von Dr.F. vom 14.04.2001
eingeholt, in dem folgende Diagnosen gestellt werden: 1. Spondylochondrose C5 bis C6, wahrscheinlich beginnende
Osteochondrose C6 bis C7, Uncovertebralarthrose, Fehlhaltung der Halswirbelsäule. Osteopenie der Wirbelsäule. 2.
Ausgeprägte Spondylose der Lendenwirbelsäule, minimale Einengungen der letzten Lendenbandscheibe ohne sichere
Zeichen einer Osteochondrose. 3. Totalendoprothetischer Ersatz der linken Hüfte ohne sichere Hinweise auf eine
Auslockerung der Prothese. 4. Geringe Gonarthrose beidseits, leichte Chondrokalzinose des rechten Kniegelenks. 5.
Impingementsyndrom beidseits, Schultereckgelenksarthrose rechts mehr als links. Als Nebendiagnose wird u.a. eine
Adipositas permagna genannt. Der Kläger könne seit Mai 1995 unter den üblichen Bedingungen eines
Arbeitsverhältnisses noch leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten verrichten. Zeitliche Einschränkungen seien
nicht begründbar. Dass dies möglich sei, ergebe sich auch aus der deutlichen Rauhigkeit der Handflächen. Gehende
und stehende Tätigkeiten sollten nach Möglichkeit vermieden werden, weil hieraus eine Lockerung der Schaftprothese
resultieren könne. Dabei stelle das extreme Übergewicht eine erhöhte zusätzliche Gefährdung dar. Wegen der weniger
gravierenden Kniegelenksverschleißerscheinungen solle der Kläger gleichwohl nicht auf Treppen oder Leitern und
auch nicht in kniender oder hockender Stellung arbeiten. Das Heben und Tragen von Lasten und häufiges Bücken
seien wegen der degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule am Übergang von Brust- und Lendewirbelsäule
ungünstig. Die Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule ließen permanente Überkopfarbeiten nicht mehr zu.
Einflüsse von Kälte, Nässe und Zugluft könnten durch entsprechende Schutzkleidung vermieden werden. Der Kläger
könne auch schon nach eigenen Angaben deutlich mehr als 500 m zu Fuß zurücklegen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 12.11.1999 sowie des Bescheides vom
12.03.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.06.1998 zu verurteilen, ihm ab 24.05.1995 Rente
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12.11.1999 zurückzuweisen.
Beigezogen wurden die Akten der Beklagten, des SG und des Versorgungsamts München II sowie des
Landesversorgungsamtes.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Nach §§ 43 Abs.1, 44 Abs.1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden
Fassung (a.F.) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen
Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit, wenn sie berufs- bzw. erwerbsunfähig sind, in den letzten fünf Jahren vor
Eintritt der Berufsunfähigkeit/Erwerbsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder
Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Berufsunfähig sind gemäß § 43 Abs.2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder wegen
Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher
Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die
Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten
entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen
Berufs oder der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig
ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu
berücksichtigen.
Gemäß § 44 Abs.2 SGB VI a.F. sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder ein
Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgrenze bzw. (ab 01.04.1999)
630,00 DM pro Monat übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, wobei die
jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
Nach § 43 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, der auf Versicherungsfälle anzuwenden ist, die nach diesem Datum
eingetreten sind, haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind 2. in den letzten fünf Jahren von Eintritt der
Erwerbsminderung drei Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der
Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen
Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Anspruch auf Rente wegen voller
Erwerbsminderung haben ab 01.01.2001 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres unter den gleichen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare
Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden
erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage
nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.3 SGB VI).
Nach den oben genannten gesetzlichen Bestimmungen steht dem Kläger ein Anspruch auf Rente wegen
Erwerbsminderung zumindest seit der Antragstellung im Mai 1995 nicht mehr zu. Er ist weder erwerbsunfähig im
Sinne des bis zum 31.12.2000 geltenden und auf Versicherungsfälle, die vor diesem Zeitpunkt eingetreten sind,
anzuwendenden § 44 Abs.2 SGB VI a.F. noch teilweise oder gar voll erwerbsgemindert im Sinne des seit 01.01.2001
geltenden § 43 Abs.1, 2 SGB VI, da er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch vollschichtig (acht Stunden
täglich) leichte bis mittelschwere Arbeiten, wenn auch mit gewissen qualitativen Einschränkungen, verrichten kann.
Im Vordergrund stehen beim Kläger orthopädische Leiden, insbesondere am linken Hüftgelenk, das im Jahre 1993 mit
einer Endoprothese versorgt werden musste. Diese Operation ist als gelungen anzusehen. Zwar sah der vom SG
gehörte Sachverständige Dr.T. in seinem orthopädischen Gutachten vom 27.07.1999 gewisse Hinweise auf eine
beginnende Lockerung, bezeichnet diese aber als nicht so gravierend, dass sie ein wesentliches Krankheitspotential
beinhalte. Auch der vom Senat beauftragte Orthopäde Dr.F. vermochte keine sicheren Hinweise auf eine
Auslockerung der Prothese zu erkennen. Beide Sachverständigen kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass
der Kläger mit diesem Hüftgelenksleiden, vor allem im Hinblick auf sein erhebliches Übergewicht zwar nicht mehr in
der Lage ist, überwiegend gehende und stehende Tätigkeiten zu verrichten, sehr wohl aber noch einen Anmarschweg
von täglich mindestens 4mal 500 Metern bewältigen kann. Weitere Einschränkungen der Einsatzfähigkeit ergeben
sich aus degenerativen Veränderungen in Form von Randspornbildungen im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule,
die jedoch die Fähigkeit zum Sitzen nicht wesentlich beeinträchtigten. Ein Impingementsyndrom im Bereich der
Schultereckgelenke sowie Fehlhaltungen der Halswirbelsäule schließen lediglich Überkopfarbeiten aus. Die im Bereich
der Kniegelenke festgestellten Verschleißerscheinungen sind weniger gravierend, doch sollte der Kläger nicht auf
Treppen oder Leitern und auch nicht in knieender oder hockender Stellung arbeiten. Einschränkungen bestehen ferner
hinsichtlich des Hebens und Tragens von Lasten, doch kann der Kläger noch leichte bis zeitweise mittelschwere
Arbeiten vollschichtig verrichten. Auch liegen weder eine Häufung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch ein
schweres spezifisches Leiden vor, so dass eine konkrete Verweisungstätigkeit nicht genannt werden muss.
Damit steht fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. voller
Erwerbsminderung hat.
Aber auch ein Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit (§ 43 SGB VI a.F.) bzw. wegen teilweiser
Erwerbsminderung (§ 240 Abs.1 Nr.2, Abs.2 SGB VI) steht dem Kläger nicht zu, weil er keinen Berufsschutz genießt.
Der Kläger hat während der Zeit seiner Pflichtversicherung in der deutschen Rentenversicherung bei vielen
verschiedenen Arbeitgebern die verschiedensten Tätigkeiten ausgeübt. Zuletzt (vom 02.05.1985 bis 30.06.1986) war
er bei einer Firma für Entlüftungsanlagen als Hilfsarbeiter in der Spenglerei beschäftigt. Als solcher ist er auf den
gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Die Tatsache, dass er als LKW-Fahrer, Transportarbeiter und wohl
auch als Spenglereihilfsarbeiter nicht mehr arbeiten kann, begründet keinen Rentenanspruch.
Nach allem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.