Urteil des LSG Bayern vom 11.03.2004

LSG Bayern: schutzwürdiges interesse, wirtschaftliches interesse, rechtswidrigkeit, zukunft, rechtsschutz, lohnausfall, monteur, verwaltungsakt, absicht, tschechien

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 11.03.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 8 AL 260/99
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 182/01
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.12.2000 aufgehoben und die
Klage abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit steht die Erteilung einer Arbeitserlaubnis (AE) an den Kläger für die Zeit vom 01.02.1999 bis 28.02.1999.
Der 1950 geborene Kläger ist tschechischer Staatsangehöriger. Für das Kalenderjahr 1998 erteilte ihm die Beklagte
eine AE für eine Beschäftigung als Monteur bei der Montage von Fertighäusern für insgesamt 298 Tage. Tatsächlich
war der Kläger in diesem Jahr 120 Tage in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt gewesen.
Der Kläger beantragte am 02.02.1999 die Erteilung einer AE wiederum für die Beschäftigung als Monteur von
Fertighäusern für die Zeit vom 01.02.1999 bis 28.02.1999. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom
12.02.1999 und Widerspruchsbescheid vom 12.03.1999 unter Hinweis auf § 4 Abs 3 Satz 3 Verordnung über
Ausnahmeregelungen für die Erteilung einer AE an neueinreisende ausländische Arbeitnehmer
(Anwerbestoppausnahmeverordnung -ASAV-) ab. Nach dieser Vorschrift dürfe einem Ausländer, wenn dessen
Beschäftigung in einem Kalenderjahr sechs Monate überschreite, im folgenden Kalenderjahr keine AE für eine
Beschäftigung erteilt werden. Für die Berechnung der Beschäftigungsdauer sei auf die Geltungsdauer der AE
abzustellen. Der Kläger habe im Kalenderjahr 1998 insgesamt 298 Tage und damit über sechs Monate im
Bundesgebiet gearbeitet, so dass ihm keine neue AE zu erteilen sei.
Das Sozialgericht Nürnberg (SG) hat auf den Antrag des Klägers vom 15.02.1999, im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes die sofortige Ausstellung der AE zu erreichen, mit Beschluss vom 02.03.1999, Az: S 8 AL 140/99
ER, die Beklagte zur Erteilung einer AE verpflichtet. Auf die Beschwerde der Beklagten hat das Bayer.
Landessozialgericht (BayLSG) den Beschluss aufgehoben (Beschluss vom 21.09.1999, Az: L 10 B 124/99 ER). Für
das Antragsverfahren sei der Kläger zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG nicht mehr rechtsschutzbedürftig
gewesen, da sich die für die Zeit vom 01.02.1999 bis 28.02.1999 begehrte AE zu diesem Zeitpunkt durch Zeitablauf
erledigt habe. Ein sog. Fortsetzungsfeststellungsinteresse sei vom Kläger weder dargelegt noch glaubhaft gemacht
worden.
Der Kläger hat am 16.03.1999 Klage zum SG erhoben und beantragt, festzustellen, dass die Verweigerung der AE
durch Bescheid vom 12.02.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.1999 rechtswidrig gewesen
sei. Er hat vorgetragen, dass sein Interesse an der Feststellung hieran berechtigt sei, da ihm im Jahr 1999 durch die
Ablehnung ein Lohnausfall für 10 Monate Tätigkeit in Deutschland in Höhe von 20.978,13 DM entstanden sei. Er
behalte sich die gerichtliche Geltendmachung seines Schadens vor. Es bestehe auch die Gefahr, dass er zukünftig
einen Schaden erleiden werde. Das SG hat mit Urteil vom 19.12.2000 antragsgemäß die Rechtswidrigkeit der
angefochtenen Bescheide festgestellt. Das berechtigte Interesse des Klägers an dieser Feststellung ergebe sich aus
dem angekündigten Amtshaftungsprozess. Dieser sei nicht offenbar aussichtlos, da der Kläger einen möglichen
Schaden dargetanhabe, weil er zumindest in der Zeit bis zum 02.03.1999 (Beschluss des SG) und ab dem 21.09.1999
(Beschluss des BayLSG) in der Bundesrepublik Deutschland nicht habe tätig werden können. Der Kläger sei auch der
Gefahr ausgesetzt, dass unter gleichbleibenden Verhältnissen die Beklagte ihre Entscheidung wiederholt. In der
Sache sei der Feststellungsantrag begründet, da nach § 4 Abs 3 Satz 3 ASAV nicht auf die Dauer der bisher erteilten
AE, sondern auf die Zeit der tatsächlichen Beschäftigung abzustellen sei.
Hiergegen hat die Beklagte am 20.04.2000 Berufung beim BayLSG eingelegt. Zur Begründung führt sie aus, dass das
SG zu Unrecht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Klägers angenommen habe. Es sei nicht ersichtlich,
welches Ziel der Kläger mit der Klage verfolge, zumal kein Anhalt dafür vorliege, dass der Kläger in Zukunft wieder
eine entsprechende AE beantragen werde. Selbst wenn der Kläger befürchte, dass die Beklagte in Zukunft für ihn
nachteilige Verwaltungsakte auf der Grundlage der bisher zu § 4 Abs 3 Satz 3 ASAV vertretenen Rechtsauffassung
erlassen werde, sei er auf den nachträglichen Rechtsschutz gegen die zukünftigen Verwaltungsakte zu verweisen. Für
eine vorbeugende Feststellungsklage fehle es dem Kläger am Rechtsschutzbedürfnis. Im Übrigen halte sie daran fest,
dass der in § 4 Abs 3 Satz 3 ASAV verwendete Begriff der Beschäftigung die Zeiten umfasse, für die die AE erteilt
worden sei. Eine andere Auslegung komme nicht in Betracht, da ansonsten eine Überprüfung durch die Beklagte
unmöglich sei.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 19.12.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des SG für zutreffend. Hinsichtlich der zukünftig ergehenden Verwaltungsakte sei zu bedenken,
dass der Weg des nachträglichen Rechtsschutzes langwierig und ein eventuell eintretender Schaden schwer
nachzuweisen sei.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig. In der
Sache erweist sich die Berufung auch als begründet, denn für die vom SG getroffene Feststellung fehlt dem Kläger
ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Zutreffend hat der Kläger eine Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben. Der Bescheid vom 12.02.1999 hat sich durch
Zeitablauf erledigt, da die beantragte AE auf den Zeitraum vom 01.02.1999 bis 28.02.1999 gerichtet war. Mit dem
Ablauf des 28.02.1999 war damit eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den ablehnenden
Bescheid nicht mehr möglich. Der Kläger konnte jedoch entsprechend § 131 Abs 1 Satz 3 SGG die Feststellung
beantragen, dass der Bescheid vom 12.02.1999 rechtswidrig war. Unmittelbar gilt § 131 Abs 1 Satz 3 SGG zwar nur
für einen nach Klageerhebung erledigten Anfechtungsanspruch, allerdings ist eine Fortsetzungsfeststellungsklage
auch bei Erledigung vor Klageerhebung und bei Erledigung einer Verpflichtungsklage zulässig (vgl. Meyer-Ladewig,
SGG, 7.Auflage, § 131 Rdnrn 9 und 9a).
Jedoch lag zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG ein berechtigtes Feststellungsinteresse des Klägers nicht mehr
vor. Nach § 131 Abs 1 Satz 3 SGG spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt
rechtswidrig ist, wenn dieser sich durch Zurücknahme oder anders erledigt und der Kläger ein berechtigtes Interesse
an dieser Feststellung hat. Das nach dieser Vorschrift erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse liegt nur dann
vor, wenn dem angestrebten gerichtlichen Ausspruch über die Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungshandelns
rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Bedeutung zwischen den Beteiligten zukommt (vgl. Urteil des
Bundessozialgerichts -BSG- vom 25.10.1989, Az: 7 RAr 148/88, SozR 4100 § 91 Nr 5 S 13).
Ein solches Feststellungsinteresse hat der Kläger nicht darlegen können. Von einem ideellen Feststellungsinteresse
des Klägers kann nicht ausgegangen werden, denn weder nach seinem Vortrag noch aus dem vorliegenden
Akteninhalt ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass er durch die Frage der Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer AE in
seinem Ansehen beschädigt wurde. Ein wirtschaftliches Interesse an der begehrten Feststellung ist ebenfalls nicht
ersichtlich. Der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen, dass er Entgeltansprüche gegen seinen tschechischen
Arbeitgeber für den hier fraglichen Zeitraum Februar 1999 nicht realisieren konnte. Er beklagt zwar einen Lohnausfall
für die Tätigkeit in Deutschland, gleichzeitig stellt er aber fest, dass er Lohn für seine Tätigkeit in Tschechien erhalten
habe.
Der Hinweis des Klägers, er werde gegen die Beklagte einen Amtshaftungsprozess wegen des ihm angeblich
entstandenen Schadens anstrengen, reicht nicht aus, um ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung
anzunehmen. Denn die Erledigung des streitigen Bescheides ist vor der Klageerhebung eingetreten. In diesem Fall
kann die Absicht einer Amtshaftungsklage ein schutzwürdiges Interesse an einer (sozial)gerichtlichen Feststellung der
Rechtswidrigkeit des streitigen Bescheides nicht begründen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts -BVerwG-
vom 20.01.1989, Az: 8 C 30/87, BVerwGE 81, 226, 227 f). Für die Schutzwürdigkeit des Interesses an einer
Feststellung ist ausschlaggebend, dass das Zivilgericht an die Entscheidung des Sozialgerichts über die
Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gebunden ist. Eine Partei soll auch nicht ohne Not um die Früchte des
bisherigen Prozesses gebracht werden. Diese Situation ist beim Kläger jedoch nicht gegeben. Er hätte wegen des von
ihm in Aussicht genommenen Schadensersatzanspruches sofort den hierfür zuständigen Zivilrechtsweg beschreiten
müssen.
Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann vom Kläger schließlich nicht mit einer bestehenden Wiederholungsgefahr
begründet werden, denn es droht ihm nicht die Gefahr, dass sich der Erlass des angefochtenen und zwischenzeitlich
erledigten Bescheides ohne Klarstellung der Rechtslage bei nächster Gelegenheit unter gleichen oder ähnlichen
Voraussetzungen wiederholen wird (vgl. Urteil des BSG vom 20.05.1992, Az: 14a/6 RKa 29/89, SozR 3-1500 § 55 Nr
12 S 16; Urteil des BayLSG vom 12.11.2002, Az: L 11 AL 123/01). Davon könnte nur dann ausgegangen werden,
wenn auch in Zukunft die gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse bestehen wie in dem für die Beurteilung
der erledigten Maßnahmen maßgebenden Zeitpunkt (vgl. Urteil des BVerwG vom 26.07.1996, Az: 8 C 20.956,
Buchholz 310 § 113 Nr 284). Bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des SG war davon auszugehen, dass es im
Zeitpunkt eines möglicherweise künftig ergehenden Verwaltungsaktes der Beklagten zu der Regelung des § 4 Abs 3
Satz 3 ASAV nicht mehr auf die Vorbeschäftigung des Klägers im Kalenderjahr vor der hier streitigen Antragstellung
ankommt. Es ist nicht nur eine fortbestehende unveränderte Sachlage zu verneinen, sondern es ist auch ungewiss,
ob es in absehbarer Zeit überhaupt zu einer solchen Entscheidung der Beklagten kommen wird. Der Kläger hat nicht
substantiiert vorgetragen, dass er von seinem Arbeitgeber auf weiteren Baustellen in der Bundesrepublik eingesetzt
werden sollte. Es mag sein, dass der Kläger zukünftig eine wiederholte Ablehnung der Beklagten befürchtet und daher
die Richtigkeit seiner Rechtsauffassung gerichtlich bestätigt haben möchte. Dies begründet jedoch nicht ein
schutzwürdiges Interesse, der Wiederholung des erledigten Verwaltungsaktes vorzubeugen. Denn eine gerichtliche
Sachentscheidung kann nur erfolgen, wenn noch nachteilige Nachwirkungen des erledigten Verwaltungsaktes
bestehen. Insofern ist der Beklagten zuzustimmen, die auf die Möglichkeiten des nachträglichen Rechtsschutzes
gegen künftige nachteilige Verwaltungsakte hinweist. Auf den nachträglichen Rechtsschutz kann der Kläger auch
zumutbar verwiesen werden. Die vom Kläger insofern geäußerten Bedenken wegen der ungewissen Dauer der
gerichtlichen Verfahren berücksichtigen nicht, dass bei Eilbedürftigkeit im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
eine vorläufige Entscheidung des Gerichts erreicht werden kann.
Mangels Vorliegens eines Feststellungsinteresses war das Urteil des SG Nürnberg vom 19.12.2000 somit aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).