Urteil des LSG Bayern vom 16.12.2003

LSG Bayern: arbeitslosigkeit, gleichgestellte zeit, urlaub, arbeitsamt, willenserklärung, kreis, unterbrechung, ersetzung, beitragszeit, beratungspflicht

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.12.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 7 RJ 5019/01 It
Bayerisches Landessozialgericht L 5 RJ 28/03
Bundessozialgericht B 13 RJ 34/04 B
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 5. September 2002 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Berücksichtigung von Arbeitslosigkeit als Anrechnungszeit.
Die 1935 geborene Klägerin war vom Juli 1981 bis mindestens 13.04.1993, nach eigenen Angaben bis 05.10.1993 (bis
zur Abmeldung nach Italien) arbeitslos gemeldet und hat bis 04.02.1985 Leistungen der Arbeitsverwaltung erhalten.
Unterbrochen war die Arbeitslogkeit laut Mitteilung des Arbeitsamts Gelsenkirchen vom 09.12.1985 in der Zeit vom
08.07.1983 bis 04.09.1983, während dessen die Klägerin sich urlaubshalber im Ausland aufgehalten hat.
Mit Vormerkungsbescheid vom 04.03.1992, der Arbeitslosigkeit bis 31.12.1988 ausweist, ist die Versicherungszeit bis
31.12. 1985 verbindlich festgestellt worden. Mit Bescheid vom 31.08.2000 stellte die Beklagte fest, dass die
Anrechungszeit der Arbeitslosigkeit vom 05.09.1983 bis 02.11. 1988 mit Bescheid vom 04.03.1992 zu Unrecht
anerkannt wurde. Eine Bescheidzurücknahme sei nicht möglich. Die fehlerhaft anerkannten Zeiten würden, soweit sie
der Verbindlichkeit des § 159 SGB VI unterlägen, also vom 05.09.1983 bis 31.12.1985 bei künftigen
Leistungsansprüchen berücksichtigt. Dieser Rentenauskunft widersprach die Klägerin mit der Begrün- dung, die
Arbeitslosigkeit bis Oktober 1993 sei zu Unrecht nicht angerechnet worden. Im Widerspruchsbescheid vom
09.03.2001 wurde ausgeführt, die Ortsabwesenheit im Sommer 1983 habe 42 Tage überschritten und sei daher nicht
als kurzzeitig zu werten. Die fehlende Arbeitslosmeldung in dieser Zeit habe zur Folge, dass die Arbeitslosigkeit ab
01.01.1986 keine Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung darstelle, weil die
Anrechnungszeitenkette durch den unbelegten Kalendermonat August 1983 unterbrochen sei. Im Klageverfahren hat
die Klägerin einen Versicherungsverlauf vom 31.08.1995 vorgelegt, worin die Zeit vom 08.07. bis 04.09. 1983 als
Überbrückungszeit gespeichert ist und anschließend bis 02.11.1988 Arbeitslosigkeitszeiten enthalten sind. Sie hat
auch ein formularmäßiges Schreiben des Arbeitsamts Gelsenkirchen vom 20.06.1983 vorgelegt, wonach für die
strittige Zeit vom 08.07. bis 03.09.1983 die Verfügbarkeit nicht anerkannt werden könne, weil der Zeitraum sechs
Wochen überschreite. Gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 05.09.2002
hat die Klägerin am 05.12.2002 Berufung eingelegt und vorgetragen, sie sei mit Genehmigung des Arbeitsamts in
Urlaub gefahren. Man habe ihr versichert, dass ihr bei der Rente keine Nachteile entstünden, wenn sie sich
regelmäßig beim Arbeitsamt melde. Unterlagen des Arbeitsamts Gelsenkirchen sind nicht mehr vorhanden. In den
aktuellen Formblättern zur Verfügbarkeit wegen Auslandsaufenthalts wird auf die Nichtberücksichtigung des
Auslandsaufenthalts in der Rentenversicherung hingewiesen. Seit 01.11.2000 bezieht die Klägerin unter
Berücksichtigung von Zeiten der Arbeitslosigkeit bis 31.12.1985 durch die Beklagte Regelaltersrente
(Bewilligungsbescheid vom 13.01.2003).
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 05.09. 2002 aufzuheben
und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 31.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 09.03.2001 sowie des Bescheides vom 13.01.2003 zu verurteilen, die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 01.01.1986
bis Oktober 1993 rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 05.09.2002
zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Augsburg sowie der
Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenstand ist nicht nur der feststellende Bescheid vom 31.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 09.03. 2001, sondern gemäß § 96 SGG auch der Rentenbewilligungsbescheid vom 13.01.2003, der auf dem
ursprünglich angefochtenen Bescheid beruht.
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Die
angegriffe- nen Bescheide sind ebenso wenig zu beanstanden wie der Gerichts- bescheid des Sozialgerichts
Augsburg vom 05.09.2002. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf rentensteigernde Berücksichtigung der
Arbeitslosigkeitszeiten vom 01.01.1986 bis Oktober 1993. Die Arbeitslosigkeit hat keine versicherte Beschäftigung
unterbrochen.
Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Beitragszahlung sind rentenrechtliche Zeiten, wenn sie als Anrechnungszeiten zu
qualifizieren sind (§ 54 Abs.1 Ziffer 2, Abs.2, § 58 Abs.1 Ziffer 3 SGB VI). Anrechnungszeiten nach § 58 Abs.1 Ziffer
3 SGB VI liegen nur vor, wenn dadurch eine versicherte Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit oder ein
versicherter Wehrdienst oder Zivildienst unterbrochen ist (§ 58 Abs.2 Satz 1 SGB VI). Diese
Anrechenbarkeitsvoraussetzung ist nur erfüllt, wenn die Arbeitslosigkeit binnen eines Kalendermonats an die
versicherungspflich- tige Beschäftigung oder ihr gleichgestellte Zeit oder nahtlos an einen den Zusammenhang
wahrenden Tatbestand einer anderen rentenrechtlichen Zeit oder aber nahtlos an einen sog. Überbrückungstatbestand
anschließt. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben.
Die strittige Arbeitslosigkeit ab 01.01.1986 schließt zwar nahtlos an den als Anrechnungszeittatbestand anerkannten
Zeitraum vom 05.09. 1983 bis 31.12.1985 an. Dadurch wird aber die Nahtlosigkeit im oben genannten Sinn mit der im
Juli 1981 beendeten versicherungspflichtigen Beschäftigung einschließlich der daran anschließenden, den
Zurechnungszusammenhang aufrechterhaltenden rentenrechtlichen Zeiten wegen Arbeitslosigkeit bis zum 07.07.1983
nicht gewahrt. Denn dazwischen liegt der achtwöchige Urlaub der Klägerin; in dessen letzten beiden Wochen ist weder
der Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit, insbesondere nicht der einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit
noch derjenige einer Überbrückungszeit wegen Urlaubs bei Erwerbslosigkeit gegeben.
Wie die Klägerin selbst durch Vorlage des Schreibens des Arbeitsamts Bottrop vom 20.06.1983 nachgewiesen hat,
war sie im strittigen Zeitraum vom 08.07.1983 bis 03.09.1983 nicht arbeitslos. Darin hat die Bundesanstalt bindend
festgestellt, dass die Verfügbarkeit wegen Überschreitens der Abwesenheitsdauer von sechs Wochen nicht anerkannt
werden kann. Diese Entscheidung der Bundesanstalt ist für den Rentenversicherungsträger und die Gerichte im Sinne
einer Tatbestandswirkung bindend (vgl. BSG SozR 3-2600 § 58 Nr.6 S.30 f.).
Die Klägerin hat in den letzten beiden Urlaubswochen auch nicht den Tatbestand einer sog. Überbrückungszeit wegen
Urlaubs erfüllt, die den zeitlichen Zusammenhang gewahrt hätte. Notwendige Voraussetzung für einen
Überbrückungstatbestand im Rahmen des § 58 Abs.1 Nr.3 SGB VI ist, dass der Rentenversicherte im jeweiligen
Zeitraum noch zum Kreis der "Arbeitsuchenden" im Sinne von § 58 Abs.1 Satz 1 Nr.3 SGB VI gehört. Hiervon kann
nicht mehr ausgegangen werden, sobald er die aktive Suche nach einem Arbeitsplatz ohne
rentenversicherungsrechtlich anerkannten Grund unterbricht oder aufgibt. Ein solcher Tatbestand sozialadäquaten
Verhaltens, der die Unterbrechung der aktiven Arbeitsplatzsuche eines erwerbslosen Rentenversicherten zeitweilig
rechtfertigt, ist auch der Urlaub, jedoch nur im Umfang von höchstens sechs Wochen im Kalenderjahr. Geht der
Urlaub über sechs Wochen hinaus, geht der Anschluss an die versicherungspflichtige Beschäftigung oder an den
letzten anschlusswahrenden Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit verloren (BSG vom 12.06.2001 in SozR 3-2600 §
58 Nr.18).
Zwar ist mit Vormerkungsbescheid vom 04.03.1992 festgestellt worden, dass die Zeit vom 05.09.1983 bis Ende 1985
eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbricht. Wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat, kann diese
Regelung, die auf der unzutreffenden Annahme einer Überbrückungszeit vom 08.07. bis 04.09.1983 beruht, im
Hinblick auf die Fristenregelung in § 45 Abs.3 SGB X nicht mehr zurückgenommen werden. Entsprechend findet die
Zeit der Arbeitslosigkeit bis Ende 1985 Eingang in die Rentenberechnung. Als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung
unterliegt der Vormerkungsbescheid dem besonderen Bestandschutz des § 45 SGB X (BSG vom 21.02.1985, BSGE
Band 58, S.49 ff.). Die Bestandskraft des Bescheides vom 04.03.1992 erstreckt sich jedoch nicht auf die darin
enthaltene Feststellung einer Überbrückungszeit vom 08.07. bis 03.09.1983. Gegenstand eines
Vormerkungsbescheides gemäß § 149 Abs.5 SGB VI ist die Feststellung einer Beitrags-, Versicherungs-, Ersatz-
oder Ausfallzeit, also die tatbestandsmäßige Feststellung einer rentenrechtlichen Zeit. Überbrückungstatbestände
haben keinen eigenen Rangstellenwert, sondern bewirken nur indirekt dessen Erhöhung, indem sie den
Zurechnungszusammenhang wahren und damit den Tatbestand einer rentenrechtlichen Zeit anrechenbar machen
(BSG, Urteil vom 12.06.2001 a.a.O.). Die Feststellung einer Überbrückungszeit stellt sonach lediglich die Begründung
für die Feststellung einer Anrechnungszeit dar, ohne selbst in Rechtskraft zu erwachsen. Ebenso wie im
Rentenbewilligungsbescheid nur der Verfügungssatz bindungsfähig ist, ist im Vormerkungsbescheid nur die
Feststellung rentenrechtlicher Zeiten bindungsfähig. Hinzu kommt, dass der Regelungsumfang des
Vormerkungsbescheids von 1992 nach außen erkennbar auf den Zeitraum bis Ende 1985 beschränkt war. Die bereits
damals bekannte Zeit der Arbeitslosigkeit ab 1985 sollte nicht rechtsverbindlich festgestellt sein. Dies wäre aber die
zwangsläufige Folge, wollte man der Feststellung der Überbrückungszeit Bindungswirkung verleihen.
Die rentensteigernde Berücksichtigung der Arbeitslosigkeit ab 1986 kann die Klägerin auch nicht im Wege des
sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen. Ein sozialrechtlicher Herstel- lungsanspruch setzt voraus, dass
der in Anspruch genommene Leis- tungsträger eine Haupt- oder Nebenpflicht aus seinem jeweiligen
Sozialrechtsverhältnis selbst oder durch andere Leistungsträger nicht oder schlecht erfüllt hat, was einen
sozialrechtlichen Nachteil bewirkt hat, der gerade durch die verletzte konkrete Pflicht abgewendet werden sollte. In
diesem Fall hat der Betroffene das Recht, vom Leistungsträger zu verlangen, zur Verwirklichung seiner sozialen
Rechte jetzt so behandelt zu werden, als stehe ihm das infolge der Pflichtverletzung beeinträchtigte Recht noch im
vollen Umfang zu (BSG vom 15.12.1994 in SozR 3-2600 § 58 Nr.2).
Es mag sein, dass die Klägerin ihre Urlaubsdauer beschränkt hätte, wenn sie über die Konsequenzen in
rentenrechtlicher Hinsicht unterrichtet worden wäre. Die Beklagte selbst traf aber mangels Befassung mit der
Angelegenheit 1983 keinerlei Aufklärungs- oder Beratungspflicht. Die Bundesanstalt für Arbeit hat die Klägerin
entsprechend dem vorgelegten Formblatt und dessen Hinweisen auf der Rückseite wohl darüber aufgeklärt, dass die
Zeiten eines auswärtigen Aufenthalts, für die keine Leistungen gezahlt werden, in der Rentenversicherung nicht
berücksichtigt werden (weder als Beitragszeit noch als beitragsfreie Anrechnungszeit). Es kann dahinstehen, ob diese
Belehrung ausreichend war, insbesondere nicht Anlass genug für die Klägerin war, sich bei der Beklagten konkret
nach den Folgen in der Rentenversicherung zu erkundigen. Denn mit Hilfe des Herstellungsanspruchs lässt sich ein
Fehlverhalten des Leistungsträgers nur insoweit berichtigen, als die Korrektur mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in
Einklang steht (SozR 3-8825 § 2 Nr.3). Die Ersetzung der fehlenden Verfügbarkeit hat das Bundessozialgericht bereits
mehrfach abgelehnt (Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.07. 1997, Az.: 7 RAr 12/96 m.w.N.). Ein
Herstellungsanspruch wäre nur begründet, wenn eine Vordatierung der Arbeitslosmeldung auf den 19.08.1983 zulässig
wäre oder die Klägerin Anspruch darauf hätte, so gestellt zu werden, als ob sie sich bereits am 19.08. 1983 arbeitslos
gemeldet hätte. Dies ist jedoch nicht möglich, weil die Arbeitslosmeldung als Tatsachenerklärung nicht den
Gestaltungsmöglichkeiten einer Willenserklärung unterliegt, weil sie keine Willenserklärung ist (BSG vom 19.03.1986
in SozR 4100 § 105 Nr.2). Arbeitslosigkeit vom 19.08. bis 03.09.1983 kann nicht fingiert werden, weil die Klägerin in
diesem Zeitraum tatsächlich dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden hat, nicht zum Kreis der
Arbeitssuchenden gehört hat und die fehlende Verfügbarkeit auch vom Arbeitsamt festgestellt war. Wenn der 20.
Senat des Bayerischen Landessozialgerichts hiervon abweichend am 13.11.2002 (L 20 RJ 242/01) entschieden hat,
die Arbeitslosmeldung könne ausnahmsweise im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden,
so kann dem für den vorliegenden Fall nicht gefolgt werden. Anders als im eben genannten Fall war die fehlende
Verfügbarkeit von der Bundesanstalt verbindlich festgestellt. Die Klägerin hat auch nicht nur die Meldung als
arbeitslos unterlassen, sie war tatsächlich wegen ihres Auslandsaufenthaltes nicht verfügbar. Der 20. Senat hatte
hingegen für eine fehlende Verfügbarkeit keinerlei Anhaltspunkte. Dort war nur die laufene Arbeitslosmeldung
unterblieben. Der Senat hat auch geprüft, ob die Sonderregelung des § 105c AFG, die älteren Arbeitslosen
Privilegierungen bei längfristigen Selbstbeurlaubungen gegeben hat, hätte Anwendung finden können. Diese Vorschrift
ist jedoch erst zum 1. Januar 1986 in Kraft getreten und zudem hat die 1935 geborene Klägerin den
Privilegierungstatbestand des 58. Lebensjahrs erst lange nach dem Jahre 1983 erfüllt.
Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs.2 SGG), sind nicht ersichtlich.