Urteil des LSG Bayern vom 24.04.2007

LSG Bayern: rentenanspruch, erwerbsunfähigkeit, heimat, arbeitsmarkt, leistungsfähigkeit, krankheitswert, psychose, merkblatt, mindestbeitrag, kontaktaufnahme

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.04.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 7 R 833/05 A
Bayerisches Landessozialgericht L 6 R 521/06
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 12. Juni 2006 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Leistung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1949 geborene Klägerin, eine Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, hat keinen Beruf erlernt. In der
Bundesrepublik Deutschland war sie vom 27.03.1973 bis 31.10.1985 als Küchenarbeiterin versicherungspflichtig
beschäftigt; anschließend war sie arbeitslos bzw. krank. In ihrer Heimat hat sie keine Beitragszeiten aufzuweisen.
Erstmals hatte die Klägerin am 31.03.1986 Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit
gestellt. Im Gutachten der Invalidenkommission I. vom 20.06.1986 wurde sie für weniger als zwei Stunden täglich
arbeitsfähig angesehen (bis zu einer im Juni 1987 erforderlichen Kontrolluntersuchung). Die Beklagte holte das von
Dr.B. und Dr.C. am 23.09.1987 erstattete Gutachten ein, die die Klägerin für fähig erachteten, leichte Arbeiten
ganztägig ohne besonderen Zeitdruck und ohne Schicht- bzw. Nachtdienst zu verrichten. Mit Bescheid vom
03.12.1987 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab, die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Landshut
nach Einholung eines Gutachtens des Neurologen und Psychiaters Dr.M. M. vom 21.12.1987 mit Urteil vom
21.02.1989 abgewiesen (S 4 AR 5273/88 Ju). Die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Klägerin sei nach
ärztlicher Feststellung im Verwaltungs- und Klageverfahren noch vollschichtig einsatzfähig und somit nicht
wenigstens berufsunfähig.
Am 16.06.2004 beantragte die Klägerin erneut die Zahlung einer Rente bei der Beklagten. Im daraufhin von der
Invalidenkommission S. eingeholten Gutachten vom 01.09.2004 kamen die Sachverständigen zu der Auffassung, die
Klägerin sei ab dem Gutachtenszeitpunkt nurmehr täglich unter zweistündig arbeitsleistungsfähig.
Mit Bescheid vom 14.12.2004 und Widerspruchsbescheid vom 15.04. 2005 lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit
der Begründung ab, ausgehend vom Datum der Antragstellung am 16.06.2004 habe die Klägerin die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht erfüllt.
So habe sie im maßgeblichen Zeitraum vom 16.06.1999 bis 15.06.2004 keinerlei Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen.
Auch seien die in §§ 53, 245 SGB VI genannten Voraussetzungen für eine Rentengewährung nicht erfüllt. Es sei auch
nicht jeder Kalendermonat in der Zeit vom 01.01.1984 bis 31.05.2004 mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Im
Zeitpunkt der Antragstellung sei für die Monate Januar 1987 bis Dezember 2003 eine Belegung durch eine
Beitragsentrichtung nicht mehr möglich. Auch das Vorbringen der Klägerin, bei ihr liege bereits seit 1988
Erwerbsunfähigkeit vor, sei durch beweiskräftige ärztliche Unterlagen nicht belegt worden.
Dagegen hat die Klägerin zum Sozialgericht Landshut Klage erhoben mit der Begründung, sie sei sowohl von den im
Auftrag der Beklagten im Jahre 1988 tätig gewordenen Sachverständigen als auch von Dr.M. M. als psychisch krank
bezeichnet worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 12.06.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den
Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Die Klägerin habe im Übrigen auch keinen Anspruch auf Rente wegen
Erwerbsminderung gemäß §§ 43, 240 SGB VI, da insoweit der Versicherungsfall spätestens im Januar 1989 hätte
eintreten müssen. Die Klägerin sei aber während des seinerzeitigen Klageverfahrens von Dr.M. eingehend untersucht
und begutachtet und für vollschichtig einsatzfähig angesehen worden. Das Gericht habe sich nicht veranlasst
gesehen, zum jetzigen Zeitpunkt ein medizinisches Sachverständigengutachten einzuholen, zumal auch im
Formblattgutachten des bosnischen Versicherungsträgers erst ab 01.09.2004 von einem unter zweistündigen
Leistungsvermögen ausgegangen worden sei.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und vorgebracht, sie sei schon vor 20 Jahren in Bosnien
erkrankt und für arbeitsunfähig angesehen worden. Nach dieser Zeit habe sich ihr Gesundheitszustand immer mehr
verschlechtert und sie habe wieder Antrag auf Invalidenrente gestellt. Sie sei ohne Krankenversicherung und müsse
ihre ärztlichen Untersuchungen selbst bezahlen. Wenn sie ihre Rente nicht bekomme, bitte sie um Auszahlung ihrer
eingezahlten Beiträge.
Mit Schreiben vom 22.08.2006 und 22.02.2007 hat der Senat die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Entscheidung
des Sozialgerichts und der Beklagten der Sach- und Rechtslage entsprächen und dass im Hinblick auf die bereits im
früheren Verfahren durchgeführte ärztliche Begutachtung eine weitere Untersuchung nicht für erforderlich gehalten
werde. Hinsichtlich der Beitragserstattung sei eine Entscheidung des Senats über diesen erstmals im
Berufungsverfahren geltend gemachten Anspruch nicht möglich. Eine Nachentrichtung freiwilliger Beiträge sei nach
Kenntnis des Senats auch in der Heimat der Klägerin nicht möglich und es werde im übrigen davon ausgegangen,
dass eine durchgehende Belegung der Zeit ab dem Jahre 1987 mit freiwilligen Beiträgen der Klägerin aus finanziellen
Gründen nicht möglich gewesen wäre.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts
Landshut vom 12.06.2006 sowie des Bescheides vom 14.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
15.04.2005 zu verurteilen, ihr aufgrund des Antrags vom 16.06.2004 Rente wegen Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie erklärt, hinsichtlich der begehrten Beitragserstattung werde mit der Klägerin nach Abschluss des Verfahrens
Kontakt aufgenommen.
Bezüglich weiterer Einzelheiten des Tatbestandes wird im übrigen Bezug genommen auf den Inhalt der Akten des
Gerichts und der Beklagten sowie der erledigten Klageakten des Sozialgerichts Landshut.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. In der Sache konnte das Rechtsmittel keinen
Erfolg haben, weil der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut nicht zu beanstanden ist. Die
Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weil die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind und auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs noch erfüllt werden können.
Auch dann, wenn bei der Klägerin zu einem Zeitpunkt nach Dezember 1988 (Untersuchung durch Dr.M.)
Erwerbsunfähigkeit bzw. (nach dem 31.12.2000) Erwerbsminderung eingetreten ist, kann ein Rentenanspruch nicht
bejaht werden, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nicht mehr erfüllt sind.
Auszugehen ist dabei zunächst von den Vorschriften der §§ 1246, 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO) für die
Zeit bis 31.12.1991, sodann von den Vorschriften der §§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) für die
Zeit bis 31.12.2000 sowie von § 43 SGB VI in der ab 01.01.2001 gültigen Fassung. Sämtliche dieser Vorschriften
stimmen darin überein, dass ein Rentenanspruch nur dann in Betracht kommt, wenn in den letzten 60 Monaten vor
Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw. Erwerbsminderung mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für
eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind. Ausgehend von der in Deutschland
zurückgelegten Versicherungszeit (bis Dezember 1987) hätte der Versicherungsfall der Berufs- bzw.
Erwerbsunfähigkeit bis spätestens Januar 1989 eintreten müssen. Nach den Feststellungen von Dr.C. sowie Dr.M. ,
letzterer im Gutachten vom 21.12.1988, bestand jedenfalls bis dahin und auch noch darüber hinaus bei der Klägerin
ein vollschichtiges Arbeitsleistungsvermögen, wobei im Verwaltungsverfahren lediglich eine depressive neurotische
Entwicklung ohne Symptome oder Spuren einer schizophrenen Psychose festgestellt wurde und im Klageverfahren
eine neurotische Entwicklung ohne jeden Krankheitswert zu diagnostizieren war. Damit ist in Übereinstimmung mit
dem Sozialgericht Landshut im Urteil vom 21.02.1989 davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer vollschichtigen
Leistungsfähigkeit und der Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig
war. Gleiches gilt für die Zeit bis zum erneuten Rentenantrag im Jahre 2004, wobei nunmehr auch die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch nicht mehr gegeben sind, wie es die Beklagte in
ihrem angefochtenen Bescheid ausführlich dargelegt hat.
Zwar hätte die Klägerin durch eine Entrichtung freiwilliger Beiträge ab Januar 1987 bis zum Eintritt eines
Versicherungsfalls die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 241 Abs.2 Ziffer 1 SGB VI aufrecht
erhalten können. Die Klägerin wurde seinerzeit (aus Anlass des Bescheides vom 03.12.1987) durch das "Merkblatt 6"
über die rentenrechtlichen Folgen einer unterlassenen Beitragsleistung aufgeklärt; selbst wenn man diese Aufklärung
als unzureichend ansehen würde (vgl. KassKom-Niesel, § 241 SGB VI, Rdnr. 25), könnte im Rahmen eines der
Klägerin zuzubilligenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zwar eine rückwirkende Beitragsentrichtung
zugelassen werden, deren Realisierung jedoch offensichtlich für die Klägerin nicht möglich ist, da sie über keinerlei
materiellen Mittel verfügt, die Lücke bis zurück zum Jahre 1988 - wenn auch mit dem Mindestbeitrag - zu füllen.
Erforderlich ist nämlich der ursächliche Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung durch die Beklagte -
unzureichende Aufklärung über die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes durch die
Entrichtung von (freiwilligen) Beiträgen - und der unterbliebenen Beitragsentrichtung. Die Klägerin hätte bereit und in
der Lage gewesen sein müssen, für die Zeit ab Januar 1987 bis zum Eintritt eines Leistungsfalles freiwillige Beiträge
zu entrichten (vgl. BSG Urteil vom 17.08. 2000, B 13 RJ 87/98 R), wobei dies in der Heimat der Klägerin nach
Kenntnis des Gerichts nicht möglich gewesen wären, worauf die Klägerin hingewiesen worden war. Der Senat hat die
Klägerin auch darauf hingewiesen, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese in der Lage war, seit
Januar 1987 freiwillige Beiträge zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten, was die Klägerin
unwidersprochen hingenommen hat. Im Hinblick auf die Lücke zwischen Erlass des Urteils vom 21.02. 1989 bis zur
Stellung des neuen Antrags am 16.06.2004 kann somit auch die Vorschrift des § 241 Abs.2 Satz 2 SGB VI nicht zur
Anwendung kommen, die einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch zur Voraussetzung hätte.
Da die Beklagte und das Sozialgericht zutreffend davon ausgegangen sind, dass ein Rentenanspruch für die Klägerin
nicht zu verwirklichen ist, war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Eine Entscheidung über eine Beitragserstattung ist nicht möglich, da hierüber eine Entscheidung der Beklagten, die
angefochten wäre bzw. Gegenstand des Verfahrens hätte werden können, nicht vorliegt. Eine darin gegebenenfalls zu
sehende Klageänderung im Sinne des § 99 SGG ist nicht als sachdienlich anzusehen. Die Klägerin sollte deshalb die
angekündigte Kontaktaufnahme der Beklagten abwarten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.