Urteil des LSG Bayern vom 20.03.2007

LSG Bayern: erwerbsfähigkeit, bandscheibenoperation, minderung, arbeitsmarkt, zustand, berufsunfähigkeit, rentenanspruch, heimat, arbeitsamt, montenegro

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 12 R 1117/03
Bayerisches Landessozialgericht L 6 R 436/06
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 16. Juni 2006 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1948 geborene Kläger stammt aus Montenegro, wo er auch heute wieder wohnt. In der Heimat hat er keine
Versicherungszeiten zurückgelegt. Er hat keinen Beruf erlernt. In Deutschland war er von März 1969 - mit wenigen
Monaten Unterbrechung als Folge einer im Jahr 1975 durchgeführten Bandscheibenoperation - bis Dezember 1981
versicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss daran war er bis Dezember 1984 beim Arbeitsamt H. arbeitslos
gemeldet.
Ein erstes - aus medizinischen Gründen erfolgloses - Rentenverfahren wurde von Oktober 1980 bis Januar 1983
durchgeführt. Die Beklagte stützte ihre ablehnende Entscheidung auf das Gutachten der Invalidenkommission T. vom
12.06.1981. Danach war der Kläger bei Zustand nach Bandscheibenoperation L 4, L 5 nicht mehr in der Lage, seinen
früheren Beruf als Lkw-Fahrer auszuüben, und wurde deshalb als Invalide der III. Kategorie anderkannt; für leichtere
Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wurde er jedoch noch als vollschichtig belastbar angesehen. Dieser
Beurteilung hatte sich auch die Prüfärztin Dr. L. am 03.12.1982 angeschlossen.
Am 18.03.2002 stellte der Kläger über seinen heimischen Versicherungsträger den hier streitigen Rentenantrag.
Beigefügt waren das Gutachten der Invalidenkommission Montenegro vom 12.04.2002, welches beim Kläger nur mehr
ein unter halbschichtiges Leistungsvermögen seit dem Tag der Untersuchung annimmt, sowie eine Reihe von
medizinischen Unterlagen aus den Jahren 1994 bis 1995, überwiegend aber neueren Datums.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 05.06.2002 ab, da die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
bei Antragstellung nicht erfüllt seien. Vor diesem Hintergrund sei nicht geprüft worden, ob Erwerbsminderung vorliege.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit bereits vor dem 01.01.1984
geltend und legte hierzu die ärztlichen Unterlagen aus den Jahren 1975 bis 1981 vor, u.a. Befunde über den
Bandscheibenvorfall aus dem Jahre 1975 aus H. , eine Bescheinigung über die Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30
v.H. vom April 1981 und eine Reihe von jugoslawischen Arztberichten aus dem Jahre 1980.
Die Beklagte veranlasste eine internistische und nervenärztliche Begutachtung des Klägers in ihrer ärztlichen
Gutachterstelle R. durch Dr.R. und Dr. S ... Diese diagnostizierten beim Kläger 1. eine Herzmuskelschädigung bei
Bluthochdruck mit Herzrhythmusstörungen (absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern). 2. Wirbelsäulenabhängige
Beschwerden und Funktionseinschränkungen bei degenerativen Veränderungen, Bandscheibenschädigung sowie
Zustand nach Bandscheibenoperation L5/S1 12/75 ohne Hinweise auf eine Nervenwurzelschädigung. 3.
Psychovegetative Störungen. Kein Hinweis auf eine depressive Erkrankung. Kopfschmerz bei Zustand nach Schädel-
Hirn-Verletzung 1983 und Schwindelzustände. Auf Grund dessen könne der Kläger noch sechs Stunden und mehr
leichte Arbeiten ohne besondere Anforderungen an die geistig-psychische Belastbarkeit und an den
Bewegungsapparat verrichten.
Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2003 zurück, da der Kläger
noch mehr als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig sei und im Übrigen die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Die hiergegen am 26.09.2003 erhobene Klage wies das Sozialgericht Landshut (SG) mit Gerichtsbescheid vom
16.06.2006 zurück, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Nach der Regelung des §
43 Abs.1 Satz 1 Ziffer 2, Abs.2 Satz 1 Ziffer 2 bestehe ein Rentenanspruch nur, wenn bereits spätestens im Januar
1987 Erwerbsminderung bestanden hätte. Davon sei jedoch nicht auszugehen, nachdem selbst mehr als 16 Jahre
später bei der ärztlichen Untersuchung durch die Beklagte quantitative Einschränkungen des Leistungsvermögens
nicht hätten festgestellt werden können.
Hiergegen legte der Kläger am 26.06.2006 Berufung ein.
Auf Befragen des Senats erklärte der Kläger, er habe seit 1984 seinen Lebensunterhalt durch die teilweise Vermietung
des von ihm erbauten Hauses bestritten, weiterhin durch Unterstützung seiner Eltern. Freiwillige Beiträge zur
Rentenversicherung habe er wegen seines gesundheitlich schlechten Zustandes nicht bezahlt; gesundheitsbedingt
habe er keine feste Anstellung finden können.
Nach einer vom Senat eingeholten Arbeitgeberauskunft war der Kläger ab 1974 bei der Fa. I. als 12 Monate
angelernter Operator tätig und zuletzt tarifvertraglich in "Wertstufe 16" entsprechend Lohngruppe 8 (unter
Zugrundelegung des Tarifvertrags von 1992) eingestuft.
Der Kläger beantragt sinngemäß, 1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 16. Juni 2006 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 05.06.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.07.2003 aufzuheben und 2.
die Beklagte zur Zahlung von Rente wegen Erwerbsminderung ab März 2002 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des SG sowie die
Berufungsakte hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, da der Kläger aus
versicherungsrechtlichen Gründen den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach den
Vorschriften des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) nicht hat.
I.
1. Für einen solchen Anspruch fehlt es an den versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Nach der einschlägigen
gesetzlichen Regelung ("Drei in Fünf Jahren" - § 43 Absätze 1 und 2, jeweils Satz 1 Nr.2 i.V.m. Abs.4 SGB VI) - ist
zum Zeitpunkt des Leistungsfalls der Erwerbsminderung lediglich eine Lücke von 24 Kalendermonaten unschädlich.
Maßgeblicher Kalendermonat für die letztmalige Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ist hier
somit Januar 1987: Wäre die Erwerbsminderung in diesem Monat eingetreten, so wäre der Fünfjahreszeitraum genau
mit 36 Pflichtbeitragsmonaten belegt. Bereits ein eventueller Eintritt verminderter Erwerbsfähigkeit im Februar 1987
oder später würde dem Kläger dagegen nicht mehr zu einem Rentenanspruch verhelfen, da dann die Lücke 25
Kalendermonate bzw. mehr zählen würde. Hierbei kommt es auf die seit 1981 in der Heimat anerkannte Invalidität III.
Grades sowie die Arbeitslosmeldung nicht an. Denn montenegrische Rentenbezugszeiten sind entsprechenden
deutschen Zeiten weder abkommensrechtlich noch gesetzlich gleichgestellt: Die "Zeiten des Bezugs einer Rente
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit" sind zwar gemäß § 43 Abs.4 Nr.1 sogenannte "Aufschubzeiten". Doch
beziehen sich diese lediglich auf Renten nach deutschem Recht. Auch bezüglich Arbeitslosigkeitszeiten fehlt es an
einer Gleichstellung mit deutschen Zeiten.
Auch die vom Kläger behauptete Arbeitsunfähigkeit ist nicht dokumentiert. Sie wäre auch nicht geeignet, eine
durchgehende Aufschubzeit oder Anwartschaftserhaltungszeit von 1984 bis zum Jahre 2002 zu begründen.
Der Kläger erfüllt somit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 SGB VI heute nicht mehr.
Gleiches gilt für die Übergangsvorschrift des § 241 SGB VI. Denn die Zeit ab Januar 1984 bis zum Rentenantrag ist
nicht durchgehend mit Anwartschaftszeiten belegt: auch insofern besteht eine Lücke seit dem Jahr 1985.
2. Schließlich kann der Kläger auch heute diese Lücke nicht mehr schließen, etwa durch die Nachzahlung freiwilliger
Beiträge. Hierfür gelten zwingende gesetzliche Fristen (§§ 197, 198 SGB VI), die eine Zahlung jeweils nur zeitnah
erlauben. Eine ausnahmsweise Nachzahlungsberechtigung trotz Fristablaufs könnte sich u.U. aus dem
sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergeben. Dies würde voraussetzen, dass der Kläger infolge eines
Beratungsfehlers, von seiten eines Sozialversicherungsträgers die fristgerechte Beitragszahlung unterlassen hat.
Der Kläger hat zuletzt im Jahr 1984 Sozialleistungen des Arbeitsamts erhalten. Zu diesem Zeitpunkt galten auch
schon die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aufgrund des Haushaltbegleitgesetzes 1984. Ob
das Arbeitsamt den Kläger auf diese zusätzlichen Voraussetzungen und die eventuelle Notwendigkeit,
rentenrechtliche Zeiten zurückzulegen, aufmerksam gemacht hat, kann nicht mehr ermittelt werden. Die Frage kann
aber auch offen bleiben. Denn der Kläger hat auf Anfrage des Senats erklärt, er hätte jedenfalls keine freiwilligen
Beiträge zahlen können. Somit wäre eine eventuelle Falschberatung der Arbeitsverwaltung nicht die maßgebende
Ursache für die in der Folge entstandenen Lücken im Versicherungsverlauf des Klägers gewesen. Eine Korrektur über
den sozialrechtlichen Herstel-lungsanspruch findet daher nicht statt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für eine eventuelle Minderung des gesundheitlichen Leistungsvermögens der Klägerin ist
daher Januar 1987.
II.
Der Kläger war aber im Jahr 1987 noch nicht berufs- oder erwerbsunfähig im Sinne von §§ 43, 44 SGB VI a.F.
1. Er war seinerzeit noch erwerbsfähig. Denn er konnte damals noch vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
tätig sein. Dies haben die ärztlichen Gutachter der Beklagten überzeugend festgestellt.
Insbesondere sprechen auch die vom Kläger selbst vorgelegten ärztlichen Unterlagen für die Auffassung der
Beklagten und des SG. Die Unterlagen aus den Jahren 1975 bis 1981 beschreiben die auch von der
Invalidenkommission T. gewürdigten damaligen Gesundheitsstörungen. Nach der dortigen - überzeugenden -
Einschätzung war der Kläger hierdurch nicht an einer vollschichtigen Arbeitsleistung auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt gehindert. Für den gesamten - hier versicherungsrechtlich bedeutsamen - späteren Zeitraum bis zum
Jahre 1987 liegen aber keine medizinischen Unterlagen vor, so dass diesbezüglich kein Ansatzpunkt für medizinische
Ermittlungen bestand. Die medizinische Dokumentation beginnt vielmehr erst wieder im Jahre 1994. Aus diesen -
späteren - Unterlagen lassen sich keine Rückschlüsse auf den hier maßgeblichen Zeitpunkt ziehen.
2. Bis Januar 1987 lässt sich auch keine Berufsunfähigkeit des Klägers mehr nachweisen. Auf Schwierigkeiten stößt
bereits die Festlegung und Bewertung des bisherigen Berufs, da hierzu widersprüchliche Angaben in den Akten
enthalten sind. Anfangs scheint der Kläger als Lkw-Fahrer (ohne entsprechende Ausbildung) tätig gewesen zu sein.
Ob dies nur eine kurze Phase war oder aber auch nach der Bandscheibenoperation noch fortgeführt wurde, ist nicht
eindeutig. Auch ob der Kläger eine Tätigkeit als Montierer ausgeführt hat, so seine eigenen Angaben bei der ärztlichen
Untersuchung, bleibt unklar. Nach der Arbeitgeberauskunft, die allerdings nur nach Aktenlage erstellt wurde, ist die
Tätigkeit eines Operators die zuletzt ausgeübte und prägende Tätigkeit gewesen.
Geht man zugunsten des Klägers von dieser Tätigkeit als seinem bisherigen Beruf aus, so ist deren Bewertung nicht
eindeutig. Die tarifliche Einstufung (durch den Arbeitgeber) in die Lohngruppe 8 würde in Richtung
Facharbeiterqualifikation deuten, da bereits Lohngruppe 7 die Einstiegslohngruppe für Facharbeiter zumindest im Jahr
1992 war. Andererseits war der Kläger nur 12 Monate als Operator angelernt und hatte auch keine entsprechenden
Vorkenntnisse, so dass nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast (siehe Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz,
§ 103, Anm.19a) der Berufsschutz eines Facharbeiters nicht zuzubilligen ist.
Unabhängig hiervon kann jedoch heute nach den wenigen vorhandenen medizinischen Unterlagen keinesfalls mehr
festgestellt werden, dass der Kläger bereits 1987 nicht mehr in der Lage gewesen wäre, diesen Beruf als Operator
auszuüben. Die Invalidenkommission T. hat solche Unfähigkeit nur hinsichtlich der damals als letzten Beruf
angesehenen Fahrertätigkeit angenommen; eine bisherige Tätigkeit als Operator war damals überhaupt nicht in der
Diskussion. Nachdem die Invalidenkommission dem Kläger noch leichtere Arbeiten vollschichtig zugemutet hat, muss
dies auch für die Tätigkeit als Operator gelten. Nach der Auskunft im BERUFENET handelt es sich dabei um
"körperlich leichte Arbeit im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen mit häufigem Bücken und gelegentlich
einseitig fixierter Körperhaltung mit häufigem Schicht- und Feiertagsdienst".
Der Senat geht nach alledem davon aus, dass der Kläger seinerzeit noch ein entsprechendes Leistungsvermögen
hatte. Berufsunfähigkeit bereits im Jahr 1987 lag somit nicht vor. Es bedurfte daher auch keiner weiteren Ermittlungen
seitens des Senats. Die Berufung konnte keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung entspricht dem fehlenden Erfolg der Berufung in der Hauptsache (§§ 183, 193 SGG).
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs.2 SGG).