Urteil des LSG Bayern vom 07.12.2004

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 07.12.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 6 RJ 534/02
Bayerisches Landessozialgericht L 5 RJ 148/04
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17. Januar 2004 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstat- ten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der 1953 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in seiner Heimat. Laut Unterlagen der
IKK Hessen war er vom 11.01.1995 bis 30.04.1998 bei der Firma N. & Sohn (H.) als Dachdecker
versicherungspflichtig beschäftigt; anschließend erhielt er im Rahmen eines nachgehenden Leistungsanspruchs vom
04.05. bis 31.05.1998 wegen Arbeitsunfähigkeit Krankengeld. Der Kläger stellte am 25.06.2001 formlos einen
Rentenantrag und trug vor, am 03.05.1998 einen Arbeitsunfall erlitten zu haben. Er sei auf dem Weg zum Arbeitgeber
vom Fahrrad gestürzt. Die Firma N. teilte auf Anfrage am 10.07.2001 mit, das Arbeitsverhältnis habe am 30.04.1998
aufgrund einer fristlosen Kündigung geendet. Am 03.05.1998 habe es sich um keinen Arbeitsunfall handeln können,
da am Sonntag nicht gearbeitet werde.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19.11.2001 eine Rentengewährung mit der Begründung ab, der Kläger
habe lediglich 41 Wartezeitmonate und erfülle auch nicht die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen,
da vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit am 08.06.2001 keine 36 Pflichtbeitragsmonate zurückgelegt seien.
Dagegen legte der Kläger am 23.01.2002 Widerspruch ein und übersandte medizinische Atteste seines behandelnden
Arztes. Nach der Aufforderung, Belege über weitere Versicherungszeiten vorzulegen, legte er Gehaltsabrechnungen,
Lohnsteuerkarten und Versicherungsnachweise von 1995 bis 1998 vor. Daraufhin wurde der Widerspruch am
20.06.2002 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht Augsburg hat die am 10.09.2002 erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 17.01.2004
abgewiesen. Es seien weder die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt noch seien die
Voraussetzungen für eine vorzeitige Wartezeiterfüllung gegeben. Nachdem der Kläger zum angegebenen Zeitpunkt in
keinem Arbeitsverhältnis mehr gestanden habe, sei er am 03.05.1998 auf einem privaten Weg verunglückt.
Gegen diese am 20.02.2003 übersandte Entscheidung hat der Kläger am 18.03.2004 Berufung eingelegt und geltend
gemacht, nahezu 17 Jahre in Deutschland "schwarz" gearbeitet zu haben. Er hat zahlreiche Fotos, eine
Videokassette und ein erneutes medizinisches Attest von 2004, eine Einladung des R. N. vom 21.08.1989 (nur zu
Besuchszwecken) und dessen ablehnendes Schreiben vom 11.10.1989 betreffend einer weiteren Einladung vorgelegt.
Neben einem Befundbericht des Internisten Dr.K. sind auch die Unterlagen des Stadtkrankenhauses R. betreffend den
stationären Aufenthalt des Klägers vom 10.05. bis 12.05.1998 wegen eines Fahrradsturzes beigezogen worden.
Laut Angaben des Klägers hat Herr N. ihm eine Abfindung von 100.000,00 DM geben wollen, damit er alles im
Zusammenhang mit der Schwarzarbeit vergesse. Tags darauf sei der Fahrradsturz erfolgt. Herr N. sollte ungeachtet
seiner Parteizugehörigkeit und seiner Funktionärstätigkeit als Zeuge vorgeladen werden. Nachdem der Kläger über ein
notwendiges Feststellungsverfahren bei der zuständigen Einzugsstelle aufgeklärt worden ist, hat er erneut geltend
gemacht, ihm stehe eine Rente zu.
Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17.01.2004 aufzuheben und
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19.11.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
20.06.2002 zu verurteilen, ihm ab 01.07.2001 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 17.01.2004 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akte des Sozialgerichts Augsburg sowie der
Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 17.01.2004 ist ebenso wenig zu beanstanden wie der Bescheid
der Beklagten vom 19.11. 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Voraussetzung einer Rentengewährung wegen Erwerbsminderung ist die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (§ 43
Abs.1 Ziffer 3 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung). Diese beträgt fünf Jahre (§ 50 Abs.1 SGB VI).
Anrechenbare Zeiten auf die allgemeine Wartezeit sind Kalendermonate mit Beitragszeiten (§ 51 Abs.1 SGB VI).
Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge
gezahlt worden sind (§ 55 Abs.1 Satz 1 SGB VI). Pflichtbeiträge sind für den Kläger lediglich von Januar 1995 bis Mai
1998, also insgesamt 41 Monate lang entrichtet worden. Damit erreicht der Kläger die notwendige Anzahl von
Pflichtbeitragsmonaten von 60 für die allgemeine Wartezeit nicht.
Es mag sein, dass der Kläger bereits vor dem 01.01.1995 als Arbeitnehmer beschäftigt war, tatsächlich aber im
Zusammenwirken von Kläger und Arbeitgeber eine Beitragsleistung unterblieben ist. Solange der Anspruch auf die
Zahlung der Pflichtbeiträge nicht verjährt ist, können sie nachgezahlt werden (§ 197 Abs.1 SGB VI). Es liegen
durchaus Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bereits vor 1995 in Deutschland tätig gewesen ist. In welchem
zeitlichen Umfang dies geschehen ist und ob diese Tätigkeit jeweils Versicherungspflicht begründet hat, ist gemäß §
28 h Abs.2 SGB IV von der zuständigen Einzugsstelle festzustellen. Es obliegt dem Kläger, auf ein entsprechendes
Verfahren zu dringen und einen eventuellen Beitragseinzug für die Vergangenheit zu veranlassen. Für den anhängigen
Rechtsstreit ist jedoch allein bedeutsam, dass derzeit die Wartezeit nicht erfüllt ist.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist die allgemeine Wartezeit auch nicht vorzeitig erfüllt. Dies wäre der Fall, wenn er
wegen eines Arbeitsunfalles vermindert erwerbsfähig geworden wäre (§ 53 Abs.1 Ziffer 1 SGB VI). Ein Arbeitsunfall ist
nach § 8 Abs.1 SGB VII ein Unfall, den ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Als ein solcher Arbeitsunfall gilt nach § 8 Abs.2 Ziffer 1 SGB VII auch ein
Unfall auf einem mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit.
Grundvoraussetzung ist somit ein innerer Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Weg nach
und von der Tätigkeit. Dieser ist gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges dazu bestimmt ist, der versicherten
Tätigkeit wesentlich zu dienen (BSGE 58, 76, 77).
Es bestehen erhebliche Zweifel, ob das angeschuldete Unfallereignis überhaupt in einem Zusammenhang mit der bis
zum 30.04. 1998 ausgeübten Tätigkeit bei der Firma N. steht. Wie aus den Unterlagen des Stadtkrankenhauses R.
hervorgeht, hat das angeschuldigte Unfallereignis erst zehn Tage nach dem Ende der Beschäftigung bei der Firma N.
stattgefunden. Zudem war der 10.05.1998 ein Sonntag. Darüber hinaus hat der Kläger in seinem Schreiben vom
28.06.2004 an das LSG angegeben, am Tag nach der Vereinbarung über eine Abfindung mit seinem Chef gestürzt zu
sein. Selbst wenn die Version des Klägers stimmen sollte, er sei auf dem Weg zu seinem ehemaligen Arbeitgeber
vom Fahrrad gestürzt, und sich gleichzeitig ein Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der
Erwerbsminderung beweisen ließe, wäre ein Rentenanspruch abzulehnen. Der Kläger stand auf dem Weg zu seinem
ehemaligen Arbeitgeber nämlich nicht unter Versicherungsschutz. Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist die
sachliche Verknüpfung zwischen dem Zurücklegen des Weges und der Beschäftigung im Unternehmen aufgrund
eines Arbeitsverhältnisses (BSG, SozR 2200 § 550 Nr.1). Entscheidend ist dabei, dass die Handlungstendenz des
Arbeitnehmers auf die Belange des Unternehmens gerichtet ist. Soweit den Angaben des Klägers entnommen werden
kann, wollte dieser nach der fristlosen Kündigung zum 30.04.1998 im Zusammenhang mit der vor 1995 liegenden
Schwarzarbeit eine Abfindung erhalten. Damit verfolgte er eigene Angelegenheiten, die keinesfalls dem Unternehmen
dienlich waren. Er ist damit einem Arbeitnehmer vergleichbar, der nach Teilnahme an einer durch seine
Kündigungsschutzklage veranlassten Güteverhandlung auf dem Weg vom Arbeitsgericht verunglückt. Für diesen Fall
hat das Bundessozialgericht ebenfalls Versicherungsschutz verneint (SozR 2200 § 548 Nr.96).
Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.