Urteil des LSG Bayern vom 25.04.2006

LSG Bayern: bemessung der beiträge, direktversicherung, beitragspflicht, krankenversicherung, kapitalleistung, rentner, rente, leistungsfähigkeit, versicherungsnehmer, lebensversicherungsvertrag

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 25.04.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 KR 247/04
Bayerisches Landessozialgericht L 5 KR 172/05
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17. Februar 2005 aufgehoben und
die Klage gegen den Bescheid vom 18. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2004
abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Beitragspflichtigkeit einer Kapitalleistung aus einer Lebensversicherung.
Der 1938 geborene Kläger ist seit 01.04.2002 in der Krankenversicherung der Rentner pflichtversichert und Mitglied
der Beklagten. Am 01.02.2004 erhielt er von der B.-Versicherung eine Kapitalzahlung der betrieblichen
Altersversorgung in Höhe von 9.675,00 EUR. Der ehemalige Arbeitgeber des Klägers, die Raiffeisenbank W. , hatte
für diesen bei Beschäftigungsbeginn im März 1988 bei der B.-Versicherung eine Direktversicherung abgeschlossen
und ab 01.02.1993 mit Beiträgen finanziert. Nach dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses am 31.12.1995 hatte
der Kläger die Beiträge ebenso privat bezahlt wie in den ersten fünf Jahren der Betriebszugehörigkeit.
Mit Bescheid vom 18.03.2004 stellte die Beklagte fest, dass die Kapitalleistung in voller Höhe als Versorgungsbezug
beitragspflichtig und ab 01.03.2004 monatlich zu einem Hundertzwanzigstel der Berechnung des
Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeitrags zu Grunde zu legen sei. Der Widerspruch des Klägers blieb
erfolglos.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 11.08.2004 hat der Kläger am 30.08.2004 Klage erhoben und geltend
gemacht, er habe 1988 eine private Lebensversicherung abgeschlossen, die nach fünf Jahren in eine
Direktversicherung umgewandelt worden sei. Er habe 18.922,66 DM, der Arbeitgeber lediglich 2.475,00 DM zur
Versicherung beigetragen. Eine private Lebensversicherung wie vorliegend stelle keinen Versorgungsbezug dar.
Das Sozialgericht Landshut hat mit Urteil vom 17.02.2005 den Bescheid der Beklagten vom 18.03.2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 insoweit aufgehoben, als der Beitragsberechnung der
Kapitalauszahlung vom Kläger selbst getragene Beiträge zu Grunde gelegt wurden. Soweit die Kapitalleistung auf den
Beiträgen beruhe, die der Kläger aus seinem Nettolohn in seine private Lebensversicherung bezahlt habe, stelle sie
keinen Versorgungsbezug dar. Selbst finanziert habe der Kläger die Versicherung am Anfang nach Abschluss der
privaten Lebensversicherung und dann nach dem Ende seines Arbeitsverhältnisses, als er die Versicherung als
private Lebensversicherung wieder übernommen und bis zum Ende der Laufzeit die jährlichen Versicherungsbeiträge
wieder ausschließlich selbst getragen habe.
Gegen das der Beklagten am 26.05.2005 zugestellte Urteil hat diese am 22.06.2005 Berufung eingelegt. Die
Begründung des Versicherungsvertrags fünf Jahre vor dessen Übernahme als Direktversicherung stehe der
Beurteilung als Versorgungsbezug nicht entgegen; ebenso wenig die Beitragsleistung durch den Kläger ab 01.02.1996,
weil der Arbeitgeber weiterhin Versicherungsnehmer gewesen sei. Der Zusammenhang der Lebensversicherung mit
der Berufstätigkeit sei hinreichend in der Direktversicherung zu sehen und in deren Fortführung auch ab 1996.
Demgegenüber ist von Klägerseite darauf hingewiesen worden, Direktversicherungen würden aus Bruttobezügen eines
Arbeitnehmers finanziert, Lebensversicherungsprivatbeiträge hingegen aus Nettolohn. Wollte man Letztere zur
Beitragsbemessung heranziehen, wäre ein Rentner doppelt zur Beitragspflicht herangezogen. Dies stelle einen
Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger eine Kopie des Versicherungsscheins von 1988 vorgelegt, in dem der
ehemalige Arbeitgeber als Versicherungsnehmer eingetragen ist.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17.02.2005 aufzuheben und die Klage gegen den
Bescheid vom 18.03.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.08.2004 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17.02.2005
zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der
Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Streitgegenstand ist allein die Beitragspflichtigkeit der Kapitalleistung zur gesetzlichen Krankenversicherung. Mit
seiner Klage vom 30.08.2004 hat sich der Kläger lediglich gegen den Bescheid der Beklagten über eine monatliche
Beitragsforderung von 12,26 EUR gewandt, der Bescheid der Pflegekasse der Beklagten vom selben Tag hat keine
Erwähnung gefunden.
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und im vollen Umfang begründet. Das Urteil des
Sozialgerichts Landshut vom 17.02.2005 kann keinen Bestand haben. Der Bescheid der Beklagten vom 18.03.2004
durfte nicht aufgehoben werden. Aus der Kapitalzahlung der B.-Versicherung vom 01.02.2004 sind
Krankenversicherungsbeiträge zu zahlen.
Der Bemessung der Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner (KVDR) sind nach § 237 SGB V der Zahlbetrag der
Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen und das
Arbeitseinkommen zu Grunde zu legen. Als der Rente vergleichbare Einnahmen (Versorgungsbezüge) gelten, soweit
sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden,
Renten der betrieblichen Altersversorgung (§ 229 Abs.1 Ziffer 5 SGB V). Zu den Renten der betrieblichen
Altersversorgung in diesem Sinn gehören nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts alle Renten,
die entweder von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung oder aus einer vom Arbeitgeber für den
Arbeitnehmer abgeschlossenen Direktversicherung im Sinne des § 1 Abs.2 Satz 1 des Gesetzes zur Verbesserung
der betrieblichen Altersversorgung (Betr.AVG) gezahlt werden, wenn sie im Zusammenhang mit einer früheren
beruflichen Tätigkeit erworben worden sind (BSG, Urteil vom 26.03.1996 in SozR 3-2500 § 229 Nr.13 m.w.N.). Eine
Direktversicherung liegt vor, wenn für die betriebliche Altersversorgung eine Lebensversicherung auf das Leben des
Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber abgeschlossen ist und der Arbeitnehmer oder seine Hinterbliebenen hinsichtlich
der Leistungen des Versicherers ganz oder teilweise bezugsberechtigt sind. Der betrieblichen Altersversorgung ist die
Direktversicherung zuzurechnen, wenn sie der Sicherung des Lebensstandards nach dem Ausscheiden des
Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben dienen soll. Davon ist nach den vorliegenden Unterlagen auszugehen.
Zwar trägt der Klägerbevollmächtigte vor, der Kläger habe am 01.02.1988 mit der B.-Versicherung einen privaten
Lebensversicherungsvertrag geschlossen, der erst nach fünfjähriger Betriebszugehörigkeit bei der Raiffeisenbank W.
in eine Direktversicherung umgewandelt worden sei. Die Raiffeisenbank W. hat am 11.05.2004 bestätigt, dass der
Kläger die ersten fünf Jahre die Beiträge jährlich privat bezahlt habe. Die B.-Versicherung hat jedoch einen Antrag auf
Direktversicherung vom 31.03.1988 vorgelegt, der als Versicherungsnehmer die Raiffeisenbank W. H. nennt. Nach der
Vorlage des Versicherungsscheins besteht kein Zweifel, dass die Raiffeisenbank W. H. bereits 1988 am
Versicherungsvertrag beteiligt war. Einen privaten Lebensversicherungsvertrag hat der Kläger also nie abgeschlossen.
Dass der damalige Arbeitgeber weder in den ersten fünf Jahren noch nach Ende der Betriebszugehörigkeit die
Beiträge zur Versicherung übernommen hat, steht der Beurteilung als Versorgungsbezug nicht entgegen. Wie das
Bundessozialgericht bereits mehrfach entschieden hat, verlieren die Leistungen aus der Lebensversicherung ihren
Charakter als Versorgungsbezüge auch nicht deshalb, weil sie durch eine Eigenleistung des Versicherten finanziert
werden. Wird ein Versorgungsbezug aus einer Direktversicherung im Sinn des § 1 Abs.2 BetrAVG gezahlt, ist es
unerheblich, ob er im Einzelfall ganz oder zum Teil auf Leistungen des Arbeitgebers beruht oder allein auf Leistungen
des Arbeitnehmers bzw. des Bezugsberechtigten (vgl. BSG SozR 2200 § 180 Nr.47; BSG SozR 3-2500 § 229 Nr.3;
SozR 3-2500 § 229 Nr.7 und 8 für Leistungen von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung; BSG, Urteil vom
26.03.1996 a.a.O.). Danach ist der Begriff der "Rente der betrieblichen Altersversorgung" im
Krankenversicherungsrecht nicht auf Leistungen beschränkt, die ganz oder zum Teil vom Arbeitgeber finanziert
werden, sondern ihnen sind auch solche Leistungen zuzurechnen, zu denen allein die Arbeitnehmer beigetragen
haben, sofern ihnen "Einkommensersatzfunktion" zukommt. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten nur
Einnahmen unberücksichtigt bleiben, die nicht unmittelbar auf ein früheres Beschäftigungsverhältnis zurückzuführen
sind wie Einnahmen auf Grund betriebsfremder privater Eigenvorsorge oder Einnahmen aus ererbtem Vermögen.
Direktversicherungen, die Arbeitgeber für Arbeitnehmer wegen ihrer Arbeitstätigkeit abschließen und während der
Dauer der Beschäftigung aufrechterhalten und auch nach dem Ausscheiden nicht vom Arbeitnehmer übernommen
werden, haben den erforderlichen Bezug zum bisherigen Arbeitsleben. Für das Beitragsrecht der Krankenversicherung
ist erforderlich und ausreichend, dass die Leistungen aus dem Versorgungsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und
Versicherer den Renten der gesetzlichen Rentenversicherung vergleichbare Einnahmen darstellen. Der Charakter der
Direktversicherung ist vom Kläger auch nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht verändert
worden. Selbst wenn dies geschehen wäre, sprechen gewichtige Gründe für eine Qualifizierung der gesamten
Kapitalleistung als Versorgungsbezug (siehe dazu Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.11.2005 - L 11 KR
3216/05).
Grund für die Einbeziehung der Direktversicherungsleistungen in die Beitragspflicht in Abgrenzung zu privaten
Lebensversicherungsverträgen ist der Zusammenhang mit der früheren Berufstätigkeit. Die versicherungspflichtigen
Rentner sollen sich entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an der Finanzierung ihrer
Krankenversicherung beteiligen. Diese Zielsetzung entspricht dem die gesetzliche Krankenversicherung
beherrschenden Solidaritätsprinzip, wonach die Versicherten nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
zum Beitrag heranzuziehen sind (vgl. Bundesverfassungsgerichtsentscheidung 79, 223, 237 ff.). Nach Ansicht des
Bundessozialgerichts bedarf weniger die Beitragspflicht eigenfinanzierter Pensionskassenrenten als Renten der
betrieblichen Altersversorgung einer Rechtfertigung, sondern eher die fehlende Beitragspflicht sonstiger Renten von
privaten Versicherungsvereinen oder aus sonstigen privaten Versicherungen (BSG, Urteil vom 30.03.1995 in SozR 3-
2500 § 229 Nr.8). Eine in jeder Hinsicht befriedigende Abgrenzung von beitragspflichtigen und -freien Renten aus
privaten Versicherungen ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ohnehin nicht möglich, wenn einerseits die
Rentner grundsätzlich auch nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zur Beitragszahlung herangezogen werden
sollen und andererseits der Gesetzgeber die Beitragspflicht in zulässiger Weise auf typisierte Einkunftsarten
beschränkt. Zu bedenken ist insbesondere, dass auch Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die auf
freiwilligen Beiträgen beruhen, der Beitragspflicht unterliegen. Dasselbe gilt für selbst finanzierte freiwillige
Mitgliedschaften in einer privatrechtlichen berufständischen Versicherungseinrichtung (§ 229 Abs.1 Ziffer 3 SGB V).
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Beitragspflicht nur auf solche Renten erstreckt werden soll, die die
Verwaltung mit zumutbarem Verwaltungsaufwand feststellen kann. Auf die Herkunft der Mittel für die Finanzierung
kann es dabei nicht ankommen.
Aus diesen Gründen war die Berufung in vollem Umfang erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.