Urteil des LSG Bayern vom 22.06.2004

LSG Bayern: asthma bronchiale, berufsunfähigkeit, degenerative veränderung, zumutbare tätigkeit, auskunft, verdacht, erwerbsfähigkeit, berufsausbildung, anforderung, muskeldystrophie

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 22.06.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 2 RJ 610/01
Bayerisches Landessozialgericht L 6 RJ 527/02
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. September 2002 sowie der
Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2001
abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. November 2000 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist noch der Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit.
Der 1961 geborene Kläger hat nach seinen Angaben den Beruf eines Wäschers und Plätters von 1977 bis 1980 erlernt
und dann bis 1990 (seit 1984 als pflichtversicherter Handwerker) ausgeübt. Im Anschluß hieran ist der Kläger im
Zeitraum 09.04. 1990 bis 30.09.1998 mit Unterbrechungen im wesentlichen und auch zuletzt bei der Firma S. GmbH &
Co. KG (Fa. S.) als Service-Partner bzw. Verkaufsfahrer (Beliefern der Kunden mit Tiefkühlprodukten und Ausstattung
der Kunden mit Werbemitteln) versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Seine Entlohnung hat sich nach
Lohngruppe F (Nr. 7: Kraftfahrer, die als Warenauslieferer, Auslieferungsfahrer, Tourenfahrer, Verkaufsfahrer oder
Fahrverkäufer tätig sind) des Entgelt-Bundesrahmentarifvertrags für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer
der Süßwarenindustrie (Süßwaren-TV) gerichtet. Seither bezieht der Kläger Sozialleistungen wegen Arbeitslosigkeit
bzw. Krankheit.
Mit Bescheid vom 12.01.2001 und Widerspruchsbescheid vom 30.07. 2001 (am 01.08.2001 mit eingeschriebenem
Brief zur Post gegeben) lehnte die Beklagte den am 25.10.2000 gestellten Antrag des Klägers auf Zahlung von Rente
wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit ab, weil der Versicherte noch in der Lage sei, einfache Arbeiten des
allgemeinen Arbeitsmarkts bei überwiegendem Sitzen vollschichtig zu verrichten.
Mit der am 03.09.2001 zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger seinen
Rentenanspruch weiter.
Das SG zog die Verwaltungsakten der Beklagten einschließlich der ihr vorliegenden Röntgenaufnahmen des Klägers,
die Klageakten des SG Augsburg in der Streitsache aus der Arbeitslosenversicherung S 4 AL 310/01 sowie die
Schwerbehindertenakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg (AVF) bei, holte eine Auskunft
von der AOK Bayern über ärztliche Behandlungen und Diagnosen des Klägers ein (vom 29.11.2001) und erholte
Befundberichte bzw. medizinische Unterlagen von den behandelnden Ärzten des Klägers (praktische Ärzte Dres. Z. ,
Befundbericht vom 29.11.2001; Orthopäden Dres. U. und R. , Befundbericht vom - Eingang beim SG Augsburg -
03.12.2001; Neurologe Dr. R. , Befundbericht vom 21.12.2001; Arztbrief der Rheumaeinheit des Klinikums Innenstadt,
Medizinische Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität M. vom 21.08.2001; Facharzt für Lungen- und
Bronchialheilkunde Dr. W. , Befundbericht vom 11.02.2002; Klinikum der Universität M. , F.-Institut an der
Neurologischen Klinik und Poliklinik, Befundbericht vom 08.02.2002).
Weiter erholte das SG über Gesundheitszustand und berufliches Leistungsvermögen des Klägers ein medizinisches
Sachverständigengutachten von dem Arzt für Orthopädie Dr. P. (vom 01.07. 2002), der zum Ergebnis kam, der Kläger
könne bei Beachtung qualitativer Einschränkungen leichte Arbeiten vollschichtig verrichten.
Zur Feststellung des Hauptberufs des Klägers holte das SG vom letzten Arbeitgeber des Klägers eine Auskunft ein
(vom 10.12. 2001), in der es u.a. hieß, für die Berufstätigkeit des Klägers als Verkaufsfahrer sei eine Anlernzeit von
ca. vier Wochen erforderlich.
Mit Urteil vom 11.09.2002 wies das SG die Klage ab, weil der Kläger vollschichtig einsetzbar und als ungelernter
Arbeiter auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.
Am 08.10.2002 ging beim SG Augsburg die Berufung des Klägers gegen dieses Urteil ein. Er könne aufgrund seines
schlechten Gesundheitszustands nicht vollschichtig arbeiten.
Der Senat zog die Klageakten des SG Augsburg, die Schwerbehindertenakten des AVF Augsburg sowie die
Verwaltungsakten der Beklagten bei und führte Ermittlungen zum Berufsbild sowie zu Gesundheitszustand und
beruflichem Leistungsvermögen des Klägers durch.
Zum Berufsbild des Klägers beschaffte der Senat den Süßwaren-TV und führte eine klarstellende Äußerung der Fa. S.
zur Eingruppierung herbei (Lohngruppe F Nr. 7, vgl. oben).
Bezüglich des Motivs der Tarifvertragsparteien, die Verkaufsfahrer und ähnliche Berufe in die Lohngruppe F des
Süßwaren-TV aufzunehmen ("Ausführen von Tätigkeiten, für die Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich sind, die in
einer abgeschlossenen einschlägigen Berufsausbildung erworben werden. Anderweitig erworbene Kenntnisse und
Erfahrungen werden gleichgestellt, wenn nach einer anderen Ausbildung oder nach einer zeitlich angepassten
Tätigkeit gleiche fachliche Befähigungen nachgewiesen werden können."), holte der Senat eine Stellungnahme des
Bundesverbands der Deutschen Süßwarenindustrie e.V. (BDSI; vom 21.07.2003) ein. Der BDSI führte aus, die Frage,
warum von den Tarifvertragsparteien Kraftfahrer bzw. Fahrverkäufer etc. Arbeitnehmern mit abgeschlossener
Berufsausbildung gleichgestellt worden seien, könne wegen der lang zurückliegenden Zeiträume nicht mit positivem
Wissen beantwortet werden. Die Vermutung des BDSI gehe dahin, dass dies das Ergebnis eines tarifpolitischen
Kompromisses zwischen dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie als Arbeitgeberverband und der
Gewerkschaft NGG gewesen sei, denn Kraftfahrer seien in der Regel Gewerkschaftsmitglieder gewesen, so dass die
Gewerkschaft an einer hohen Eingruppierung interessiert gewesen sei. Früher sei es allerdings auch so gewesen,
dass es häufig zu den Aufgaben eines Fahrverkäufers gehört habe, für die ausgelieferte Ware Geld entgegen zu
nehmen. Ob dieser Aspekt seinerzeit ein Grund für die Eingruppierung in Tarifgruppe F gewesen sei, sei heute
ebenfalls nicht mehr bekannt.
Bezüglich des Gesundheitszustands und des beruflichen Leistungsvermögens des Klägers erholte der Senat
medizinische Sachverständigengutachten von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. (Gutachten vom
21.03.2003), von dem Arzt für Orthopädie Dr. F. (Gutachten vom 25.03.2003) und von dem Internisten Dr. E.
(Gutachten vom 07.04.2003, zugleich Zusammenfassung der Ergebnisse der durchgeführten Begutachtungen).
Dr. K. erhob beim Kläger nervenärztlicherseits folgende Diagnosen:
- Zustand nach Anfallsleiden zwischen dem 1. und 6. Lebensjahr ohne derzeitige sozialmedizinische Relevanz.
- Sensibilitätsstörung im Versorgungsgebiet des linken Nervus peronaeus.
Dr. F. stellte auf orthopädischem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen fest:
- Spondylose der Lendenwirbelsäule, persistierende Chorda dor salis.
- Totalendoprothetischer Ersatz der linken Hüfte nach mehrfa chen operativen Eingriffen mit Kapselverkalkungen,
allenfalls initiale Coxarthrose rechts.
- Mediale Gonarthrose und minimale Retropatellararthrose rechts, mäßige Retropatellararthrose links.
- Geringfügige degenerative Veränderungen im linken Schulter- eckgelenk (nur kernspintomographisch beschrieben),
kleine Weichteilverkalkung der linken Schulter, Schleimbeutelreizun gen.
- Beugekontraktur des rechten 5. Fingers nach Sehnenverletzung.
- Nebendiagnosen: Zystenbildung im rechten proximalen Tibio- Fibulargelenk, Minimalarthrose des linken
Sprunggelenks, Spreizfüße, ausgeprägte Übergewichtigkeit. Rezidivierende Varikose.
Aus internistischer Sicht diagnostizierte Dr. E.:
1. Allergisch bedingtes Asthma bronchiale.
2. Rezidivvarikosis links, geringe Seitenastvarikosis rechts.
3. Gefäßrisikofaktoren: a) Adipositas Grad I; b) Hypercholeste rinämie.
4. Verdacht auf milde Verlaufsform einer Muskeldystrophie.
5. Verdacht auf Polyarthrose.
6. Nebenbefundlich: Nierenzyste rechts, Strukturverdichtung der Leber.
Zum beruflichen Leistungsvermögen führte Dr. E. zusammenfassend aus, der Kläger könne seit dem Zeitpunkt des
Rentenantrags vom Oktober 2000 unter den üblichen Bedingungen eines Beschäftigungsverhältnisses leichte bis
zeitweilig mittelschwere Arbeiten noch vollschichtige verrichten. Hierbei sei überwiegendes Sitzen erforderlich, Gehen
oder Stehen sei dem Kläger höchs- tens zwei Stunden täglich zumutbar. Zu vermeiden seien Tätigkeiten auf Treppen,
Leitern oder Gerüsten, Tätigkeiten in anhaltend kniender oder hockender Stellung, Tätigkeiten an gefährdenden
Maschinen, permanente Überkopfarbeiten mit dem linken Arm, Tragen oder Heben von schweren Lasten, Tätigkeiten
dauerhaft im Freien unter Einwirkung von Nässe, Kälte oder Hitze, Tätigkeiten, bei denen häufiger Kontakt mit
allergisierenden Substanzen, wie Schmierfetten, Schmierölen usw. bestehe, Tätigkeiten mit vermehrtem Staubanfall
sowie an Arbeitsplätzen, bei denen reizende Gase oder Dämpfe inhaliert werden könnten. Es müsse sich bei den
Tätigkeiten um einfache Arbeiten handeln ohne Anforderung an die geistige Belastbarkeit, Flexibilität und Wendigkeit;
in diesem Rahmen könne sich der Kläger noch auf andere Berufstätigkeiten umstellen. Der Kläger sei in der Lage,
viermal am Tag Wegstrecken von etwa 500 Metern in angemessener Geschwindigkeit zurückzulegen.
Der Senat erholte sodann eine berufskundliche Auskunft von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Bayern
(BA; vom 26.02.2004) zu den verbleibenden beruflichen Einsatzmöglichkeiten des Klägers, ausgehend von dem
Ergebnis der medizinischen Begutachtung und von seiner tariflichen Einstufung in die Facharbeiterlohngruppe F. Die
BA vertrat die Auffassung, die in Betracht zu ziehenden Verweisungsberufe eines Verkäufers, Hausmeisters,
Kassierers an einer SB-Tankstelle, Telefonisten sowie eines "Kraftfahrers ohne jedwede bzw. mit zumutbarer Be- und
Entladetätigkeit" (so von der Beklagten benannt) entsprächen nicht dem verbliebenen körperlichen und/oder geistigen
Leistungsvermögen des Klägers oder lägen nicht auf der erforderlichen Qualifikationshöhe.
Der Kläger beantragt nunmehr,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11.09.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.01.2001 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2001 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01.11.2000
Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den
Inhalt der beigezogenen Akten und der Akte des Bayer. Landessozialgerichts sowie auf den Inhalt der vorbereitenden
Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Augsburg vom 11.09.2002 ist zulässig und auch im Sinn des
zuletzt gestellten Antrags begründet, weil der Kläger gegen die Beklagte ab 01.11. 2000 Anspruch auf Zahlung von
Rente wegen Berufsunfähigkeit hat.
Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit ist wegen der Antragstellung vor dem
31.03.2001 und wegen des Rentenbeginns vor dem 01.01.2001 an den Vorschriften des SGB VI in der bis 31.12.2000
geltenden Fassung (a.F.) zu messen, vgl. § 300 Abs.2 SGB VI.
Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 43 Abs.1 SGB VI a.F., weil er seit dem
Zeitpunkt des Rentenantrags vom Oktober 2000 im Sinne des zweiten Absatzes dieser Vorschrift berufsunfähig ist.
Nach § 43 Abs.2 SGB VI a.F. sind nämlich solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus
gesundheitlichen Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung
und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist (Satz 1). Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die
Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten
entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen
Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (Satz 2).
Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige
Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Satz 4). Die hier genannten Tatbestandsmerkmale der Berufsunfähigkeit
liegen beim Kläger seit Oktober 2000 vor.
Das nach Satz 1 dieser Vorschrift zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist bereits
eingeschränkt. Er kann nämlich seit dem Zeitpunkt des Rentenantrags vom Oktober 2000 unter den üblichen
Bedingungen eines Beschäftigungsverhältnisses nur noch leichte bis zeitweilig mittelschwere Arbeiten vollschichtige
verrichten. Hierbei ist überwiegendes Sitzen erforderlich, Gehen oder Stehen ist dem Kläger höchstens zwei Stunden
täglich zumutbar. Zu vermeiden sind darüber hinaus Tätigkeiten auf Treppen, Leitern oder Gerüsten, Tätigkeiten in
anhaltend kniender oder hockender Stellung, Tätigkeiten an gefährdenden Maschinen, permanente Überkopfarbeiten
mit dem linken Arm, Tragen oder Heben von schweren Lasten, Tätigkeiten dauerhaft im Freien unter Einwirkung von
Nässe, Kälte oder Hitze, Tätigkeiten, bei denen häufiger Kontakt mit allergisierenden Substanzen, wie Schmierfetten,
Schmierölen usw. besteht, Tätigkeiten mit vermehrtem Staubanfall sowie an Arbeitsplätzen, bei denen reizende Gase
oder Dämpfe inhaliert werden können. Es muss sich bei den Tätigkeiten um einfache Arbeiten handeln ohne
Anforderung an die geistige Belastbarkeit, Flexibilität und Wendigkeit; in diesem Rahmen kann sich der Kläger noch
auf andere Berufstätigkeiten umstellen. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte liegen nicht vor, da
der Kläger die durchschnittlich erforderlichen Fußwege zurücklegen kann (vgl. hierzu BSG SozR 3-2200 § 1247 RVO
Nr.10); wenn Dr. E. nämlich ausführt, der Kläger sei in der Lage, viermal am Tag Wegstrecken von "etwa" 500 Metern
in angemessener Geschwindigkeit zurückzulegen, dann beinhaltet dies, dass es auch einige Meter mehr sein können.
Dieses berufliche Leistungsvermögen des Klägers ergibt sich vor allem aus den im Berufungsverfahren eingeholten
Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. , des Arztes für Orthopädie Dr. F. und des Internisten Dr.
E. , denen sich der Senat anschließt, und die von den Beteiligten auch nicht angegriffen worden sind.
Beim Kläger liegen folgende wesentlichen Gesundheitsstörungen vor:
- Zustand nach Anfallsleiden zwischen dem 1. und 6. Lebensjahr ohne derzeitige sozialmedizinische Relevanz.
- Sensibilitätsstörung im Versorgungsgebiet des linken Nervus peronaeus.
- Spondylose der Lendenwirbelsäule, persistierende Chorda dorsalis.
- Totalendoprothetischer Ersatz der linken Hüfte nach mehrfachen operativen Eingriffen mit Kapselverkalkungen,
allenfalls initiale Coxarthrose rechts.
- Mediale Gonarthrose und minimale Retropatellararthrose rechts, mäßige Retropatellararthrose links.
- Geringfügige degenerative Veränderungen im linken Schultereckgelenk (nur kernspintomographisch beschrieben),
kleine Weichteilverkalkung der linken Schulter, Schleimbeutelreizungen.
- Beugekontraktur des rechten 5. Fingers nach Sehnenverletzung.
- Adipositas.
- Allergisch bedingtes Asthma bronchiale.
- Rezidivvarikosis links, geringe Seitenastvarikosis rechts.
- Gefäßrisikofaktoren: a) Adipositas Grad I; b) Hypercholesterinämie.
- Verdacht auf milde Verlaufsform einer Muskeldystrophie.
- Verdacht auf Polyarthrose.
- Nebenbefundlich: Zystenbildung im rechten proximalen Tibio-Fibulargelenk, Minimalarthrose des linken
Sprunggelenks, Spreizfüße; Nierenzyste rechts, Strukturverdichtung der Leber.
Sozialmedizinisch im Vordergrund stehen die Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates und die damit
verbundenen Beschwerden. Beim Kläger ist ein Zustand nach Totalendoprothese links festzustellen, weiterhin
degenerative Veränderungen der rechten Hüfte, am Kniegelenk und am linken Schultereckgelenk. Außerdem liegen
degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule vor. Die röntgenologischen Veränderungen an der Wirbelsäule
sind nicht schwerwiegend. Auch an der Schulter sind nur kleine Weichteilverkalkungen sichtbar. Röntgenologisch sind
an den Knien rechts deutliche degenerative Veränderungen nachweisbar. Eingeschränkt ist die körperliche
Belastbarkeit des Klägers praktisch ausschließlich durch die degenerative Veränderung des rechten und kaum des
linken Kniegelenks sowie aufgrund der Totalendoprothese der linken Hüfte. Daraus ist eine eingeschränkte Steh- und
Gehfähigkeit abzuleiten. Auf dem internistischen Fachgebiet ist die Leistungsfähigkeit vor allem durch das allergische
Asthma bronchiale limitiert. Muskelatrophien sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht nachweisbar. Ein Fortschreiten der
Muskeldystrophie ist denkbar und kann zu einem verändertem Leistungsvermögen in der Zukunft führen. Die anderen
internistischen Erkrankungen spielen für die sozialmedizinische Beurteilung nur eine untergeordnete Rolle.
Nervenärztlicherseits ergeben sich beim Kläger nur untergeordnete Gesundheitsstörungen, die sich in funktioneller
Hinsicht kaum auf die berufliche Leistungsfähigkeit auswirken. Die angegebene Sensibilitätsminderung des linken
Unterschenkels entspricht nicht dem Versorgungsgebiet des Nervus peroneus allein, sondern beinhaltet auch
Versorgungsgebiete anderer Nerven. Insofern ist die Ausprägung der Sensibilitätsstörung mit einer gewissen
Zurückhaltung zu betrachten. Im EEG wurden zwar leichte Allgemeinveränderungen nachgewiesen, die im
Zusammenhang mit einem frühkindlichen Anfallsleiden zu sehen sind. Eine aktuelle Bedeutung hat dieser EEG-
Befund jedoch nicht. Die beschriebenen Gesundheitsstörungen führen zu den oben näher angegebenen qualitativen
(nicht quanitativen) Einschränkungen des beruflichen Leistungsvermögens.
Nach dem beruflichen Leistungsvermögen ist weiterer Ausgangspunkt für die Feststellung der Berufsunfähigkeit der
Hauptberuf des Versicherten. Bei dessen Bestimmung ist grundsätzlich von der zuletzt ausgeübten
versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit auszugehen (vgl. KassKomm-Niesel § 43 SGB VI Rdnr.21 ff.
mit weiteren Nachweisen). Maßgeblicher Hauptberuf ist vorliegend der eines Verkaufsfahrers, wie ihn der Kläger
zuletzt bei der Fa. S. ausgeübt hat. Diesen Beruf kann der Kläger (unstreitig, vgl. die Stellungnahme des
sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten/Internist - Sozialmedizin Dr. S. vom 17.09.2003) nicht mehr ausüben.
Aus dieser Tatsache allein folgt jedoch noch nicht, dass der Kläger auch berufsunfähig ist. Für die Annahme von
Berufsunfähigkeit reicht es nämlich nicht aus, wenn Versicherte ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können;
vielmehr sind - wie sich aus § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI a.F. ergibt - Versicherte nur dann berufsunfähig, wenn ihnen
auch die Verweisung auf andere Berufstätigkeiten aus gesundheitlichen Gründen oder sozial nicht mehr zumutbar ist
(ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 2200 1246 RVO Nr.138).
Die soziale Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der sozialen Wertigkeit des bisherigen Berufs.
Um diese zu beurteilen, hat das BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind
ausgehend von der Bedeutung, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufes haben, gebildet
worden. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw.
des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer
Ausbildungszeit von mehr als 2 Jahren), des ange1ernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer
Regelausbildungszeit von bis zu 2 Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl. BSG SozR 2200 § 1246
Nr.138 und 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt aber nicht
auschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr
allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde Wert der Arbeit für
den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs.2 Satz 2 SGB VI a.F. am Ende
genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der
bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl. z.B. BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr.27 und 33). Grundsätzlich darf
der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere Gruppe verwiesen werden (vgl. BSG
SozR 2200 § 1246 Nr.143 m.w.N.; SozR 3-2200 § 1246 Nr.5).
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters (anerkannter
Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren) zuzuordnen. Dies ergibt sich aus der Tatsache,
dass der Süßwaren-TV die Tätigkeit des Klägers als Verkaufsfahrer der Facharbeiter-Lohngruppe F zuweist (vgl.
hierzu KassKomm-Niesel, Stand: Januar 2002, § 240 SGB VI Rdnr.46 ff. mit weiteren Nachweisen insbesondere zur
Rechtsprechung des BSG). Diese Einstufung ist bindend, weil der Süßwaren-TV nach Qualitätsstufen gegliedert ist
und weil nicht nachweisbar ist, dass diese Einstufung auf qualitätsfremden Kriterien beruht (vgl. KassKomm-Niesel
a.a.O. Rdnr.50 und 52 mit weiteren Nachweisen). Die Vermutung des BDSI, dass sie auf einem tarifpolitischen
Kompromiss beruht, ist eben nicht mehr als eine Vermutung, positives Wissen liegt nicht vor. Die (objektive)
Beweislast für die Unrichtigkeit der Einstufung durch die Tarifvertragsparteien trägt die Beklagte, weil sie sich
diesbezüglich auf ein ihr günstiges Tatbestandsmerkmal beruft.
Dem Kläger wäre als Facharbeiter nur eine Berufstätigkeit zumutbar, die selbst wieder eine Facharbeit ist oder die
eine angelernte Tätigkeit ist, die ihrem beruflichen Ansehen nach bzw. ihrer tariflichen Einstufung nach dem
Anlernbereich entspricht (d.h. eine Stufe unter dem Facharbeiter angesiedelt ist), und die der Kläger in einer
maximalen Anlernzeit von drei Monaten vollwertig verrichten kann. Eine solche Berufstätigkeit ist nicht auffindbar, wie
die überzeugende berufskundliche Auskunft der BA ergeben hat, und im übrigen dem Senat auch nicht bekannt. Im
Übrigen steht einer Verweisung des Klägers auf eine einem Facharbeiter zumutbare andere Tätigkeit generell die
Tatsache entgegen, dass er nach seinem geistigen Leistungsvermögen nur noch für einfache Arbeiten ohne
Anforderung an die geistige Belastbarkeit, Flexibilität und Wendigkeit umstellungsfähig ist, somit für Arbeiten, die
nach ihrem Qualitätsniveau einem Facharbeiter sozial nicht zumutbar sind. Damit hat der Kläger Anspruch auf Rente
wegen Berufsunfähigkeit ab 01.11.2000, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Antragszeitpunkt (Oktober 2000)
eingetreten ist, § 99 Abs.1 SGB VI. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen - drei Jahre Pflichtbeiträge in den
letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung, § 43 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB VI a.F. - sind erfüllt.
Auf die Berufung des Klägers waren somit das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 11. September 2002 sowie der
Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2001
abzuändern und die Beklagte war zu verurteilen, dem Kläger ab 01.11.2000 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.