Urteil des LSG Bayern vom 12.02.2001

LSG Bayern: krankengeld, sozialhilfe, erlass, rechtsschutz, vorschuss, ermessensausübung, hauptsache, arbeitsunfähigkeit, sozialleistung, widerspruchsverfahren

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.02.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 19 KR 313/99
Bayerisches Landessozialgericht L 4 B 285/00 KR
Die Beschwerden gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts München vom 31. Juli 2000 werden zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Arbeitgeber des als Bauleiter beschäftigten Klägers, der bei der Beklagten pflichtversichert ist, kündigte am
23.12.1998 fristlos das Arbeitsverhältnis. Der Kläger war nach ärztlicher Feststellung ab 12.01.1999 bis auf Weiteres
arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 15.02.1999 ein kalendertägliches
Krankengeld für die Zeit vom 13.01.1999 bis einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft am 23.01.1999.
Das Arbeitsgericht Weiden idOpf verurteilte mit dem rechtskräftigen Urteil vom 29.03.1999 den Arbeitgeber zur
Zahlung des restlichen Lohns und einer Auslöse. Es stellte mit dem weiteren Urteil vom 03.05.1999 fest, dass das
Arbeitsverhältnis bisher nicht beendet wurde, sondern weiter besteht. Gegen dieses Urteil legte der Arbeitgeber
Berufung beim Landesarbeitsgericht Nürnberg ein.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 04.05.1999 unter Bezugnahme auf das letztgenannte Urteil einen
angemessenen Vorschuss auf das Krankengeld und erhob am 20.05.1999 beim Sozialgericht München (SG) Klage
auf Krankengeld (S 19 KR 313/99). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 30.06.1999 Krankengeld mit der
Begründung ab, dass das Fortbestehen eines versicherugnspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses noch nicht
rechtskräftig entschieden worden sei. Der Kläger beantragte am gleichen Tage beim SG, die Beklagte im Wege einer
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ab 12.01.1999 auf das Krankengeld einen monatlichen Vorschuss von
jeweils 1.500,00 DM zu zahlen (S 19 KR 376/99 ER) und legte am 16.07.1999 gegen den Bescheid vom 30.06.1999
Widerspruch ein. Der Arbeitgeber kündigte am 26.08. 1999 das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 01.09.1999. Mit
Widerspruchsbescheid vom 13.09.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und stellte fest, dass anläßlich der
Arbeitsunfähigkeit seit dem 12.01.1999 kein Anspruch auf Krankengeld über dem 23.01.1999 hinaus bestehe.
Am 24.11.1999 einigten der Kläger und sein Arbeitgeber sich vor dem Landesarbeitsgericht Nürnberg vergleichsweise,
dass das bestehende Arbeitsverhältnis durch die Arbeitgeberkündigung vom 26.08.1999 zum 30.09.1999 beendet
worden ist. Die Beklagte wies die weitere Krankengeldzahlung an und erkannte mit Schreiben vom 15.12.1999 den
klageweise geltend gemachten Anspruch unter Aufhebung des Bescheides vom 30.06.1999 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 13.09.1999 an.
Der Bevollmächtigte des Klägers erklärte mit Schreiben vom 17.01.2000 die Hauptsache und mit Schreiben vom
30.03.2000 das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz für erledigt und beantragte in beiden Streitsachen, der
Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers aufzuerlegen.
Das SG legte im Klageverfahren mit Beschluss vom 31.07.2000 (S 19 KR 313/99) der Beklagten drei Viertel der
notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auf und führte in der Begründung aus, maßgebend für die
Ausübung des gerichtlichen Ermessens sei der vermutliche Verfahrensausgang, der nach dem zum Zeitpunkt der
Erledigung vorliegenden Sach- und Streitstand zu beurteilen ist. Im Zeitpunkt der Erledigungserklärung war die Klage
begründet; auf Seiten des Klägers falle ins Gewicht, dass die Klage vor Durchführung des Verwaltungsverfahrens und
somit verfrüht erhoben wurde.
Mit dem weiteren Beschluss vom 31.07.2000 (S 19 KR 376/99 ER) legte es der Beklagten die Hälfte der notwendigen
außergerichtlichen Kosten des Klägers im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit der Begründung auf, nach
dem zum Zeitpunkt der Erledigung dieses Verfahrens bestehenden Sach- und Streitstand sei eine Quotelung
angemessen. Entsprechend der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung müsse sich der Kläger auf die
Sozialhilfe verweisen lassen. Eine Verweisung darauf könnte aber dann nicht statthaft sein, wenn er anderenfalls
schwerwiegende und unzumutbare Vermögensdispositionen treffen müsse. Ob diese Voraussetzung beim Kläger
zuträfen, hätte nur durch weitere Sachverhaltsaufklärung ermittelt werden können, die im Kostenverfahren jedoch
nicht mehr zulässig sei.
Die Beklagte hat gegen beide Beschlüsse am 24.08.2000 Beschwerden eingelegt und geltend gemacht, die Erhebung
der Klage und der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz seien nicht notwendig und die Klage darüber hinaus unzulässig
gewesen. Die Sozialhilfe wäre zur vorläufigen Leistung zuständig gewesen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung
wäre eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache gewesen und die Zahlung des Krankengelds hätte öffentliche
Interessen gefährdet, zumal bei einem Obsiegen der Beklagten das Krankengeld hätte zurückgefordert werden
müssen.
Das SG hat den Beschwerden nicht abgeholfen.
Beigezogen wurden die Akten der Beklagten und des SG, auf deren Inhalt im Übrigen Bezug genommen wird.
II.
Die frist- und formgerecht eingelegten Beschwerden, denen das SG nicht abgeholfen hat, sind zulässig (§§ 172, 173,
174 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Senat verbindet beide Streitsachen gemäß § 113 Abs.1 SGG zur
gemeinsamen Entscheidung.
Die Beschwerden der Beklagten sind unbegründet.
Für den Fall, dass ein Klageverfahren anders als durch Urteil endet, sehen die §§ 102 Satz 3, 193 Abs.1 SGG vor,
dass das Gericht auf Antrag durch Beschluss darüber entscheidet, ob und in welchem Umfang die Beteiligten
einander Kosten zu erstatten haben. Gleiches gilt in entsprechender Anwendung dieser Vorschriften im Verfahren auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung (Meyer-Ladewig, 6. Auflage, SGG, § 193 Rn 2).
Die danach zu treffende Kostenentscheidung hat nach billigem Ermessen zu ergehen, jeweils uner Beachtung der
Umstände des Einzelfalls. Hierbei sind in erster Linie der mutmaßliche Ausgang des Rechtsstreits sowie der zur
Klageerhebung bzw. zur Stellung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz führende Anlass zu berücksichtigen
(Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn.12, 12 a bis c, 13).
Danach sind die Entscheidungen des SG nicht zu beanstanden. Sie beinhalten eine gerechte Verteilung der
Kostenlast.
Aufgrund des Urteils des Arbeitsgerichts Weiden vom 03.05.1999 und des gerichtlichen Vergleichs vor dem
Landesarbeitsgericht Nürnberg vom 24.11.1999 sowie der von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen
Arbeitsunfähigkeit wäre wegen der Fortdauer des Beschäftigungsverhältnisses die Klage auf Zahlung des
Krankengelds über den 23.01.1999 hinaus begründet gewesen. Gleiches gilt für das Verfahren auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung, da der Kläger angesichts der geringen Teilleistung der Sozialhilfe nicht zumutbar auf die
Leistungen der Sozialhilfe bzw. einen Rechtsstreit mit der Sozialhilfeverwaltung verwiesen werden konnte. Für die
Ermessensausübung kommt es auf den Zeitpunkt der Kostenentscheidung des Gerichts an. D.h., es hat eine
Veränderung der Sach- und Rechtslage nach Erhebung der Klage bzw. Stellung des Antrags auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung zu beachten. Auch die Beklagte ist verpflichtet, nach Erlass der Bescheide eingetretene
Änderungen der Sach- und Rechtslage zu beachten und in die rechtliche Beurteilung einzubeziehen bzw. - falls
erforderlich - entsprechende Bescheide zu erteilen.
Bei der Ermessensausübung ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte Anlass zur Erhebung der Klage und
Stellung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz gegeben hat. Denn der Bescheid vom 15.02.1999, mit dem sie
Krankengeld nur bis 23.01.1999 bewilligte, enthielt auch eine für den Kläger ungünstige Regelung. Außerdem hat die
Beklagte über den mit dem Schreiben vom 04.05.1999 beantragten Vorschuss auf das Krankengeld in den
angefochtenen Bescheiden nicht entschieden. Ein Vorschuss kommt gemäß § 42 Abs.1 Sozialgesetzbuch I nicht nur
bei Geldleistungen in Frage, deren Höhe zunächst noch nicht feststeht, sondern auch in entsprechender Anwendung
dieser Vorschrift, wenn die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach Schwierigkeiten bereitet,
die Anspruchshöhe aber schon feststeht (Bundessozialgericht vom 12.05.1992 SozR 3-1200 § 42 Nr.2). Dem Kläger
steht es frei, gegen die Ablehnung einer beantragten Sozialleistung mit Klage und Antrag auf vorläufigen
Rechtsschutz gerichtlich vorzugehen (Art.19 Abs.4 Grundgesetz).
Zu Unrecht verweist die Beklagte den Kläger auf die Leistungen der Sozialhilfe. Denn die Sozialhilfe ist grundsätzlich
wegen des Subsidiaritätsgrundsatzes nachrangig gegenüber den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§
2 Abs.2 Bundessozialhilfegesetz). Nach dieser gesetzlichen Vorschrift werden die Verpflichtungen der Träger anderer
Sozialleistungen durch dieses Gesetz nicht berührt. Ferner ist zu beachten, dass die Zweckbestimmung des
Krankengelds in der Lohnersatzfunktion besteht. D.h., es ist zeitgerecht und unter Umständen auch in Form eines
Vorschusses zu gewähren, damit der Versicherte seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, ohne auf Leistungen der
Sozialhilfe angewiesen zu sein. Dies war im vorliegenden Fall schon mit Erlass des Urteils des Arbeitsgerichts
Weiden vom 03.05.1999 möglich. Selbst wenn das anschließende Berufungsverfahren zu Ungunsten des Klägers
ausgegangen wäre, hätte die Beklagte einen Erstattungsanspruch gehabt. Für ihre Behauptung, ein solcher wäre nicht
realisierbar gewesen, fehlt es schon am substantiierten Vortrag. Dem Kläger kann im vorliegenden Kostenverfahren
bezüglich der Klage auch nicht mit Recht entgegen gehalten werden, er hätte vor Erhebung der Klageverfahren erst
das Widerspruchsverfahren durchführen müssen. Denn der Bescheid vom 15.02.1999 hat eine entsprechende
Rechtsbehelfsbelehrung nicht enthalten.
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).