Urteil des LSG Bayern vom 08.07.2009

LSG Bayern: verschlechterung des gesundheitszustandes, verbesserung des gesundheitszustandes, arbeitsmarkt, psychotherapeutische behandlung, medizinische rehabilitation, öffentliches verkehrsmittel

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.07.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 31 R 689/05
Bayerisches Landessozialgericht L 1 R 701/08
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 29. Juli 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit vom 12. August 2004 bis 30. November
2008.
Die 1946 geborene Klägerin besuchte nach eigenen Angaben vom September 1960 bis Juli 1962 die Mittelschule bzw.
die kaufmännische Handelsschule, die sie mit Erfolg abschloss. Anschließend war sie bei einem Verlag als
Stenotypistin tätig und arbeitete sich zur Sekretärin hoch. Bis 31. August 1969 war sie als Sekretärin beschäftigt. Seit
1970 ist sie selbstständig mit einer Werbeagentur - heute Internetbetreuung, neue Medien, Arbeit mit und am
Computer - tätig, zuletzt reduziert auf zwei Stunden täglich. Am 12. August 2004 beantragte sie die Gewährung einer
Rente wegen Erwerbsminderung. Dabei verwies sie auf eine Karpaltunnelerkrankung, eine Arthrose in den Händen
sowie auf eine seit 1998 bestehende psychische Erkrankung.
Der Versicherungsverlauf weist für die Zeit vom 1. September 1962 bis 31. August 1969 Pflichtbeiträge und ab 1.
September 1969 bis 31. August 2004 (mit einer Lücke vom 1. Januar 1974 bis 31. Mai 1975) freiwillige Beiträge auf.
Der von der Beklagten gehörte Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. F. stellte in seinem Gutachten vom 7.
Oktober 2004 fest, dass seit ca. 20 Jahren eine Agoraphobie (Platzangst) sowie gemischte Angststörungen
bestünden. Die Klägerin wirke allenfalls nur geringfügig depressiv. Auf psychiatrischem Fachgebiet bestehe nur eine
geringe Einschränkung der Leistungsfähigkeit, d.h. die Tätigkeit in einer Werbeagentur sowie leichte bis mittelschwere
körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten noch sechs Stunden und mehr täglich verrichtet
werden.
Die ferner beauftragte Ärztin für Orthopädie Dr. C. (Gutachten vom 8. Oktober 2004) diagnostizierte rezidivierende
Beschwerden der Hände bei Fingerarthrose, ausgeprägt am Digitus II beidseits, Beschwerden im Sinne eines
Karpaltunnelsyndroms beidseits, die sich auf konservative Therapiemaßnahmen hin gebessert hätten, eine Fehlstatik
der Wirbelsäule, eine Haltungsinsuffizienz, einen muskulärer Hartspann, eine verschmächtigte Rumpfmuskulatur ohne
nervenwurzelbezogenes neurologisches Defizit, eine beidseits verkürzte Ischiokruralmuskulatur sowie eine
stammbetonte und oberschenkelbetonte Adipositas permagna. Die Funktionen der Hände bzw. Handgelenke seien
aber altersentsprechend frei. Zu vermeiden seien grobmotorische Beanspruchungen der Hände und der Einfluss von
Kälte und Nässe auf die Hände. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sowie leichte bis gelegentlich mittelschwere
körperliche Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten weiterhin mehr als sechs Stunden täglich verrichtet
werden.
Der die Beklagte beratende Arzt Dr. B. schloss sich am 19. Oktober 2004 dieser Einschätzung an. Die Beklagte
lehnte daraufhin den Antrag mit Bescheid vom 1. November 2004 ab. Die Klägerin könne noch auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt sowie in ihrem bisherigen Beruf im Umfang von täglich mindestens sechs Stunden tätig sein. Den
Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2005 zurück. Auch ein zusätzlich eingeholter
neurologisch-psychiatrischer Befundbericht des Dr. B. habe keine weitere Einschränkung des festgestellten
Leistungsvermögens ergeben.
Mit der hiergegen gerichteten Klage beim Sozialgericht München begehrte die Klägerin weiterhin einen Anspruch auf
Erwerbsminderungsrente ab Antragstellung.
Das Sozialgericht holte ein Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. vom 7. Juli 2005 ein. Es
handele sich, so Dr. P., um wirbelsäulenabhängige Beschwerden mit Lumbalgie bzw. rezidivierender Lumboischialgie
links ohne aktuelle Nervenwurzelreizzeichen und ohne neurologische oder wesentliche elektromyographische Ausfälle
sowie um eine chronische Dysthymie leichten bis phasenweise mittleren Schweregrades mit überlagernden
Angststörungen. Es seien keine neurologischen Ausfälle festzustellen. Die Gesundheitsstörungen auf psychischem
Gebiet seien nicht derart ausgeprägt, dass damit eine quantitative Leistungseinschränkung gegeben sei. Die Klägerin
könne noch vollschichtig als Bürokraft sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein.
Die Klägerin vertrat demgegenüber weiterhin die Ansicht, vor allem aufgrund ihrer Angststörung könne sie nicht
vollschichtig tätig sein. Ferner übersandte sie eine Magnetresonanztomographie (MRT) des rechten Kniegelenks vom
18. Oktober 2005. Diese ergab eine deutliche Gonarthrose und Retropatellararthrose mit deutlicher Ausdünnung des
Gelenkknorpels und des retropatellaren Knorpels sowie Schäden am Innen- und Außenmeniskus. Des Weiteren
berichtete die Klägerin von zunehmenden Alkoholproblemen.
Dr. P. führte zu den Einwendungen der Klägerin in einer ergänzenden Stellungnahme vom 14. November 2005 aus,
dass die depressive Verstimmung bei der Klägerin nicht zu quantitativen, sondern lediglich zu qualitativen
Einschränkungen des Leistungsvermögens geführt habe. Er hielt an seinem Gutachtensergebnis fest.
Der vom Sozialgericht beauftragte Orthopäde Dr. K. stellte in seinem Gutachten vom 25. Dezember 2005
wiederkehrende Lendenwirbelsäulen-(LWS-)beschwerden, Aufbraucherscheinungen der Fingergelenke, eine
Mondbeinzyste rechts, einen Kniegelenksverschleiß rechts mit Innen- und Außenmeniskusschaden (Gonarthrose 2.
Grades) sowie Spreizfüße beidseits fest. Im Vordergrund der Beschwerden stünden auf orthopädischem Fachgebiet
die anhaltenden, sich belastungsabhängig intensivierenden Schmerzen an beiden Händen. Die Diagnose eines
Karpaltunnelsydroms könne trotz der typisch geschilderten Beschwerdesymptomatik nicht bestätigt werden. Seit der
Begutachtung durch Dr. C. sei wegen der Erkrankung des rechten Kniegelenks eine Verschlechterung des
Gesundheitszustandes eingetreten. Leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten jedoch
noch sechs Stunden und mehr verrichtet werden. Grobmanuelle Tätigkeiten sowie das Hantieren mit Lasten über 5 kg
seien nicht mehr zumutbar. Die manuelle Schreibfähigkeit sei erhalten. Auch sei die Bedienung einer leichtgängigen
Tastatur zumindest kurzfristig möglich. Arbeiten in Zwangshaltung sollten vermieden werden. Die beruflichen
Leistungsanforderungen einer Bürokraft könnte die Klägerin im Wesentlichen erfüllen, ausgenommen seien aber
ausschließliche oder überwiegende Schreibarbeiten am Computer. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Zusätzlich zu dem
Gutachten des Dr. P. sei nach der von ihm vorgenommenen Anamnese vom Vorliegen einer Alkoholkrankheit
auszugehen. Auswirkungen auf die Gesamtbewertung ergäben sich dadurch aber nicht.
In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 7. Februar 2006 hielt Dr. P. die Klägerin weiterhin für fähig, bei
Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig als Bürokraft sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu
sein.
Die Klägerin wies darauf hin, dass die Tätigkeit in der Werbeagentur fast ausschließlich mit Schreibarbeiten am
Computer verbunden sei. Außerdem sei aufgrund der Panikstörung die Wegefähigkeit nicht gegeben. Das
Sozialgericht vertagte deshalb den Rechtsstreit in der Sitzung vom 4. April 2006 und holte eine ergänzende
Stellungnahme des Dr. P. vom 10. Mai 2006 zur Wegefähigkeit ein. Nach Auswertung der Bescheinigungen der
behandelnden Ärzte und nach seinen Untersuchungsergebnissen vertrete er weiterhin die Ansicht, dass die
Wegefähigkeit gegeben sei, wobei gegebenenfalls eine unterstützende Behandlung mit Antidepressiva erforderlich sei.
In diesem Zusammenhang sei festzustellen, dass eine Alkoholkrankheit im engeren Sinne nicht vorliege, jedoch ein
sich entwickelndes Alkoholproblem möglich sei. Die Steuerungsfähigkeit der Klägerin sei nicht so weit eingeschränkt,
dass sie nicht auf das Trinken von Alkohol zu Zeiten, in denen sie mit den erforderlichen Antidepressiva behandelt
werde, verzichten könne. Auch sei eine Befundverschlechterung nicht belegt.
Am 11. August 2006 führte Dr. P. zu dem klägerischen Vorbringen weiter aus, er habe ein Heilverfahren
vorgeschlagen, um bei einem sich offenbar entwickelnden Alkoholproblem die Erwerbsfähigkeit zu erhalten. An den
Feststellungen zum Leistungsvermögen halte er fest. Die Beklagte bot eine medizinische Rehabilitation bei
Klagerücknahme an; dies lehnte die Klägerin ab.
Einen Ablehnungsantrag der Klägerin vom 12. Juni 2006 gegen den Sachverständigen Dr. P. wies das Sozialgericht
mit Beschluss vom 26. September 2006 zurück. Das Bayer. Landessozialgericht wies die hiergegen erhobene
Beschwerde mit Beschluss vom 4. Dezember 2007 zurück (Az.: L 2 B 820/06 R).
Das Sozialgericht holte einen aktuellen Befundbericht des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Dr. R. vom
20. Januar 2008 ein. Danach sei es seit Behandlungsbeginn im August 2007 zu einer leichten Besserung der
phobischen Ängste, der depressiven Verstimmung und der psychosomatischen Körperbeschwerden gekommen.
Die vom Sozialgericht beauftragte Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. beurteilte in ihrem Gutachten vom
18. Juni 2008 das Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes sowie als
Bürokraft ebenfalls als mindestens sechsstündig. Sie ging dabei von einer Panikstörung, einer Agoraphobie, einer
Dysthymie im Sinne einer chronisch depressiven Entwicklung mit zeitweisen mittelgradigen depressiven Episoden,
einem schädlichen Gebrauch von Alkohol, lendenwirbelsäulenabhängigen Beschwerden ohne neurologische
Funktionsausfälle sowie einem Spannungskopfschmerz aus. Die Gesundheitsstörungen seien seit August 2004 in
etwa gleich geblieben. Zu vermeiden seien Tätigkeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten und in
Zwangshaltungen, mit besonderen Anforderungen an die psychische und nervliche Belastbarkeit, unter besonderem
Zeitdruck, in Nacht- und Wechselschicht sowie Tätigkeiten, die grob manuelle Tätigkeiten beinhalteten. Die
Wegefähigkeit sei gegeben. Von einer generellen Unfähigkeit, das Haus zu verlassen oder öffentliche Verkehrsmittel
zu benutzen, könne nicht ausgegangen werden. Auch sei der Klägerin die Einnahme von Dociton - einem Betablocker
ohne Suchtpotenz - vor längeren Fahrten zumutbar, um Panikattacken zu verhindern.
Die Klägerin gab an, seit etwa einem Jahr die Betablocker nicht mehr zu vertragen. Dr. M. führte in einer ergänzenden
Stellungnahme vom 30. Juli 2008 aus, es sei nicht von einer tatsächlichen Unverträglichkeit von Betablockern
auszugehen. Dies sei ärztlicherseits nicht belegt. Eine bedarfsweise prophylaktische Bekämpfung der Angst beim
Zurücklegen von Wegen mit anderen Mitteln wie Valium oder Tafil seien ihr zumutbar. Eine regelmäßige Einnahme
von Beruhigungsmitteln sei nicht erforderlich. Das Alkoholproblem der Klägerin stehe einer angemessenen
antidepressiven Therapie nicht entgegen.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 29. Juli 2008 ab. Das Gericht stützte sich dabei vor allem auf die
Gutachten des Dr. P., Dr. K. und der Dr. M ... Hieraus ergäbe sich schlüssig, nachvollziehbar und in sich
widerspruchsfrei, dass die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig
sein könne. Auch sei die Wegefähigkeit gegeben. Sie könne insbesondere noch zweimal täglich ein öffentliches
Verkehrsmittel benutzen. Auch sei keine Berufsunfähigkeit gegeben. Auszugehen sei von der letzten
rentenversicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit als Sekretärin. Die Klägerin sei als Stenokontoristin, Stenotypistin
und Sekretärin einzustufen. Dies stelle eine Tätigkeit dar, für die eine Ausbildung weder vorgesehen noch von der
Klägerin absolviert worden sei. Für eine Anlernzeit von mehr als einem Jahr lägen keine Anhaltspunkte vor. Die
Klägerin sei deshalb in den unteren Bereich der Stufe der Angelernten einzuordnen und auf den allgemeinen
Arbeitsmarkt verweisbar. Selbst bei Annahme einer Anlerntätigkeit im oberen Bereich sei sie auf Tätigkeiten eines
einfachen Pförtners oder einer Auskunftsassistentin verweisbar, solange diese nicht von sehr geringem qualitativem
Wert sei.
Bereits mit Urteil vom 24. Juli 2007 hatte das Sozialgericht München (Az.: S 31 R 2281/06) eine Klage auf Gewährung
einer vorzeitigen Altersrente für Frauen nach Vollendung des 60. Lebensjahres (§ 237 a des Sechsten Buchs
Sozialgesetzbuch - SGB VI) ab 1. Mai 2006 abgewiesen. Die Beklagte hatte dies mit Bescheid vom 10. August 2006
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Oktober 2006 abgelehnt.
Zur Begründung der gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 29. Juli 2008 erhobenen Berufung hat die Klägerin
vorgebracht, sie sei wegen starker Panikattacken und Ängsten seit 1999 mit gewissen Abständen immer wieder bei
Dr. B. in Therapie. Sie hat eine schriftliche Zeugenbefragung des Dr. B. angeregt. Die Beklagte habe ihr keine
Leistungen zur Rehabilitation bewilligt, sondern lediglich eine Absichtserklärung abgegeben, und die Zeit der
Erkrankung vorsätzlich verlängert. Vor einigen Jahren hätte sie noch gute Chancen gehabt, wieder in das Arbeitsleben
einzusteigen; jetzt biete der Arbeitsmarkt keine offenen Stellen mehr für sie. Die DAK zahle seit 1. August 2007
Gesprächstherapien bzw. eine analytische Psychotherapie. Nach 13 Monaten intensiver Psychotherapie bei Herrn Dr.
R. könne sie ihre Wohnung wieder alleine verlassen und kleinere Einkäufe tätigen. Außerdem könne sie - außer U-
Bahnen und S-Bahnen - wieder alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Das Übungsprogramm mit U- und S-
Bahnen laufe derzeit. Sie schaffe dies ohne Einnahme von Betablockern oder Valium/Tafil. Zur Zeit der Begutachtung
durch Dr. M. habe sie bereits etwa neun Monate eine erfolgreiche Psychotherapie absolviert gehabt, so dass die
ersten sichtbaren Erfolge eingetreten gewesen seien. Davor habe sie nur in Begleitung ihres Mannes das Haus
verlassen können. Es habe eine Wegeunfähigkeit bestanden, die zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes und somit
zur vollen Erwerbsminderung geführt habe. In der Zwischenzeit habe sich ihr Gesundheitszustand stark verbessert.
Seit 1. Dezember 2008 sei sie wieder arbeitsfähig. Ein Antrag auf Begutachtung nach § 109 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) werde nicht gestellt.
Die Beklagte hat auf die vorliegenden Gutachten sowie darauf verwiesen, dass die Notwendigkeit einer
Rehabilitationsmaßnahme gutachterlich nicht gesehen worden sei. Auch lasse sich aus einer nicht durchgeführten
Reha-Maßnahme kein Rentenanspruch ableiten. Mit Rentenbescheid vom 25. November 2008 bewilligte die Beklagte
eine Altersrente für langjährig Versicherte ab 1. Mai 2009.
Der Senat hat einen Befundbericht des Dr. B. vom 8. Dezember 2008 eingeholt, der eine generalisierte Angststörung
beschrieben hat. Zum Ende der Kurztherapie am 28. Juli 2005 sei sich die Klägerin ihrer aggressiven Gefühle viel
mehr bewusst gewesen und habe sie auch zeigen können.
Ferner hat der Senat auf Beweisanregung der Klägerin Dr. B. als Zeugen schriftlich befragt. Die vom Senat gestellten
Fragen hat dieser am 12. Februar 2009 wie folgt beantwortet: Er habe keine Suizidalität gesehen und diagnostiziert;
die Klägerin habe jedoch Selbstmordgedanken und -wünsche, jedoch keine -drohungen geäußert. 1998 habe er der
Klägerin viel rezeptiert, um aktuelle Ängste zu reduzieren. Es sei über Alkoholkonsum gesprochen werden. Aus
seinen Aufzeichnungen gehe jedoch hierzu nichts Weiteres hervor. Eine Abhängigkeitsproblematik habe er nicht
gesehen. Als Erfolg seiner Therapie habe er gesehen, dass die Klägerin ihre Aggressionen adäquater zeigen konnte.
Es sei in seinen Unterlagen vermerkt, dass sie mit ihrer Angst zurecht komme, allerdings unterstützt mit Doziton und
gelegentlich Valium. Im April 2005 habe er der Klägerin ein Antidepressivum verordnet. Die Klägerin habe sich
zunächst nicht zur Einnahme entschließen können. Notizen darüber, dass durch das Medikament Panikattacken und
Selbstmordgedanken gefördert worden seien, fänden sich nicht. Nach seiner Erinnerung sei die Klägerin häufiger mit
dem Fahrrad in die Praxis gefahren. Es fänden sich keine Notizen in seinen Unterlagen, dass die Klägerin - ohne
Einnahme von Betablockern - öffentliche Verkehrsmittel benutzen könne.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass sich aus den Angaben des Dr. B. zum einen keine Suizidalität und zum
anderen kein Anhalt für das Vorliegen einer Wegeunfähigkeit ergeben hätten.
Die Klägerin hat ergänzend vorgebracht, bei Ausstellungseröffnungen (ihres Ehemannes), die vier- bis sechsmal im
Jahr stattgefunden hätten, Betablocker eingenommen zu haben. Des Weiteren habe sie pro Jahr ca. fünf- bis zehnmal
Betablocker eingenommen, um am sozialen Leben (Familienfest, Geburtstage etc.) teilnehmen zu können. Würde sie
zur täglichen Fahrt zur Arbeitsstelle und zurück Betablocker einnehmen, wären dies über 400 Einnahmen. Auch ein
Kfz können sie nicht benutzen. Sie hat zuletzt mit Schriftsatz vom 15. Juni 2009 den Erfolg der
Langzeitpsychotherapie geschildert. Dennoch seien ihre Ängste noch immer sehr stark. Im Dezember 2008 sei es zu
einer Brustkrebsoperation gekommen. Der Brustkrebs habe jedoch keinen Einfluss auf ihre Arbeitsfähigkeit.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 29. Juli 2008 und den Bescheid vom 1. November 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 9. Februar 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller,
hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 12. August 2004 bis 30. November 2008 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 SGG zur Ergänzung des Tatbestandes auf den Inhalt der Akte der Beklagten,
die Gerichtsakte des Sozialgerichts sowie der Klage- und Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet, weil dieser kein Anspruch auf eine Rente
wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI zusteht.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 bzw. Abs. 1 S. 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze
Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert
sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte
Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll
erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu
sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit
außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden
täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs
Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, § 43 Abs. 3
SGB VI.
Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI liegen bei der Klägerin nicht vor. Die Klägerin stützte ihren
Rentenantrag auf Erkrankungen auf orthopädischem und psychiatrischem Fachgebiet.
Auf orthopädischem Gebiet ergeben sich keine Leistungseinschränkungen, die zu einem Absinken des
Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden führen. Zu dieser Beurteilung gelangen sowohl die im
Verwaltungsverfahren beauftragte Orthopädin Dr. C. als auch der vom Sozialgericht beauftragte Dr. K ... Zwar liegen
bei der Klägerin wiederkehrende LWS-Beschwerden sowie, durch MRT vom Oktober 2005 nachgewiesen, eine
Gonarthrose im rechten Kniegelenk im Sinne eines Kniegelenksverschleißes mit Innen- und Außenmeniskusschaden
vor. Beschwerden im Bereich der LWS treten vor allem bei längerem Sitzen auf. Neurologische Ausfälle konnten
jedoch nicht festgestellt werden. Die Umkrümmungsfähigkeit des Wirbelsäulenabschnitts ist weitestgehend erhalten.
Erhebliche Leistungseinschränkungen ergeben sich hieraus nicht.
Trotz des festgestellten Knieschadens ist das Kniegelenk frei beweglich. Es bestehen zwar Schmerzen am rechten
Knie, insbesondere ein Druckschmerz über dem inneren Gelenkspalt. Dies bedingt jedoch nur eine qualitativ zu
wertende Minderung der Geh- und Stehleistung.
Im Vordergrund der orthopädischen Beschwerden stehen Aufbraucherscheinungen der Fingergelenke mit anhaltenden,
sich belastungsabhängig intensivierenden Schmerzen an beiden Händen. Nach allen vorliegenden Gutachten hat dies
jedoch nur Auswirkung auf grobmanuelle Tätigkeiten; diese können nicht mehr verrichtet werden. Auch
ausschließliche oder überwiegende Schreibarbeiten am Computer sind dadurch ausgeschlossen. Die manuelle
Schreibfähigkeit ist jedoch noch erhalten. Zumindest kurzfristig ist darüber hinaus auch die Bedienung einer
leichtgängigen Tastatur wie den üblichen Computertastaturen möglich.
Eine 2008 aufgetretene Brustkrebserkrankung hat nach eigener Einschätzung der Klägerin keinen Einfluss auf ihre
Arbeitsfähigkeit. Die Klägerin begründet ihre Berufung deshalb auch ganz überwiegend mit den psychischen
Gesundheitsbeeinträchtigungen, insbesondere ihren Ängsten. Hierzu holte das Sozialgericht zwei verschiedene
psychiatrische Gutachten ein, die übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangten, dass die Klägerin trotz dieser
psychischen Erkrankungen noch zumindest leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann. Unstreitig ist, dass dies zumindest für die Zeit ab 1. Dezember
2008 gilt, wie dies von der Klägerin im Berufungsverfahren zuerkannt wird. Nach Überzeugung des Senats lag jedoch
auch in der Zeit zwischen Antragstellung im August 2004 und dem 30. November 2008 ein mindestens
sechsstündiges Leistungsvermögen vor. Wie das Sozialgericht stützt sich der Senat dabei auf die Gutachten des Dr.
P. und vor allem der Dr. M ...
Dr. M. beschreibt eine Panikstörung, eine Agoraphobie, eine Dysthymie im Sinne einer chronisch depressiven
Entwicklung mit zeitweisen mittelgradigen depressiven Episoden, einen schädlichen Gebrauch von Alkohol,
lendenwirbelsäulenabhängige Beschwerden ohne neurologische Funktionsausfälle sowie einen
Spannungskopfschmerz. Seit August 2004 traten zunächst keine wesentlichen Änderungen im Gesundheitszustand
der Klägerin auf. Dies bestätigt im Ergebnis auch der seit 2007 behandelnde Arzt Dr. R., der seit August bzw. Oktober
2007 sogar eine Besserung der phobischen Ängste, der depressiven Verstimmungen und der psychosomatischen
Körperbeschwerden beschreibt. Es fanden sich keine Hinweise auf eine tiefer gehende Depressivität. Allerdings ist
aufgrund der testpsychologischen Zusatzbefunde davon auszugehen, dass sich die Klägerin selbst subjektiv deutlich
bis schwerergradig depressiv wahrnimmt. Dies ist nach Feststellung der Sachverständigen mit der
Fremdeinschätzung nicht vollständig in Einklang zu bringen.
Die Panikattacken bestehen bereits seit etwa 20 Jahren, begleitet von einer angstneurotischen Entwicklung und
depressiven Verstimmungszuständen. Durch äußere Belastungen kam es zu Schwankungen in der Stärke der
Ausprägung der Angststörung. Die selbstständige Tätigkeit in der Werbeagentur nahm die Klägerin durchgehend wahr.
Durch eine Verhaltenstherapie Ende der 90er Jahre wurde eine zeitweise Besserung der Angststörung erreicht. Einen
Rentenantrag stellte die Klägerin, als zugleich Schmerzen in den Händen bei festgestellter Arthrose auftraten. Sowohl
Dr. P. als auch Dr. M. vermögen keine Gründe aufzuführen, weshalb es ab dem Jahr 2004 zu einer Zunahme der
Beschwerden auf psychischem Gebiet gekommen sein soll. Dies bleibt psychodynamisch unklar. Besondere äußere
Belastungen sind in dieser Zeit nicht erkennbar. Nach Einschätzung der Sachverständigen reichen die aufgetretenen
schmerzhaften Arthrosen an den Fingergelenken nicht aus, um eine wesentliche Verschlechterung der Angststörung
erklären zu können. Zumindest seit dem Jahre 2006 lässt sich aber auch objektiv keine Verschlechterung, sondern
vielmehr die oben beschriebene Verbesserung des Gesundheitszustandes erkennen.
Wie auch Dr. P. beurteilt auch Dr. M. das Leistungsvermögen der Klägerin für leichte Arbeiten des allgemeinen
Arbeitsmarktes sowie als Bürokraft als mindestens sechsstündig. Zu vermeiden sind Tätigkeiten mit Heben und
Tragen schwerer Lasten und in Zwangshaltungen, mit besonderen Anforderungen an die psychische und nervliche
Belastbarkeit, unter besonderem Zeitdruck, in Nacht- und Wechselschicht sowie Tätigkeiten, die grob manuelle
Tätigkeiten beinhalteten.
Zutreffend ist damit der Einwand der Klägerin, dass Dr. M. sie im April 2008 zu einem Zeitpunkt begutachtete, als es
ihr psychisch bereits wieder besser ging. Allerdings beschreibt auch der von 1999 bis Juli 2005 behandelnde Arzt für
Neurologie und Psychiatrie Dr. B. einen gewissen Erfolg der vom 6. September 2004 bis 28. Juli 2005 durchgeführten
Verhaltenstherapie. Am Ende dieser Kurztherapie war die Klägerin sich ihrer aggressiven Gefühle viel stärker bewusst
und konnte diese auch zeigen. Nach ihren damaligen Angaben kam sie damit zurecht, allerdings medikamentös
unterstützt durch Doziton und gelegentlich Valium. Die Gabe von Valium erfolgte nur in besonderen Situationen. Die
Suizidgefahr sah der Arzt nicht als vordergründig an. Auch aus diesem Befundbericht sowie der schriftlichen
Zeugenaussage geht hervor, dass die Angstzustände im Vordergrund des psychiatrischen Krankheitsbildes standen.
Eine Alkoholabhängigkeitsproblematik ist nicht aufgefallen, obwohl über den Alkoholkonsum gesprochen worden war.
Der Leidensdruck war im April 2005 nicht derart ausgeprägt, dass die Klägerin ein empfohlenes Antidepressivum
eingenommen hätte. Vielmehr verweigerte sie dies.
Auch das unmittelbar nach dem Rentenantrag von der Beklagten in Auftrag gegebene Gutachten des Dr. F. beschreibt
keinen derart relevanten psychischen Befund, dass von einem Absinken der Leistungsfähigkeit auf unter sechs
Stunden ausgegangen werden kann. Dr. F. diagnostizierte eine nur leicht depressive Stimmungslage bei noch
ausreichend gut erhaltener affektiver Schwingungsfähigkeit. Die angegebenen Ängste, die seit wenigstens 20 Jahren
bestehen, gingen in Richtung Klaustrophobie und Agoraphobie. Die Klägerin war nicht suizidal. Es erfolgte damals
eine Behandlung bei Bedarf mit Tafil und Dociton als Betablocker. Die Klägerin gab zum damaligen Zeitpunkt noch an,
dass sie vor allem aufgrund ihrer Schmerzen in den Fingergelenken beidseits nicht mehr in der Lage sei zu arbeiten.
Die psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen standen noch nicht im Vordergrund. Zwar waren in den letzten
Monaten vor der Begutachtung im Oktober 2004 erneut Ängste aufgetreten, sie hatte jedoch die psychotherapeutische
Behandlung wieder aufgenommen. Auch Dr. F. gelangte deshalb zu dem Ergebnis, dass die Klägerin zumindest eine
häusliche Arbeit vollschichtig verrichten kann.
Vollschichtiges Leistungsvermögen kann jedoch nur bejaht werden, wenn auch eine Wegefähigkeit gegeben ist. Dabei
kommt es nicht auf den konkreten Weg vom Wohnort zu einer Arbeitsstelle oder zur Haltestelle eines öffentlichen
Verkehrsmittels an, sondern darauf, welche Wege üblich sind. Eine zur vollen Erwerbsminderung führende
Einschränkung der Wegefähigkeit ist gegeben, wenn nur noch eine Gehfähigkeit vorhanden ist, die maximal 500 Meter
Wegestrecke zulässt, der Versicherte keinen Arbeitsplatz innehat und einen solchen auch nicht mit Hilfe z.B. eines
Kfz erreichen kann und der Rentenversicherungsträger auch keine beruflichen Reha-Leistungen anbietet (KassKomm-
Niesel, § 43 SGB VI Rdnr. 42 m.w.N.). Eine derartige Einschränkung hinsichtlich der zumutbaren Wegstrecke ist bei
der Klägerin nicht gegeben. Die Klägerin konnte und kann zweimal pro Arbeitstag jeweils zwei Wegstrecken von über
500 m in zumutbarer Zeit (15 bis 20 Minuten für 500 m) zurücklegen. Unstreitig bestehen auf orthopädischem
Fachgebiet keine gravierenden Einschränkungen. Die Klägerin gibt selbst an, die 500 m laufen zu können. Aber auch
trotz der gegebenen Angstzustände ist ihr zumutbar, das Haus zu verlassen, den beschriebenen Weg zur und von der
Arbeitsstätte zurückzulegen und einen Arbeitsplatz zu erreichen. Zum einen fährt die Klägerin häufig mit dem Fahrrad.
Dies zählt sie zu ihren Hobbies. Auch Dr. B. gab an, dass die Klägerin häufiger mit dem Fahrrad zu den
Behandlungsterminen gekommen ist. Sind Arbeitsplätze auf andere Art - z.B. mit einem Fahrrad - erreichbar, ist der
Arbeitsmarkt nicht verschlossen (BSGE 24, 142, 145; BSG DRV 1979, 223). Zum anderen ist ihr aber auch zumutbar,
öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10). Dr. M. vertrat wie auch Dr. P. die Ansicht,
dass keine generelle Unfähigkeit besteht, das Haus zu verlassen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dies gilt
zumindest für kürzere Strecken. Auch nach eigenen Angaben der Klägerin (Gutachten Dr. F.) bestand und besteht
eine besondere Angstproblematik vor allem bei der Benutzung von U- oder S-Bahnen. Wie dargelegt ist aber zum
einen nicht auf einen konkreten Weg zwischen Wohnung und Arbeitsplatz abzustellen, zum anderen kann gerade bei
dem dichten Verkehrsnetz in A-Stadt die Benutzung der U- und S-Bahn aber ohne besondere Schwierigkeiten
vermieden werden. Der Senat kann daher offen lassen, ob die zumindest gelegentliche Einnahme von Betablockern
oder Antidepressiva grundsätzlich und unter besonderer Berücksichtigung des sonstigen Gesundheitszustandes der
Klägerin zumutbar ist. Schließlich gab auch Dr. B. in seinem Befundbericht vom Dezember 2004 an, dass
Reisefähigkeit für öffentliche Verkehrsmittel besteht.
Ferner ergibt sich aus einer Vielzahl qualitativer Einschränkungen vorliegend nicht, dass ein vollschichtiges
Leistungsvermögen ausgeschlossen ist. Versicherte sind trotz vollschichtigen Leistungsvermögens dann als
erwerbsgemindert anzusehen, wenn besondere gesundheitliche Einschränkungen oder eine Summierung
ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bestehen, die eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr
möglich machen. Dies sind insbesondere die sogenannten Seltenheits- oder Katalogfälle, wie sie das
Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entwickelt hat (vgl. BSG Urteil vom 14.09.1995, Az.: 5 RJ
50/94 in SozR 3-2200, § 1246 RVO Nr. 50). Bei Vorliegen der dort genannten Umstände ist davon auszugehen, dass
einem Versicherten der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt verschlossen ist. Der Arbeitsmarkt ist der Klägerin
aber auch unter diesen Gesichtspunkten nicht verschlossen. Zwar sind ihr vor allem Arbeiten mit besonderen
Anforderungen an die psychische und nervliche Belastbarkeit, unter Zeitdruck, Nacht- und Wechselschichten,
Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 5 kg und in Zwangshaltung nicht mehr zumutbar. Zumutbar sind
jedoch noch leichte körperliche Tätigkeiten aus wechselnder oder überwiegend sitzender Ausgangslage, überwiegend
in geschlossenen Räumen, gelegentlich im Freien. Besondere Pausen oder Unterbrechungen sind nicht erforderlich.
Wegen der degenerativen Veränderungen an den Fingern können lediglich grobmanuelle Tätigkeiten nicht mehr
verrichtet werden. Die Schreibfähigkeit ist jedoch noch erhalten. Zumindest kurzfristig ist auch die Bedienung einer
leichtgängigen Tastatur möglich. Aufgrund dieses positiven Leistungsvermögens kommen noch ausreichend
Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Betracht.
Der Rentenversicherung obliegt insbesondere nicht das Risiko der tatsächlichen Vermittlung eines geeigneten
Arbeitsplatzes. Dieses Risiko ist von der Arbeitslosenversicherung zu tragen.
Damit ist nach Überzeugung des Senats auch in der noch streitigen Zeit zwischen August 2004 und November 2008
ein Leistungsvermögen der Klägerin von mindestens sechs Stunden täglich für zumindest leichte Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarktes gegeben, so dass nach § 43 Abs. 3 SGB VI keine Erwerbsminderung vorliegt.
Allerdings dehnt § 240 SGB VI aus Gründen des Vertrauensschutzes als Sondervorschrift zu der Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI den Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung auf vor dem 2. Januar 1961 geborene und berufsunfähig gewordene Versicherte aus. Da die
Klägerin 1946 geboren wurde, fällt sie somit unter diese Vertrauensschutzregelung.
Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung
im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher
Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Für die
Entscheidung der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist von dem "bisherigen Beruf" auszugehen. Zutreffend
weist das Sozialgericht darauf hin, dass dabei von dem nur bis 1969 ausgeübten Beruf als Sekretärin auszugehen ist.
Wurden wie hier neben Pflichtbeiträgen (für die Zeit der Tätigkeit als Sekretärin) später freiwillige Beiträge (für die
selbstständige Tätigkeit in der Werbeagentur) entrichtet, bestimmt sich der bisherige Beruf allein nach der
versicherungspflichtig ausgeübten Tätigkeit (BSG SozR Nrn. 92, 112 zu § 1246 RVO; BSG SozR 3-2200 § 1246; s.a.
BVerfG SozR 2200 § 1246 Nrn. 28, 156; zum Ganzen: KassKomm-Niesel, § 240 SGB VI Rdnr. 16). Die Klägerin hat
nach eigenen Angaben keine Berufsausbildung absolviert, sondern von September 1960 bis Juli 1962 die Mittelschule
bzw. kaufmännische Handelsschule besucht und abgeschlossen. Anschließend war sie als Stenotypistin tätig und hat
sich später zur Sekretärin hochgearbeitet. Damit liegt keine Fachangestelltentätigkeit im Sinne des
Mehrstufenschemas des Bundessozialgerichts (vgl. z.B. BSG SozR 2200 Nr. 140 und SozR 3-2200 Nr. 27 je zu §
1246 RVO; für Angestellte: BSGE 55, 45; 57, 291), sondern eine angelernte Tätigkeit vor; die Einarbeitungszeit liegt
hierbei über drei Monaten. Angestellte sind innerhalb des vom Bundessozialgericht entwickelten Mehrstufenschemas
auf Tätigkeiten der gleichen oder der nächstniedrigeren Gruppe verweisbar (BSG SozR 2200 § 1246 Rdnr. 114).
Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen an den Händen den Beruf
einer angelernten Sekretärin nicht mehr ausüben kann. Auch leichtgängige Tastaturen kann sie nach den
Feststellungen des Dr. K. nur mehr kurzfristig bedienen. Allerdings führt dies nicht zu einer Berufsunfähigkeit mit
einem Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, da die Klägerin entweder - bei Annahme einer
angelernten Tätigkeit im unteren Bereich mit einer Anlernzeit von bis zu einem Jahr - auf nicht ganz geringwertige
ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden kann oder - bei Annahme einer angelernten
Tätigkeit im oberen Bereich mit einer Anlernzeit von mehr als einem bis zu zwei Jahren - auf ungelernte Tätigkeiten
wie die Tätigkeit als einfacher Pförtnerin an einer Haupt- oder Nebenpforte verweisbar ist. Im Übrigen ist ihr auch die
Tätigkeit in einer Werbeagentur, die sie zuletzt als selbstständige Tätigkeit ausübte, zumutbar. Grundsätzlich kann
auch auf eine Tätigkeit im eigenen Betrieb verwiesen werden (KassKomm-Niesel, § 240 SGB VI, Rdnr. 105).
Ein Rentenanspruch ergibt sich schließlich auch nicht dadurch, dass die Beklagte der Klägerin keine Unterstützung,
insbesondere durch die Gewährung einer Reha-Maßnahme, zukommen ließ und diese nur in Aussicht stellte. Denkbar
ist hierbei allenfalls ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, wie er durch die Rechtsprechung des BSG entwickelt
wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte im Juni 2006 eine psychosomatische
Rehabilitationsmaßnahme in Aussicht stellte, dies jedoch von der Klägerin, in Verkennung des Grundsatzes des
Vorrangs der Leistungen zur Teilhabe vor der Rente gemäß § 6 Abs. 1 S. 2 SGB VI, abgelehnt wurde. Darüber hinaus
ist aber auch durchaus fraglich, ob eine Heilmaßnahme wie eine stationäre psychosomatisch oder
psychotherapeutisch ausgerichtete Heilmaßnahme erforderlich war. Dr. M. hielt dies beispielsweise für nicht
erforderlich, da die Klägerin nicht motiviert erschien. Schließlich ist gerade bei psychischen
Gesundheitsbeeinträchtigungen oftmals medizinisch vertretbar, dass zunächst das Rentenverfahren abgeschlossen
sein muss, um einen Erfolg der Reha-Maßnahme erzielen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass auch die Berufung ohne Erfolg geblieben ist.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.