Urteil des LSG Bayern vom 05.02.2004

LSG Bayern: therapie, behandlung, anerkennung, karzinom, medikament, test, versorgung, sachleistung, krankenkasse, unterliegen

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 05.02.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 18 KR 698/99
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 42/02
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 24. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte die Kosten zu erstatten hat, die der Klägerin durch die Behandlung bei Dr.K. im Jahre
1999 entstanden sind.
Die 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Bei ihr wurde am 10.02.1999 durch die Fachärzte für
Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dres.K. ein multifokales Karzinom der linken Mamma nicht im Gesunden entfernt.
Am 08.04. 1999 wurde stationär eine Nachresektion vorgenommen. Bereits im Februar 1999 hat sich die Klägerin zu
dem nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt Dr.K. in Behandlung begeben. Dr.K. hat am
25.02.1999 für diagnostische Apharese 2.667,21 DM in Rechnung gestellt. Die Klägerin legte diese Rechnung sowie
das Schreiben des Dr.K. an den behandelnen Arzt Dr.W. vom 25.02.1999 am 02.03.1999 der Beklagten vor. Dr.K.
schlug am 04.03.1999 folgende Therapie vor: 10 Ampullen HSP-Vaccine, 10 Zyklen mit LAK bzw. dendritischen
Zellen, 4 Ampullen Herceptin. Für die erste LAK-Therapie wurden am 04.03.1999 4.688,25 DM in Rechnung gestellt.
Mit Schreiben vom 23.03.1999 wandte sich dann Dr.K. direkt an die Beklagte.
Der von der Beklagten angehörte Medizinische Dienst der Krankenversicherung in Bayern (Dr.B.) kam im Gutachten
vom 29.04.1999 zu dem Ergebnis, das diagnostische und therapeutische Vorgehen des Dr.K. entspreche nicht dem
derzeit allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und sei damit nicht als ausreichend,
zweckmäßig und wirtschaftlich zu bezeichnen.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 10.05.1999 eine Kostenerstattung ab. Die Klägerin legte hiergegen
Widerspruch ein und führte u.a. aus, andere Kassen würden die Behandlung bei Dr.K. übernehmen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.1999 zurückgewiesen. Eine Kostenübernahme für eine
neue Behandlungsmethode komme nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur in Frage, wenn der
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen für diese Behandlungsmethode eine Empfehlung über die
Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens abgegeben habe. Dies sei vorliegend nicht
geschehen.
Mit der hiergegen zum Sozialgericht München erhobenen Klage beantragte der Klägerbevollmächtigte weiterhin die
Erstattung der Kosten für Behandlung durch Dr.K. , die sich vom 25.02.1999 bis 31.05.1999 auf über 80.000,00 DM
beliefen. Er wies im Klagebegründungsschreiben daraufhin, die Beklagte habe den Ehemann der Klägerin darüber
informiert, Herceptin könne bei Teilnahme der Klägerin an einer klinischen Studie übernommen werden. Die Klägerin
habe dies abgelehnt. Die Klägerin sei heute krebsfrei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 24. Oktober 2001 abgewiesen. Die Voraussetzungen des als einzige
Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 13 Abs.3 SGB V seien nicht gegeben. Die Therapie von Dr.K. gehöre
nicht zu den Leistungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen seien. Gemäß § 135
Abs.1 SGB V seien derartige neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur abrechnungsfähig, wenn der
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Richtlinien Empfehlungen über die Anerkennung des
diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben habe. Auf die Therapie von Dr.K. treffe
dies nicht zu. Außerdem habe es auf Grund des überzeugenden Gutachtens des MDK für die Wirksamkeit der von
Dr.K. angewandten Therapie zum maßgebenden Zeitpunkt der Durchführung keine wissenschaftlich gesicherte
Grundlage gegeben. Die Therapie habe sich auch nicht in der medizinischen Praxis bereits durchgesetzt.
Zur Begründung der gegen dieses Urteil eingelegten Berufung trägt der Klägerbevollmächtigte vor, das Sozialgericht
sei zu Unrecht davon ausgegangen, für die Wirksamkeit der bei der Klägerin angewandten Therapie habe es zum
maßgeblichen Zeitpunkt der Durchführung der Behandlung keine wissenschaftlich gesicherte Grundlage gegeben. Das
Gutachten lasse fehlende Objektivität, mangelnde Distanz und Übereifer erkennen. Unter Darstellung der
Wirkungsweise und der Vorteile des Verfahrens des Dr.K. und Vorlage zahlreicher Anlagen betrachet die Klägerseite
die Methode als wissenschaftlich anerkannt. Der Senat befragte daraufhin Prof.Dr.E. , Chefarzt der Frauenklinik vom
Roten Kreuz, M. , ob die von Dr.K. bei der Klägerin angewendete Methode bereits 1999 wissenschaftlich anerkannt
war. In der gutachterlichen Stellungnahme führt Prof.Dr.E. aus, nach Aktenlage habe Dr.K. die Patientin im Jahre
1999 bei einem metastasierten Mamma-Karzinom mit einer Kombination aus Herceptin, Heat-Schock Protein Vaccine
(folgend HSP-Vaccine genannt) und Lymphokin-aktivierten Killerzellen (folgend LAK genannt) behandelt. Im Jahr 1999
sei Herceptin in Deutschland noch nicht zugelassen gewesen, das Medikament habe die Zulassung im September
1998 für die USA und im Oktober 2000 für Deutschland erhalten. Im Jahre 1999 durfte Herceptin in Deutschland
lediglich im Rahmen von kontrollierten Studien bei geeigneten Patientinnen verabreicht werden. Die Tumore mussten
den humanen epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor 2 (HER2-Protein) überexprimieren. Nur dann sei eine
Behandlung mit Herceptin nach wissenschaftlich anerkannten Kenntnissen sinnvoll. Einen gemäß der medizinischen
Vorgaben durchgeführten Test zur Überprüfung dieser Überexpression bleibe Dr.K. nach Aktenlage schuldig. Seit der
Zulassung in den USA werde Herceptin außerhalb von Studienprotokollen entweder als Monotherapie oder in
Kombination mit dem Chemotherapeutikum Paclitaxel verwendet. Eine Kombination mit HSP-Vaccinen oder LAK sei
nicht wissenschaftlich anerkannt überprüft.
HSP-Vaccine und Lymphokin aktivierte Killerzellen seien weder 1999 noch heute wissenschaftlich anerkannt.
Angenommen, der Tumor der Klägerin hätte HER2 überexprimiert, dann wäre im Rahmen von großen
Therapieprotokollen an geeigneten Kliniken 1999 schon die Möglichkeit vorhanden gewesen, die Patientin mit
Herceptin zu behandeln. Zusammenfassend könne die Beweisfrage also dahingehend beantwortet werden, dass die
von Dr.K. angewendete Methode 1999 wissenschaftlich nicht anerkannt war.
Der Bevollmächtigte der Klägerin wendet hiergegen ein, der Test sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Er legt
außerdem ein Schreiben des Dr.K. vom 03.02.2004 vor, worin dieser die Kompetenz des Sachverständigen
anzweifelt.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 24.10.2001 und den Bescheid der Beklagten vom
10.05.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.10.1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
ihr die Kosten der Behandlung durch Dr.K. in Höhe von 84.173,91 DM (umgerechnet in Euro) zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils und darauf, dass die begehrte Kostenerstattung
ausgeschlossen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten
beider Rechtszüge und die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die wegen der Höhe des Beschwerdewertes nicht
gemäß § 144 SGG der Zulassung bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.
Als Rechtsgrundlage des erhobenen Anspruchs kommt nur § 13 Abs.3 SGB V in Betracht. Danach sind dem
Versicherten Kosten einer selbst beschafften Leistung in der erstandenen Höhe zu erstatten, wenn die Leistung
unaufschiebbar war und die Krankenkasse sie nicht rechtzeitig erbringen konnte oder wenn die Krankenkasse die
Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Es kann unentschieden bleiben, ob es sich bei der Behandlung durch Dr.K. um
eine unaufschiebbare Leistung im Sinne der 1. Alternative des § 13 Abs.3 SGB V gehandelt hat und wenn nicht,
welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass die Klägerin mit der Behandlung begonnen hat, bevor die Beklagte
Gelegenheit hatte, über die Kostenübernahme zu entscheiden (siehe hierzu Beschluss des Bundessozialgerichts vom
15.04.1997, SozR 3-2500 § 13 Nr.15). Das Sozialgericht hat nämlich zutreffend ausgeführt, dass die
Voraussetzungen des § 13 Abs.3 SGB V deshalb nicht erfüllt sind, weil die Therapie des Dr.K. nicht zu den
Leistungen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind. Bei der Therapie
handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, für die gemäß § 135 Abs.1 SGB V in der
vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen eine Leistungspflicht nur dann in Betracht kommt, wenn
der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) in Richtlinien nach § 92
Abs.1 Satz 2 Nr.5 SGB V Empfehlungen über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der
neuen Methode abgegeben hat. Dies ist bei der Therapie des Dr.K. nicht der Fall. Eine Entscheidung des
Bundesausschusses liegt nicht vor. Das Sozialgericht hat im Urteil zutreffend ausgeführt, dass dann nach der
Rechtsprechung des BSG zu prüfen ist, ob die fehlende Anerkennung des Therapieverfahrens auf einem Mangel des
gesetzlichen Leistungssystems beruht, dass also ein Systemversagen vorliegt. Nach dem Bundessozialgericht (Urteil
vom 28.03.2000; a.a.O.), ist der Bundesausschuss, soweit seine Zuständigkeit reicht, verpflichtet, zeitnah über den
diagnostischen und therapeutischen Nutzen einer neuen Methode zu entscheiden.
Im Senat zu entscheidenden Fall muss über etwaige Versäumnisse des Bundesausschusses oder der nach § 135
Abs.1 SGB V antragsberechtigten Stellen nicht abschließend entschieden werden. Auch wenn man zugunsten der
Klägerin solche Versäumnisse unterstellte, begründete das keine Leistungspflicht der Beklagten. In diesem Fall muss
nämlich überprüft werden, ob die Behandlungsmethode dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen
Kenntnisse entspricht. Diese Überprüfung, die der Senat durch Einschaltung des Gutachters Prof.Dr.E. vorgenommen
hat, hat ergeben, dass die von Dr.K. angewendete Methode 1999 wissenschaftlich nicht anerkannt war. Das
Medikament Herceptin war in Deutschland noch nicht zugelassen, Heat-Schock-Protein-Vaccine und Lymphokin
aktivierte Killerzellen sind weder 1999 noch heute wissenschaftlich anerkannt. Diese Ausführungen des Gutachters
werden durch die Einwände des Dr.K. nicht in Frage gestellt.
Es besteht somit unter keinem rechtlichen Aspekt ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Klägerin.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich der
Senat anschließt, ist insoweit eindeutig.