Urteil des LSG Bayern vom 15.05.2003

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 15.05.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 34 AL 722/00
Bayerisches Landessozialgericht L 9 AL 403/01
Bundessozialgericht B 11 AL 193/03 B
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. September 2001 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird
nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Versagung von Insolvenzgeld streitig.
I.
Der am 1966 geborene Kläger, der bis 31.07.1998 als Berater bei der D. GmbH beschäftigt war, welche ab 01.01.1999
in S. GmbH umbenannt wurde, und aufgrund eines Aufhebungsvertrages zu diesem Zeitpunkt ausgeschieden war,
stellte am 22.10.1999 beim Arbeitsamt Rosenheim einen Antrag auf die Gewährung von Insolvenzgeld. Darin machte
er rückständiges Gehalt für Juli 1998 in Höhe von DM 10.462,09 netto sowie eine Urlaubsabgeltung für 60 Tage in
Höhe von DM 33.091,18 netto geltend. Durch Beschluss des Amtsgerichts Heidelberg - Insolvenzgericht vom
18.08.1999 wurde ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der S. GmbH mangels
Masse abgewiesen.
Laut Schreiben der Steuerberatungsgesellschaft des Klägers vom 19.10.1999 hat ihm diese Mitte September 1999
Kenntnis vom Insolvenzereignis verschafft. Der Kläger legte Kopien vollstreckbarer Urteile des Arbeitsgerichts Krefeld
vom 05.03.1999 sowie 26.03.1999 vor, die ihm laut Kopfleiste am 12.10. bzw. 30.09. 1999 von seinen
Prozessbevollmächtigten zugefaxt worden sind, welche ihn auch vor dem Arbeitsgericht und bei
Anfragen/Forderungsanmeldungen vor den Konkursgerichten Möchengladbach und Heidelberg vertreten hatten. Nach
Abgabe der Angelegenheit an das zuständige Arbeitsamt Heidelberg wurde der Antrag (Bescheid vom 10.01.2000) im
Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund des Insolvenzereignisses vom 18.08.1999 sei die
Ausschlussfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen am 18.10.1999 abgelaufen, der erst am 22.10.1999
eingegangene Antrag habe diese Frist verfehlt. Der Kläger sei bereits Mitte September 1999 von dem Beschluss des
Insolvenzgerichts vom 18.08.1999 in Kenntnis gesetzt worden, besondere Gründe für ein etwaiges
Nichtvertretenmüssen der Versäumnis seien nicht erkennbar. Nachdem im gerichtlichen Vorverfahren von der früheren
Bevollmächtigten zwei vorsorglich mündlich gestellte Anträge bei den Arbeitsämtern Heidelberg und Rosenheim
behauptet worden waren, wies die Beklagte nach Ermittlungen bei den genannten Ämtern den Rechtsbehelf
(Widerspruchsbescheid vom 11.04.2000) mit der Begründung zurück, telefonisch gestellte Anträge seien nicht
feststellbar. Eigenen Angaben zufolge sei der Kläger bereits Mitte September 1999 über das Insolvenzereignis
informiert gewesen, so dass bis zum Ablauf der Ausschlussfrist hinreichend Gelegenheit für eine Antragstellung
bestanden habe. Eine Nachfrist komme nicht in Betracht.
II.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) München trug der Kläger vor, bereits am 15.01.1999 beim
Konkursgericht Mönchen- gladbach und am 29.04.1999 beim Konkursgericht Heidelberg erfolglos angefragt zu haben.
Erst im September 1999 hätten seine Steuerberater ihn von dem zwischenzeitlich eingetretenen Insolvenzereignis in
Kenntnis gesetzt. Er habe sich stets bemüht, seine Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen, und vertrete die
Auffassung, der Gesetzgeber räume ihm nach Kenntniserlangung eine volle Zweimonatsfrist für die Antragstellung
ein.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung gab der Kläger an, der Vortrag seiner früheren Bevollmächtigten hinsichtlich
telefonisch gestellter Anfrage stamme nicht von ihm. Die 34. Kammer wies die Klage durch Urteil vom 20.09.2001 mit
der Begründung ab, Insolvenzgeld sei wegen der Versäumung der Ausschlussfrist des § 324 Abs.3 Satz 1 SGB III zu
Recht versagt worden. Eine rechtzeitige Antragstellung liege nach den Angaben des Klägers nicht vor. Der geltend
gemachte Hinderungsgrund für die rechtzeitige Antragstellung sei bereits im September 1999 weggefallen, so dass bis
zum Ablauf der Frist per 18.10.1999 noch hinreichend Zeit zur Geltendmachung gegeben gewesen sei. Aufgrund
dessen scheide die Einräumung einer Nachfrist aus.
III.
Im Berufungsverfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht (LSG) vertritt der Kläger die Auffassung, das
Erstgericht habe die Vorschrift des § 324 SGB III unzutreffend ausgelegt. Bei Wegfall des Hinderungsgrundes Mitte
September habe ihm keine volle Überlegungsfrist von zwei Monaten mehr zur Verfügung gestanden. Der am
22.10.1999 eingegangene Antrag sei jedoch innerhalb der nach seiner Auffassung ab Mitte September 1999 laufenden
zweimonatigen Nachfrist gestellt worden, so dass ihm Insolvenzgeld zustehe. An dieser Rechtsauffassung wurde
auch nach der Zuleitung des einschlägigen Urteils des BSG vom 10.04.1985, SozR 4100 § 141 e Nr.8 festgehalten.
Demgegenüber trägt die Beklagte vor, dass nach der Rechtsprechung des BSG selbst einem rechtsunkundigen
Arbeitnehmer eine generelle Überlegungsfrist von zwei Monaten ab der Kenntnis des Insolvenzereignisses nicht
zustehe. Insbesondere sei der ab Mitte September 1999 verbliebene Zeitraum bis zum Ablauf der Frist nicht
unangemessen kurz gewesen. Im Übrigen habe sich durch das Inkrafttreten der Vorschrift des § 324 Abs.3 SGB III
gegenüber der Vorgängerregelung des § 141 e Abs.1 Satz 2 und 3 AFG inhaltlich keine Änderung ergeben. Die
Rechtsprechung des BSG sei daher auch auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar, wie von der neueren
Kommentarliteratur ausdrücklich hervorgehoben werde.
Der Senat hat neben der Streitakte des ersten Rechtszuges die Insolvenzgeldakte der Beklagten beigezogen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des SG München vom 20.09.2001 sowie den Bescheid vom 10.01.2000 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Insolvenzgeld
im gesetzlich zustehenden Umfang zu gewähren.
Die Beklagte stellt den Antrag, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG München vom 20.09.2001
zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten
Streitakten beider Rechtszüge sowie der Akten der Beklagten Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift
der Senatssitzung vom 15.05.2003.
Entscheidungsgründe:
Die mangels einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere
form- und frist- gerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung des Klägers, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in
der Sache nicht begründet.
Streitgegenstand ist der Bescheid vom 10.01.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.04.2000, mit
dem Insolvenzgeld versagt worden ist. Zu Recht hat das SG die zutreffend erhobende Anfechtungs- und
Leistungsklage abgewiesen. Der Anspruch des Klägers ist nämlich wegen der Nichteinhaltung der materiellen
Ausschlussfrist des § 324 Abs.3 Satz 1 SGB III erloschen.
Angesichts des vorliegenden Beschlusses des zuständigen Insolvenzgerichtes vom 18.08.1999 steht das
Insolvenzereignis im Sinne des § 183 Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGB III datumsmäßig fest, § 26 Abs.2 Insolvenzordnung.
Die Antragsfrist hat damit ohne Rücksicht auf die Kenntnis des Klägers am Tag darauf (19.08. 1999) begonnen und
am 18.10.1999 geendet, § 26 SGB X i.V.m. §§ 187 Abs.1, 188 Abs.2 und 3, 193 BGB. Der erst am 22.10.1999 bei
der Beklagten eingegangene Antrag ist damit verfristet, so dass der mit dem Insolvenzereignis dem Grunde nach
entstandene Anspruch des Klägers erloschen ist.
Zwar bleibt es einem Beteiligten unbenommen, Fristen bis zu deren Ende auszuschöpfen. Die Einräumung einer
Nachfrist im Sinne des § 324 Abs.3 Satz 2 SGB III als einer spezialgesetzlichen Ausprägung der Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand setzt jedoch voraus, dass ein unverschuldetes Hindernis ursächlich für die Fristversäumnis war.
Das ist z.B. nicht der Fall, wenn das Hindernis wie hier vor Fristablauf weggefallen ist. Dem eigenen Vortrag des
Klägers zufolge bestand jedenfalls ab Mitte September 1999, also noch innerhalb der offenen Zweimonatsfrist,
hinreichend Gelegenheit zur rechtzeitigen Geltendmachung seines Anspruchs, wobei zur fristwahrenden Wirkung
Unterlagen oder Beweismittel nicht hätten vorgelegt werden müssen, vgl. BSG SozR 4100 § 141 e AFG Nr.8. Im
Übrigen hat der Kläger nach Aktenlage am 30.09.1999 bzw. am 12.10.1999 von seinen Prozessbevollmächtigten, die
ihn bereits in den oben angeführten Arbeitsgerichtsverfahren und vor dem Insolvenzgericht vertreten haben,
Faxkopien der Urteile vom 05.03.1999 und 26.03.1999 zur Vorlage beim Arbeitsamt erhalten.
Es wäre ihm bei der Gelegenheit zumutbar und möglich gewesen, unabhängig davon, ob die in jenen Angelegenheiten
erteilte seinerzeitige Vollmacht ausdrücklich auf die Verfolgung seiner Ansprüche gegenüber den Arbeits- und
Insolvenzgerichten beschränkt war oder die Wahrnehmung seiner Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis auch sich
zweckmäßig - zumindest einem rechtskundigen Bevollmächtigten - aufdrängende naheliegende
Gestaltungsmöglichkeiten aus dem Sozialrecht (Insolvenzgeld) umfasst hat, von diesen einen verbindlichen Rechtsrat
einzuholen. Bei der Sachlage kommt es auf die Prüfung der weiteren materiellen Voraussetzungen des geltend
gemachten Anspruchs nicht mehr an.
Der Senat schließt sich im Übrigen den zutreffenden und überzeugenden Ausführungen der erstinstanziellen
Entscheidung an und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Urteilsgründe ab, § 153 Abs.2 SGG, zumal die
vom Kläger vertretene Rechtsauffassung weder in der herrschenden Rechtsprechung noch in der juristischen Literatur
geteilt wird.
Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang
konnte die Beklagte, welche für das Berufungsverfahren keine Veranlassung gegeben hat, nicht zur Erstattung der
Aufwendungen verpflichtet werden, die dem Kläger zu dessen zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstanden
sind.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor. Weder wirft dieses Urteil
nämlich eine entscheidungserhebliche höchstrichterlich bisher nicht geklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art auf,
noch weicht es ab von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des
Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts und beruht hierauf.