Urteil des LSG Bayern vom 19.02.2002

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.02.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 8 AL 456/97
Bayerisches Landessozialgericht L 11 AL 220/98
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27. Mai 1998 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Ruhen von Arbeitslosenhilfe (Alhi) wegen Eintritts einer Sperrzeit nach der
konkludenten Ablehnung einer von der Beklagten vermittelten Arbeit streitig.
Der Kläger bezog seit 1993 Anschluss-Arbeitslosenhilfe (Alhi). Mit Bescheid vom 09.04.1996 war ihm Alhi für die Zeit
vom 28.03.1996 bis 27.03.1997 und mit Bescheid vom 06.03.1997 Alhi ab 28.03.1997 für ein weiteres Jahr bewilligt
worden.
Mit Formblattschreiben der Beklagten vom 13.03.1997 wurde dem Kläger ein Arbeitsangebot für eine Helfertätigkeit
bei Herrn S. P. , der einen Partyzelt-Verleih betrieb, übermittelt. Der Kläger stellte sich am 18.03.1997 nachmittags
bei Herrn P. vor. Es kam nicht zu einer Einstellung. Herr P. gab gegenüber der Beklagten an, der Kläger sei beim
Vorstellungsgespräch aggressiv, frech sowie angetrunken gewesen und habe die angebotene Arbeit mit "Scheiß-
Arbeit" bezeichnet. Er, P. , habe den Kläger schließlich von seinem Anwesen verwiesen.
Der Kläger bestritt diese Angaben. Er habe sich ordnungsgemäß und höflich verhalten und sei bereit gewesen, die
angebotene Arbeit anzutreten.
Die Beklagte hielt die Angaben des Herrn P. für glaubhaft und stellte eine Sperrzeit mit dem Ruhen des Alhi-
Anspruchs für die Zeit vom 19.03.1997 bis 10.06.1997 fest und verlangte die Erstattung von bereits gezahlter Alhi für
den Zeitraum vom 19.03.1997 bis 03.04.1997 in Höhe von 488,40 DM und der darauf entfallenen
Krankenkassenbeiträge in Höhe von 166,88 DM (Bescheid vom 11.04.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom
03.06.1997).
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg ist Herr P. als Zeuge vernommen worden. Er hat seine bisherigen
Aussagen bestätigt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 27.05.1998 abgewiesen. Es ist den Angaben des
Zeugen P. gefolgt und hielt damit eine konkludente Arbeitsablehnung des Klägers für gegeben.
Das Urteil ist dem Kläger am 19.06.1998 zugestellt worden. Dagegen hat er am 06.07.1998 Berufung eingelegt.
Der Kläger macht geltend, er sei bei dem Vorstellungsgespräch nicht betrunken gewesen. Er habe sich beim
Vorstellungsgespräch höflich und korrekt verhalten. Die Aussagen des Zeugen P. seien falsch.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27.05.1998 und der Bescheid der Beklagten vom 11.04.1997 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.06.1997 werden aufgehoben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung ihres Antrags auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 03.06.1997. Die
Zeugenaussagen des Herrn P. hätten die konkludente Ablehnung des vermittelten Arbeitsangebotes bewiesen. Es
bestehe kein Grund zur Annahme, dass die Zeugenaussage nicht der Wahrheit entspreche. Der Zeuge habe als
Außenstehender kein Interesse an dem Ausgang des Verfahrens.
Der Senat hat den Zeugen P. erneut vernommen. Bezüglich des Ergebnisses dieser Zeugenvernehmung wird auf die
protokollierte Aussage im Terminsprotokoll verwiesen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird ferner auf das erstinstanzliche Urteil und die beigezogene Akte des
Sozialgerichts Nürnberg, insbesondere auf das Terminsprotokoll vom 27.05.1998 und auf den Inhalt der beigezogenen
Akten der Beklagten (Stamm-Nr 61069) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig (§§ 143 ff Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet.
In der Zeit vom 19.03.1997 bis 10.06.1997 (12 Wochen) ruhte die Alhi des Klägers wegen einer Sperrzeit (§ 134 Abs 4
Arbeitsförderungsgesetz - AFG - iVm §§ 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2, 119 a AFG), denn der Kläger hatte am 18.03.1997 die
Arbeit bei dem Zeugen P. konkludent abgelehnt.
Ein entsprechendes Verhalten des Klägers hat der Zeuge P. gegenüber der Beklagten schon unmittelbar nach dem
Vorstellungsgespräch geschildert und am 27.06.1998 detailliert in seiner Zeugenaussage vor dem Sozialgericht
bestätigt. Auch vor dem Senat hat der Kläger seine erstinstanzliche Zeugenaussage im Kern wiederholt.
Der Zeuge hat - worauf die Beklagte und das Sozialgericht schon hingewiesen haben - kein erkennbares Interesse am
Ausgang des Verfahrens. Er war als Zeuge mit Hinweis auf die strafrechtlichen Folgen einer Falschaussage belehrt
worden. Er machte bei seiner Aussage vor dem Senat einen glaubwürdigen Eindruck. Der Senat ist deshalb von der
Richtigkeit der Aussage des Zeugen überzeugt.
Der Zeuge hat ausgesagt, dass der Kläger ihm gegenüber eine bedrohliche Haltung beim Einstellungsgespräch
angenommen und die zu übernehmende Arbeit mehrfach als "Scheiß-Arbeit" bezeichnet habe. Diese Handlungen sind
in der gegebenen Situation eines Einstellungsgespräches als bewusste Ablehnung der vermittelten Arbeit zu werten.
Kein verständiger Arbeitgeber wird einen Arbeitnehmer einstellen, der im Vorstellungsgespräch ihm gegenüber eine
bedrohliche Haltung einnimmt, und kein verständiger Arbeitgeber wird einem Arbeitnehmer eine Arbeit anvertrauen, die
der Arbeitnehmer mehrfach als "Scheiß-Arbeit" bezeichnet hat. Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass der
Kläger sich der abschreckenden Wirkung seines Verhaltens nicht bewusst war. Der Kläger hat somit die vermittelte
Arbeit zur Überzeugung des Senats konkludent abgelehnt.
Auf die Frage, ob der Kläger bei dem Vorstellungsgespräch möglicherweise betrunken war, kommt es nicht an. Einem
entsprechenden Gegenbeweisangebot des Klägers musste deshalb nicht nachgegangen werden.
Gemäß §§ 134 Abs 4 AFG iVm § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG, 119 a AFG trat eine Sperrzeit von 12 Wochen ein,
wenn der Arbeitnehmer trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt angebotene Arbeit ohne wichtigen
Grund nicht angenommen hatte.
Der Kläger ist durch das Vermittlungsformblattschreiben über die Rechtsfolgen einer Arbeitsablehnung belehrt worden.
Ein wichtiger Grund für die Arbeitsablehnung des Klägers ist nicht zu erkennen. Nach den für den Eintritt der Sperrzeit
maßgeblichen Tatsachen ist auch keine besondere Härte gegeben (§ 119 Abs 2 AFG).
Dem Kläger stand demnach materiell-rechtlich Alhi für den Zeitraum von 12 Wochen vom Tag nach der
Arbeitsablehnung an, dh vom 19.03.1997 bis 10.06.1997, nicht zu.
Die insofern unrichtige Alhi-Bewilligung hat die Beklagte gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X iVm § 152 Abs 3 AFG
für die Zeit vom 19.03.1997 bis 27.03.1997 und gemäß § 45 Abs 1, Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X iVm § 152 Abs 2 AFG
für den Zeitraum vom 28.03.1997 bis 10.06.1997 zu Recht aufgehoben. Denn der über die Rechtsfolgen einer
Arbeitsablehnung belehrte Kläger wusste oder wusste nur, weil er grob fahrlässig war, nicht, dass sein Alhi-Anspruch
wegen seines Verhaltens gegenüber dem Zeugen P. zum Ruhen gekommen war.
Der Kläger ist deshalb verpflichtet, die wegen der aufgehobenen Bewilligungen gezahlte Alhi zu erstatten (§ 50 Abs 1
SGB X), ebenso die auf die zu erstattende Alhi geleisteten Krankenkassenbeiträge (§ 157 Abs 3 a AFG).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27.05.1998 war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung resultiert aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben (§ 160 SGG).