Urteil des LSG Bayern vom 30.10.2002

LSG Bayern: chirurg, arthrose, belastung, fraktur, arbeitsunfall, behandlung, kernspintomographie, unfallfolgen, ergänzung, leistungsanspruch

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.10.2002 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 4 U 267/99
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 343/01
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27.09.2001 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 1973 geborene Kläger erlitt am 31.05.1996 auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz einen Unfall, als er mit dem
Motorrad von einem Pkw erfasst wurde.
Der Durchgangsarzt, der Chirurg Dr.F. vom Klinikum S. , A. , diagnostizierte am 31.05.1996 einen Eminentia-
intercondylica-Ausriss rechts mit Hämarthros, Außenknöchelfraktur, Schürfwunde linke Flanke, kleine Risswunde D5
rechts. Am 02.06.1996 wurde der Kläger ins Bundeswehrkrankenhaus A. verlegt. Der Chirurg Dr.H. berichtete, nach
stationärer Behandlung vom 02.06. bis 17.07.1996 sei der Kläger in gutem Allgemeinzustand entlassen worden. Eine
tiefe Beinvenen- thrombose mit Lungenembolie war abgeheilt. Die konservative Behandlung mit vorsichtiger
Krankengymnastik wurde fortgesetzt. Die Röntgenverlaufskontrolle zeigte am 07.08.1996, dass das riesige Fragment
der Tibiakopffraktur knöchern im Einbau begriffen war. Die Sprunggelenksfraktur war knöchern belastungsstabil fest.
Am 03.09.1996 war volle Belastung des Beines möglich. Das Knochenfragment war knöchern weitgehend eingebaut,
die Frakturspalte war noch andeutungsweise sichtbar.
Der Orthopäde Dr.L. führte im Bericht vom 16.01.1997 aus, Tibiakopf- und Sprunggelenksfraktur seien in guter
Stellung verheilt. Degenerative Aufbraucherscheinungen fänden sich nicht. Das rechte Kniegelenk sei frei beweglich,
das Sprunggelenk in der Beugung um 5 ° eingeschränkt. Am 31.01.1997 wurde der Kläger in der Universitätsklinik R.
ensburg untersucht. Das Risiko des Auftretens von erneuten thromboembolischen Ereignissen sei erhöht. Am
03.03.1997 berichtete der Allgemeinarzt Dr.D. über eine Bewegungseinschränkung im rechten Knie- und
Sprunggelenk.
Im Gutachten vom 06.07.1997 führte der Chirurg Dr.P. aus, das rechte Sprunggelenk sei in achsengerechter Stellung
mit initialen arthrotischen Veränderungen ausgeheilt. Es bestehe eine minimale Bewegungseinschränkung und
geringgradige Kraftminderung. Die MdE werde vom 05.09.1996 bis 04.09.1997 mit 20 v.H., anschließend mit 10 v.H.
bewertet.
Im Gutachten vom 22.11.1996 für das Arbeitsamt Schwandorf führte Dr.M. aus, es bestünden noch glaubhafte
Belastungsbeschwerden. Das rechte Kniegelenk werde voraussichtlich in Zukunft nicht mehr voll belastbar sein.
Erschwerend wirke sich das massive Übergewicht aus. Dr.N. äußerte im Gutachten vom 21.05.1997 für den MDK, es
bestünden nach wie vor unter Belastung mäßiggradige Beschwerden im Bereich des rechten Kniegelenks besonders
bei extremer Beugung und Tätigkeiten in der Hocke.
Dr.P. kam im Gutachten vom 05.12.1998 zu dem Ergebnis, am Kniegelenk bestehe noch eine endgradige
Einschränkung der Beweglichkeit, am Sprunggelenk eine geringgradige Bewegungseinschränkung mit Aufhebung der
Dorsalflexion sowie minimale Kraftminderung bei Widerstandsbewegungen. Die MdE sei bis 30.04.1999 auf 20 v.H.,
danach voraussichtlich auf 15 v.H. einzuschätzen.
Mit Bescheid vom 10.02.1999 hat die Beklagte wegen der Folgen des Arbeitsunfalles eine vorläufige Rente in Höhe
von 20 v.H. bis 30.04.1998 gewährt. Über den 30.04.1998 hinaus bestehe kein Rentenanspruch, da eine MdE in
rentenberechtigender Höhe nicht mehr vorliege.
Der Orthopäde Dr.H. führte im Gutachten vom 26.10.1998, das im Auftrag des Klägers erstattet wurde, aus, es
bestünden eine mit knöcherner Unregelmäßigkeit konsolidierte Ausrissfraktur, Bewegungseinschränkung,
schmerzhafte Minderbelastbarkeit des rechten Kniegelenks, muskuläre Insuffizienz der Beinmuskulatur, knöchern
konsolidierter Außenknöchelbruch, Funktionseinschränkung, schmerzhafte Minderbelastbarkeit des Fußgelenks,
Schwellneigung, beginnende Sekundärarthrose. Es ergebe sich eine Gebrauchsminderung des rechten Beines in Höhe
von 1/5 Beinwert.
Den Widerspruch vom 02.03.1999 begründete der Kläger damit, es hätte keine vorläufige Verletztenrente, sondern
eine Dauerrente bewilligt werden müssen. Dr.P. führte in der Stellungnahme vom 25.04.1999 aus, zum
Untersuchungszeitpunkt sei von einer deutlichen Funktionsbesserung innerhalb der nächsten Monate auszugehen
gewesen. Ab 01.06. sei die MdE unter Dauerrentengesichtspunkten mit 15 v.H. befundangemessen bewertet. Die
Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.1999 zurück. Dauerrentenzeitpunkt sei Mai
1998. Dr.P. halte unter Dauerrentengesichtspunkten nur eine MdE von unter 20 v.H. für angezeigt.
Mit der Klage vom 09.08.1999 hat der Kläger weiterhin eine Dauerrente wegen der Folgen des Unfalles über den
30.04.1998 hinaus begehrt.
Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr.H. hat im Gutachten vom 07.01.2000
zusammenfassend erklärt, belangvolle Funktionseinbußen am rechten Knie und am Sprunggelenk seien nicht
verblieben. Die MdE sei ab 01.05.1998 auf 10 v.H. einzuschätzen.
Der auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr.S. hat im
Gutachten vom 03.05.2000 ausgeführt, es bestünden noch eine deutliche Einschränkung der Beweglichkeit des
Kniegelenks und eine deutliche Verschmächtigung der Ober- und Unterschenkelmuskulatur, so dass auch die
Stabilität des Kniegelenks eingeschränkt sei. Außerdem seien eine Bewegungseinschränkung im oberen
Sprunggelenk, ein Instabilitätsgefühl sowie eine beginnende Sprunggelenksarthrose rechts gegeben. Durch
Fehlbelastung sowie durch eine nicht sicher ausschließbare LWK 5-Deckplattenfraktur komme es zu einer
Schmerzsituation im Bereich der LWS. Die MdE sei ab 01.05.1998 auf 25 v.H. einzuschätzen.
Die Beklagte hat hierzu eine Äußerung des beratenden Chirurgen Dr.G. vorgelegt, der ausgeführt hat, bezüglich des
angeblich mittelbaren Unfallbefundes L5/S1 sei kein Unfallzusammenhang erkennbar. Zweifelhaft sei auch die
angebliche Bandinstabilität, die früher nie festgestellt worden sei.
Dr.H. hat in der gutachtlichen Stellungnahme vom 13.09. 2000 erläutert, eine belangvolle Kniegelenksinstabilität
rechts könne kaum bestehen, insbesondere nicht im Hinblick auf die kernspintomographischen Befunde vom
03.05.2000. Auch lasse sich kein Indiz für eine Beteiligung der Wirbelsäule am Unfallereignis finden. Das Gutachten
des Dr.S. lasse eine plausible Begründung der einzelnen Feststellungen vermissen.
Der vom SG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr.G. hat im Gutachten vom 12.02.2001
ausgeführt, Folgen des Unfalls seien eine knöchern fest verheilte Ausrissfraktur am Kniegelenk ohne
Funktionseinbußen, eine knöchern in achsengerechter Stellung verheilte Fraktur des Außenknöchels ohne
Funktionseinbuße sowie ein vermehrter Umfang des rechten Unterschenkels nach tiefer Beinvenenthrombose. Die
MdE sei mit 0 v.H. zu bewerten. In der ergänzenden Stellungnahme vom 19.07.2001 hat Dr.G. festgestellt, Befunde
an der Lendenwirbelsäule seien erstmals von Dr.S. beschrieben worden, ohne dass vorher Hinweise auf Beschwerden
gegeben gewesen seien. Aus dem MRT lasse sich kein Unfallzusammenhang begründen. Eine
Bewegungseinschränkung im unteren Sprunggelenk sei nicht gegeben. Dies hätten auch Dr.P. , Dr.H. und Dr.H.
festgestellt. Selbst bei Annahme der von Dr.S. angegebenen Bewegungseinschränkung würde die MdE bei 10 v.H.
und nicht bei 20 v.H. liegen. Das von Dr.S. beschriebene Streckdefizit des Kniegelenks könne nicht nachvollzogen
werden. In den Gutachten von Dr.P. , Dr.H. und Dr.H. finde sich kein Hinweis für ein instabiles Kniegelenk.
Mit Urteil vom 27.09.2001 hat das SG die Klage abgewiesen. Im Hinblick auf die überzeugenden Ausführungen von
Dr.H. und Dr.G. seien belangvolle Funktionseinbußen am Knie- und Sprunggelenk nicht anzunehmen. Eine
unfallbedingte Lendenwirbelsäulenverletzung sei erstmals von Dr.S. behauptet worden, ohne dass entsprechende
überzeugende Befunde vorlägen.
Zur Begründung der Berufung vom 09.11.2001 verweist der Kläger auf das Gutachten des Dr.S ...
Der vom Senat zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr.F. kommt im Gutachten vom 20.06.2002 zu
dem Ergebnis, beide Kniegelenke könnten nur bis 120 ° gebeugt werden, was sich in erster Linie durch die extreme
Übergewichtigkeit erkläre. Die Arthrose sei bislang nicht ausgeprägt und mit keinem Funktionsdefizit verbunden. Die
minimale Lockerung des Kreuzbandapparates rechts gegenüber links lasse zusammen mit der Muskelminderung am
Oberschenkel, die Hinweis auf eine Minderbelastbarkeit des Kniegelenks sei, und auch im Hinblick auf eine leichte
Überwärmung sowie unter Berücksichtigung der am rechten Sprunggelenk etwas stärker als links ablaufenden
degenerativen Veränderungen eine MdE von 10 v.H. noch begründen. In zeitlichem Zusammenhang mit dem
Unfallgeschehen seien keinerlei Hinweise auf eine Mitbeteiligung der Lendenwirbelsäule gegeben. Die vage
Verdachtsdiagnose könne keine Basis für die Feststellung von Unfallfolgen sein.
Der Kläger stellt die Anträge aus dem Schriftsatz vom 09.11.2001, hilfsweise beantragt er die Zulassung der Revision.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der
Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die Entscheidung des Rechtsstreits richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der
geltend gemachte Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden
Leistungsanspruch vor dem 01.01.1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII i.V.m. § 580
RVO).
Der Kläger hat unstreitig am 31.05.1996 einen Arbeitsunfall (§ 548 RVO) erlitten. Eine MdE von mindestens 20 v.H.
der Vollrente, die Voraussetzung für einen Anspruch auf Verletztenrente wäre (§§ 580 Abs.1, 581 Abs.1 RVO) liegt
aber über den 30.04. 1998 hinaus nicht vor. Der Arbeitsunfall vom 31.05.1996 hat keine wesentlichen Folgen, die eine
MdE über 10 v.H. bedingen würden, zurückgelassen. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund des
schlüssgen Gutachtens des Orthopäden Dr.F. vom 20.06.2002.
Entscheidend für die Beurteilung, wie hoch die MdE zu bewerten ist, ist die Frage, in welchem Umfang
Funktionsstörungen als Folge des Unfalls verblieben sind, inwieweit Bänderlockerun- gen, eine Arthrose oder
Reizzustände festzustellen sind. Wie Dr.F. erläutert, ergibt sich kein Bewegungsverlust des rechten Kniegelenks
gegenüber dem linken. Beide Kniegelenke können nur bis 120 ° gebeugt werden. Dies ist aber in erster Linie
mechanisch durch die extreme Übergewichtigkeit des Klägers zu erklären. Bei einer Größe von 1,85 Meter beträgt das
Gewicht des Klägers über 150 Kilogramm; damit war das Ende der Anzeige der Waage bei Dr.F. erreicht. Zwar hat
Dr.F. eine Arthrose festgestellt, die aber nicht ausgeprägt ist und zu keinem Funktionsdefizit geführt hat. Somit hat
sie bei der Beurteilung der Höhe der MdE unberücksichtigt zu bleiben. Die minimale Lockerung des
Kreuzbandapparates rechts gegenüber links lässt, so Dr.F. , zusammen mit der Muskelminderung am rechten
Oberschenkel, die Hinweis auf eine Minderbelastbarkeit des rechten Kniegelenks ist und auch im Hinblick auf die
leichte Überwärmung des rechten Kniegelenks, sowie unter Berücksichtigung der am rechten Sprunggelenk etwas
stärker ablaufenden degenerativen Veränderungen eine MdE von 10 v.H. begründen. Im Hinblick auf die eindeutig zu
verifizierenden posttraumatischen morphologischen Strukturveränderungen am rechten Knie- und Sprunggelenk, den
leichten Reizzustand und die Muskelminderung am rechten Oberschenkel, die immerhin zwei Zentimeter beträgt, ist,
wie Dr.F. überzeugend erläutert, die MdE mit 0 v.H., wie von Dr.G. vorgeschlagen, zu niedrig bewertet.
Andererseits ist eine MdE von 25 v.H., wie sie Dr.S. angenommen hat und wie sie der Kläger mit der Berufung
begehrt, nicht zu begründen. Die von Dr.S. durchgeführte Kernspintomographie des rechten Kniegelenks erbrachte,
wie Dr.F. erläutert, keinen Hinweis auf einen Kniebinnenschaden außer einer Innenmeniskushinterhornveränderung.
Die Kernspintomographie des rechten Sprunggelenks zeigte die schon auf den Röntgenübersichtsaufnahmen zu
sehenden beginnenden sekundärarthrotischen Veränderungen, die Dr.F. bei der MdE-Bewertung berücksichtigt hat.
Wie Dr.F. betont, ist der Aussagewert dieser Untersuchungen insofern eingeschränkt, als Kontrolluntersuchungen am
linken Knie und linken Sprunggelenk nicht durchgeführt wurden.
Die Auffassung von Dr.S. , eine Fraktur des 5. Lendenwirbelkörpers sei nicht sicher auszuschließen, ist durch
medizinische Befunde nicht begründet. Der Chirurg Dr.F. diagnostizierte am 31.05.1996 einen Außenknöchelbruch,
einen Ausriss des Kreuzbandansatzes am Kniegelenk mit blutigem Gelenkserguss sowie eine Schürfwunde an der
linken Flanke und eine kleine Risswunde am 5. Finger rechts. Die von Dr.S. angenommene Deckplattenfraktur des 5.
Lendenwirbelkörpers wurde von Dr.F. ebenso wenig erwähnt wie von den behandelnden Ärzten im
Bundeswehrkrankenhaus Amberg oder von Dr.P. in den Gutachten vom 06.07.1997 und 05.12.1998. Im Übrigen hat
der Kläger Beschwerden, die sich auf die von Dr.S. vermutete Verletzung der Lendenwirbelsäule beziehen könnten,
nie angegeben, auch nicht gegenüber Dr.F. , wo er lediglich Beschwerden im rechten Knie und im rechten
Sprunggelenk erwähnte.
Bezüglich der Höhe der MdE ist auch zu berücksichtigen, dass Prof.Dr.B. am 31.01.1997 eine Harnsäureerhöhung
festgestellt hat, die, wie Dr.F. erklärt, für die beginnenden Verschleißerscheinungen des linken Sprung- und
Kniegelenks verantwortlich sein dürfte und somit auch für einen geringen Teil der Gesundheitsstörungen am rechten
Knie- und Sprunggelenk.
Was die von Dr.P. vorgeschlagene MdE von 20 v.H. betrifft, so ist zu berücksichtigen, dass die von ihm
angenommene endgradige Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Kniegelenks von Dr.F. nicht bestätigt werden
konnte. Das retropatellare Reiben, das Dr.P. erwähnt, ist, wie Dr.F. erläutert, links, also am nicht verletzten Knie,
deutlicher als rechts tastbar. Auch eine geringgradige Bewegungseinschränkung im oberen Sprunggelenk mit
Aufhebung der Dorsalflexion war von Dr.F. nicht festzustellen, da die Sprunggelenke bei der Untersuchung am
18.06.2002 seitengleich bewegt werden konnten.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.