Urteil des LSG Bayern vom 27.03.2003

LSG Bayern: vertrauensschutz, arbeitsentgelt, tarifvertrag, beitragsforderung, verwirkung, beitragspflicht, anschluss, fälligkeit, versicherungsträger, öffentlich

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 27.03.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 13 RA 384/01
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 237/02
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Oktober 2002 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen.
Der Kläger betreibt ein Geschäft für Bürobedarf, Büromaschinen, Schreibwaren und einen Buchhandel. Die Beklagte
führte bei ihm am 20.11.2000 eine Betriebsprüfung für die Zeit vom 01.01.1996 bis 31.10.2000 durch. Hierbei
beanstandete sie, dass der Kläger acht Arbeitnehmerinnen ein zu geringes Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld gezahlt
habe. Es sei damit von den allgemein verbindlich erklärten Tarifverträgen für den Einzelhandel in Bayern abgewichen
worden, die von 1996 bis 1999 gegolten haben.
Die Beklagte erließ am 12.04.2001 einen Bescheid, mit dem sie Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt
9.976,22 DM nachforderte. Die Entlohnung der beschäftigten Arbeitnehmer sei nicht entsprechend den für allgemein
verbindlich erklärten Tarifverträgen für den Einzelhandel erfolgt. Ein Entgeltanspruch mindestens in Höhe des im für
allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages festgesetzten Lohnes könne von den Parteien eines Arbeitsvertrages,
die der Geltung dieses Tarifvertrages unterlägen, nicht rechtswirksam unterschritten werden. Die Höhe des
Beitragsanspruches richte sich grundsätzlich nach den tatsächlich erhaltenen Einnahmen, darüber hinaus aber auch
nach den vom Arbeitgeber geschuldeten Leistungen. Im bayerischen Einzelhandel sei der Tarifvertrag über
Sonderzahlungen sowie der Lohn- und Gehaltstarifvertrag als allgemein verbindlich erklärt worden. Hierbei stehe allen
Beschäftigten Urlaubsgeld in Höhe von 50 v.H. (bis 31.12.1997 55 v.H.) des jeweiligen Endgehalts der
Beschäftigungsgruppe II Ortsklasse 1 sechs Berufjahre zu. Die jährliche Sonderzuwendung betrage 62,5 % (bis
31.12. 1996 60 %) des zustehenden monatlichen tariflichen Entgelts. Diese zustehenden Sonderzahlungen unterlägen
der Beitragspflicht in der Sozialversicherung. In der Anlage des Bescheides wurde die Beitragsforderung nach
Arbeitnehmern und Kalenderjahren sowie Versicherungszweigen aufgeschlüsselt.
Der Kläger machte mit dem Widerspruch vom 16.05.2001 geltend, in Betriebsprüfungen sei bisher stets das
gesetzlich geregelte Zuflussprinzip zugrunde gelegt worden. Auch wenn sich hier Arbeitnehmer mit untertariflichen
Sonderzuwendungen bzw. Urlaubsgeld zufrieden gegeben hätten, liege kein Verstoß gegen das Tarifvertragsgesetz
vor. Die entgegenstehende Prüfpraxis der Rentenversicherungsträger sei nicht mit der höchstrichterlichen
Rechtsprechung zu vereinbaren. Dem Kläger stehe auch Vertrauensschutz zu. Die Beklagte habe erstmals im Januar
2000 die Änderung ihrer Rechtsauffassung in einer Arbeitgeberinformation mitgeteilt. Der Kläger hat außerdem
beantragt, die sofortige Vollziehung des Bescheides auszusetzen.
Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2001 den Widerspruch zurück. Für mehrere Beschäftigte
seien Beiträge aus den laut des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages für den Bayerischen Einzelhandel
tariflich zustehenden, tatsächlich aber nicht gezahlten Sonderzuwendungen (Weihnachts- und Urlaubsgelder)
entsprechend nachberechnet worden. Bei Vorliegen eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrages sei ein Verzicht auf
Teile des tarifvertraglichen Gehalts nur wirksam, wenn er im Tarifvertrag ausdrücklich vorgesehen sei. Im Tarifvertrag
für den Bayerischen Einzelhandel sei eine solche Verzichtsmöglichkeit nicht enthalten. Das Bundessozialgericht habe
sich bereits in einem Urteil aus dem Jahre 1982 von dem im Steuerrecht geltenden Zuflussprinzip abgewandt und die
Rechtsanspruchstheorie bzw. das Entstehungs-/Verdienstprinzip für die Sozialversicherung entwickelt. Der
Arbeitgeber könne sich nicht allein durch Nichtzahlung des Arbeitsentgelts seiner öffentlich-rechtlichen Beitragspflicht
entziehen; anderenfalls wären schwerwiegende Nachteile für die Arbeitnehmer, vor allem in der Rentenversicherung,
nicht auszuschließen. Werde dem Arbeitnehmer eine Sonderzahlung bei Fälligkeit nicht ausbezahlt, dann seien dafür
trotzdem Beiträge zu entrichten.
Der Kläger hat mit der Klage vom 19.10.2001 beim Sozialgericht Augsburg (SG) geltend gemacht, den Mitarbeitern
hätten die Entgeltbestandteile unbestritten zugestanden, aus denen die Nachforderung der Beklagten sich errechne.
Sie hätten aber vertragsgemäß die niedrigere Auszahlung akzeptiert und würden höhere tarifliche Ansprüche nicht
geltend machen. Von den geleisteten Lohn- und Gehaltszahlungen habe er ordnungsgemäß die
Sozialversicherungsbeiträge abgeführt. Die Abrechnung der Beiträge sei in der Vergangenheit von der
Ortskrankenkasse in unregelmäßigen Abständen überprüft worden, ohne dass jemals die Abführung von Beiträgen
aus höheren als den tatsächlich ausbezahlten Lohnsummen angemahnt oder geltend gemacht worden wäre. Die
Tarifverträge für den Bayerischen Einzelhandel seien über 20 Jahre bis Ende 1999 für allgemeinverbindlich erklärt
worden, was den Einzugsstellen auch bekannt sei oder hätte bekannt sein müssen und können. Dennnoch sei bis
Ende 1999 unter den etwa 15.000 Mitgliedsfirmen des Landesverbandes des Bayerischen Einzelhandels kein Fall
bekannt geworden, in dem eine Einzugsstelle unter Berufung auf das Entstehungsprinzip eine Beitragspflicht aus
einer höheren als der tatsächlich gezahlten Vergütung geltend gemacht hätte. Nicht nur die Krankenkassen als
Einzugsstellen hätten bei allen Betriebsprüfungen bis Ende 1999 ohne Weiteres das Zuflussprinzip zugrunde gelegt,
sondern auch die Landesversicherungsanstalten als Rentenversicherungsträger. Erstmals mit Rundschreiben von
Anfang Januar 2000 habe die Beklagte in einer Arbeitgeberinformation unter Bezugnahme auf ein Urteil des
Bundessozialgerichts auf die Verpflichtung hingewiesen, grundsätzlich aus allen tarifvertraglich geschuldeten
Ansprüchen Versicherungsbeiträge abzuführen, ganz gleich, ob der Anspruch erfüllt, geltend gemacht worden oder
wegen einer Ausschlussfrist verfallen sei. Die nachträgliche Heranziehung des Klägers zu
Sozialversicherungsbeiträgen widerspreche den Grundsätzen des Vertrauensschutzes.
Die Beklagte hat entgegnet, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts reiche das bloße Nichtstun der
Einzugsstelle zur Begründung eines Verwirkungsverhaltens auch dann nicht aus, wenn Betriebsprüfungen erfolgt
seien oder wenn ein Betriebsprüfer im Anschluss an die Betriebsprüfung seine Auffassung zur Rechtslage bekannt
gegeben habe. Ein Arbeitgeber, der allgemeinverbindliche Tarifverträge nicht anwende und damit gegen geltendes
Recht verstoße, dürfe sich nicht zu Recht auf Vertrauensschutz berufen.
Das SG hat mit Urteil vom 30.10.2002 die Klage abgewiesen. Der Kläger sei zur Zahlung von
Gesamtversicherungsbeiträgen für die beigeladenen Arbeitnehmerinnen in Höhe von 5.100,76 EUR verpflichtet. Bei
der Bemessung des Arbeitsentgelts sei nicht nur das gezahlte, sondern auch das geschuldete Arbeitsentgelt
zugrunde zu legen. Der Kläger habe mit seinem Geschäft dem Tarifvertrag für den Einzelhandel in Bayern unterlegen,
der bezüglich der Sonderzuwendungen bis 31.12.1999 gegolten habe. Für das Entstehen des Beitragsanspruches
komme es nicht darauf an, dass das geschuldete Arbeitsentgelt dem Arbeitnehmer gezahlt worden sei. Als öffentlich-
rechtliche Forderung unterliege die Beitragsforderung hinsichtlich ihres Entstehens, ihrer Fälligkeit und ihrer
Verjährung dem öffentlichen Recht. Der Kläger könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Dem Vertrauensschutz
sei durch die vierjährige Verjährungsfrist ausreichend Rechnung getragen. Der Kläger habe es unterlassen, den
Arbeitnehmerinnen das zustehende Arbeitsentgelt zu zahlen. Er stehe damit nicht schlechter als ein Arbeitgeber, der
seinen Arbeitnehmern den tariflich zustehenden Lohn gezahlt habe. Darüber hinaus habe er sich durch die
Nichtabführung der Beiträge einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil verschafft. Ein schutzwürdiges Vertrauen liege
daher nicht vor.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 09.02.2002. Die Einzugsstellen hätten über einen längeren
Zeitraum hinweg ausschließlich aus dem zugeflossenen Geld, d.h. den erzielten Einkünften, die Beiträge erhoben. Er
habe Vermögensdispositionen getroffen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten; daher stehe ihm
Vertrauensschutz zu. Im Dienstleistungsbereich des Einzelhandels würden die Personalkosten im Verhältnis zum
Umsatz kalkuliert. Wenn bei gleichbleibendem Umsatz die Personalkosten steigen würden, gehe die
unternehmerische Entscheidung regelmäßig dahin, dass weniger Arbeitsstunden eingeteilt, gegebenenfalls Mitarbeiter
entlassen oder Überstunden unterbleiben würden. Er habe von seiner Dispositionsfreiheit insoweit Gebrauch gemacht,
als er sich im Einvernehmen mit den Mitarbeiterinnen ausdrücklich für die zulässige Form eines geringfügigen
Beschäftigungsverhältnisses entschieden habe. Den Umfang der darin zulässigen Arbeitszeiten habe er auch bei
Kenntnis von der Verpflichtung, Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu bezahlen, eingehalten. Durch die
Nachzahlungspflicht von Sozialversicherungsbeiträgen, die nur dadurch entstanden seien, weil durch die
Hinzurechnung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld die Geringfügigkeitsgrenze überschritten werde, entstünden für ihn
Zahlungsverpflichtungen, die bei rechtzeitiger Information über die Abrechnungsform nicht eingetreten wären. In der
mündlichen Verhandlung haben der Kläger und die Beklagte sich geeinigt, den Rechtsstreit nur hinsichtlich den
Beitragsforderung bezüglich der Beigeladenen zu 1.-3., 5.-7. und 9. durchzuführen und bezüglich der übrigen
beigeladenen Arbeitnehmerinnen nach dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens zu regeln.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30.10.2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom
12.04.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.09.2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, ein Arbeitgeber, der seinen Arbeitnehmern nicht das tariflich zustehende Arbeitsentgelt zahle,
handele rechtswidrig. Er könne nicht darauf vertrauen, nunmehr in Fortsetzung dieses rechtswidrigen Verhaltens auch
die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge nicht zahlen zu müssen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -); da das Ende der
Berufungsfrist auf einen Samstag gefallen ist, endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktages, also am Montag,
den 09.12.2002 (§ 64 Abs.3 SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 EUR (§ 144 Abs.1 Satz
1 Nr.1 SGG).
Der Kläger kann sich durch den Landesverband des Bayerischen Einzelhandels e.V. vertreten lassen, da dieser nach
seiner Satzung eine Vereinigung von Arbeitgebern ist, der zur Prozessvertretung befugt ist (§ 73 Abs.6 SGG).
Die Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil und die Bescheide sind nicht zu beanstanden.
Die Beklagte ist als Trägerin der Rentenversicherung gemäß § 28p Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) befugt, bei den
Arbeitgebern zu prüfen, ob diese ihre Meldepflichten oder ihre sonstigen Pflichten nach diesem Gesetzbuch, die im
Zusammenhang mit dem Sozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen. Nach Abs.1 Satz 5 dieser
Vorschrift erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur
Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der
Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.
Bei der hier insgesamt streitigen Beitragsnachforderung in Höhe von 9.976,22 DM (5.100,76 EUR) geht es nicht um
die Berechnung als solche, sondern um die Anwendung der zutreffenden Berechnungsgrundlage.
Rechtsgrundlagen für die Beitragsnachforderung sind in der gesetzlichen Krankenversicherung § 226 Abs.1
Sozialgesetzbuch V (SGB V), in der Rentenversicherung § 162 Nr.1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI), in der
Arbeitslosenversicherung § 168 Abs.1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bzw. ab 01.01.1998 § 342 Sozialgesetzbuch III
(SGB III) und in der Pflegeversicherung § 57 Abs.1 Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) in Verbindung mit § 226 Abs.1 Nr.1
SGB V, jeweils in Verbindung mit § 28e SGB IV. Diesen Vorschriften ist gemeinsam, dass die Bemessungsgrundlage
bei versicherungspflichtigen Beschäftigten das Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ist.
Das vom Kläger hier in Anspruch genommene Zuflussprinzip gilt im Sozialrecht nicht uneingeschränkt. Das
Bundessozialgericht (BSG) hat festgestellt (Urteil vom 30.08.1994 BSGE 75, 61; Urteil vom 21.05.1996 BSGE 78,
224), dass die Entscheidung über den Beitragsanspruch nicht davon abhängt, ob das geschuldete Arbeitsentgelt
gezahlt wurde, es dem Arbeitnehmer also zugeflossen ist. Diese Auffassung hatte schon das
Reichsversicherungsamt in einer Entscheidung im Jahre 1931 vertreten, weil sich anderenfalls Arbeitgeber, die ihre
vertraglichen Pflichten verletzen, Vorteile gegenüber den Arbeitgebern verschaffen könnten, die die Gehälter
vertragsgemäß zahlen. Das BSG ist dieser Auffassung zu einer Zeit gefolgt, als im Beitragsrecht das steuerrechtliche
Zuflussprinzip Eingang gefunden hatte (BSG vom 11.11.1975 BSGE 41, 6; BSG vom 26.10.1982 BSGE 54, 136).
Spätestens nach dem In-Kraft-Treten des SGB IV am 01.07.1977 ist nach der Rechtsprechung für das Entstehen der
jeweiligen Beitragsansprüche nicht notwendig, dass der Arbeitgeber das geschuldete Arbeitsentgelt auch gezahlt hat
(BSG vom 26.11.1985 BSGE 59, 183). Nach § 22 Abs.1 SGB IV entstehen Beitragsansprüche der
Versicherungsträger, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen erfüllt sind.
Die Höhe des Beitragsanspruchs richtet sich nicht nur danach, welche Einnahmen die Versicherten aus ihrer
Beschäftigung tatsächlich erhalten, sondern darüber hinaus auch nach den Einnahmen, die sie zwar nicht erhalten,
die ihnen aber vom Arbeitgeber geschuldet werden. In Abkehr vom Zuflussprinzip im Beitragsrecht ist für das
Entstehen der jeweiligen Beitragsansprüche also nicht notwendig, dass der Arbeitgeber das geschuldete
Arbeitsentgelt auch tatsächlich gezahlt hat. Hierfür ist insbesondere entscheidend, dass die Versicherungspflicht in
der Kranken- und Rentenversicherung sowie die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit schon am Tage der
Aufnahme der Beschäftigung gegen Entgelt und nicht erst mit dessen Zahlung beginnt, ferner, dass nach § 23 Abs.1
SGB IV Beiträge unabhängig von der Zahlung oder Fälligkeit des Arbeitsentgelts fällig werden. Das BSG hat
außerdem in einer Entscheidung vom 07.02.2002 (B 12 KR 13/01 R) diese Rechtsprechung bestätigt. Es hat lediglich
für den Fall, dass der Arbeitnehmer ein höheres als das arbeitsvertraglich geschuldete Entgelt erhalten hat,
hinsichtlich des Beitragsanspruchs auf den Zufluss des Arbeitsentgelts abgestellt, da es nach § 14 Abs.1 Satz 1
SGB IV nicht darauf ankommt, ob ein arbeitsrechtlicher Anspruch auf das gezahlte Arbeitsentgelt bestand.
Die von der Bevollmächtigten des Klägers genannten Urteile des BSG vom 26.10.1982 (a.a.O.) und 30.08.1994
(a.a.O.) stützen somit die Berufung gerade nicht.
Demgegenüber beruft sich der Kläger zu Unrecht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes (§ 242 Bürgerliches
Gesetzbuch). Dass die Beitragsansprüche der Versicherungsträger entstehen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund
eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 22 SGB IV), ist wegen des Grundsatzes der formellen
Publizität von Gesetzen seit 1977 bekannt (SGB IV vom 23.12.1976 BGBl.I S.3845). Ebensowenig begründet die
behauptete Unkenntnis des allgemeinverbindlichen Tarifvertrags Vertrauensschutz. Die Allgemeinverbindlicherklärung
eines Tarifvertrags ist ein "Gesetzesersatz". Sie ist ein staatlicher Normsetzungsakt eigener Art, mit dem der Staat
die Tarifnormen in seinen Willen aufnimmt (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch 2000, § 207, Rdnrn.17 ff.). Da die
Allgemeinverbindlicherklärung öffentlich bekannt gegeben werden muss (§ 5 Abs.7 Tarifvertragsgesetz), folgt aus dem
Grundsatz der formellen Publizität von Normen, dass sich der Kläger auf eine etwaige fehlende Kenntnis der
Allgemeinverbindlicherklärungen gleichfalls nicht berufen kann. Er macht auch zu Unrecht Vertrauensschutz im
Anschluss an frühere Betriebsprüfungen geltend, die nach seinen Angaben bei der Beitragsberechnung stets auf das
zugeflossene Entgelt abgestellt hätten und nicht auf die tarifvertraglichen Ansprüche der Arbeitnehmer. Denn
Betriebsprüfungen sind nicht geeignet, einen Vertrauensschutz insoweit zu begründen, dass die prüfende Stelle an
ihrer rechtlichen Beurteilung auch in Zukunft festgehalten werden darf. Eine Nichtbeanstandung im Rahmen einer
Arbeitgeberprüfung führt bei einer späteren Prüfung nicht zu einer Verwirkung, die der prüfenden Stelle
entgegengehalten werden kann. Das bloße Nichtstun der Einzugsstelle reicht auch dann nicht als
Verwirkungsverhalten aus, wenn Betriebsprüfungen erfolgt sind oder wenn ein Betriebsprüfer im Anschluss an die
Betriebsprüfungen seine Auffassung zur Rechtslage bekannt gegeben hat (BSG vom 30.11.1978 BSGE 47, 194). Zu
berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass nach § 6 Abs.1 Beitragsüberwachungsverordnung (BÜVO), der
den Umfang der Prüfungen regelt, die Prüfung der Aufzeichnungen (§§ 2, 3 BÜVO) einschließlich der Unterlagen im
Sinne des § 2 Abs.2 BÜVO sowie der Beitragsnachweise auf Stichproben beschränkt werden kann. § 6 BÜVO ist
nicht zu entnehmen, dass die Vorschrift dem geprüften Arbeitgeber ein Recht verleiht, dass die prüfende Stelle an der
beitragsrechtlichen Behandlung entsprechend den früheren Arbeitgeberprüfungen festhalten muss. Auch sind
allgemeine Äußerungen einer Rechtsansicht durch einen Betriebsprüfer im Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung
kein bindender Verwaltungsakt bzw. verbindliche Zusage (§§ 31, 34 Sozialgesetzbuch X). Betriebsprüfungen haben
nach der Rechtsprechung des BSG nur den Zweck, einerseits Beitragsausfälle zu verhindern und andererseits die
Versicherungsträger vor ungerechtfertigter Leistungsinanspruchnahme infolge der Entgegennahme von Beiträgen zu
bewahren. Eine darüber hinausgehende Bedeutung kommt ihnen nicht zu; sie haben insbesondere nicht die Aufgabe,
den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen und ihm Entlastung zu erteilen (BSG vom 30.11.1978 a.a.O.).
Wenn eine Krankenkasse - möglicherweise aus unrichtiger Beurteilung der Rechtslage - in früheren Jahren keine
Beitragsforderung gegen einen Arbeitgeber erhoben hat, so führt dies allein noch nicht zur Verwirkung der Forderung,
zumal wenn ihr eine umstrittene Rechtsfrage zugrunde liegt (BSG vom 10.09.1975 SozR 2400 § 2 Nr.3).
Es liegen auch keine sonstigen Umstände vor, die zu einer Verwirkung der Beitragsforderung führen könnten.
Besondere Umstände, die eine Verwirkung auslösen, liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten
Verhaltens berechtigt (Verwirkungsverhalten) vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen
werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt
wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat
(Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen
würde (BSG vom 29.01.1997 BSGE 80, 41 mit weiteren Nachweisen der ständigen Rechtsprechung des BSG). Es
fehlt hier bereits an einer Vertrauensgrundlage zugunsten des Klägers. Da er entgegen dem für allgemeinverbindlich
erklärten Tarifvertrag das seinen Arbeitnehmerinnen zustehende Urlaubs- und Weihnachtsgeld nicht in voller Höhe
ausgezahlt hat, ist sein Verhalten insoweit nicht schutzwürdig. In diesem Zusammenhang macht der Kläger auch zu
Unrecht Vertrauensschutz bezüglich der Kalkulation der Preise und der Personalplanung geltend. Denn die Ursache
dafür, dass die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse der Arbeitnehmerinnen durch ein Überschreiten der
Entgeltgrenzen versicherungspflichtig geworden sind, liegt nicht in der angeblichen Änderung der Prüfpraxis, sondern
in der Nichtbeachtung der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge. Der Kläger kann durch die Beachtung der
Geringfügigkeitskriterien und zusätzliche Einstellung von Arbeitnehmern die betriebswirtschaftlichen Ziele gleichfalls
erreichen.
Ein Vertrauensschutz ergibt sich schließlich nicht aus § 45 Sozialgesetzbuch X, da durch den angefochtenen
Beitragsbescheid ein früherer Bescheid bezüglich der streitigen Forderung nicht zurückgenommen worden ist. Dem
Vorbringen der Beteiligten und dem Akteninhalt ist nicht zu entnehmen, dass die Beklagte insoweit bereits früher
einen Beitragsbescheid erlassen hat.
Die Kostenentscheidung bestimmt sich nach dem früheren Recht des SGG, nämlich § 193 Abs.1 SGG aF (Art.17
Abs.1 6.SGGÄndG vom 17.08.2001 (BGBl I 2144); vgl. BSG vom 30.01.2002 SozR 3-2500 § 116 Nr.24).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).