Urteil des LSG Bayern vom 18.04.2005

LSG Bayern: rücknahme der klage, gerichtlicher vergleich, gebühr, eng, meinung, bayern, drucksache, beweiswürdigung, kostenfreiheit, hauptsache

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 18.04.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 14 KR 379/03
Bayerisches Landessozialgericht L 4 B 607/04 KR
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 16. September 2004 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Beschwerdegegner hat vor dem Sozialgericht Regensburg unter dem Az.: S 14 KR 379/03 gegen die AOK Bayern
- Die Gesundheitskasse einen Rechtsstreit wegen der Bezahlung von Krankenhaus- kosten in Höhe von 2.607,26
EUR für den stationären Aufenthalt des Mitglieds der AOK M. K. vom 11.08.2001 bis 10.09.2001 geführt. Die AOK hat
den Krankenhausaufenthalt nur bis 27.08.2001 für notwendig gehalten. Das Sozialgericht hat, nachdem sich die AOK
auf die Klageschrift des Beschwerdegegners vom 19.12.2003 mit Schriftsatz vom 10.01.2004 geäußert hatte und ein
MDK-Gutachten vom 15.10.2001 vorgelegt hatte, mit Schreiben vom 26.01.2004 der AOK die Anregung gegeben,
streitige Krankenhauskosten außergerichtlich zu lösen und vorher durch den MDK vor Ort die jeweilige
Aufenthaltsdauer mit den betroffenen Krankenhausärzten diskutieren zu lassen. Nach weiterem Schriftwechsel hat der
Beschwerdegegner mit Schreiben vom 21.05.2004 die Klage zurückgenommen unter Hinweis darauf, dass sich die
Beteiligten außergerichtlich geeinigt haben.
Das SG hat dann mit Beschluss vom 24.05.2004 den Streitwert auf 2.607,26 EUR festgelegt und die Kosten dem
Beschwerdegegner auf- erlegt. Im Kostenansatz vom 09.06.2004 wurde gemäß Gerichtskostengesetz, Anlage 1
Kostenverzeichnis(KV)-Nr.4110 eine Kostenschuld von 89,00 EUR festgelegt. Auf Erinnerung des
Beschwerdegegners vom 14.06.2004 hat das Sozialgericht dann mit Beschluss vom 16.09.2004 den Kostenansatz
vom 09.06.2004 aufgehoben. Die Tatbestandsvoraussetzungen, die unter Berücksichtigung von Satz 2 der Nr.4110
KV das Entfallen der Gebühr nach Nr.4110 KV hätten hindern können, seien zweifelsfrei nicht erfüllt. Als unschädlich
für den Eintritt der Kostenprivilegierung erweise sich hierbei das sonstige auf die Prozessförderung gerichtete
Tätigwerden des Gerichts, da die Tatbestandsmerkmale, die nach Satz 2 der Nr.4110 KV das Entfallen des
Gebührenanspruchs ausschließen, in der vorangeführten Bestimmung abschließend beschrieben und insbesondere
auch infolge deren Rechtsnatur als Ausnahmevorschriften keiner erweiternden Auslegung zugänglich, sondern im
Einklang mit den bestehenden Interpretationsgrundsätzen eng auszulegen und auf die vorhandene Regelungsaussage
zu beschränken seien.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Freistaats Bayern (Staatskasse), vertreten durch den
Bezirksrevisor beim Bayer. Landessozialgericht vom 06.12.2004. Die Beschwerdeeinlegung sei schon wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit angezeigt, da das Sozialgericht der Meinung sei, die Vorschrift für
einen Gebührenanfall nach KV Nr.4110 sei in Einklag mit den bestehenden Interpretationsgrundsätzen eng
auszulegen. Man dürfe Gerichtskosten nur insoweit erheben, als das Gesetz sie ausdrücklich vorsehe. Alle
Handlungen, für die das Gesetz nicht eindeutig Kosten vorsehe, seien kostenfrei. Kostenvorschriften seien also vor
allem insoweit, als sie von einer allgemeinen Regel eine Ausnahme darstellen, eng auszulegen. Allerdings dürfe sich
aber auch eine derartige (enge) Auslegung nicht an den Wortlaut klammern, sondern müsse immerhin dem Sinn und
Zweck der jeweiligen Vorschrift entsprechen. Es falle auf, dass insbesondere die Anwendung des Gebührenentfalls
bei einer "frühzeitigen" Klagerücknahme nach KV-Nr.4110 nicht identisch sei mit den für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit geltenden KV-Nrn.2110a und b, obwohl für beide Gerichtsbarkeiten der so genannte
Amtsermittlungsgrundsatz gilt. Zusammengefasst und nach Sinn und Zweck des § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG)
liege daher der Schluss nahe, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Entfallmöglichkeit der allgemeinen
Verfahrensgebühr in erster Linie nur für die Fälle gelten solle, in denen der Kläger z.B. eine nur zur Fristwahrung
erhobene Klage relativ kurzfristig wieder zurücknimmt, bevor es hier zu einer (weiteren) Tätigkeit bzw. Mühewaltung
des Gerichts komme. Es komme nur darauf an, ob das Gericht (in Form von Richterarbeitszeit) durch den Kläger als
Antragsteller des Verfahrens Ermittlungen im Sinne der §§ 103, 106 ff. SGG anstellen müsse, soweit nur eine
Beweisbedürftigkeit bestimmter Tatsachen gegeben ist. Diese liege aber bereits dann vor, wenn das Gericht
zumindest nach erfolgter Klageerwiderung eine eingehende Prüfung des Sach- und Streitstands vornehme. Im
vorliegenden Fall sei die Klage ausführlich begründet worden, nach erfolgter Klageerwiderung habe das Gericht
eindeutig eine eingehende Prüfung des Sach- und Streitstands vorgenommen. Die weiteren gerichtlichen Schreiben
ließen eher auf eine erfolgte Beweiswürdigung als eine bloße verfahrensrechtliche Gewährung des rechtlichen Gehörs
schließen. Insgesamt gesehen sei die Staatskasse der Meinung, dass vorliegend entgegen der Auffassung des
Sozialgerichts nach Sinn und Zweck von KV-Nr.4110 die Voraussetzung für eine Erhebung der allgemeinen
Verfahrensgebühr gegeben sei.
Die Staatskasse beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 16.09.2004 aufzuheben und
festzustellen, dass von dem Kläger eine allgemeine Verfahrensgebühr in Höhe von 89,00 EUR gemäß KV-Nr.4110 an
die Staatskasse zu bezahlen sei.
Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Das Gesetz stelle eindeutig und damit nicht auslegungsfähig klar, dass es eines unterschriebenen
Beweisbeschlusses, einer unterschriebenen Anordnung einer Beweiserhebung oder eines unterschriebenen
Gerichtsbescheids bedürfe, damit die Gebühr bei Rücknahme der Klage nicht entfalle. Die Klage sei eindeutig
zurückgenommen worden.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgehofen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Bei dem angefochtenen Beschluss handelt es sich um eine Entscheidung des
Sozialgerichts über eine Erinnerung des Kostenschuldners gemäß § 5 Abs.1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) in
der bis 30.06.2004 geltenden Fassung. Das GKG in der Fassung des Art.1 des Kostenrechts-
Modernisierungsgesetzes vom 05.05.2004 (BGBl.718), in Kraft seit 01.07.2004, kommt wegen dessen § 72 Ziffer 1
nicht in Frage. Nicht nur der Rechtsstreit in der Hauptsache vor dem Sozialgericht Regensburg, sondern auch das
Erinnerungsverfahren sind vor dem 01.07.2004 anhängig geworden. Nach der Begründung im Gesetzentwurf
KostRMoG (BT-Drucksache 15/1971 S.158) soll die Übergangsvorschrift sich jedoch nicht auf die Berechnung der
Kosten beschränken. So sollen in den enummerativ genannten Fällen auch die Verfahrensvorschriften des bisherigen
GKG Anwendung finden. Von Bedeutung ist dies insbesondere im Hinblick auf die Neuregelung des
Beschwerderechts. Das bedeutet, die Beschwerde ist statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00
EUR übersteigt (§ 5 Abs.2 Satz 1 GKG a.F.). Der Beschwerdewert des § 68 Abs.1 Satz 1 GKG (n.F.) in Höhe von
200,00 EUR ist unbeachtlich.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das Sozialgericht geht zutreffend davon aus, dass gemäß § 197a Abs.1 Satz 1 SGG Kosten nach den Vorschriften
des GKG zu erheben sind, weil weder der Erinnerungsführer (Kläger im Hauptsacheverfahren) noch die Beklagte im
Hauptsacheverfahren zu den nach § 183 SGG genannten Personen gehören. Damit sind gemäß § 1 Abs.1 Buchst.d
GKG (a.F.) Kosten nach dem GKG zu erheben. Gemäß § 11 Abs.1 GKG (a.F.) werden die Kosten nach dem
Kostenverzeich- nis der Anlage 1 zu diesem Gesetz erhoben. Teil 4 der Anlage 1 regelt die Verfahren vor den
Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit. Nach KV-Nr.4110 ist danach für Verfahren im Allgemeinen eine Gebühr zu
erheben. Das Sozialgericht hat jedoch im konkreten Einzelfall zutreffend entschieden, dass diese Gebühr entfällt.
Hierzu ist nämlich ebenfalls in KV-Nr.4110 geregelt, dass die Gebühr bei Zurücknahme der Klage vor Ablauf des
Tages, entfällt; an dem ein Beweisbeschluss, die Anordnung einer Beweiserhebung oder ein Gerichtsbescheid
unterschrieben ist und früher als eine Woche vor Beginn des Tages, der für die mündliche Verhandlung vorgesehen
war. Dieser eindeutige Wortlaut ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers weder auslegungsfähig noch
auslegungsbedürftig. Bei eindeutigem Wortlaut einer Norm besteht keine Möglichkeit, gegen diesen Wortlaut den
Bürger unter Berufung auf einen mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers zusätzlich zu belasten. Gerade bei
derartigen Kostensachen muss für den Prozessführenden Klarheit herrschen. Diese ist aber nicht gewährleistet, wenn
nicht exakt geregelt ist, welche Tatbestände die Kostenfreiheit noch erhalten bzw. bei welchen diese entfällt. Gerade
weil in der Nr.4110 eine bestimmte Anzahl einzelner, jeweils für sich leicht bestimmbarer Tatbestände aufgezählt ist,
ist es ausgeschlossen, weitere Tatbestände hinzuzufügen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich aus dem ab 01.07. 2004 geltenden Recht entnehmen lässt, dass der
Wille des Gesetzgebers keineswegs den Vorstellungen des Beschwerdeführers entspricht. Verfahren vor den
Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit sind jetzt in Teil 7 des Kostenverzeichnisses zum GKG geregelt. Nach dessen
Nr.7111 ermäßigt sich der dreifache Gebührensatz für Verfahren im Allgemeinen (Nr.7110) auf den einfachen Satz,
wenn die Klage vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung oder, wenn eine solche nicht stattfindet, vor dem
Ablauf des Tages, an dem das Urteil oder der Gerichtsbescheid der Geschäftsstelle übermittelt wird,
zurückgenommen wird. Die Ermäßigung soll auch eintreten, wenn ein Anerkenntnisurteil ergeht, ein gerichtlicher
Vergleich geschlossen wird oder ein Anerkenntnis angenommen wird oder das Verfahren für erledigt erklärt wird. Die
Gebührenermäßigung nach neuem Recht tritt also auch ein, wenn der Richter sehr viel mehr Tätigkeiten erbracht hat
und mehr Arbeitszeit eingesetzt hat, als es nach altem Recht für einen Gebührenentfall ausreichend war.
Die Beschwerde ist deshalb zurückzuweisen.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs.8 GKG n.F.). Die Entscheidung ist endgültig
(§ 66 Abs.3 Satz 3 GKG n.F.).